Wirbelsturm Elon: Seit zwei Wochen wütet er in der Twitter-Landschaft
Tempo, Ambition und eine schillernde Persönlichkeit prägen Elon Musks Unternehmungen. Diese Kombination entfaltet nun auch bei Twitter seine Wirkung. Dem blauen Vogel dürfte sie das Fliegen allerdings erschweren.
«Twitter is now an Elon Musk company» hiess es Anfang November auf der Homepage des amerikanischen Tech-Magazins «The Verge». Eine treffende Schlagzeile. Denn wenn Elon Musk etwas anfasst, geht es nicht mehr nur um die Sache selbst – sondern auch um die Person des reichsten Mannes der Welt. Was bedeutet das?
Tempo, Tempo, Tempo
«Move fast and break things» wurde eigentlich als Facebooks Motto berühmt. Doch es trifft auch auf Elon Musk und seinen Management-Stil zu. Der Milliardär stürzt sich lieber schnell und rücksichtslos in Experimente, anstatt Sorgfalt walten zu lassen.
So auch in seiner neuen Rolle als Twitter-Chef: Sofort entliess er CEO Parag Agrawal und die restliche Führungsriege sowie den Verwaltungsrat Twitters. Dann rollten die Köpfe der Angestellten – und davon nicht wenige. Über 3000 Mitarbeitende – etwa die Hälfte der Twitter-Belegschaft – durften nicht mehr in ihre Twitter-Büros zurückgehen. Das, nachdem unpersönliche E-Mails über ihre Entlassung informierten.
Mit halber Besatzung geht es doppelt so schnell weiter. Was die verbleibenden «Tweeps» zu tun haben, können sie – wohl oder übel – direkt vom Twitter-Feed ihres neuen Bosses ablesen. Eine Praktik, die Tesla-Mitarbeitenden vertraut ist: Bevor Tesla den Cybertruck enthüllte, feuerte Musk neue Specs und Versprechen dazu auf Twitter ab. Tesla-Mitarbeitende in der Fabrik wurden von der anspruchsvollen To-do-Liste in Form von Tweets überrumpelt.
Für Twitter kündigte Musk unter anderem diese Vorhaben via Tweet an: Lange Texte an Tweets anzuhängen, eine bessere Suchfunktion und ein Programm, um gewisse Inhalte hinter eine Paywall zu stellen.
Und das, ohne ein direktes Wort an seine Angestellten zu richten. Erst nach zwei Wochen hielt der Neubesitzer ein erstes Meeting, um Fragen zu beantworten und seine Pläne vorzustellen. Dazu gehören die mögliche Einführung von Bankservices oder Tik-Tok-ähnlicher Funktionen auf Twitter. Zudem warnte Musk in diesem Meeting, dass Twitter jetzt unbedingt mehr Geld einnehmen müsse, als es ausgebe. Der Konkurs des Unternehmens sei sonst nicht ausgeschlossen.
«Viele dumme Sachen» mit Absicht
Weiterhin besonders aufsehenerregend ist das Wirrwarr um das blaue Häkchen. Bisher diente es als Identifizierungsmerkmal für bekannte Personen oder Organisationen. Musk wollte es zwischenzeitlich zu einem Identifizierungsmerkmal von Abonnentinnen und Abonnenten von Twitters kostenpflichtigem Abo «Twitter Blue» machen – für kurze Zeit war das blaue Häkchen für acht US-Dollar im Monat zu haben.
Um bekannte Personen oder offizielle Organisationen aber doch irgendwie zu kennzeichnen, kam zwischenzeitlich ein zusätzliches graues Häkchen dazu. Dann verschwand es und wurde unter das blaue Häkchen gepackt. Dann verschwand das Konzept des grauen Häkchens ganz, um kurz danach doch wieder zurückzukehren. Mittlerweile berichten User dafür, dass die Anmeldemöglichkeit für Twitter Blue und damit das blaue Häkchen verschwunden ist. Die Zukunft der Verifikation steht zum Publikationsdatum dieses Artikels also völlig in den Sternen.
«Viele dumme Sachen» werde er in den kommenden Monaten machen, verkündete Musk während des Häkchen-Fiaskos in einem Tweet. Was funktioniere, bleibe auf der Plattform. Sein schnelles, waghalsiges Verhalten ist dem 51-Jährigen also nicht nur bewusst – er macht es sogar absichtlich.
Ambition: The Sky is not the limit
Getrieben ist Musks Tempo von seiner ungebremsten Ambition. Die wiederverwendbaren Raketen von SpaceX sind nur ein Zwischenstopp auf einer viel grösseren Mission: Der Besiedlung des Mars. Die ersten Tesla-Modelle waren nur die erste Etappe im Lauf zur Elektrifizierung der globalen Automobilindustrie.
