Weltreise, Jugendliebe, Traumjob: Welche verpassten Chancen bereust du?
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Weltreise, Jugendliebe, Traumjob: Welche verpassten Chancen bereust du?

Bereust du Dinge, die du nie getan hast? Trauerst du der Jugendliebe nach oder einer Karriereleiter, die du nie erklommen hast? Manchmal wollen dir verpasste Chancen etwas sagen. Was genau, liest du hier.

Ende 20 – wenn die Midlife Crisis noch in weiter Ferne liegt – ziehen viele zum ersten Mal Bilanz: Diese eine Ausbildung, die ich nie abgeschlossen habe, die Beziehung, der ich nie eine Chance gegeben habe oder die Reise, die ich stets auf die Wartebank geschoben habe ... Ist es für manche Lebensziele wirklich irgendwann zu spät? Und: Wie gehe ich mit «Was-wäre-Wenns» um? Gemeinsam mit Christine Hoffmann, Coach und Arbeitspsychologin in Wien, nähere ich mich dem Thema. Sie sagt: Viele Wege führen uns in die erwünschte Zukunft.

Frau Hoffmann, was genau sind verpasste Chancen: Verpassen wir sie, weil wir sie an uns vorbeiziehen lassen? Oder sind sie das Resultat einer bewussten Entscheidung?

Gemäß wissenschaftlicher Schätzungen treffen Menschen täglich etwa 35 000 Entscheidungen. Lediglich bei 10 Prozent dieser Entscheidungen wägen wir verschiedene Optionen ab. Die restlichen 90 Prozent der Entscheidungen laufen automatisiert ab, also ohne bewusstes Nachdenken.

Wann bereuen wir Entscheidungen?

Nur dann, wenn der gewählte Pfad als ungünstig empfunden wird. Dennoch empfinden nicht alle Menschen Reue über ihre Entscheidungen. Selbstreflektierte Menschen, die Entscheidungen gemäß ihrem Wertsystem treffen, erkennen, dass eine Entscheidung nicht zwangsläufig «schlecht» war, nur weil das erwünschte Ergebnis ausgeblieben ist. Sie wissen: Sie haben nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Gleichzeitig verstehen sie, dass sie mit mehr Wissen und Erfahrung die Entscheidung heute vielleicht anders treffen würden. Unser Wissens- und Erfahrungsschatz wächst kontinuierlich: Vor einer Entscheidung haben wir weniger Erfahrung als danach. Reue kann daher ein Anzeichen für persönliche Weiterentwicklung sein.

Der Volksmund hat es immer schon gewusst: «Hinterher ist man immer schlauer.» Oder, wie man dazu flapsig sagt: «Hätte, hätte, Fahrradkette.»

Nicht alle Menschen, die solche Sprüche klopfen, reagieren auf eigene vermeintliche Fehleinscheidungen so locker wie auf die der anderen. Übrigens hängt es auch von der Persönlichkeit ab, wie viel Reue jemand zeigt. Menschen, die stark proaktiv sind, sich auf ihren Einflussbereich konzentrieren, sind sich einer wichtigen Sache bewusst: Die Vergangenheit liegt außerhalb ihres Gestaltungsraums. Sie können nur ihre Sichtweise auf die Vergangenheit ändern und daraus für ihre erwünschte Zukunft lernen. Sprich, weniger bereuen, sich mehr fragen: «Was kann ich daraus lernen? Was bedeutet das für meine Entscheidungen in der Zukunft?» Das ist ein guter Umgang mit Reue über verpasste Chancen.

Was bereuen Menschen eigentlich am häufigsten?

Gegen Ende des Lebens bereuen Menschen am häufigsten, dass sie nicht authentisch gelebt und sich zu sehr nach den Erwartungen anderer gerichtet haben. Zudem bedauern viele Sterbende, dass sie der Arbeit zu viel Priorität eingeräumt und dadurch nicht genug Zeit mit ihren Liebsten verbracht haben. Darüber hat die australische Sterbebegleiterin Bronnie Ware vor gut einem Jahrzehnt in ihrem Buch «5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen» berichtet.

5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen (Deutsch, Bronnie Ware, 2013)

5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen

Deutsch, Bronnie Ware, 2013

5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen (Deutsch, Bronnie Ware, 2013)
Sachbücher

5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen

Deutsch, Bronnie Ware, 2013

Und womit hadert man, wenn man jünger ist?

