Auffällig und High-Tech: So könnte man heute jedes Fussballschuh-Sortiment beschreiben. Wenn du einen neuen Schuh kaufst, solltest du vor allem auf zwei Qualitäten schauen.
Es ist Sommer des Jahres 1990. Die Welt – und ich achtjähriger Bengel – blickt nach Italien: Italia Novanta, die Fussball-Weltmeisterschaft; «Un’ estate italiana» von Gianna Nannini und Edoardo Bennato bescheren uns die wohl grandioseste WM-Hymne aller Zeiten. Toto Schillaci wird der unerwartete Star und Torschützenkönig des Turniers. Der Kameruner Roger Milla schiesst und Eckfahnen-tanzt sich in die Herzen der Fans, und die Engländer begründen ihren Mythos der Elfmeter-Versager. Statt wie heute durch bunt tätowierte Arme, Nacken und Beine zeichnen sich die Spieler 1990 durch exzentrische Haarpracht und so manchen buschigen Schnauzer aus.
An den Füssen der Spieler dagegen herrscht einig schwarz.
Zeitsprung ins Jahr 2021 an die Euro 2020: Wer am Ende des Turniers die grossen Geschichten geschrieben haben wird, wissen wir zum Zeitpunkt der Publikation noch nicht. Was aber auffällt: Die Haare sind gestylt, Schnauzer inexistent, die Sportlerkörper so vielfach tätowiert, dass es der Normalfall ist – und die Schuhe sind nur noch selten schwarz. Pink, gelb, weiss, blau, grün, rot, orange – würde dem Fussball nicht immer noch der Gestank des Homophoben anhängen, so könnten zumindest die Schuhe der Stars als knallbunte Variation der Regenbogenfahne durchgehen.
Alle Farben und viele Innovationen
Aber nicht nur farblich hat sich bei den Fussballschuhen seit den Zeiten der «estate italiana» ein Bisschen was getan. Die Zäsur kam mit eben dem ersten Predator-Schuh von Adidas 1994: Du kannst dich sicher daran erinnern – das war der Schuh mit diesen vier Reihen Noppen quer über den vorderen Rist. Richtig die Post ging dann erstmals mit der WM 1998 in Frankreich ab. Da hatte Nike beschlossen, in den Fussballschuh-Markt einzusteigen und die ersten richtig farbigen Schuhe rauszubringen. Seitdem tobt ein inzwischen 23 Jahre andauernder Wettstreit um die nächste technische Revolution; oder zumindest Innovation; oder wenigstens nochmal ein paar Gramm weniger Gewicht; oder halt einfach einen neuen Paintjob.
Aber, bringen die von den Herstellern lautstark propagierten Finessen dem Spieler auf dem Platz wirklich etwas? Wie weit her ist es mit Mininoppen für besseren Drall, glattere Oberfläche für besser Kraftübertragung beim Schuss, klebrigere Oberfläche für besseres Ballgefühl im Dribbling? Gibt es Schuhe, die mehr auf Verteidiger und solche, die mehr auf Stürmer zugeschnitten sind? Oder ist das alles eigentlich einfach Marketing-Bullshit – so wie die Farben? Da gibt es wenigstens jeder zu.
Diese Faktoren fallen besonders ins Gewicht
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich mir die Expertise von einem geholt, der es aus eigener Erfahrung wissen muss: der Schweizer Ex-Nationalspieler Daniel Gygax. Im rechten Mittelfeldcouloir beackerte er die Fussballfelder in der Schweiz (Baden, FC Zürich, Winterthur, Aarau, Luzern), Frankreich (Lille, Metz) und Deutschland (Nürnberg). Heute ist er Nachwuchstrainer beim FCZ.
Um es gleich zu sagen: Ja, diese speziellen Oberflächenstrukturen, wie etwa die Stacheln des Adidas Performance Predators, wirken sich schon auf den Effet bei Schuss oder Flanke aus. Nur: Wenn du mit glattem Schuh keine Bananenflanke schlägst, wirst du auch mit Stachel-Predator zu keinem Trent Alexander-Arnold oder David Alaba. Viel wichtiger bei der Wahl deines nächsten Fussballschuhs sind andere Faktoren – neben der Optik natürlich.
Passform
Der Schuh muss sitzen. Und das heisst nicht, einfach die passende Schuhgrösse zu kaufen. Das natürlich auch. Vor allem aber muss die Form des Schuhs, also sein Schnitt, zur Form deines Fusses passen. Dein Schuh muss satt an deinem Fuss anliegen, darf aber keine Druckstellen haben oder die Durchblutung behindern. Da gibt es schmalere Schuhe. Solche, die für einen hohen Rist besser geeignet sind oder für eine flachere oder gewölbtere Fusssohle. «Ich habe als Jugendlicher so ziemlich alle Schuhmarken durchprobiert. Wegen meiner schmalen Füsse bin ich schliesslich bei Nike hängen geblieben», sagt Daniel Gygax. «Eine Zeit lang war davor aber vor allem der Style wichtig. Hauptsache auffällig.»
