Andi be free Concert 1
60 h, Kabellos
Schweizer Kopfhörer gibt’s kaum. Ein Startup aus dem Kanton Schwyz hat’s dennoch gewagt. Ich habe mit dem Co-Geschäftsführer gesprochen und mir den Concert 1 angesehen.
Drückst du auf den Anschaltknopf des Concert 1-Kopfhörers, begrüsst dich eine weibliche Stimme mich mit einem freundlichen «Grüezi». Ein klares Indiz, dass es sich hier um ein Schweizer Produkt handelt: Der Concert 1 ist der erste ANC-Kopfhörer des Schwyzer Start-Up-Unternehmen Tecflower in Siebnen. Er erscheint unter der Marke Andi be free. Ich habe die Gelegenheit genutzt, um mit den Macherinnen und Macher hinter dem Concert 1 zu sprechen. Und um ihren ersten Kopfhörer zu testen.
Jonas Wohler, Co-Geschäftsführer von Andi be free, erklärt mir «Mit dem Concert 1 wollen wir insbesondere Pendlerinnen und Pendler ansprechen.» Pendeln, der Schweizer Volkssport, betrieben in den hiesigen öffentlichen Verkehrsmitteln. Deshalb war für das Team um Jonas schnell klar: Der Concert 1 braucht einen grossen Akku. Das hat das Team in der Entwicklungszeit von etwas mehr als einem Jahr auch geschafft.
Die Kompetenzen, einen Kopfhörer zu bauen, hat das Andi be free-Team aus einem anderen Bereich. Das Unternehmen aus dem Kanton Schwyz ist Experte im Bereich der Wireless-Charging-Technologie. Das Know-how der drahtlosen Energieübertragung ist auch beim Kopfhörer-Bau nützlich.
Produziert wurde der Concert 1 – wie fast alle Elektrogeräte – in China. «Beim Concert 1 arbeiteten wir eng mit der Produktion in China zusammen», erklärt mir Jonas. Vom Schweizer Unternehmen waren laut Wohler elf Personen an der Entwicklung des Kopfhörers beteiligt, darunter ein Mitarbeiter, der den Chip in China entwickelte.
Bleiben wir beim Charging: Mit einer Ladung kannst du mit dem Concert 60 Stunden lang Musik hören. Das ist im Vergleich zur Konkurrenz viel: Die AirPods Max von Apple bringen es auf 20 Stunden. Die Bose QuietComfort 45 sind mit 24 Stunden Laufzeit auch nur etwas ausdauerender. Nur die teureren Momentum 4 von Sennheiser warten ebenfalls mit 60 Stunden Laufzeit auf.
Wenn du jeden Tag zwei Stunden lang zur Arbeit pendelst und den Concert 1 noch vier Stunden im Büro trägst, hält der Akku im Schnitt zehn Tage lang – das ist beachtlich.
Dass der Concert 1 keine audiophile Zielgruppe ansprechen soll, zeigt sich beim ersten Musikhören schnell. Der Bass dröhnt. Dadurch gehen die Mitten – also zum Beispiel Gesang oder Gitarren – etwas unter.
Mit dieser Basslastigkeit ist der Concert 1 aber im Trend, denn viele neuere Kopfhörer-Modelle setzen auf die tiefen Frequenzen. Auch Jonas bestätigt mir, dass sie sich bewusst für ein basslastiges Soundprofil entschieden hatten. «Wir gehen davon aus, dass ein ausgeprägter Bass für Qualität steht. Ausgeglichene Frequenzen hingegen weniger.»
Auch die eigens engagierte Testgruppe von klassischen Konsumentinnen und Konsumenten empfand die basslastige Option besser. Die Testerinnen und Tester bevorzugten sie gegenüber weiteren Soundprofilen, erklärt mir Jonas. Und: Am besten eigne sich der Concert 1 um Hip-Hop- sowie R’n’B-Stücke zu hören.
Passt dir der Sound eines Kopfhörers nicht, kannst du ihn normalerweise mit einem Equalizer in der Handy-App verändern. Beim Concert 1 gibt’s eine solche aber nicht. «Das Problem ist uns bekannt», erklärt Jonas. Eine App zu entwickeln sei sehr aufwendig und kostspielig. Trotzdem sei eine in Planung, nur der Zeithorizont ist noch unklar.
Der Concert 1 ist mit ANC – also einer aktiven Geräuschunterdrückung ausgestattet. Eine komplexe Technologie, die mittels Gegenschall den Umgebungslärm mindert. Das Team hat dafür vorkonfektionierte Chips im Kopfhörer verbaut, die sie noch leicht anpassen konnten.
Im Vergleich zu etablierten ANC-Kopfhörern wie jene von Bose und Sony ist die Geräuschminderung beim Concert 1 eher schwach. Im Zug höre ich das Rumpeln im Waggon noch. Und im Büro höre ich das Plappern meiner Mitarbeitenden zu deutlich. Dessen ist sich auch Jonas bewusst: «Das ANC ist noch nicht optimiert auf die Sprache.»
Im Gegensatz zu vielen neueren, langweiligen Kopfhörern ist der Concert 1 eigenständig designt. Während zum Beispiel Sennheiser von den metallenen Bügeln weg kam und auf schwarzen Einheitsbrei setzt, kommt der Kopfhörer von Tecflower mit einigen silbernen Details daher. Das Andi-be-free-Logo prangt auf beiden Seiten des Kopfhörers. Mich erinnert diese Gestaltung an Beats-Kopfhörer.
