Warum wir schlafen
Deutsch, Albrecht Vorster, 2019
Wenn du schlecht schläfst, bist du mit dem Problem nicht alleine. Im Interview erklärt mir Schlafforscher Dr. Albrecht Vorster, dass bis zu 30 Prozent aller Menschen an Schlaferkrankungen leiden. Und er sagt, dass Wearables bei der Diagnose eine wichtige Rolle spielen können.
Auf dieses Interview habe ich mich richtig gut vorbereitet: Ich habe die Daten, die mir die Apple Watch zu meinem Schlaf zeigt, genau angeschaut. Ich habe die Fabrik eines Matratzenherstellers besucht. Ich bin nüchtern wie auch nach einem Glas Wein eingeschlafen. Und ich habe Albrecht Vorsters Buch gelesen, in dem er auf unterhaltsame und verständliche Art und Weise erklärt, warum wir schlafen.
In unserem Interview geht es dann aber in eine ziemlich andere Richtung, als ich mir vorher überlegt hatte. Am Ende weiss ich, welche Gadgets und Wearables ich demnächst noch testen werde. Die Liste findest du am Ende des Beitrags. Gelernt habe ich ausserdem, dass mein Kollege Patrick in seinem Erfahrungsbericht nicht über irgendein exotisches Leiden schreibt, sondern über eine Volkskrankheit.
Doch bevor meine Vorbemerkung dazu führt, dass du vor Langeweile einschläfst, geht es jetzt besser mal los.
Albrecht, was wäre die langweiligste Frage, die ich Dir zum Einstieg stellen könnte, weil Du sie schon so oft gehört hast?
Albrecht Vorster: Ganz klar wäre das: Wie haben Sie heute geschlafen?
Und warum ist genau diese Frage langweilig?
Weil die Antwort wenig spannend ist. Ich schlafe ziemlich normal. Zumindest bin ich Schlafkrankheit-frei – anders als 20 bis 30 Prozent der Menschen.
Moment, bis zu 30 Prozent der Menschen leiden an einer Schlafkrankheit?
Ja, davon gehen wir in der Forschung und Medizin aus, anhand von Erhebungen in der Bevölkerung. Und wir sprechen hier nicht von einem stressigen Tag, nachdem wir vielleicht mal schlecht einschlafen.
Worunter leiden die meisten Menschen?
Das ist die Schlafapnoe, also meist unbemerkte Atemaussetzer während des Schlafes, was wiederum zu Folgeerkrankungen wie Einschlafattacken am Tag, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall aber auch Depressionen führen kann.
Könnte ich selbst herausfinden, ob ich unter Schlafapnoe leide? Vielleicht mit einer Apple Watch oder einer anderen smarten Uhr?
Smartwatches sind nicht das beste Mittel dafür, um ehrlich zu sein. Die Messung von Vitaldaten am Handgelenk ist zwar gut, aber am effektivsten wäre zunächst einmal ein Papier-Score.
Ein was?
Im Prinzip kann ich mit den Antworten eines einfachen Fragebogens mit nur acht Punkten ziemlich genau sagen, ob du wahrscheinlich unter Schlafapnoe leidest. Dazu fragen wir Alter, Gewicht, Halsumfang oder auch Geschlecht ab. Bist du männlich, übergewichtig und etwas älter, gehörst du zur Risikogruppe. Das kann jeder selbst ausfüllen und herausfinden.
Okay, und wenn ich das aber doch lieber mit Technik machen möchte?
Dann nimm das Smartphone, das ja bei den meisten Leuten oft genug nachts neben dem Bett liegt. Die darin verbauten Sensoren und das Mikrofon sind heute so gut, dass Apps, die diese Daten aufzeichnen und auswerten, gute Diagnosen geben können.
Würdest Du da eine App besonders empfehlen?
Kann ich, und zwar die App von Snorefox. Ich bekomme übrigens kein Geld dafür , dass ich sie hier empfehle. Ihre Methode des Risiko-Screenings ist medizinisch validiert. Und ein paar Euro oder Franken für den Test zuhause sind zudem noch viel, viel günstiger als das Schlaflabor.
Was ist mit smarten Ringen, die man am Finger trägt?