Gewicht
Die verschiedenen Schuhmarken haben sich vor allem in den 2000er-Jahren eine wahre Rekordjagd nach dem leichtesten Fussballschuh geliefert. Das Maximum – oder besser Minimum – erreicht Adidas 2015 mit dem «99-Gramm-Schuh», der aus einem Material gefertigt war, das auch die NASA wegen seines geringen Gewichts nutzte. Das Problem: Das Teil war zwar leicht, aber auf dem Platz komplett unbrauchbar. Du erinnerst dich sicher ans Schweizer Trikot-Gate bei der Euro 2016 in Frankreich? Tja, im Vergleich zum Adizero 99 – so hiess der Ultraleicht-Schuh – waren jene Trikots stabil wie Kettenhemden. Der Adizero 99 dagegen hielt kaum ein paar Schüssen stand, geschweige denn einem anständigen Tritt vom Gegenspieler. Und trotzdem: Das Gewicht ist ein wichtiger Faktor bei der Wahl deines Schuhs, denn zwei Betonklötze willst du natürlich nicht über den Platz schleppen. Aktuelle Nockenschuhe findest du je nach Marke zwischen etwa 160 und 250 Gramm pro Schuh.
Sohle und Nocken/Stollen
Hier liegen die Unterschiede zwischen verschiedenen Schuhen und Marken vor allem bei der Flexibilität der Sohle am Vorderfuss. Der Mittelfuss ist generell hart und bietet Stabilität. Beim Vorderfuss gibt es mehr oder weniger Flex, was sich auf Beschleunigung und Agilität auswirkt. «Gerade als die ersten Karbon-Sohlen auf den Markt kamen, waren die Schuhe eher zu hart. Inzwischen sind sie wieder elastischer», sagt Daniel Gygax. «Was du als Spieler auch deutlich spürst, ist die Beschaffenheit, Zahl und Form der Nocken. Das merkst du bei Richtungswechseln und bei der Beschleunigung. Schmale, längs-orientierte Nocken bieten weniger Widerstand, du bleibst weniger ‹kleben› am Boden.» Ob eher Nocken- oder Stollenschuh passen, ist einerseits eine Frage der Position und andererseits der Unterlage respektive des Wetters. «Defensive Spieler sind öfter mit Stollen unterwegs, offensive mehr mit Nocken», sagt Gygax. Das habe sicher auch mit den Anforderungen der Position – Stabilität in der Defensive, Agilität in der Offensive – zu tun.
Oberfläche
Eine gewisse Oberflächenstruktur wird durch die Platzierung von Nähten geschaffen oder durch die Art und Platzierung von Schnürsenkeln. «Die Hersteller haben da so ziemlich alles ausprobiert: die Naht innen, oben in der Mitte, aussen», erzählt Dani Gygax. Dazu wurden auch die Schnürsenkel entsprechend platziert oder gar ganz weggelassen.
«All diese verschiedenen Oberflächenstrukturen können sich auf die Flugbahn des Balls bei Pass, Torschuss und Flanke auswirken», sagt der Ex-Nationalspieler, relativiert aber auch sofort. «Für mich war das entscheidende Kriterium bei der Schuhwahl aber immer die Passform. Wie fühlt sich der Schuh am Fuss an? Der Sitz musste bequem sein.» Und es kommt laut Gygax auch stark auf die Technik eines Spielers an, ob und wie stark unterschiedliche Oberflächen spürbar sind. «Wenn du stark mit dem Innenrist schiesst, bekommt der Ball sowieso eine gewisse Rotation. Den Ball kontrollierst du kaum je mit dem Rist, wo du Schnürsenkel spüren würdest. Wenn du aber wie zum Beispiel Cristiano Ronaldo bei seinen Freistössen eher über den Rist schiesst, kann eine raue Struktur die Flugbahn durchaus beeinflussen.»
Fazit
Ja, unterschiedliche Oberflächenstrukturen können einen Einfluss auf dein Spiel haben, aber kaum so stark, dass du damit plötzlich viel härter schiesst, unberechenbare Flatterbälle hinbekommst oder Freistösse wie Messi zu seinen besten Zeiten um die Mauer zirkelst. Der wichtigste Faktor ist die Passform. Und das sage nicht ich oder dein Bolzplatzkumpel, der in seiner Jugend mal ein Riesentalent beim FC Weissnichtwer gewesen sein soll, sondern Ex-Nationalspieler Daniel Gygax. Die wichtigsten Fragen, die du dir stellen musst, lauten: «Sitz der Schuh gut an meinem Fuss?» und «Ist er bequem?» Wenn du einen einigermassen aktuellen Schuh kaufst, wird das Gewicht nicht wirklich ins Gewicht fallen und die Sohle wird dir die nötige Stabilität und Beweglichkeit liefern.
Oder anders formuliert: Du kannst durchaus auf den geilen Style schauen.
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Das Aussehen ist egal, technische Features sind alles, was für mich zählt.
24%
Ich will es farbig leuchtend – Hauptsache auffällig.