Wir wollen spielen: Die Geschichte der Sexytoys
Hintergrund

Wir wollen spielen: Die Geschichte der Sexytoys

Von antiken Phallussen über «Nackenmassage-Stäbe» aus dem Kaufhaus-Katalog bis hin zum High-Tech-Toy für die Klitoris: Begib dich hier auf erotisch-skurrile Reise durch die Geschichte des Sex-Spielzeugs.

Im Laufe meiner Karriere als Sex-Kolumnistin habe ich schon so einiges gesehen und ausprobiert. Doch immer wieder überrascht mich das Innovationspotential der Toy-Branche. Gerade halte ich ein Sample von «Lelo» in den Händen und ganz ehrlich: Viel schicker geht es nicht. Die hochwertige Verpackung steht der von edlen Luxusprodukten um nichts nach. Nachdem man das Seidenpapier vorsichtig entfernt hat, offenbart sich ein Designer-Stück zur Selbstbefriedigung, das aussieht wie ein tropfenförmiger Parfumflacon. Der Punkt-Vibrator «Lelo DOT» setzt im Gegensatz zu üblichen Vibratoren auf elliptische statt kreisender Bewegungen zur klitoralen Stimulation. So lässt sich die Intensität individuell anpassen – dafür muss man nur den Winkel oder Druck ändern.

Und auch für die Männerwelt gab es unlängst ein brandneues Goodie, das mit alten Tabus aufräumen will: Mit dem Relaunch des vibrierenden Prostata-Massagegeräts «Vector+» ermutigt «We-Vibe» dazu, die anale Lust neu zu erkunden. Immerhin: Wie am Penis und dem Damm gibt es auch in der Prostata Tausende von Nervenenden, die bei Stimulation äußerst angenehme Gefühl hervorrufen können. «We-Vibe» ist übrigens jenes Unternehmen, das den weltweit ersten Paarvibrator auf den Markt brachte, der bis heute weltweit über sechs Millionen Mal verkauft worden ist. Stimuliert werden dabei G-Punkt und Klitoris gleichzeitig, dank einer «Fernbedienung» kann der Partner rsp. die Partnerin dabei ein Wörtchen mitsprechen.

Warum ich das alles erzähle? Es war ein langer Weg von steifen Plastikdildos hin zu stylischen Hightech-Produkten. Doch mittlerweile wächst die Sex-Tech-Branche stetig – und mit ihr auch die Produktvielfalt. Eine aktuelle Auswertung durch Galaxus gibt Aufschluss, auf welche Toys die Schweizerinnen und Schweizer besonders stehen: Unangefochten auf dem ersten Platz der beliebtesten Sexspielzeuge bleibt der Vibrator. Wie er sich die Pole Position erstritten haben? Nun, Sextoys sind keineswegs eine moderne Erfindung:

Ganz, ganz früher: Stein-Dildos und Bienen-Vibratoren

Phallus-Nachbildungen grub man in verschiedensten Formen und Größen in der gesamten Welt aus. Einer der ältesten Funde ist erst 2005 in einer Höhle am Rande der Schwäbischen Alb entdeckt worden, sein Alter wird von Fachleuten auf rund 2000 Jahre geschätzt. Der Dildo aus Silitstein hat mit 19 Zentimeter auch recht erfreuliche Ausmaße.

Im alten Ägypten bereits wusste sich Königin Kleopatra zu helfen: Sie besaß Marmordildos und soll eine mit Bienen gefüllte Papyrustüte zur Stimulation benutzt haben – quasi der erste Vibrator, wie die Historikerin Nadine Beck in ihren Veröffentlichungen aufklärt. Und die alten Griechinnen und Griechen griffen zum «Olisboi» (von griechisch «gleiten»): So gab es bereits im 6. Jahrhundert v. Christus phallische Gegenstände aus Ton, innen hohl und mit warmem Wasser gefüllt.

Nun, im Mittelalter dann verbannte die Kirche alles, was als Stimulation körperlicher Lust ohne Fortpflanzung galt. Nur die Adeligen hatten es besser: So hießen Dildos in Frankreich «Godemichè», also «künstlicher Penis», und in Italien «Dilettos», abgeleitet vom italienischen Wort für «herrlich».

Von wegen hysterisch: Das 19. Jahrhundert und der Vibrator

Ekstatische Zustände erlebten im 19. Jahrhundert eine Blütezeit, allerdings nicht unbedingt im positiven Sinne: Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Ohnmacht, Halluzinationen, theatralisches Verhalten, Boshaftigkeit und das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zählten damals zu den häufigsten Ursachen der so genannten «Hysterie» (von altgriechisch: «hystéra», zu deutsch: Gebärmutter – man glaubte lange, die Erkrankung ginge vom Unterleib aus).

Dieses «Krankheitsbild» wurde dazu genutzt ein negatives Gegenbild zu der braven, bürgerlichen Frau, die sich der in ganz Europa verbreiteten viktorianischen Moral verschrieben hatte, zu zeigen. Und glaubt man Filmen wie «In guten Händen» oder vielen Quellen aus dem Netz, erfand der Brite Joseph Mortimer Granville anno 1883 zur Behandlung der Hysterie den ersten batteriebetriebenen Vibrator (kurz zuvor gab es eine amerikanische Version, die mit Dampf betrieben wurde).

