«Alone in the Dark»: Aufstieg und Fall der über 30 Jahre alten Kultserie
«Alone in the Dark» begründete 1992 ein neues Genre, das sich bis heute grosser Beliebtheit erfreut. Ich erkläre dir, was von damals geblieben ist und wieso der Urvater des Survival-Horrors von der Konkurrenz überholt wurde.
Gruselige Monster, strenges Ressourcenmanagement und feste Kamerawinkel: dadurch zeichnet sich das erste richtige Survival-Horror-Spiel aus. Die Rede ist nicht von «Resident Evil», sondern von «Alone in the Dark». Das erschien bereits vier Jahre vor Capcoms Zombie-Klassiker.
Wie kommt es, dass «Alone in the Dark» das Genre begründete und heute fast in Vergessenheit geraten ist?
Technischer Meilenstein seiner Zeit
In den frühen 90er Jahren steckt 3D-Gaming noch in den Kinderschuhen. Erste Gehversuche in verschiedenste Richtungen werden gewagt. Ein Beispiel eines frühen 3D-Spiels ist der 3D-Plattformer «Alpha Waves», der von Christophe de Dinechin entwickelt und von Infogrames veröffentlicht wird. Infogrames ist heute ein Teil von Atari.
In derselben Entwicklungsfirma arbeitet zu diesem Zeitpunkt auch Frédérick Raynal. Er ist die Schlüsselfigur des ersten «Alone in the Dark». Frédérick sammelt Erfahrungen in der 3D-Entwicklung, indem er «Alpha Waves» vom Atari ST auf DOS portiert. Dann schlägt der damalige CEO von Infogrames, Bruno Bonnell, ein Spiel vor, in dem die Spielerinnen und Spieler sich mithilfe eines Streichholzes in einer dunklen Umgebung zurechtfinden müssen.
Der Horrorfan Frédérick Raynal übernimmt das Projekt und überlegt sich, wie er die damaligen technischen Grenzen umgehen kann. Eine detaillierte 3D-Umgebung, wie sie zum Beispiel ein begehbares Haus haben müsste, ist zu diesem Zeitpunkt undenkbar. So entstehen die fixen Hintergründe und Kamerawinkel, in denen sich die polygonalen Figuren bewegen und die das Genre noch eine ganze Weile begleiten werden. «Alone in the Dark» mausert sich damit zum Meilenstein der Game-Geschichte.
Erfolg dank intuitivem Rätseldesign
Auch wenn Frédérick Raynal gegen Ende der Entwicklung viele Fehler in seinem Spiel sieht, ist «Alone in the Dark» bei seiner Veröffentlichung ein Riesenerfolg. Bis zum Ende des Jahrtausends verkauft sich das Spiel über 2,5 Millionen Mal. «Alone in the Dark» begeistert mit seiner Technik, aber auch mit seiner unheimlichen Atmosphäre.
In der Villa des Spiels kannst du dich nie sicher fühlen. Jederzeit können dich Fallen und Monsterüberrumpeln. Dem wirkst du mit dem geschickten Einsatz von Gegenständen und dem Lösen von Rätseln entgegen. Zum Beispiel erscheint früh im Spiel ein Zombie aus einer Falltür, sobald du eine bestimmte Kiste öffnest. Das kannst du verhindern, indem du die Kiste vor dem Öffnen auf die Falltür schiebst. Dieses intuitive Rätseldesign macht das Überleben im Haus zum Abenteuer.
Inspiration für ein ganzes Genre
Eine gelungene Formel wird natürlich kopiert. Am prominentesten macht es «Resident Evil» aus dem Jahr 1996. Capcom startet damit eine Spielereihe, die sich zum Genre-Primus mausert. Übrigens: Den Genrenamen «Survival Horror» gibt es erst seit «Resident Evil». «Alone in the Dark» bezeichnet sich bei der Veröffentlichung als «Virtual Adventure Game».
Die Gemeinsamkeiten von «Alone in the Dark» und «Resident Evil» sind unverkennbar. In beiden Spielen musst du in einer riesigen Villa überleben, die von Monsten überrennt wird. Waffen und Heilgegenstände sind rar, ganz im Gegensatz zu den vielen Rätseln, die du zum Vorankommen lösen musst. Auch stilistisch schneidet sich «Resident Evil» eine Scheibe ab: Die festen Kamerawinkel ermöglichen herausragende Grafik, weil weniger berechnet werden muss, als bei einer frei schwenkbaren Kamera. Gleichzeitig sorgt das eingeschränkte Sichtfeld für eine klaustrophobische Atmosphäre. Weniger beliebte Elemente wie die Tanksteuerung schaffen es ebenfalls in Capcoms Game.
«Resident Evil» ist jedoch mehr als ein Klon von «Alone in the Dark»; sonst würde die Reihe kaum bis heute bestehen. Manche Elemente werden nicht nur übernommen, sondern verbessert. Ein Beispiel findet sich in einem frühen Jumpscare der beiden Spiele. In «Alone in the Dark» springt ein Zombie-Huhn vor dem Fenster des Dachgeschosses herum. Das sorgt für eine angespannte Stimmung. Diese wird auf die Spitze getrieben, sobald das Zombie-Huhn durch das Fenster einbricht und angreift. Bei «Resident Evil» gibt es keine Zombie-Hühner, dafür zähnefletschende Hunde, welche die unheimliche Villa umkreisen. In einem der ersten Räume bricht ein solcher Hund durch ein Fenster und setzt zum Angriff an.