Ich kenne zum Beispiel den Ring von Circul. Er misst die Sauerstoffsättigung am Finger, das ist genauer als am Handgelenk und liefert daher auch gute sehr brauchbare Daten. Wenn du willst, kannst du dir ausserdem einen Sensor unter die Matratze legen. Für um die 150 Euro oder Franken erfasst so ein Gerät Atemfrequenz, Herzschlag und wie ruhig du schläfst oder wie du dich hin und her wälzt. Ich weiss, dass ein Schweizer Unternehmen überlegt, ob es solche Sensoren standardmässig in die Matratze einbaut.
Da dürften einige Leute schon Big Brother neben sich liegen sehen …
(lacht) Das kann schon sein, aber so ein Handy sammelt doch an anderer Stelle viel spannendere Informationen. Solche, die viel einfacher und besser zu vermarkten sind. Die Daten aus dem Bett sind doch die langweiligsten für Google und Co.
Wie sieht das rechtlich überhaupt aus?
Ich bin natürlich kein Jurist. Fakt ist aber, dass die aktuellen Wearables, also zum Beispiel Fitnesstracker, sehr aussagekräftige Daten liefern könnten zur Gesundheit einer Person. Es ist aber rechtlich etwas heikel. Würden sie als «medizinische Geräte» klassifiziert, könnte jemand bei einem falschen Alarm den Hersteller verklagen. Vor allem in den USA ist man da ja recht klagefreudig.
Das heisst, technisch wäre schon viel mehr möglich?
Ja, wir könnten vieles einfacher haben, wenn wir die Möglichkeiten besser nutzen würden. Es gibt T-Shirts, die ein EKG schreiben können, wenn man sie nachts trägt.
Braucht es dann überhaupt noch klinische Schlaflabore?
Sagen wir es so: Wir hätten ohnehin gar nicht die Kapazitäten, um alle zu betreuen, die unter Schlafkrankheiten leiden. Da kommt es uns nicht ungelegen, dass mit dem Smartphone eine technische Revolution ausgelöst wurde. Obwohl es das in dieser Form erst seit 2007 gibt, ist heute unglaublich viel möglich. So nutzt zum Beispiel die App «Dein Schlaf, dein Tag» – sorry, schon wieder eine App – Sonartechnologie, um zu einer Schlafbewertung zu kommen.
Klingt ein bisschen so, als wären Mediziner bald arbeitslos …
Keine Sorgen, es gibt schon genug zu tun für uns. Die neuen Geräte und Apps werden in Zukunft die Diagnose unterstützen und die Schlaflabore entlasten, behandeln müssen aber weiterhin die Ärztinnen und Ärzte. Innerhalb der Schlafmedizin gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten, wie mit den modernen Möglichkeiten umgegangen werden sollte. Altgediente Pneumologen fürchten, dass es künftig deutlich weniger teure Diagnosen braucht, wenn es die Wearables genauso gut können.
Für die Patienten und Patientinnen ist es aber doch eine Erleichterung.
Auf jeden Fall. In den allermeisten Fällen muss niemand mehr drei oder gar sechs Monate auf einen Platz im Schlaflabor warten. Aber unser Gesundheitssystem belohnt bisher eben immer noch teure Technik, deshalb kommt sie in der Diagnostik zum Einsatz – und es wird entsprechend teuer abgerechnet. Eigentlich ist ein Arzt aber dann am wertvollsten, wenn er denkt. Oder eine Ärztin kommt mit ihrer Erfahrung zu den besten Ergebnissen, wenn sie mit den Patienten spricht und zuhört. Diese «sprechende Medizin» aber ist nicht wirtschaftlich. Allein damit lässt sich keine Fachabteilung finanzieren, deshalb gibt es viele Untersuchungen, die es so eigentlich nicht bräuchte.
Dann müssten Apple, Google und Co. ja bald Kliniken und Arztpraxen eröffnen, oder?
