Xiaomi 12S Ultra: Die Kamera mit 1-Zoll-Sensor im Test
Das Xiaomi 12S Ultra verfügt über einen sehr großen Bildsensor und Leica hat seine Finger bei der Kamera im Spiel. Grund genug, viele Fotos aufzunehmen und zu bewerten.
Bisher verkauft Xiaomi das 12S Ultra nur in China. Firmenchef Lei Jun hat auf Twitter aber Ende August bekannt gegeben, dass die «nächste Iteration» weltweit verfügbar sein wird. Allerdings lässt er offen, ob mit der «nächsten Iteration» eine globale Version des 12S Ultra oder ein echter Nachfolger mit einer 13 im Namen gemeint ist. Xiaomi hat trotzdem schon Testgeräte nach Deutschland gebracht und mir eins angeboten. Da ich neugierig bin, wie sich der große Sensor auswirkt, habe ich es gerne einige Tage ausprobiert.
Drei Kameras und physikalische Limitierungen
Zur Orientierung: Die Linse in der Mitte des runden Kameraelements gehört zur Weitwinkelkamera. Im Querformat befindet sich die Telekamera links davon und die Hauptkamera oberhalb der Weitwinkelkamera.
Sensor | Brennweite | Blende | Sensorgröße | |
---|---|---|---|---|
Hauptkamera | Sony IMX989 | 23 mm | f/1,9 | 1 Zoll |
Weitwinkelkamera | Sony IMX586 | 13 mm | f/2,2 | 1/2 Zoll |
Telekamera | Sony IMX586 | 120 mm | f/4,1 | 1/2 Zoll |
Die Spezifikationen des großen Sensors klingen gemäß der Grundregel «je größer der Sensor, desto besser die Bildqualität» sinnvoll. Allerdings gibt es ein physikalisches Problem: Je größer der Sensor ist, desto größer muss der Abstand zur Linse sein, um den Blickwinkel zu erhalten. Wie Kollege David Lee zum Sharp Aquos R6 ausführt, sind Smartphones für solch große Sensoren zu schmal. Xiaomi gibt für die Hauptkamera des 12S Ultra eine Brennweite von 23 Millimetern an. Das ist eine Weitwinkelbrennweite, aber unter Smartphones für die Hauptkamera üblich. Die Weitwinkelkamera des 12S Ultra kommt auf 13 Millimeter Brennweite. Dass das Smartphone trotzdem nicht so dick wie eine Kompaktkamera ist, erreichen Leica und Xiaomi nach eigenen Angaben durch eine «Umleitung» des Lichts. Es soll dadurch in einem größeren Winkel auf den Sensor fallen, als der Abstand zur Linse eigentlich zulässt.
Andere Hersteller behelfen sich wohl damit auf die Bildstabilisierung zu verzichten oder nur den mittleren Bereich des Sensors zu benutzen. Was beides den großen Sensor zu einer unnötigen Marketingaktion verkommen lässt.
Die Hauptkamera: ein verdammt großer Sensor
Der Sony IMX989 der Hauptkamera verfügt bei einer Fläche von einem Zoll über eine Auflösung von 50,3 Megapixeln. Jeder Pixel ist damit 1,6 Mikrometer lang. Xiaomi zieht aber standardmäßig vier Pixel zu einem zusammen. Die Fotos haben deswegen eine Auflösung von 12,5 Megapixeln – außer du aktivierst den 50-Megapixel-Modus, dem aber zahlreiche Hilfsmittel fehlen. Rechnerisch ergibt sich aus der niedrigeren Auflösung sogar eine Pixellänge von 3,2 Mikrometer auf dem Sensor. Die Brennweite beträgt – umgerechnet aufs Kleinbildformat – 23 Millimeter und die Blende hat eine Öffnung von f/1,9.
Alle Beispielfotos sind mit der Automatik des Xiaomi 12S Ultra aufgenommen. Das Smartphone und die Software haben die Bildbearbeitung übernommen und sie direkt als JPEG-Dateien abgespeichert. Unkomprimierte Fotos im RAW-Format sind nur im Pro-Modus möglich.
Natürliche Farbe und hohe Detailgenauigkeit
Da ich vom großen Sensor einiges erwarte, langweile ich das Xiaomi 12S Ultra nicht mit idealen Bedingungen. Stattdessen geht es in zeitlicher Nähe zum Sonnenuntergang in die Hamburger Speicherstadt und Hafencity.
Die Farbwiedergabe gefällt mir. Sie passt zu dem, was meine Augen vor Ort sehen. Die Detailgenauigkeit ist sehr hoch, allerdings fehlt mir der große Unterschied zu anderen sehr guten Smartphone-Kameras.
Negativ fällt mir dagegen auf, dass für viele der Motive 23 Millimeter zu weitwinklig sind. Besonders, da ich fast alle Motive auch mit fünffachem Zoom aufgenommen haben. Dazu aber später mehr.
Zuerst der Blick auf die Details. Ich habe aus einem Foto den mittleren Bereich in Originalgröße ausgeschnitten und neben die kurz danach entstandene Aufnahme des Huawei P50 Pro gelegt. Insgesamt ist das Foto aus der Leica-Kamera des P50 Pro weniger weitwinklig und insgesamt etwas heller.
Im Ausschnitt werden die farblichen Unterschiede deutlicher. Das 12S Ultra ist dabei mein Favorit, auch wenn ich bei der Detailgenauigkeit keine Vorteile durch den großen Sensor erkenne.
