
Zitronengemälde und Kartoffelspiralen: Ich war an der Kreativmesse
An der Creafair in Zürich treffen sich jährlich Kreativköpfe und DIY-Visionärinnen, dich sich inspirieren und austauschen wollen. Ich war zum ersten Mal dabei und habe erfahren, dass es hier nicht nur um Handarbeit, sondern vielmehr um eine liebevolle Community geht.
Das breite Grinsen eines schlaksigen Standverkäufers fängt mich ein. Unter seiner schwarzen Hornbrille blitzen wache Augen auf, seine verzottelte braune Mähne wippt, als er mich heranwinkt. Der Stand ist ein buntes Meer aus zierlichen Armbändern und kunstvollen Schlüsselanhängern. An den Wänden hängen handbemalte Kartonschilder mit Parolen wie: «Der heutige Konsum prägt die Welt von morgen.» Er erzählt mir, dass das Zürcher Schmucklabel Obo in Kooperation mit einer Goldschmiedewerkstatt und einer Frauenkooperative in Nepal fair produzierten Schmuck herstellt. Nachhaltigkeit mit Stil – das gefällt mir.


Doch da schimmert etwas in meinem Augenwinkel. Wie eine Elster folge ich dem Glitzern zum Stand nebenan. Hier präsentiert das Ostschweizer Schmucklabel Alunir eine Schale voller perlmuttfarbener Haarklammern. Ich wühle mich durch die bunten Stücke, nehme eine in Karottenform besonders kritisch unter die Lupe – bis es mich wie ein Blitz trifft: Ich bin doch hier, um mich für neue DIY-Projekte inspirieren zu lassen und nicht, um Schmuck zu kaufen!
Auf los gehts los
Also mache ich mich in der riesigen Halle gezielt auf den Weg Richtung Bastelzeug. Um mich herum wird gewerkelt, geklebt und gepinselt. Ein Kind zeigt seiner Mutter freudig den Papierfetzen, den es zugeschnitten hat. Zwei Freundinnen unterhalten sich angeregt über die besten Aquarellfarben und ich beobachte die faszinierten Blicke Dreier, die sich eine Tasse mit einem «live, love, laugh»-mässigen Print bedrucken lassen. Ich bin im Schlaraffenland – und will hier nie mehr weg.


Die Creafair ist sowas wie das Paradies für Bastler und DIY-Enthusiastinnen. Ein Ort für diejenigen auf der Suche nach einem Hobby oder solche wie mich, die vor lauter Freizeitbeschäftigungen ihre Projekte nicht zu Ende bringen. Schon im Jahr 2024 lockte die Messe in Oerlikon 9000 bastelwütige Besucherinnen und Besucher an. Dabei wird der Fokus auf den persönlichen Austausch gelegt und deckt für jede Vorliebe die entsprechende Kategorie ab. Zum Beispiel der Atelierbereich, bei dem Stift und Pinsel im Mittelpunkt stehen oder die Textilfabrik, die alles rund um die Schnur in Angriff nimmt. Hauptsache, selbstgemacht.


Ein Gadget, das nicht nur den Kopf verdreht
Plötzlich zieht ein Verkäufer in einem schwarzen Hemd meine Aufmerksamkeit auf sich. Theatralisch schneidet er eine Spirale in eine Kartoffel und hebt sie triumphierend in die Luft. «Gesunde Pommes!» ruft er, während er routiniert eine hauchdünne Gurkenscheibe um ein Stück Käse wickelt und das Ganze in das Loch in der Kartoffel steckt. Dann nimmt er ein Messer, setzt an – zack! –, und vor mir liegt eine Art Gemüse-Sushi. Ich runzle die Stirn. «Was für ein Unsinn», denke ich, während drei Frauen mit frechen Frisuren an mir vorbeiwirbeln. In ihren Händen: zwei der ominösen Spiralschneider. Sie werfen sich verschwörerische Blicke zu – offenbar haben sie beim Messerabatt zugeschlagen. Eine Szene, wie ich sie an der Olma erwarten würde.

Die Kunst, Unveränderbares anzunehmen
Ich gehe weiter und sehe, wie ein junger Mann ein Mangaportrait von sich zeichnen lässt. Der Bildschirm neben ihm zeigt, dass die Künstlerin prinNana gerade an seiner Brille herum skizziert. Eine warme, freundliche Stimme reisst mich aus meinen Gedanken. Eine Frau mit langen, dunklen Haaren und einem herzlichen Lächeln blickt mich erwartungsvoll an. «Willst du eine Tasse bemalen?». Und ob ich will.

«Einfach die Farben nehmen, die herumstehen, und loslegen», erklärt ihre Kollegin von werK2go fröhlich, während sie suchend in alle Richtungen blickt. «Wo sind nur die Pinsel?» Sie dreht sich um, greift zum Becher und lacht. «Hoppla, vergessen!» Dann widmet sie sich der nächsten Person, bis ihr einfällt, was sie mir zu Ende erzählen wollte. Die Besucherin vis-à-vis von mir bemalt ihre Tasse mit kleinen Herzen. Ich entscheide mich spontan für Zitronen.

Schon nach ein paar Pinselstrichen kommt mir der Gedanke: Das sieht furchtbar kitschig aus. Also setze ich ein schwarzes Karogitter dahinter – grauenhaft. In einem kreativen Befreiungsschlag male ich Augen auf die Zitronen. Nun ist das Chaos perfekt. Gerade als ich mich über mein völlig verunglücktes Design ärgere, kommt die Workshopleiterin vorbei, wirft einen Blick darauf und strahlt mich an. «Künstlerisch und kreativ!», lobt sie mich. Also gut. Wenn sie es sagt.

Es kommt eben doch auf die Grösse an
Ein weiteres Highlight erwartet mich fast am Ende der Messe. Ich bleibe vor dem Stand von Lilliput Land stehen, der winzige, detailreiche Welten ausstellt. Miniatur-Bäckereien mit klitzekleinen Brotlaiben, filigrane Strassenszenen, bei denen jedes Fensterlädchen perfekt platziert scheint. Und ein Drehständer voller Miniaturen, um sich eigene Welten zu schaffen. «Lisa! Schau dir mal diese süsse Feldflasche an!», ruft eine Besucherin entzückt, packt ihre Freundin am Arm und zeigt dabei auf die winzige Flasche. Lisa scheint wenig beeindruckt.

Kurz vor dem Nachhauseweg bleibe ich an einem langen Tisch stehen. Eine mehrere Meter lange Papierbahn erstreckt sich darauf, bedeckt mit feinen Linien, die ein Bild andeuten. Doch was genau hier entsteht, bleibt mir auf den ersten Blick verborgen. Zwei Besucherinnen beugen sich mit gekrümmtem Rücken über das Papier, während sie mit schwarzer und weisser Tinte konzentriert das kollektive Kunstwerk ergänzen. Eine andere Besucherin steht auf dem Stuhl und setzt das Werk direkt an der Wand fort. Ich spüre, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet. Kreativität verbindet – und vielleicht könnte sie, wenn wir ihr mehr Platz in unserem Leben geben würden, auch uns Menschen wieder ein Stück näher zusammenbringen.

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Die Wände kurz vor der Wohnungsübergabe streichen? Kimchi selber machen? Einen kaputten Raclette-Ofen löten? Geht nicht – gibts nicht. Also manchmal schon. Aber ich probiere es auf jeden Fall aus.