Klingt abgesehen vom Monster ziemlich gleich – ist es aber nicht. Das liegt daran, dass die Szene in «Resident Evil» mit Kameraspielereien intensiver inszeniert wird und für einen höheren Schockeffekt sorgt. Du kannst die Hunde in den Fenstern nicht erahnen, weil du anders als in «Alone in the Dark» nicht bereits darauf aufmerksam gemacht wirst. Darum springen die Hunde im Gegensatz zum Zombie-Huhn völlig unerwartet ins Bild.
«Resident Evil» setzt diese Formel für die beiden darauffolgenden Spiele der Reihe erfolgreich fort. In Teil vier erfindet sich die Serie neu und setzt neue Grundlagen für das Genre. «Silent Hill» übernimmt ebenfalls die Formel von «Alone in the Dark», spinnt daraus jedoch eine ganz andere Art von Horror, die die Fan-Herzen ebenso für sich gewinnt.
Die Einflüsse von «Alone in the Dark» auf ein ganzes Genre sind gewaltig. Trotzdem fristet die Marke heute ein Nischendasein.
Vom wehrlosen Detektiv zum Action-Held
Der Grund liegt in den Nachfolgern. Trotz des Erfolgs des ersten «Alone in the Dark», fangen Teil 2 und 3 aus den Jahren 1993 und 1995 die Magie nicht mehr ein. Ein Grund dafür ist der Weggang von Frédérick Raynal samt seines Entwicklungsteams und dem damit einhergehenden Strategiewechsel.
Einer der beiden Protagonisten aus dem ersten Teil, Edward Carnby, wird zum Maskottchen der Reihe. Anstatt einen wehrlosen Detektiv zu verkörpern, schiesst er plötzlich Heerscharen von Bösewichten nieder. Er wird zum Action-Helden und die unheimliche Atmosphäre der Spiele geht flöten. Es ist auch nicht hilfreich, dass die Technik nach dem ersten Teil keinen Sprung mehr macht.
Die Talfahrt geht weiter
Nach der Trilogie ist es einige Jahre still um die Reihe, bis 2001 «Alone in the Dark: The New Nightmare» erscheint. Nun ist es «Resident Evil», das als Vorlage für den Reboot dient. Dennoch gehört er zu den besseren Spielen der Reihe. Das Game kommt gut an und verkauft sich bis Ende 2005 fast 1,4 Millionen Mal. Danach geht’s bereits wieder abwärts.
Wie andere Survival-Horror-Franchises liebäugelt «Alone in the Dark» mit einer eigenen Filmreihe. Die Filme erscheinen 2005 und 2008 unter den Namen «Alone in the Dark» und «Alone in the Dark II» und floppen spektakulär. Sie sind Paradebeispiele für schlechte Game-Verfilmungen. Ebenfalls im Jahr 2008 erscheint ein weiterer Reboot, der auch wieder «Alone in the Dark» heisst. Die Kritiker sind verhalten. Das Spiel ist ambitioniert, doch schrecken die überladene Steuerung und die konfuse Story ab. Auch Innovation suchst du vergeblich. Der Reboot verkauft sich weniger gut als sein Vorgänger, kommt bis Ende Juli 2008 trotzdem noch auf 1,2 Millionen Verkäufe weltweit.
Ganze sieben Jahre später erscheint der Koop-Shooter «Alone in the Dark: Illumination». Darin müssen vier Charaktere zusammenarbeiten, um ein gruseliges Geheimnis zu lösen. Der seelenlose «Left 4 Dead 2»-Klon kopiert auch noch ein bisschen etwas von «Alan Wake». So müssen Monster wie bei Remedys Grusel-Game zuerst mit Licht angestrahlt werden, bevor du sie besiegen kannst. Das Spiel kam weder bei der Fachpresse noch bei den Spielerinnen und Spielern gut an.
2018 verkauft Atari SA, das bis 2009 Infogrames hiess, das Franchise an den schwedischen Publisher THQ Nordic.
«Alone in the Dark»: Eine Geschichte mit Happy End?
Trotz der Abwärtsspirale ist es eindrucksvoll, was ein Spiel aus dem Jahr 1992 für ein ganzes Genre leisten konnte. Ohne «Alone in the Dark» hätte es «Resident Evil» vielleicht nie gegeben. Oder die Spiele hätten sich in eine ganz andere Richtung entwickelt.
Entwürfe von «Resident Evil» zeigen, dass das Spiel ursprünglich auf eine First-Person-Sicht setzte. Nur schon deswegen wäre ein völlig anderes Game entstanden.
Kürzlich erschien der neuste Reboot, der auch wieder «Alone in the Dark» heisst. Damit gibt es nun schon drei Spiele mit dem gleichen Namen. Ich habe das Game getestet und bin beeindruckt. Das Survival-Horror-Genre erfindet es zwar nicht neu, wie der Erstlingstitel. Es ist dennoch ein solider Neuzugang für eine Spielereihe, die seit über 20 Jahren kein anständiges Game auf die Reihe bekommen hat. Bleibt zu hoffen, dass wir auf den nächsten Teil nicht so lange warten müssen.
Meinen ersten Text über Videospiele habe ich mit acht Jahren geschrieben. Seitdem konnte ich nicht mehr damit aufhören. Die Zeit dazwischen verbringe ich mit meiner Liebe für 2D-Husbandos, Monster, meinen Krawallkatzen und Sport.