Wobei die Detailgenauigkeit bei beiden Kameras, je weiter das Motiv entfernt ist, nachlässt. Im vorderen Bereich sind bei der Mauer beim 12S Ultra die einzelnen Steine klarer zu erkennen.
Die Automatik bekommt es bei Dunkelheit gut hin, die Aufnahme aufzuhellen. Der Nachtmodus erhöht im direkten Vergleich die Detailgenauigkeit deutlich.
Schaue ich mir allerdings die Aufnahmen in Originalgröße an und vergleiche sie mit dem Huawei P50 Pro, scheint der große Sensor des Xiaomi 12S Ultra keinen Vorteil bei der Detailgenauigkeit zu bringen. Die farblichen Unterschiede schreibe ich der jeweiligen Software zu.
Weitwinkel- und Telekamera: kleinere Sensoren, aber trotzdem eine Erwähnung wert
Bei der Weitwinkel- und der Telekamera des Xiaomi 12S Ultra kommt jeweils der 1/2 Zoll große Sony IMX586 zum Einsatz, der sich bereits in vielen anderen Smartphones bewährt hat. Die Linsen vor ihm sorgen dann für sehr verschiedene Blickwinkel von 13 und 120 Millimeter. Gegenüber der Hauptkamera weisen sie kleinere Blenden auf – f/2,2 und f/4,1
Schaue ich auf meine Motive, brauche ich häufiger die Telekamera als die Weitwinkelkamera.
Mit der Telekamera komme ich näher an die hinter dem Haus verschwindende Sonne heran und kann die von der kleinen Brücke verdeckte Hafenpolizeiwache besser in Szene setzen. Das sieht insgesamt ordentlich aus und ist einem Top-Smartphone würdig, aber nichts womit sich das Xiaomi 12S Ultra von anderen sehr guten Smartphone-Kameras absetzt.
Der Nachtmodus sorgt bei beiden Kameras für eine verbesserte Bildqualität. Die Aufnahmen sind heller und zeichnen sich durch eine höhere Detailgenauigkeit aus. Der Zugewinn an Qualität fällt bei der Telekamera stärker aus. Aber insgesamt nichts, was andere Smartphones nicht auch hinbekommen.
Porträtfotos sind Schwarz-Weiß am schönsten
Porträtfotos mit unscharfem Hintergrund bekommen auch andere Smartphones bereits sehr gut hin. Das Xiaomi 12S Ultra bietet hierfür drei Voreinstellungen, von denen ich eine sehr mag und eine für überflüssig halte.
Ich mag die Schwarz-Weiß-Porträts mit einer Brennweite von 35 Millimetern. Sie strahlen klassische Fotografie aus und entschleunigen jedes Motiv.
«Swirly Bokeh» bei 50 Millimetern scheint mir mit der Standardeinstellung des Porträtmodus identisch zu sein. Die Trennung von Person und Hintergrund funktioniert sehr gut. Aber das ist nichts Besonderes mehr.
Völlig überflüssig erscheint mir der «90mm Soft Focus». Ich sehe keinen Sinn darin, das Gesicht mit Absicht unscharf aufzunehmen, auch wenn «Soft Focus» es nach Absicht klingen lässt.
Leica Authentic und Leica Vibrant
Alle Fotos, die ich dir bisher gezeigt habe, sind im Modus «Leica Authentic» aufgenommen. Mit «Leica Vibrant» steht noch ein zweites Set an Voreinstellungen zur Auswahl. Einen von beiden muss ich wählen, komplett deaktivieren kann ich sie nicht.
Die farblichen Unterschiede zwischen beiden fallen geringer aus als ich erwartet habe. Vibrant ist etwas heller und wirkt dadurch minimal fröhlicher – vor allem, wenn eher graue Wolken am Himmel zu sehen sind. Mir gefällt Authentic aber etwas besser und deswegen hauptsächlich ihn verwendet.
In der Kamera-App findest du noch weitere Filter. Vier davon stammen ihren Namen nach ebenfalls von Leica. Mir gefallen dabei die Schwarz-Weiß-Filter «Leica BW Nat» und «Leica BW CH» am besten. «Leica Viv» und «Leica Nat» verlocken mich nicht dazu, sie zu benutzen. Keiner dieser Filter sorgt übrigens dafür, dass Authentic oder Vibrant erkennbar deaktiviert wird.
Fazit: Ich hatte mir mehr erhofft
Das Xiaomi 12S Ultra macht sehr gute Fotos. Besonders in schwierigen Lichtsituationen liefert es gut Bilder. Ich habe mich zudem von den Porträtbildern in Schwarz-Weiß begeistern lassen. Trotzdem bin ich ein wenig enttäuscht. Ich hatte mir von dem großen Bildsensor einen größeren Abstand zu bisherigen Smartphones erwartet. Der Vergleich mit dem Huawei P50 Pro zeigt aber, wie gut die Software bei anderen Smartphones und wie klein der Einfluss der Sensorgröße bei Smartphone-Fotos ist.
Das heißt für mich konkret: Ich warte nicht sehnsüchtig, bis Xiaomi das Xiaomi 12S Ultra oder seinen Nachfolger bei uns verkauft. Die theoretischen Vorteile der großen Sensorfläche haben in der Praxis zu wenig Auswirkung.
Als Grundschüler saß ich noch mit vielen Mitschülern bei einem Freund im Wohnzimmer, um auf der Super NES zu spielen. Inzwischen bekomme ich die neueste Technik direkt in die Hände und teste sie für euch. In den letzten Jahren bei Curved, Computer Bild und Netzwelt, nun bei Galaxus.de.