CBS/Warner
Hintergrund

20 Jahre später: Ich schaue nochmals «7th Heaven – eine himmlische Familie»

Die Pfarrersfamilie Camden. Ein engstirniger, despotischer Patriarch, eine dauernd genervte Klischee-Ehefrau und sieben unterdrückte, traumatisierte Kinder. Ich habe es geliebt, sie zu hassen.

Um die Jahrtausendwende war sie im Fernsehen omnipräsent. Die Familie Camden aus der fiktiven kalifornischen Kleinstadt Glenoak. Bestehend aus dem protestantischen Pastor Eric Camden (Stephen Collins), seiner Frau Annie (Cathrine Hicks) und fünf, später sieben Kindern. «Eine himmlische Familie» ist eine von zahlreichen Shows aus der Feder von Aaron Spelling und Brenda Hampton, deren Handlungsstränge häufig darauf abzielen, Jugendliche über die Risiken von Rauschmitteln und (dem in den stark christlich geprägten USA verpönten) vorehelichen Sex aufzuklären.

Diese Aufgabe übernimmt in der Serie meist Pastor Eric. Er lässt seine oberpädagogischen und moralinsauren Gardinenpredigten jeder Person angedeihen, die seiner Ansicht nach etwas Falsches getan hat. Ob der Familie, Freunden oder komplett fremden Personen jeglichen Alters. Auch einem Arzt, der seinem Patienten eine schlechte Prognose stellt, da dieser an Krebs im Endstadium leidet. Dabei ärgert sich Eric darüber, dass sich der Arzt nur auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse stützt – dabei wird ein Mensch doch erst sterben, wenn «Gott bereit ist, ihn aufzunehmen».

Der Heiligenschein trügt

Kirchgänger und Kirchgängerinnen sind grösstenteils die einzigen, denen er die Chance lässt, sein Vertrauen nach einer «Verfehlung» wiederzugewinnen. Verfehlungen wie zum Beispiel das Rauchen von Zigaretten, das Hören von Gangsterrap oder vorehelichem Sex. «Charakterlich schwachen» Personen attestiert er dabei ein besonders hohes Rückfallrisiko, etwa seiner Schwester Julie. Diese ist eine trockene Alkoholikerin und wird jedes Mal eines Rückfalls bezichtigt, wenn sie unangemeldet zu Besuch kommt.

Auf seinen Missionen greift der Familienvater und Pastor oft auf Sergeant Michaels zurück, der ihm häufiger mal illegalerweise polizeiliche Internas übermittelt und bei seinen moralischen Feldzügen als Privatpolizist zur Seite steht. Die scheinheiligen Gründe, mit denen Eric seine Taten rechtfertigt, scheinen bei Schauspieler Stephen Collins in Fleisch und Blut übergegangen zu sein: Vor rund zehn Jahren wurde bekannt, dass er mehrere minderjährige Mädchen sexuell missbraucht hat. Dies begründete er zunächst mit seinem «Exhibitionismus», um dann pädophile Neigungen zu bestreiten. Dabei klang er ähnlich «pastoral» wie in seiner Rolle:

Annie, die liebende Ehefrau

Dies führt mich zu Annie, Erics liebender Ehefrau. «Liebend» ist tatsächlich fast das einzige Adjektiv, das mir einfällt. Sie kocht, sie putzt, sie chauffiert die Kinder zur Schule. Gelegentlich gibt sie Eric Ratschläge für seinen Berufsalltag, die dieser immer nur dann annimmt, wenn er selbst komplett ratlos ist. Episoden, die sich um Annie als Person drehen oder in der sie die Hauptrolle hat, sind rar. Und wenn sie sich mal tatkräftig zeigt – etwa als sie an einer Demo teilnimmt – verschweigt sie dies ihrem Mann zunächst.

Ihre häufig wechselnden Stimmungen und Launen werden fast immer entweder auf ihre Überforderung als Hausfrau oder ihre Hormone geschoben. Etwa, als sie in die Wechseljahre kommt und ihrem Ehemann das Geburtstagsgeschenk einer Hormontherapie macht, damit «sie nicht mehr so anstrengend ist». Für Eric ist das Eheleben mit Annie «eine endlose Aneinanderreihung von Launen, die es zu überstehen gilt» (Zitat Staffel 7).

Langhaarige Jungs kiffen – muss man wissen!

Das älteste Kind der beiden ist Matt (Barry Watson). Als Ältester steht er natürlich unter besonderer Beobachtung, weil er seinen jüngeren Geschwistern als Vorbild dient. Aber auch, weil Erics Vater, ein pensionierter Offizier der US-Army, ihn für einen Träumer und einen Bruder Leichtfuss hält. Das erkennt man ja schon an seinen langen Haaren, obwohl er doch ein Junge ist. Der Joint, den Eric bei ihm findet (der ihm aber nicht gehört), ist die logische Konsequenz für die rebellische Haarpracht seines Sohnes. Auch für seine Geschwister, die ihm in einer «Intervention» reihenweise unter Tränen ihre Enttäuschung kundtun: «Ich wünschte, du wärst nicht mein Bruder», lässt ihn etwa der kleine Simon wissen.

Eric schliesst zwar später Frieden mit seinem Sohn. Immerhin studiert er Medizin. Jedoch nicht, ohne ihn temporär verstossen zu wollen, weil er Sarah Glass heiraten will. Dies führt zu Tränen der Verzweiflung bei Eric und Annie, denn Sarah ist Jüdin und Tochter eines Rabbis. Zum Besuch der Hochzeit seines Ältesten entscheidet er sich sehr kurzfristig und nur, weil er dem Rabbi das Feld nicht alleine überlassen will – und um die geplante Konversion Matts eventuell doch noch verhindern zu können. Nach der Hochzeit machen sich die beiden in Richtung New York davon.

Mary – das schwarze Schaf

Ähnlich wie Erics Schwester Julie stellt sich Mary als «schwacher Charakter» heraus. Sie möchte nach dem Ende der Schule nämlich ein Zwischenjahr einlegen, bevor sie aufs College geht, um sich über ihren Berufswunsch klar zu werden. Sie sucht sich für diese Zeit gar einen Job. Weil sie aber Schulden hat und sich mit Leuten umgibt, die ein uneheliches Kind haben, gilt sie als «vom rechten Weg abgekommen». Da dieses unverheiratete Paar ihr in Glenoak überall «auflauern» könnte, wird sie (zu dem Zeitpunkt bereits volljährig) in den grossväterlichen Gulag an der Ostküste deportiert, wo sie zum Studieren und zu gemeinnütziger Arbeit gezwungen wird. So, dass auch sie mal sieht, wie sorglos sie mit ihrem privilegierten Leben umgeht und damit sie endlich merkt, dass nur ein akademischer Schulabschluss zum wahren Lebensglück führt. Ja, imfall!

Später schlägt sie die Avancen des elterlichen Traumschwiegersohns Ben aus und verliebt sich in einen Piloten, der älter ist als sie. Als sie zu ihm zieht, ärgert sich Eric darüber, die Kontrolle über sie verloren zu haben und befürchtet, dass sie nun endgültig vom «rechten Weg abgekommen ist.» Diese Storyline hat einen realen Hintergrund: Jessica Biel, welche die Rolle der Mary spielt, hat für ein Magazin freizügige Bilder von sich machen lassen. Damit waren die Macher der Serie nicht glücklich, was prompt dazu führte, dass Biels Engagement gestrichen wurde.

Lucy – Papi, bitte liebe mich!

Das dritte von zunächst fünf Kindern ist Lucy (Beverly Mitchell). Das typische Sandwichkind, das oft übergangen wird und sich dadurch ausgeschlossen fühlt. Ihre Unmutsbekundungen diesbezüglich werden aber kaum ernst genommen. Ihre «übertriebene Emotionalität» (lies: Trauer und die Suche nach Aufmerksamkeit) wird von Eltern und Geschwistern gleichermassen zum Anlass genommen, über Lucy zu spotten. Ausser, die gesuchte Aufmerksamkeit steht in Widerspruch zu den elterlichen Werten. Etwa, als sie als 14-Jährige geschminkt auf Shoppingtour geht und von einem Wachmann belästigt wird. Statt Konsequenzen für den Täter folgt aber eine Gardinenpredigt über Vertrauensbruch und Eigenverschulden der Situation.

Kein Wunder gipfelt die Suche nach dem elterlichen Wohlwollen darin, dass Lucy ebenfalls Pastorin wird und mit 20 den Polizisten Kevin Kinkirk heiratet. Den Traumschwiegersohn Erics, vertritt er doch die gleichen bornierten christlichen, familienfreundlichen Werte wie er. Und das gleiche Mindset gegenüber Lucy. Standardsatz: «Sie ist verrückt, aber ich liebe sie».

Simon – vorehelicher Sex legitimieren Prügel

Der zweite Sohn und lange Zeit zweitjüngster Camden ist Simon (David Gallagher). Der aufgeweckte, charmante Junge ist praktisch das einzige Camden-Kind, das einigermassen «realistisch pubertiert». Ist er in den ersten Staffeln noch brav – und tut seine moralische Entrüstung über die «Fehlleistungen» seiner älteren Geschwister lautstark kund – so wandelt sich sein Image später. Auch dies sehr zum Missfallen seiner Eltern. Erst wird er von der Schule suspendiert, weil er einem Mitschüler den Mittelfinger zeigt. Schockschwerenot! Später «verfällt» er dem Gangsterrap, weil auch seine Freunde das hören. Leute, die Gangsterrap hören, sind aber kein Umgang. Diese werden zwangsweise zu Machos und belästigen Frauen. So wie Simons Schulfreund, der Frauen begrapscht und überfällt. Weil das in dem einen Lied propagiert wird. Die Moral von der Geschicht’: Wer Rap hört, landet früher oder später im Gefängnis. Oder so.