Daran haben sie wohl kein Interesse. Die Lifestyle-Geräte dringen in den Medizinbereich vor, ja, aber es sind weniger Apple oder Samsung, die für mich spannend sind. Letztlich ist es Software, die die Daten von den Geräten interpretiert, die Algorithmen einsetzt und Diagnosen ableitet. Da sind ein paar spannende Start-Ups unterwegs, die Erstaunliches leisten. Es geht darum, wie die vielen Daten noch besser für die Medizin nutzbar werden. In dem Bereich sind die grossen Tech-Unternehmen gar nicht besonders interessiert, weil es spezielle Anwendungsbereiche sind.
Neben dem Smartphone gibt es im Schlafzimmer weitere Gadgets. Was hältst Du zum Beispiel von Lichtweckern?
Zuerst einmal: Solche Lichtwecker sind keine medizinischen Geräte, sondern Wellnessprodukte. Wenn ich an einer Schlafkrankheit leide, macht sie meinen Schlaf nicht besser. Aber es ist schon schöner, mit so etwas aufzuwachen als durch einen nervigen Radiowecker. Man muss auch wissen, dass die stärksten Tageslichtwecker nur einen Bruchteil der Lux haben, die es unter freiem Himmel gibt.
Und Tageslichtlampen?
Richtig benutzt, haben sie einen Effekt. Das heisst: Man muss nah genug dran sitzen und das Licht sollte von schräg oben kommen. Deshalb sind Geräte, die wir bei unseren Patienten einsetzen auf Ständern. Nicht unbedingt schön, aber wirksamer und angenehmer.
Warum?
Unser Auge erwartet, dass das Tageslicht von schräg oben kommt, also von der Sonne. Das signalisiert dem Körper letztlich: Es ist Tag.
Und am Abend? Ist es wirklich so schlimm, wenn ich vor dem Einschlafen noch lange das Smartphone nutze?
Zumindest ist nicht das Licht das Problem. Es gibt eine gute Studie von Christian Cajochen aus Basel, die gezeigt hat, dass Menschen nach Smartphone-Nutzung im Bett nur eine oder zwei Minuten langsamer einschlafen als jene, die es gar nicht mehr in die Hand nehmen (https://www.nature.com/articles/s42003-023-04598-4). Die wenigen Lux des Bildschirms sind letztlich fast egal.
Was ist dann das Problem?
Mit dem Smartphone tragen wir die Emotionen mit in unser Schlafzimmer. Wir können den Tag nicht richtig abschliessen, weil wir das Gefühl haben, schnell noch diese Mail lesen oder diese eine WhatsApp-Nachricht beantworten zu müssen. Das kann eine Ursache für schlechten Schlaf sein. Früher gab es im Haus ein Festnetztelefon, das war’s. Da hat nach acht Uhr in der Regel niemand mehr angerufen, wir konnten runterkommen.
Dann hoffe ich, dass die Leserinnen und Leser diesen Text jetzt nicht im Bett auf dem Smartphone gelesen haben … Danke, Albrecht, für das spannende Gespräch.
Im Interview oben erwähnt Albrecht Vorster einige Gadgets, die es dir ermöglichen, Daten zu deinem Schlafverhalten zu bekommen. Unter die Matratze kommt zum Beispiel dieses hier von Withings:
Bei Lichttherapielampen ist es wichtig, dass die Beleuchtung von oben ins Auge fällt. Deshalb sind zum Beispiel solche Geräte besser als jene, die auf dem Tisch stehen und dich damit eher von unten anstrahlen.
Manche Menschen finden allerdings Brillen wie die obige unangenehm zu tragen. Für diese eignen sich dann Lichttherapielampen wie diese:
Und dann hätten wir noch Lichtwecker und Sonnenaufgangssimulatoren, die zwar eher Wellnessprodukte sind, aber zumindest das Aufstehen angenehmer machen können.
Das Interview mit Albrecht Vorster habe ich telefonisch geführt. Die Produkte im letzten Viertel des Beitrags sind keine ausdrücklichen Empfehlungen von mir oder Albrecht, es sind lediglich solche, die aufgrund ihrer Konstruktion oder Spezifikationen geeignet sein können. Als Redaktion von Digitec Galaxus sind wir keinem Hersteller verpflichtet und haben auch nicht die Aufgabe, den Umsatz zu erhöhen. Unsere Testberichte und Tipps sind immer kritisch und unabhängig. | Titelfoto: Jens Fischer / Bico— END —
Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln.