Reto Hunziker
Hintergrund

Bad taste: Wenn die WC-Brille sogar für die Toilette zu hässlich ist

Kürzlich leistete ich mir den Fehlkauf meines Lebens: eine viel zu knallige WC-Brille. Was nun? Zurückschicken? So einfach ist das nicht für einen Overthinker und People Pleaser wie mich. Deshalb habe ich mich für die komplizierte Variante entschieden.

Mist, was habe ich bloss getan?! Das waren meine ersten Gedanken, als ich die Verpackung geöffnet hatte. Und auch, als das Teil dann montiert auf der Schüssel prangte (hätte ja sein können, dass sich in der Zwischenzeit alles ändert), dachte ich nur: Hui! Mist!

Da prangte und glänzte die neue WC-Brille auf meiner Schüssel. Irgendwas zwischen Tollkühn-türkis und Candy-grell. Und schlagartig wusste ich: Das ist zu viel – zu viel des schlechten Geschmacks. Dabei war das doch eigentlich die Idee dahinter gewesen.

Ich erkläre mich: Vor etwas mehr als einem Jahr bin ich umgezogen. Wie die Küche hat auch das Bad der neuen Wohnung mit den Old-School-Kacheln etwas 60er- oder 70er-Touch. Mir gefällt das, für mich hat es einen gewissen Charme. Im Bad sind die Kacheln braun und ich fand, da müsse darum etwas Farbe rein. Also kaufte ich mir einen Duschvorhang – in Pastell-Grün. Mir schien, das passt zum dunklen Retro-Look und würde mein Bad zu einem Bad-Taste-Bad mit Stil (warum soll das nicht gehen?!) machen. Im Sinne von: wenn schon Old School, dann richtig.

Jetzt war das aber lediglich ein einzelner, farbiger Kontrapunkt. Daraus wollte ich ein Ensemble machen. Warum nicht mit der WC-Schüssel kombinieren? Zumal die WC-Brille vom Vormieter zwar okay war, aber irgendwie auch schräg, weil sie ein Batteriefach hatte und ein eingebautes Licht, was aber sehr schnell nicht mehr funktionierte. Eine Licht-WC-Brille ohne Licht brauchte ich aber nicht (eigentlich auch mit Licht nicht), und sowieso hockt man doch auch gern auf einer eigenen.

Mein Motto: Passt schon

Ich muss dazu sagen: Ich bin weder ein Hardline-Visionär noch ein «Interior Design»-Freak oder Ästhetik-Ultra, sondern denke eher funktional. Meist arbeite ich mit dem, was ich habe oder bekomme und improvisiere ein wenig. So geht zum Beispiel der Duschvorhang nicht «um die Ecke», sondern deckt nur die Länge der Badewanne ab. Er reicht auch nur knapp über den Badewannenrand (bringt ja nichts, wenn da so viel davon in der Badewanne klebt). Nicht optimal, nicht super stylisch, aber haut hin.

Dazu kommt: Mich zu beklagen, ist mir (eh schon People Pleaser) zu aufwendig. Damit ich etwas umtausche, muss ich mich schon arg unwohl damit fühlen. Aber nun, als ich den knalligen WC-Deckel, der online farblich noch so gut zum Duschvorhang gepasst hatte, im Gesamtkontext des Bad-Taste-Bads sah, kribbelte es in mir. Wie früher als Kind, wenn ich mit dem Tennisball versehentlich die Vase meiner Mutter vom Sockel geschossen hatte.

Oder als ich ein gerade gekauftes Regal, das ich extra ausgemessen hatte (oder dies zumindest dachte), auf meinen Kleiderschrank hieven wollte und es partout nicht unter die Zimmerdecke kriegte. Das Regal kam dann halt woanders hin.

Aber eine WC-Brille kann nicht woanders hin, sie gehört exklusiv aufs WC (Alternativen und Umcycling-Vorschläge nehme ich jedoch gerne entgegen).

Es fehlte so wenig zum guten bad taste.
Es fehlte so wenig zum guten bad taste.

Von Confirmation Bias bis Vermeidungstaktik

Und es passte ja einiges – eigentlich sogar der grösste Teil: Die Funktion der WC-Brille war uneingeschränkt. Nur die Farbe! So exzentrisch, so prätentiös. Sie schreit: «Wow, schau mich an! Ja, ich sehe bewusst so aus. Mein Besitzer hat sich einiges dabei überlegt.» Und ich denke: «Was habe ich mir bloss gedacht?!»

