Schwer zu glauben: Zehenschuhe gelten jetzt als stylish
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Schwer zu glauben: Zehenschuhe gelten jetzt als stylish

Du denkst, du hast nach Crocs, Sneaker-Loafern und monströsen Sohlen schon alles gesehen, was die Ugly-Shoe-Welt zu bieten hat? Dann mach dich auf den neuesten Trend gefasst: die Vibram «Fivefingers».

Die Grenzen zwischen hässlich und schön verschwimmen in der Welt der Schuhe zunehmend. Birkenstocks, Crocs und Uggs sind längst Kult, Sneaker werden schamlos mit Loafern und Sandalen gekreuzt, überdimensionale rote Boots, wie aus einem Comic entsprungen, gehen viral – was kann uns da noch überraschen? Na, der wohl radikalste Ugly-Shoe aller Zeiten: der Zehenschuh. Lange Zielscheibe des Spottes, avanciert er nun zum Liebling unter Fashion-Begeisterten.

Vibram und seine «Fivefingers»

Hinter dem aktuellen Hype steckt das italienische Unternehmen Vibram, das seit über 80 Jahren Hochleistungs-Gummisohlen produziert. Mittlerweile rüstet es Outdoor-Marken wie Merrell und Scarpa, aber auch Luxusbrands wie Jil Sander und Rick Owens mit seinen robusten Sohlen aus. 2005 lancierte Vibram den ersten eigenen Schuhtyp, die «Fivefingers», und leistete damit Pionierarbeit in der Entwicklung von Barfussschuhen.

Leider sind diese Produkte bisher nur im Schweizer Shop erhältlich.

Heutzutage sind die «Fivefingers» in verschiedenen Ausführungen erhältlich, etwa als Sneaker, Stiefel oder Ballerinas. Redaktionskollegin und Outdoor-Enthusiastin Siri Schubert hat ihr erstes Paar schon vor 15 Jahren fürs Joggen gekauft und ist seit jeher Fan: «Ich trage sie beim Sport, beim Spazierengehen und manchmal auch in der Stadt – obwohl ich da schon teilweise komische Blicke ernte.»

Vibram «Fivefingers»: für viele ein gewöhnungsbedürftiger Anblick.
Vibram «Fivefingers»: für viele ein gewöhnungsbedürftiger Anblick.
Quelle: Instagram @omatsouza

Die gewöhnungsbedürftigen Treter mit den Zehenkammern waren ursprünglich für Sport- und Outdoor-Aktivitäten konzipiert, doch selbst in diesen Bereichen polarisieren sie. In Supermärkten, Trams und Büros wirken sie umso befremdlicher. Bald könnte sich das ändern.

Gorpcore, dünne Sohlen und japanische Zehensocken

Der Gorpcore-Boom hat funktionelles Schuhwerk im Alltag normalisiert und damit den Weg für die «Fivefingers» in den Mainstream geebnet. Gleichzeitig hat uns die Popularität von hässlichen Schuhen in den letzten Jahren bewiesen, dass Mode Skurriles in Begehrenswertes verwandeln kann. So ziemlich alles geht als stylisch durch, solange es gut kombiniert und selbstbewusst getragen wird.

Die Ballerina-«Fivefingers» aus Mesh sind in der Frauenmode besonders beliebt.
Die Ballerina-«Fivefingers» aus Mesh sind in der Frauenmode besonders beliebt.
Quelle: Instagram @melissabon

Bis vor Kurzem dominierten vor allem klobige Schuhe mit dicken Sohlen das Ugly-Shoe-Genre. Brands versuchten, sich in Massigkeit zu übertrumpfen – mit teils karikaturesken Ergebnissen. Doch inzwischen scheint dieser Trend ausgeschöpft, nahezu überreizt. Statt weiter auf Volumen zu setzen, schlug die Modewelt also eine völlig neue Richtung ein: Dünnsohlige, filigrane Schuhe rückten vermehrt in den Fokus. Das Barfuss-Design der «Fivefingers» ist der nächste logische Schritt in dieser Entwicklung.

Sie sind dabei nicht die ersten Zehenschuhe, die bei Mode-Aficionadas und -Aficionados Beachtung finden. Die 1988 erstmals vorgestellten «Tabi»-Boots von Maison Margiela gehören zu den ikonischsten Schuhmodellen überhaupt. Das von traditionellen japanischen Socken inspirierte Design mit gespaltener Zehenpartie hat seit Jahren eine treue Fangemeinde. Lange galt man damit noch als avantgardistisch, mittlerweile sind jedoch auch «Tabis» mit ihrer Kuhfuss-Optik im Mainstream angekommen. Wer 2025 durch die Schuhwahl auffallen will, muss noch eine Schippe – oder eben ein paar Zehenkammern – drauflegen.

«Fivefingers» sind «Tabis» für Fortgeschrittene.
«Fivefingers» sind «Tabis» für Fortgeschrittene.
Quelle: Instagram: daisypyo

Produkte mit wohltuenden Eigenschaften

Das Trendforschungsunternehmen WGSN betonte zudem, dass die Verschlechterung der psychischen Gesundheit laut des «Global Risks Report 2023» zu den grössten Risiken der kommenden Jahre gehört. Wer seine Zielgruppe erreichen wolle, müsse demnach Produkte mit wohltuenden Eigenschaften anbieten. Die «Fivefingers» mit ihrer naturnahen und erdenden Philosophie erfüllen genau das. Outdoor-Redakteurin Siri führt aus: «Ich mag den direkten Bodenkontakt und den Spielraum, den meine Zehen darin haben. Das Gefühl ist sehr unmittelbar, als ob ich barfuss laufen würde. Nur, dass ich mir um Scherben und andere spitze Gegenstände keine Sorgen machen muss.»

Obwohl die «Fivefingers» auf den Strassen noch immer ein rarer Anblick sind, zeichnet sich in den sozialen Medien bereits ab, dass sie im kommenden Jahr einer der relevantesten Schuhtrends werden könnten. Was einst als eigenwilliger Outdoorschuh galt, wird von Trendsetterinnen und Trendsettern zunehmend in einen urbanen, stilisierten Kontext gerückt. Kollaborationen mit hippen Labels wie Suicoke aus Tokio treiben den Imagewechsel weiter voran. Im Wissen, dass der Schuh die Antwort auf gleich mehrere aktuelle Strömungen ist, erscheint dies auch gar nicht mehr so abwegig.

In Kollaboration mit dem japanischen Label Suicoke entstanden unter anderem diese «Fivefingers» aus Spitze.
In Kollaboration mit dem japanischen Label Suicoke entstanden unter anderem diese «Fivefingers» aus Spitze.
Quelle: Suicoke

In einer hoch digitalisierten, schnelllebigen Welt verbinden Zehenschuhe auf wundersame Weise den gegensätzlichen Wunsch nach Entschleunigung und Neuartigkeit. Doch selbst ihr Antlitz wird uns früher oder später langweilen. Bleibt nur die Frage, welches Modell die Skurrilität der «Fivefingers» überhaupt noch toppen kann – oder ob sie gar den krönenden Abschluss der Ugly-Shoe-Ära markieren.

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Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.


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