«Als Visagistin habe ich viel Abfall produziert – dahinter konnte ich irgendwann nicht mehr stehen»
Sophia Singh (36) ist Make-up-Artistin und hat mit ihrem Ehrgeiz den Sprung an die Fashion Weeks geschafft. Ihr Traum wurde Realität. Ein Gespräch über ihren Weg in den Beauty-Olymp und das «Danach».
Sophia, du hast bereits früh das erreicht, wovon viele träumen. Wie schafft man es als Make-up-Artistin an die Fashion Weeks?
Dasselbe habe ich meine Dozenten nach meiner Ausbildung auch gefragt. Damals war es mein grösster Wunsch, einmal für Chanel zu arbeiten. Eine Ausbilderin meinte, ich müsse nach London, Paris oder Mailand. Da war mir klar: next stop London.
Ging das so einfach?
Ich musste erst Geld ansparen. Deshalb suchte ich mir nach meiner Ausbildung mit 21 in der Schweiz bei Mac Cosmetics einen Job. Damals war Mac noch die Nummer Eins Marke unter den Artists. Das Glück meinte es gut mit mir, denn ich erhielt im Rahmen meiner Arbeit ein Praktikumsangebot aus London. Zwei Jahre lang arbeitete ich dort in Soho im Pro-Store. Das ist eine spezielle Filiale mit einem erweiterten Sortiment, das sich an den Bedürfnissen von Profis orientiert. Ich blieb länger als geplant.
Weshalb?
Es gefiel mir zu gut, um zurückzukehren. In der Zeit machte ich tagtäglich Bekanntschaft mit berühmten Menschen: darunter Make-up Artists, Künstlerinnen, Musiker. Das eröffnete mir die Möglichkeit, bekannten Visagistinnen zu assistieren. Unter anderem Katie Jane Hughes.
Ok, wow! Ich liebe Katie!
Sie ist super! Mit ihr habe ich sechs Monate unter anderem in New York gearbeitet. Auch sie habe ich im Mac Store als Kundin kennengelernt. Damals war sie noch nicht so bekannt. Heute schminkt sie Megastars wie Dua Lipa.
Das war bestimmt eine aufregende Zeit!
Das war es. Durch meine Arbeit als Assistentin kam ich endlich bei den grossen Agenturen unter Vertrag. Das habe ich ein paar Jahre durchgezogen, bis es hiess: Bist du ready für die Mulberry Show in London? Ich war sowas von bereit! Ich wurde Teil der Show-Teams, mein Netzwerk grösser und das Ganze verselbstständigte sich. Mein Portfolio wuchs und es folgten andere Städte und weitere namhafte Brands.
Brands wie … Chanel?
Ja! Von Chanel gebucht zu werden, war der prägendste Augenblick meiner Karriere. Es war ein schöner Full-Circle-Moment. Schon mit 14 wollte ich Visagistin werden. Woher das kam, weiss ich selber nicht so genau. Ich wusste es einfach. Nach der Schule schaute ich mir deshalb gerne Fashion TV an. Das war ein Sender, der die wichtigen Shows zeigte. Chanel hatte bei mir damals einen grossen Eindruck hinterlassen.
Das muss ein tolles Gefühl gewesen sein. Wie ging es für dich von da an weiter?
Ich kam an den Punkt, an dem ich mir überlegen musste: War’s das jetzt? Habe ich noch andere Ziele? Da hatte ich kurz eine Krise. Das war ein guter Zeitpunkt, in die Schweiz zurückzukehren und mir hier ein neues Netzwerk aufzubauen.
Gibt es etwas, das die Leute an deinem Beruf unterschätzen?
Den mentalen Aspekt der Selbstständigkeit. Ich musste lernen, mit Unsicherheiten umzugehen. Ruhige Zeiten, finanzielle Talfahrten. Damit kommen nicht alle klar. Man muss flexibel sein und an sich glauben.
Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich hätte auf die Kosten für dein Arbeitsmaterial getippt. Eine passende Foundation für jeden Hautton und -typ bereitzuhalten, stelle ich mir kostenintensiv vor.
Was viele nicht wissen: Als Make-up-Artist erhältst du bei einigen Brands Ermässigungen, wenn du nachweisen kannst, dass du in dem Bereich arbeitest. Mac zum Beispiel bietet 40 Prozent Ermässigung. Mittlerweile lassen sich Artists auch von Marken sponsern. Klar musst du ganz am Anfang einiges investieren, aber im Vergleich zu anderen Künstlern wie Fotografen ist die Investition eher gering.
Quelle: The Beauty Kollektive / Foto: Sara Merz
Hast du einen Signature-Look, für den die Leute speziell zu dir kommen?
Der natürliche Glowy Look, der in der Schweiz gerade sehr beliebt ist. Der gefällt mir selbst auch am besten. Er lässt die Haut frischer und jünger wirken.
Irgendwelche Tipps, wie man so einen Look am besten hinkriegt?