Im Prinzip hätte ich es schon beim Auspacken merken müssen. Dann hätte ich sie gleich zurückschicken können. Beim ersten Eindruck fühlte ich es bereits: «Hatte das auf meinem Laptop nicht ganz anders ausgesehen?!» Doch dann wurde ich Opfer meines eigenen Confirmation Bias: Das muss doch passen. Ich kann mich doch nicht geirrt haben. Ich muss das jetzt mal «in Aktion» sehen.

Und als ich den Deckel dann aufgeschraubt hatte, trat die «Sunk Cost Fallacy» ein: Jetzt habe ich das schon bestellt, bezahlt und montiert. Wenn ich es retourniere, muss ich alles nochmal machen. Und drauf gesessen habe ich auch schon.

Angesichts dieses Dilemmas ging ich in die Vermeidungstaktik: Ich warte jetzt einfach mal. Vielleicht gefällt es mir mit der Zeit ja immer besser (ja, ich weiss, dass ich mich selbst belüge). Oder vielleicht hellt sich die Farbe ja auf, wer weiss. Womöglich adoptiert das Bad auf magische Weise den Deckel und alles kommt noch harmonisch und gut.

Spoiler: Kam es nicht. Tage vergingen und Wochen. Die WC-Brille tat, was sie tun musste. Doch jedes Mal, wenn ich die Badezimmertür öffnete, erinnerte mich dieses grelle Teil daran, dass es – nur farblich – fehl am Platz ist. Genauer: Für sich alleine ist die WC-Brille farblich sehr daneben. Aber in Kombination mit dem Duschvorhang hätte es eben nur wenig gebraucht, damit es gepasst hätte.

Oder war es nur meine Wahrnehmung? Immerhin hatte ich mir schon am Bildschirm eingebildet, es wäre ein tolles Zusammenspiel. Ich holte Zweitmeinungen ein und erhoffte mir damit etwas Zuspruch. «Ach, so schlimm finde ich es gar nicht» – etwa so. Stattdessen erhielt ich die niederschmetternde Bestätigung: «Geht gar nicht» – genau so.

Wer genau schaut, stellt fest: Das Foto ist nachgestellt.
Wer genau schaut, stellt fest: Das Foto ist nachgestellt.

Abzugeben: funktionierende WC-Brille

Also sagte ich mir «Scheiss drauf!» – im wahrsten Sinne des Wortes (also, ich scheiss nicht direkt drauf, aber ich scheiss drauf, doch) – liess die Sache noch etwas sitzen, bis ich es wirklich nicht mehr aushielt – und eine beige WC-Brille derselben Marke bestellte (funktional gibt es ja nichts zu meckern).

Nun habe ich ein in meinen Augen harmonisch wirkendes Old-School-Badezimmer mit unauffälligem WC-Deckel – und eine zusätzliche WC-Brille auf Speed (ich schätze, wenn WC-Brillen Drogen nehmen könnten, wäre meine wohl auf Speed), die ich nicht mehr brauche. Und weil mir das alles andere als recht ist und ich das hier auch noch so ausgebreitet habe, möchte ich diese WC-Brille gerne gebührend verabschieden – und mit grossem Trara verschenken.

Darum: Aufruf!

Wer meine grell-prätentiöse WC-Brille möchte, wenig gebraucht, fast neu, sehr funktional und säuberlich geputzt, kann sich gerne bei mir melden. Schön wäre, wenn du mir in einem Mini-Motivationsschreiben (ein, zwei Sätze reichen) schilderst, warum ausgerechnet du diese WC-Brille brauchen und ihr ein harmonisches Zuhause schenken kannst. Denn das ist mir wichtig: Meine WC-Brille, die mir eine Lanze im Auge war, aber doch treue Dienste geleistet hat, soll es schön haben – schöner als bei mir.

Titelbild: Reto Hunziker

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Ich bin freier Journalist, Kommunikationsverantwortlicher und Text-Vieleskönner. Am liebsten schreibe ich über Themen, die sich im Dunstkreis von Nonsens und gesellschaftlicher Relevanz befinden.

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