Jonas sieht das anders: «Mit dem auffälligen Design des Concert 1 wollen wir einen Wiedererkennungswert für unsere Marke schaffen. Schweizerinnen und Schweizer mögen zwar eher dezentere Designs, wir wollen aber herausstechen.»
Nebst dem silbernen Design fällt die Polsterung des Concert 1 auf. Sie ist wuchtig und sehr weich. Die Polsterung sorgt zwar für Komfort, gewinnt jedoch keinen Design-Preis. Dessen ist sich das Tecflower-Team bewusst: «Dass der Kopfhörer bequem ist und über lange Zeit getragen werden kann, war uns wichtiger als der äussere Eindruck.» Die Polsterung ist eine Eigenentwicklung aus Siebnen, sie ist eine der Komponenten am Kopfhörer, die das Team selbst ausgearbeitet hat.
Aber: Eine so üppige Polsterung fällt – mit den restlichen Bauteilen zusammen – ins Gewicht. Mit 288 Gramm ist der Concert 1 eher schwer. Zum Vergleich: Der QuietComfort 45 von Bose wiegt 48 Gramm weniger. Und auch der Sony WH-1000XM5 wiegt mit 250 Gramm weniger. Nur die AirPods Max sind – als schwere Kopfhörer bekannt – noch schwerer.
Sobald du den Concert 1 zum Musikhören auf den Kopf gesetzt hast, steuerst du ihn mit den silbernen Knöpfen am Ohrhörer – auf eine Touch-Bedienung hat das Team verzichtet. Hier gibt’s von meiner Seite Abzug: Ich mag zwar Knopf-Bedienungen, jene des Concert 1 überzeugt mich aber nicht. Die Knöpfe klicken beim Betätigen laut, zudem sehen die silberfarbigen Knöpfe billig verarbeitet aus.
Mit der Steuerung kannst du den Kopfhörer ein- und ausschalten, das ANC aktivieren und die Lautstärke regeln. Das Wichtige, also den Song über die Kopfhörersteuerung zu wechseln, ist hingegen nicht möglich, weil die Tasten dafür fehlen. Dafür gibt’s einen Button, der das Mikrofon steuert – mangels App oder sonstiger Rückmeldung weiss ich aber nicht, ob ich dieses nun gerade ein- oder ausgeschaltet habe.
Das sind alles Schwachpunkte der Steuerung, die auch dem Team um Jonas bewusst sind, wie er im Gespräch ehrlich zugibt.
Verbunden wird der Concert 1 mit Bluetooth 5.0, also einem älteren Standard. Dafür ist die Qualität beim Telefonieren gut: Mein Gegenüber versteht mich klar und deutlich, ich klinge nicht – wie so oft mit Kopfhörern – abgehackt oder blechern.
Im Gespräch stellt Jonas klar: «Wir wollten einen guten Kopfhörer bauen, aber wir mussten viele Kompromisse eingehen.» Die sind spürbar: Der Kopfhörer ist an einigen Stellen noch nicht ganz ausgereift: Die App fehlt, das ANC ist verbesserungswürdig, der Sound ist sehr basslastig und die Steuerung könnte durchdachter sein.
Wäre dies ein Review, würde ich den Concert 1 nur bedingt empfehlen. Meiner Meinung nach lohnt er sich lediglich für Leute, die die Idee eines Schweizer Kopfhörers unterstützen möchten – und dafür einige Schwächen in Kauf nehmen. Der Concert 1 punktet zwar mit den 60 Stunden Akkulaufzeit und der weichen Polsterung – das ist praktisch zum Pendeln, aber für den hohen Preis nicht genügend.
«Der Concert 1 ist eine erste Version», erklärt Jonas. Die Kopfhörer seien noch nicht dort, wo sie sein sollten. Zum Beispiel führt er aus, dass sie das Active Noise Cancelling stark verbessern möchten.
Im Gegensatz zu etablierten Playern wie Sony, Bose und Apple hat Tecflower keine Marketingmannschaften und Horden von Entwicklern zur Verfügung. Dafür ist Jonas und seinem Team das Feedback der Kundinnen und Kunden wichtig. Die Wünsche ihrer Kundschaft nehmen sie ernst für die zweite Version des Concerts. Diese soll wieder ein Kopfhörer für den Schweizer Markt werden – Ende 2024 soll es laut Jonas so weit sein.
Auch wenn der Concert 1 noch einige Mängel hat, ist mir die Idee eines in der Schweiz konzipierten Kopfhörers sympathisch. Wer sich wie Tell gegen Gessler als kleiner Hersteller gegen die etablierten Marken stellt, braucht Mut, Hut ab! Und die Swissness bleibt übrigens bis zum Schluss: Stellst du den Kopfhörer nach dem Musikhören mit einem langen Drücken wieder aus, verabschiedet dich die weibliche Stimme wiederum mit einem netten «Adieu».
Titelbild: Livia GamperExperimentieren und Neues entdecken gehört zu meinen Leidenschaften. Manchmal läuft dabei etwas nicht wie es soll und im schlimmsten Fall geht etwas kaputt. Ansonsten bin ich seriensüchtig und kann deshalb nicht mehr auf Netflix verzichten. Im Sommer findet man mich aber draussen an der Sonne – am See oder an einem Musikfestival.