Die perfekte Basis ist das A und O. Dafür arbeite ich vor dem Schminken mit viel Feuchtigkeit in Form von Pflegeprodukten. Danach folgt eine Gesichtsmassage, um die Blutzirkulation anzuregen. Das lässt die Haut zusätzlich auch praller wirken. Je besser die Haut vorbereitet ist, desto besser nimmt sie das Make-up an und desto weniger Schminke benötige ich.
Auf welches Beauty-Tool könntest du bei deiner Arbeit nicht mehr verzichten?
Ganz klar der Lash Curler. Die Wimpernzange macht so einen grossen Unterschied. Sie öffnet den Blick optisch. Letztens habe ich das gebogene Gummi-Element aus meiner Zange verloren und mein Ersatz war nirgends zu finden. Ich konnte nicht richtig arbeiten. Alles andere könnte ich irgendwie ersetzen durch meine Hände oder Wattestäbchen. Den Curler nicht.
Quelle: The Beauty Kollektive / Foto: Sara Merz
Wer oder was inspiriert dich?
Das wechselt immer wieder. Aus artistischer Sicht ist Lisa Butler meine grösste Inspiration. Sie war die Team leitende Make-up-Artistin, mit der ich für Chanel zusammengearbeitet habe. Sie kreiert Looks, die zum Menschen passen. Es geht ihr dabei nicht darum, etwas perfekt zu übermalen oder zu kaschieren, sondern die vorhandenen Gesichtszüge zu betonen. Und zwar so, dass es der Person auf dem Schminkstuhl entspricht. Es ist wichtig, als Artist nie einfach vom eigenen Geschmack auszugehen, sondern die Kundin oder den Kunden zu fragen: Was findest du schön?
Gibt es eine Kundin oder einen Kunden, der dir in Erinnerung geblieben ist?
Ich durfte in meiner Karriere schon einige tolle Menschen schminken. Zum Beispiel Rafael Nadal für die Babolat-Kampagne. Ein unglaublich netter Mann. Die Prinzessin von Griechenland habe ich über eine Zeitspanne von drei Jahren immer wieder begleitet. Mit ihr bin ich auch viel rumgekommen.
Quelle: The Beauty Kollektive / Foto: Sara Merz
Du hast neben deiner Tätigkeit als Make-up-Artistin ein weiteres Projekt gestartet …
Ich habe einen kleinen Laden an der Kernstrasse in Zürich eröffnet und einen Onlineshop «The Beauty Kollektive», der als Marktplatzhändler auch auf Galaxus vertreten ist. Wir führen nachhaltige Produkte, die möglichst wenig Abfall produzieren.
Was hat dich dazu bewogen?
Mir ist aufgefallen, wie viel Abfall ich während meiner Arbeit als Artistin produziere: Zum Beispiel Hilfsmittel wie Wattestäbchen und Einweg-Applikatoren, die aus hygienischen Gründen zum Einsatz kommen. Dahinter konnte ich einfach nicht mehr stehen. Ich habe mich auf die Suche nach Alternativen gemacht, darunter auch tierversuchsfreie Make-up-Produkte, die damals noch schwerer zu finden waren.
Quelle: The Beauty Kollektive
Wie entscheidest du, welches Produkt du in dein Sortiment aufnimmst?
Mein Sortiment ist eine Art Experten-Auswahl. Darin findest du nur Produkte, die ich selbst verwende und hinter denen ich stehe.
Du warst Teil zahlreicher Shootings im Verlauf deiner Karriere. Welches war das aufwändigste?
Ganz klar die Shootings für The Beauty Kollektive. Wenn ich für externe Kampagnen gebucht werde, ist am Set alles vorbereitet, wenn ich ankomme. Ich erbringe dann nur noch meine Dienstleistung. Bei den Projekten rund um meinen Shop bin ich den ganzen Prozess hindurch gefordert. Vom Konzept bis hin zur Ausführung. Bei einem Shooting wollten wir zum Beispiel die im Produkt enthaltenen Inhaltsstoffe ablichten. Dazu musste ich die entsprechenden Rohstoffe in ihrer ursprünglichen Form beschaffen. Blumen, Pilze, Mica Pigmente und so weiter. Das war gar nicht so einfach.
Quelle: The Beauty Kollektive / Foto: Sara Merz
Was sind deine liebsten Make-up-Produkte aus deinem Sortiment?
Der Vanilla Highlighter und der Carrot Colour Pot für Lippen und Wangen in der Farbe «Harmony.» Beides von Ere Perez, einem mexikanischen Brand.
Eine letzte Frage: Welche Bedeutung hat Schönheit für dich?
Schön ist für mich, wer sich innen drin gut fühlt. Die klassische Schönheit habe ich im Laufe meines Lebens schon zu oft gesehen. Klar ist sie hübsch anzusehen, aber sie ist für mich nichts Besonderes. Auf eine gewisse Art empfinde ich sie sogar als langweilig. Wahre Schönheit sehe ich in einem Menschen, wenn er seine Bestimmung gefunden hat und Zufriedenheit und Ausgeglichenheit ausstrahlt.
Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.