Eine tolle Geschichte, nur nicht ganz korrekt wie Medizinhistorikerin Sarah Scheidmantel weiß. Sie promoviert an der Universität Zürich zur Vibrationsmassage um 1900 und belegt: Granvilles Innovation wurde bei Männern und Frauen gleichermaßen eingesetzt, gegen Nervosität, Rheuma und Gicht. Doch es dauerte nicht lang bis zur «Zweckentfremdung» – der Siegeszug des Vibrators hatte begonnen. Getarnt als medizinisches Gerät, wurde er bis in die 1930er-Jahre in Magazinen stark beworben, und zwar als Mittel gegen Verspannungen und zum Erhalt der weiblichen Schönheit.

Ab der Nachkriegszeit: Silikon, Schmuddel-Image und Sexshops

Erst kam das (harte) Plastik, dann die Erleichterung: Mit der Erfindung des Silikons wurden Dildos und Vibratoren beim Gebrauch um einiges angenehmer. Nur in der Vermarktung beschritten die Hersteller sehr unterschiedliche Wege. Den schmucklosen, aber millionenfach verkauften «Massagestab» aus dem «Otto-Katalog» hielten sich die Damen auf den Werbefotos noch verschmitzt an den Nacken – so weit hatte die sexuelle Revolution von 1968 dann noch nicht gereicht.

Die Einführung des «Hitachi Magic Wand» im selben Jahr markierte allerdings eine Trendwende: Aus einem Gerät zur Muskelentspannung wurde völlig unvermutet der beliebteste Vibrator der Welt. Seinen Durchbruch hat er der Amerikanerin Dell Williams zu verdanken: Sie wollte das Massage-Gerät in einem Kaufhaus erstehen und wurde vom Verkäufer scharf nach dem Verwendungszweck gefragt. Empört, aber motiviert gründete sie mit «Eve’s Garden» den ersten Sexshop von Frauen für Frauen in ihrer Heimat New York City.

In Europa wiederum ist die größte Pionierin der Erotik-Industrie wohl Beate Uhse: Die deutsche Unternehmerin und Pilotin avancierte bereits in der Nachkriegszeit zur Frontfrau der sexuellen Aufklärung und gründete den ersten Erotik-Konzern der Welt. Nun konnte man sich Vibratoren, Dildos und Co. diskret im Versandhaushandel bestellen oder ganz offen in einen «Beate-Uhse»-Shop pilgern. Ältere Semester können sich bestimmt noch an die von künstlichen Adern durchzogenen, fleischfarbene Mega-Geräte erinnern. 2017 ging der Konzern in Konkurs, vermutete Todesursache: Das Internet und die immer größer werdende Konkurrenz am Sextoy-Markt. Denn die gesellschaftliche «Schmuddelecke» gibt es (fast) nicht mehr.

Entphallisierung und Eco-Toys: Von der Gegenwart bis in die Zukunft

Die sexuelle Befreiung sorgte dafür, dass Dildos und Vibratoren zum Lifestyle-Produkt wurden, der Feminismus dafür, dass diese nicht mehr unbedingt wie ein Penis aussehen müssen. Der Fantasie sind in Form, Farbe und Funktion keine Grenzen mehr gesetzt. Ein Meilenstein darf hier aber nicht unerwähnt bleiben: Die Klitoris-Stimulation durch Druckwellen bzw. sogenannte Auflege-Vibratoren. Der bayrische Erfinder Michael Lenke legte 2014 den Grundstein zum fast schon legendären «Womanizer» und dessen Nachfolgeprodukten.

Die versprochene Orgasmus-Garantie funktioniert ohne Penetration und Vibration, aber mit sanftem Saugen, das dem Feeling beim Cunnilingus sehr nahekommt. Auch Popsängerin Lily Allen berichtete in ihrer Autobiografie «My Thoughts Exactly» über ihre Erfahrung mit dem «Womanizer» und wurde zur Markenbotschafterin. Mit ihrer Offenheit ist sie nicht allein: Model Cara Delevingne ist Mitinhaberin der Sextoy-Marke «Lora DiCarlo», Schauspielerin Dakota Johnson stieg als Investorin und Co-Kreativdirektorin bei der Sexual-Wellness-Company «Maude» ein.

Womit wir auch schon bei der Gegenwart angekommen sind: Heute ist die Angebotsvielfalt viel zu groß, um sie in einen Bericht zu packen, der sich nicht laufend überholt. Aber ein wenig Zukunftsmusik gibt es doch noch zum Schluss, nebst tausend tollen Innovationen wie App gesteuerte Tele-Dildos und immer präziser werdende Vibratoren in allen erdenklichen Formen und mit diversen Spezifikationen: Umweltfreundliches Sexspielzeug, also wiederaufladbare Toys aus schadstoffarmen, recycelten Materialien, ist stark im Kommen. Damit wir auch morgen noch mit guten Gewissen der Selbstliebe frönen können.

Titelbild: Olivia Leth

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Janina Lebiszczak
Autorin von customize mediahouse

Lebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.


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