Als Simon und seine 16-jährige Freundin Cecilia (Ashlee Simpson) sich überlegen, miteinander zu schlafen, vertrauen sie sich zunächst den jeweiligen Eltern an. Schon über den Gedankengang ist der konservative Pastor so bestürzt, dass er ein «gewisses Verständnis dafür aufbringen kann», dass Cecilias Vater seinen minderjährigen Sohn in dessen Beisein verprügeln will. Denn für beide ist klar, dass diese Idee von Simon kam – in der heilen Welt der Camdens haben ledige Frauen selbstverständlich keinen eigenen Sexualtrieb. So viel zum Vertrauen, sich seinen eigenen Eltern zu öffnen. Memo an mich selbst: nächstes Mal verheimlichen.

Mit späteren Partnerinnen hat Simon dann trotzdem vorehelichen Sex. Ein Schock, denn vorehelicher Sex ist oftmals verbunden mit «Schuldgefühlen, Depression oder sogar Schmerzen». Natürlich ist damit auch die Furcht vor sexuell übertragbaren Krankheiten und ungewollten Schwangerschaften bei Simon omnipräsent. Beides Dinge, die nach Gottes Segen natürlich nicht mehr passieren können …

11 Staffeln? Echt jetzt?

Ich könnte hier zahllose weitere Beispiele aufzählen, die sich in den elf Staffeln der Serie ereignen. Aber ich glaube, du hast bereits einen Einblick in das Leben der Camdens gewinnen können. Als ich mir für diesen Artikel nach 20 Jahren nochmals einige Episoden zu Gemüte führte, kam ich mir vor wie ein Unfall-Gaffer auf der Autobahn. Es ist absolut grauenhaft, dies mit anzusehen, trotzdem kann ich einfach nicht wegschauen. Die sogenannten christlichen Werte werden in geradezu perverser Weise ad absurdum geführt. Ein Beispiel dafür, wie man mit seinen Kindern (oder sonst irgendwelchen Menschen) nicht umgehen sollte.

Der Gipfel des Ganzen ist die Titelmelodie, in der gesungen wird: «I know there's no greater feeling than the love of family» (dt. Ich weiss, es gibt kein besseres Gefühl als die Liebe der Familie). Von Liebe kann aber keine Rede sein – die elterliche Gefühlswelt beschränkt sich auf Argwohn, Misstrauen, Kontrolle und Bestrafung, oft durch Liebesentzug. Es scheint sie nicht zu stören, dass ihre Kinder stets und ständig «etwas im Schilde führen, wovon wir nichts wissen». Auch, dass sich drei von vier erwachsenen Kindern später emotional und geografisch so weit wie möglich von Glenoak entfernen, scheint bei den Eltern keine Alarmglocken schrillen zu lassen. So suchen sie sich kurzerhand neue Kinder, die sie bevormunden können. Diese lassen das mit sich geschehen, weil ihre eigenen Eltern «nichts taugen». Heisst: nicht zur Kirche gehen oder zu viele wechselnde Sexualpartner haben.

Zugegeben: In Einzelepisoden kommt es auch mal zu Szenen, in denen sich die Figuren für Diskriminierungsopfer – etwa Dunkelhäutige oder allgemein Mobbingopfer – einsetzen. Doch diese sind so rar gesät und die Taten werden oft von klischierten Kirchengegnern begangen, dass es die gewollte gute Tat schon wieder ein wenig schmälert.

Zum Schluss der Serie begibt sich das Ehepaar auf eine Reise mit dem Camper und nehmen die beiden jüngsten – die Zwillinge Sam und David – mit. In den USA ist Heimunterricht ja verbreitet. Und wenn sie nicht gestorben sind, predigen sie noch heute.

Titelbild: CBS/Warner

42 Personen gefällt dieser Artikel


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    Hilfe, die 90er sind wieder geil: Teil 1 von «Lost Records: Bloom & Rage»

    von Kevin Hofer

  • Hintergrund

    Aus die Laus: Diese Tipps gegen juckende Köpfe empfiehlt die Expertin

    von Katja Fischer

  • Hintergrund

    Von wegen Geschwisterliebe!

    von Martin Rupf

Kommentare

Avatar