«Das weiss ich nicht»: Die Plage der überflüssigen Kommentare
Meinung

«Das weiss ich nicht»: Die Plage der überflüssigen Kommentare

Warum geben manche Menschen in Onlineshops – ja, auch in diesem hier – unbrauchbare Rezensionen ab? Und geben Antworten auf Fragen, die nicht gestellt wurden? Ich bin nicht nur Autor hier, sondern auch Kunde (bye-bye, Honorar!) und ärgere mich regelmässig über die grassierende Faulheit und Geschwätzigkeit.

Das Internet ist eine feine Sache. Eigentlich. Denn zu jedem Gewinn (man findet Leute von früher) gesellt sich ein eklatanter Mangel (Leute von früher finden einen). Ein besonders eindrückliches Beispiel für diesen Widerspruch liefern die Rezensionen: Sie sind einerseits enorm hilfreich, weil sie ein realistisches Bild von Produkten vermitteln, andererseits komplett nutzlos, weil viele Userinnen und User glauben, «Tut, was es soll» oder «Top» seien hinlänglich aussagekräftige Bewertungen. Oder weil sie nicht den Artikel beurteilen, sondern die Lieferung, und voller Rachedurst einen von fünf Sternen verteilen, wenn mit dieser was nicht geklappt hat.

Als Amazon und bald darauf auch Digitec Galaxus die Möglichkeit einführten, Fragen an die Community zu stellen, war auch das erst mal eine erfreuliche Entwicklung. Denn oft geben selbst die fundiertesten Rezensionen nicht das Detail preis, das einen gerade beschäftigt: Kann ein 9-jähriges Kind das SUP allein aufpumpen? Wie lange ist die maximale Dauer einer Zeitraffer-Aufnahme? Eine nützliche Antwort lässt nie lange auf sich warten.

Eine nutzlose allerdings auch nicht. «Keine Ahnung» oder «Das weiss ich nicht», ist
immer häufiger zu lesen.

Nein, hast du nicht!

Aha, das weisst du also nicht. Warum zum Henker vergeudest du dann deine und meine Zeit mit dieser überflüssigen Mitteilung? Hast du das in der Schule auch so gemacht? Die Lehrerin fragte dich, was 84 durch 7 gebe, und du hast ganz fest das Fingerchen aufgestreckt und dann gerufen: «Das weiss ich nicht»? Nein, hast du nicht! Du hast die Klappe gehalten. Was auch angemessen ist, wenn man etwas nicht weiss.

Eine Spielart der sinnlosen Antwort, nicht minder lästig, besteht im Whataboutism, also der Unsitte, eine Diskussion infolge mangelnder Argumente auf ein halbwegs benachbartes Thema zu verdrängen. Das geht dann so:

«Kann ich mit Etikette A die Paketetiketten von der Post-Website drucken?»
«Ich nutze Etikette B für Briefmarken.»

Ich habe weder nach Etikette B noch nach Briefmarken gefragt, du Online-Hupe! Lies doch, was da steht! Hast du das in der Schule auch so gemacht, als der Lehrer wissen wollte, was 12 mal 6 gebe? Hast du dann gerufen: «Ich weiss, was 8 mal 4 gibt»? Nein, hast du nicht! Weil das nicht die Frage war!

Man kann über die Gründe für dieses Verhalten nur rätseln. Vermutlich liegt eine besonders verzweifelte Form von Geltungsdrang vor, die jede nur erdenkliche Möglichkeit ergreift, sich gegenüber der Umwelt bemerkbar zu machen. Die kann aber nichts dafür, wenn du dich ungesehen fühlst. Es ist dein Problem, und du musst andere Wege finden, es zu lösen, als deinen Mitmenschen Zeit zu stehlen. Die bekommen nämlich von Digitec Galaxus ein Mail mit dem Hinweis, dass jemand ihre Frage beantwortet habe, und sehen freudig nach. Bloss um festzustellen, dass du buchstäblich keine Ahnung hast.

Vielleicht denkst du aber auch, dass ausschliesslich die Fragestellerin oder der Fragesteller deine Antwort zu lesen bekommt, in Form eines Mails. Oder vielleicht bist du besonders höflich und antwortest aus Prinzip, wenn dich jemand was fragt. Lass dir gesagt sein: Alle sehen deine Antwort, und die Frage war nicht an dich persönlich gerichtet, sondern an sämtliche bisherigen Käuferinnen und Käufer. Niemand wird je herausfinden, dass du nicht antwortest. Es ist total okay, wenn du schweigst!

Drei dringende Bitten

Erstens: Wenn du ein Produkt gekauft hast, verfasse eine Rezension, die anderen hilft, mehr darüber zu erfahren und eine Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen: Was gefällt dir, was weniger? Warum hast du dich für diesen Artikel entschieden, und würdest du es wieder tun? Das kostet dich fünf Minuten. Wenn du diese nicht aufbringen magst, lass es lieber ganz. Es ist niemandem gedient, wenn du 3 von 5 Sternen gibst, aber mit keinem Wort erklärst, weshalb. Auch maximal verkürzte Urteile wie «Tut, was es soll» bringen niemandem was. Das ist keine Rezension, sondern Faulheit, die lustig sein will. Ich hasse diesen Satz mit jeder Sichtung noch mehr, zumal meist das Komma fehlt. Tut, was es soll – kann man sogar über meinen Darmausgang sagen!

Zweitens: Wenn etwas mit der Lieferung nicht stimmt, ist das sicher ärgerlich, für andere jedoch nicht relevant. Behalt es bitte für dich – oder führe es, wenn es denn unbedingt sein muss, kurz bei den Negativpunkten auf. Aber bewerte nicht das Produkt abhängig vom Weg, den es zu dir gebraucht hat. Das hat nichts miteinander zu tun. Oder hinterlässt Du etwa eine schlechte Google-Rezension für ein Restaurant, weil Du auf dem Weg dahin im Stau standest?

Und drittens: Wenn jemand eine Frage stellt, antworte nur, wenn du eine dazu passende Antwort hast. Nur dann! Erzähl nicht von deinen fucking Briefmarken, wenn niemand danach gefragt hat! Unterdrücke den Impuls, dich trotzdem im Internet zu verewigen. Sag einfach nichts.

Schützt die digitale Umwelt!

Erinnerst du dich an die TV-Werbung des Magazins «Focus»? Der Satz, der am Ende jeder Episode fiel, lautete: «Immer an den Leser denken!» Das gilt auch für dich: Ist es für andere Userinnen und User interessant und hilfreich, was du von dir gibst? Oder ist dir einfach gerade ein bisschen langweilig?

Unüberlegte, gehaltlose Kommentare gibt es schon in den Online-Kommentarspalten der Tageszeitungen und den Sozialen Medien mehr als genug. Schützt die digitale Umwelt! Hinterlasst keinen Wort-Abfall auf den Wanderwegen durch die herrliche Welt der Digitalkameras, Smartphones und Lego-Sets! Denkt an nachfolgende Generationen, die wirklich nicht wissen wollen, was Ihr nicht wisst!

Screenshots: Digitec Galaxus

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Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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