Menschen tendieren dazu, die Attraktivität von nicht gegangenen Wegen zu überschätzen. Sie glauben: «Hätte ich einen anderen Mann oder eine andere Frau geheiratet, wäre mein Leben viel leichter.» Oder: «Hätte ich einen anderen Job gewählt, wäre ich viel glücklicher.» Wir nennen solche Vorstellungen in der Psychologie «eskapistische Fantasien»: Menschen malen sich das perfekte Leben aus – mit dem Jugendfreund oder dem nicht gewählten Job. Dabei werden nur die schönsten Farben verwendet und das echte Leben kann nicht mithalten. Der Vergleich ist nicht prüfbar, weil niemand mehrere Varianten desselben Lebens leben kann. Eskapistische Fantasien zeigen: Menschen sind mit ihrem Hier und Jetzt unzufrieden. Das sollten sie ernst nehmen – allerdings ohne gleich die Beziehung zu beenden oder den Job zu kündigen. Keine Partnerschaft ist immer rosig und es gibt keinen Job, der uns nicht fordert.

Wie lassen sich denn eskapistische Fantasien positiv nutzen?

Indem man herausfindet, was die Flucht-Fantasien widerspiegeln. Welche Bedürfnisse stecken dahinter? Und wie lassen sich diese im Heute erfüllen? Bereut man es, kinderlos geblieben zu sein, steckt dahinter möglicherweise das Gefühl mangelnder Verbundenheit mit anderen Menschen. Dieses Bedürfnis lässt sich vielseitig erfüllen: Man kann sich als Babysitter für die Nachbarskinder anbieten oder eine aktive Patentante sein. Man kann mehr Zeit und Energie in Freundschaften investieren oder im Seniorenheim vorlesen. Oder es ist noch gar nicht zu spät, um sich den Kinderwunsch noch zu erfüllen.

Was machen Menschen, die häufig verpassten Chancen nachtrauern, falsch?

Ich würde nicht sagen, dass sie etwas falsch machen. Reue kann auch der Beginn eines Entwicklungsprozesses sein. Wenn Menschen viel bereuen, empfehle ich ihnen, sich damit zu beschäftigen, wie sie Entscheidungen treffen. Gut möglich, dass sie sich an den Wegkreuzungen nicht die richtigen Fragen stellen, um die für sie stimmigen Wege auszuwählen.

Und warum quälen verpasste Chancen manche Menschen stärker als andere?

Das kann ein Ausdruck für Maximierungsdruck und Perfektionismus sein. Das fängt oft schon im Kleinen an: Man will das beste Gericht auf der Karte bestellen, das beste Auto kaufen, die optimalste Reiseroute planen ... Doch diese extreme Maximierungstendenz schadet uns mehr, als dass sie uns nützt. Man investiert sehr viel Zeit in Entscheidungsprozesse. Doch in den meisten Fällen kommt es nicht darauf an, die beste Entscheidung zu treffen, sondern eine stimmige.

Vorhin haben Sie gesagt, bei Reue gehe es um den Blickwinkel: Man könne aus einer bereuten Entscheidung für die Zukunft lernen. Wie denn?

Jede Entscheidung, die wir treffen, hat ihren Preis. Angenommen, jemand bekommt ein reizvolles Job-Angebot in einer anderen Stadt. Doch der Preis, den er oder sie dafür zahlen müsste, wäre: Weniger Zeit für die Familie. Ist man zwar nicht bereit, diesen Preis zu zahlen, kann man trotzdem mit der Entscheidung hadern. Denn beide Wege schienen gut zu sein. Mein Rat wäre, sich zu fragen: Wie kann ich den Weg, gegen den ich mich entscheide, trotzdem ein Stück weit mitnehmen? Vielleicht investiert man eine Stunde pro Woche in Weiterbildung, um weiter am Ball zu bleiben und auch weiterhin ähnlich gute Job-Angebote zu erhalten. Eine verpasste Chance ist immer eine Möglichkeit, etwas in Gang zu setzen. Sie kann ein Schlüssel für die eigene Zukunft sein. Ich sehe Reue als Anstoß, sich selbst zu reflektieren und wie gesagt die Persönlichkeit weiterzuentwickeln.

Irgendwann aber ist Schluss damit, neue Chancen zu ergreifen... oder?

Ich nenne das Altersdiskriminierung: Dass Menschen sich selbst daran hindern, ihre Wünsche zu erfüllen. Das ist schade und hat Auswirkungen auf die Lebensqualität. Wir können uns ein Leben lang Wünsche erfüllen und ganz lange neue Erfahrungen machen. Meine Großmutter beispielsweise hat noch mit 99 Jahren eine Kreuzfahrt gemacht. Wenn das Gefühl verpasster Chancen ständig an einem nagt, oder man etwas bereut, was man in der Vergangenheit nicht gemacht hat, dann «Go for it». Es ist nie zu spät.

Titelbild: shutterstock

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Mareike Steger
Autorin von customize mediahouse
oliver.fischer@digitecgalaxus.ch

Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.


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