Und die Twitter-Übernahme? Sie ist nur der erste Schritt in Richtung eines «digitalen, öffentlichen Dorfplatzes, wo ein breites Spektrum an Meinungen gewaltfrei debattiert werden kann». Damit will Musk der Menschheit helfen, wie er in einem Tweet kurz nach der Übernahme schreibt.
Für seine astronomischen Ambitionen arbeitet Musk mit absoluter Hingabe und totaler Effizienz – und verlangt das gleiche von seinem Umfeld. Die glücklichsten Tesla-Angestellten seien jene, die sich als Workaholics beschreiben und gerne mehr als 70 Stunden pro Woche arbeiteten, heisst es in einer Reportage des Magazins «Business Insider» aus 2018. Doch nicht alle vertragen diese extremen Stundenpläne.
Um die Motivation seiner Angestellten in der Tesla-Fabrik hochzuhalten, will Musk selber stoisches Vorbild sein. Deshalb ist es ihm wichtig, dass möglichst viele Angestellte sehen, wie auch er auf dem Boden der Fabrik übernachtet.
Eine Gewohnheit, die nun auch in die Arbeitskultur des neuen Twitters Einzug gehalten hat. Das zeigt das Bild der im Schlafsack schlummernden Esther Crawford. Sie ist für das Produktmanagement bei Twitter verantwortlich und arbeitet zurzeit mit Hochdruck an der neuen Version des Bezahlabos «Twitter Blue». Viele Mitarbeiter tun es ihr gleich – denn wer nicht bis zu den wahnwitzig nahe gesetzten Deadlines liefert, fliegt raus.
Das ist ein krasser Gegensatz zu den Zuständen vor der Übernahme. Twitter-Angestellte genossen pro Monat jeweils einen zusätzlichen freien Tag. Zudem herrschte eine grosszügige Homeoffice-Regelung. Der Gründer und ehemalige CEO Jack Dorseys wollte Burnouts verhindern.
Um Angestellte aus dieser Zeit plötzlich für Musks Hardcore-Arbeitskultur mit Bergen an Überstunden, Übernachtungen in Sitzungszimmern und einem Homeoffice-Verbot zu motivieren, müssen die Anreize aussergewöhnlich sein. Bei Musks anderen Firmen erfüllen futuristische Visionen und eine noble gesellschaftliche Mission diesen Effekt – bei Twitter dürfte das aber schwieriger werden.
Denn bereits sein zwischenzeitlicher Rückzieher nach dem Kaufangebot liessen Zweifel an Musks eigener Überzeugung und seinem Idealismus gegenüber der Plattform aufkommen. Dann kam die Zeit vor dem Gerichtsprozess, in der Musk beweisen musste, dass Twitter nicht so viel wert ist, wie er geboten hatte: Grosszügig demütigte er seine zukünftige Social-Media-Plattform mit Kritik an ihrer Qualität. So dürfte es bei Twitter – im Gegensatz zu Tesla und SpaceX – umständlicher sein, Menschen für seine Ambitionen zu begeistern.
Person: Musk, der Mythos
Musks Visionen und seine gesellschaftliche Mission sind für viele Menschen auch wegen seiner Person so ansteckend: Er ist nahbar und direkt. Er gibt sich locker, sympathisch und humorvoll. Ein Meme-liebender Nerd, der am Tag die Raumfahrt revolutiniert und am Abend entspannt Joints weiterreicht.
Im Zuge der Twitter-Posse zerfällt dieses Image immer mehr. Anstatt Sinnhaftigkeit bietet der Milliardär zurzeit chaotisches Spektakel. Er zeigt sich zunehmend dünnhäutig, etwa bei der Sperrung von Parodie-Accounts, die sich über ihn lustig machen. Als Twitter-Nutzer war er schon immer laut, provozierend und manchmal unüberlegt. Doch als Besitzer der Plattform sind diese Eigenschaften zum sichtbaren Handicap geworden. Die ruckartigen Kehrtwenden, die verwirrende Kommunikation und andauernden Sticheleien zahlen nicht auf das coole Image des «Tony Starks des echten Lebens» ein.
Twitter musste sich früher oder später weiterentwickeln. Das Business-Modell brachte zu wenig Umsatz. Firmen scheuten sich davor, grosszügig Werbung auf Twitter zu schalten. Vor allem wegen der Präsenz von kontroversen oder illegalen Inhalten, mit denen die Plattform immer wieder kämpft. Doch ob Wirbelsturm Elon mit seinen Methoden den Vogel zum Fliegen bringen kann, scheint zweifelhaft.
Keystone«Ich will alles! Die erschütternden Tiefs, die berauschenden Hochs und das Sahnige dazwischen» – diese Worte einer amerikanischen Kult-Figur aus dem TV sprechen mir aus der Seele. Deshalb praktiziere ich diese Lebensphilosophie auch in meinem Arbeitsalltag. Das heisst für mich: Grosse, kleine, spannende und alltägliche Geschichten haben alle ihren Reiz – besonders wenn sie in bunter Reihenfolge daherkommen.