AirPods Pro – wie gut sind sie wirklich?
Hintergrund

AirPods Pro – wie gut sind sie wirklich?

Welcher Ohrhörer hat das bessere Noise Cancelling – Sonys WF-1000XM3 oder Apples AirPods Pro? Und was macht gutes Noise Cancelling aus? Mit Hilfe von Experten haben wir beide Ohrhörer vermessen – und sind auf interessante Resultate gestossen.

Ein Blogpost auf medium.com erregt meine Aufmerksamkeit. Philippe Niquille der Schweizer Firma Rocket Science behauptet, man habe die «geheime Zutat» in Apples AirPods Pro entdeckt. Ich lese den Artikel mit Interesse, aber um ehrlich zu sein, verstehe ich das Geschriebene nicht vollständig.

Ende 2019 sind Kollegin Livia Gamper und ich deshalb zu Besuch bei Rocket Science. Lautsprecher, Leiterplatten, Lötkolben und Duct Tape. Auf jedem Pult wird an etwas anderem gebastelt. Auf einer Testaufbaute mit etlichen Mikrofonen steht eine Kaffeemaschine eines renommierten Herstellers. Bevor optimiert wird, werden die Schwingungen des Haushaltsgeräts vermessen.

Die Audio-Spezialisten in Zürich sind Experten für Noise Cancelling. Gemeint ist damit nicht nur Noise Cancelling von Kopfhörern: Ihr Geld verdienen sie mit Aufträgen namhafter Firmen, die ihre Produkte leiser machen wollen oder einen anderen Klang für ihre Produkte suchen. Etwa Kaffeemaschinen, Staubsauger oder andere Haushaltsgeräte. Kunden von Rocket Science sind aber auch Architekten, die vibrationsarme Gebäude entwerfen. Oder Konzertveranstalter, die die Akustik optimieren möchten.

Bei Rocket Science wird mit Gegenschall gearbeitet, so wie es Noise-Cancelling-Kopfhörer tun. Die Biologen, Physiker, Mathematiker und und Software-Experten im Team gehen dabei pragmatisch vor. Das schreiben sie nicht nur in ihrer Unternehmensphilosophie, das merkt man sofort, wenn man die Firma in Alt-Wiedikon besucht.

Was ist das Geheimnis der AirPods Pro?

Ich habe etliche Verständnisfragen an Philippe Niquille, CEO bei Rocket Science, zu seinem Artikel auf medium.com. Am meisten irritiert mich die Grafik mit verschiedenen Messkurven:

  • Die Messergebnisse zeigen, dass die AirPods Pro im tiefen Frequenzbereich kaum filtern.
  • Warum wird zwischen «AirPods Pro actual» und «AirPods Pro perceived» unterschieden?

Nach einer halben Stunde hin und her und zahlreichen Fragen an Philippe Niquille sowie Manuel Isenegger verstehe ich endlich, worauf der Artikel hinaus will. Die These der Akustiker:

  • Die AirPods Pro filtern etliche Frequenzbereiche schlechter als die Over-Ears, mit denen die Apple-In-Ears verglichen werden.
  • Die AirPods Pro konzentrieren sich aber akustisch auf «die richtigen» Frequenzen.
  • Der Wow-Effekt der AirPods Pro rührt laut Rocket Science von einem psychoakustischen Trick. Apple aktiviere zunächst immer den Transparency-Modus und wechsle erst danach in den Noise-Cancelling-Modus. So entsteht für den Hörer ein besonders grosser Unterschied, wenn man die In-Ears einsetzt. Die Differenz zwischen beiden Modi ist die rote Messkurve («AirPods Pro perceived»).

Ganz kurz zu Psychoakustik: Diese Disziplin der Klangforschung fokussiert nicht auf tatsächliche physikalische Messungen, sondern auf das subjektive Empfinden verschiedener Testpersonen. Nachdem das geklärt ist, lassen wir uns von Manuel und Philippe das Test-Setup zeigen, mit dem die Kopfhörer getestet wurden. Das befindet sich nicht in einer hochempfindlichen Messkammer, sondern ist Teil des Büros, da es so die Realität viel besser nachempfindet

Omnidirektionale Lautsprecher-Box, die Pink Noise wiedergibt.

Der Kunstkopf ist von der Masse her und anatomisch einem menschlichen Schädel nachempfunden. Im Inneren sind hochempfindliche Mikrofone verbaut.

Die vom Kunstkopf aufgenommenen Geräusche werden in Echtzeit auf einem Notebook visualisiert.

Das wollen Livia und ich natürlich ausprobieren. Livia hat einen Bowers & Wilkins PX7 mitgenommen, damit die Experten von Rocket Science ihn vermessen. Livia will wissen, wie er sich gegen den Bang & Olufsen H9 3rd Gen. schlägt.

Der Kurztest ergibt, dass der B&O auf den ersten Blick das bessere Noise Cancelling als der Konkurrent von Bowers & Wilkins abliefert. Livia staunt, denn sie empfindet den PX7 als besser. «Das kann gut sein», erklärt Manuel. «Noise Cancelling ist nicht so einfach. Der Kopfhörer von Bang & Olufsen filtert zwar in tiefen Frequenzen mehr heraus, dafür stechen die Höhen umso mehr heraus.» Betrachtet man die rohen Messwerte, ist das Produkt von B&O besser. Psychoakustisch gesehen wird aber ein Produkt, das weniger gut, aber gleichmässig filtert, als besser empfunden.

...und die AirPods Pro?

Die Sache mit dem Noise Cancelling ist kniffliger als gedacht. Und Messdiagramme verkünden nicht die pure Wahrheit.

Ein weiteres Problem mit dem Artikel von Philippe auf medium.com ist, dass ein einziger In-Ear-Kopfhörer, die AirPods Pro, sich gegen Over-Ears behaupten muss. Obwohl beide Geräteklassen bei der Aufgabe andere Probleme bewältigen müssen: Der Over-Ear hat den Vorteil, dass die Kopfhörermuschel bereits eine gute Dämpfung liefert. Der In-Ear hat den Vorteil, dass er tiefer im Gehörgang steckt.

«Je tiefer im Ohr ein Kopfhörer steckt, umso einfacher ist die Aufgabe», erklärt Manuel. So wünschen wir uns von Rocket Science einen Direktvergleich zwischen den neuen AirPods Pro und einem weiteren In-Ear mit Noise Cancelling. Livia kürt den Sony WF-1000XM3 als Herausforderer und überlässt den Audio-Nerds ein Pärchen.

Einige Tage später erhalten wir von Philippe eine aktualisierte Grafik, mit der sich die Noise-Cancelling-Performance beider In-Ears miteinander vergleichen lassen.

Es sieht nicht gut aus für Sony: «Unser Verdikt zum Sony-ANC: schlecht», schreibt Philippe. Zwar liefern die Sonys in etwa die gleichen Dezibel-Reduktionen wie die AirPods Pro, jedoch mit anderen Frequenz-Schwerpunkten.
Auch der Transparenz-Modus der Sony-In-Ears ist «aus unserer Sicht weitaus weniger fein abgestimmt als der von Apple», schreibt Philippe weiter. Die WF-1000XM3 geben insbesondere störende hohe Frequenzen wieder. Auch sei der Wechseleffekt – also der Unterschied zwischen Transparenz-Modus und ANC – bei Sony im Vergleich zu Apple weitaus weniger beeindruckend. Dieser grosse Unterschied macht die AirPods Pro nicht besser – lässt sie aber in den Ohren besser erscheinen.

Fazit

Mir war bereits vor dem Test klar, dass die AirPods Pro chancenlos gegen ausgewachsene Over-Ears mit Noise Cancelling, etwa den QC 35 II von Bose, sind. Ich besitze die AirPods Pro selbst und finde sie trotzdem ausgesprochen gut. Mich überzeugen die Apple-In-Ears vor allem durch ihre Convenience. Mit all den Schattierungen des englischen Wortes: Komfort, Bequemlichkeit, Zweckmässigkeit, Verbraucherfreundlichkeit, Einfachheit.

  • Produkttest

    Die Apple AirPods Pro im Doppelreview

    von Livia Gamper

Der Test von Rocket Science bestätigt, dass die AirPods Pro ein sorgfältig verarbeitetes Produkt ist, an dem Apple lange gefeilt hat. Das Noise Cancelling ist nicht Spitzenklasse, aber gut umgesetzt. Allerdings habe ich es jetzt Schwarz auf Weiss, weshalb ich in wirklich lärmigen Umgebungen lieber einen Over-Ear aufsetze.

Apple AirPods Pro (1st Gen.) (ANC, 5 h, Kabellos)
Kopfhörer

Apple AirPods Pro (1st Gen.)

ANC, 5 h, Kabellos

Sony WH-1000XM3 (ANC, 30 h, Kabelgebunden)
Kopfhörer

Sony WH-1000XM3

ANC, 30 h, Kabelgebunden

Bowers & Wilkins PX7 (ANC, 30 h, Kabellos)
Kopfhörer

Bowers & Wilkins PX7

ANC, 30 h, Kabellos

B&O Beoplay H9 3rd Gen. (ANC, 32 h, Kabellos)
Kopfhörer

B&O Beoplay H9 3rd Gen.

ANC, 32 h, Kabellos

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Ich bändige das Editorial Team. Hauptberuflicher Schreiberling, nebenberuflicher Papa. Mich interessieren Technik, Computer und HiFi. Ich fahre bei jedem Wetter Velo und bin meistens gut gelaunt.


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