Wieso ich die Apple Watch Ultra gut finde und trotzdem nicht will
Ich habe Apples Titan-Smartwatch beim Wandern und Klettern getestet. Dabei hat sie oft den Fels geküsst. Nach zwei Monaten ziehe ich Bilanz.
Keine Uhrenkategorie konnte mich bisher überzeugen: Einen klassischen Zeitmesser wie eine Swatch brauche ich nicht. Sportuhren wie die von Garmin gefallen mir nicht und sie haben zu wenig Alltagsfunktionen. Bei regulären Smartwatches wie Apples Series 8 finde ich die Batterielaufzeit zu schlecht und die Dinger sind mir zu fragil. Ich bin Kletterer, das macht insbesondere den letzten Punkt zum absoluten No-Go.
So bin ich das perfekte Werbeopfer für die neue Apple Watch Ultra. Sie kostet 850 Franken oder 1000 Euro und kann alles, was eine normale Apple Watch kann. Gleichzeitig soll sie genug Batterielaufzeit und Spezialfunktionen für Ultrarunner, Bergsteiger oder Taucher haben und sehr robust sein. Werbespots zeigen die Uhr als essenzielles Werkzeug in rauhen Extremsituationen. Klingt super – aber was taugt die Ultra in der Praxis? Und brauche ich das überhaupt? Zeit, die Werbeversprechen einem Realitäts-Check zu unterziehen.
Design: Ein Mocken
Über Verarbeitung und Materialien habe ich schon in meinem Hands-On-Test berichtet. Die Apple Watch Ultra ist gut verarbeitet und bequem. Ihre Grösse empfinde ich jedoch manchmal als störend. Die Uhr ist so dick, dass sie ständig an Jacken hängen bleibt. Das ist in den kalten Jahreszeiten ein Ärgernis. Im Bett nervt mich der Mocken am Handgelenk ebenfalls – also ziehe ich sie nachts aus. Damit wird aber das Schlaf-Tracking-Feature nutzlos. Weil sie so klobig ist, sieht die Ultra nur mit sportlicher Kleidung gut aus. Zu einem eleganten Outfit passt sie nicht. Im Vergleich mit Sportuhren finde ich sie trotzdem um Welten schöner.
Die Grösse hat auch gute Seiten: Das Display lässt sich bestens als Touchscreen bedienen. Hell ist es mit 2000 Nits ebenfalls, sogar in der Mittagssonne kann ich es dank des hohen Kontrasts problemlos ablesen. Im Dunkeln bin ich Fan des Nachtmodus, der das Zifferblatt rot färbt. So blendet die Uhr viel weniger. Aktiviere ich die Taschenlampen-Funktion, leuchtet das Display weiss in voller Helligkeit. Das ersetzt keine Stirnlampe, ist aber praktisch, um nachts den Zeltausgang oder Ähnliches zu finden.
Härtetest: Saphirglas gegen Gneis
Als Bewährungsprobe für Apples Werbevideos habe ich die Ultra während diverser Kletter-Sessions in der Halle und am Fels getragen. Das sind rauhe Verhältnisse für eine Uhr: Manchmal schrammt sie einer Wand entlang, ab und zu landet der ganze linke Arm in einer Felsspalte. Gehäuse und Glas machen unzählige Male Bekanntschaft mit dem Gestein – darunter auch Tessiner Gneis, der besonders hart ist.
Das Resultat nach zwei Monaten schonungsloser Nutzung: Das Titangehäuse hat ein paar Kratzer und Schrammen davongetragen. Da das Metall nicht lackiert ist, kommt an den lädierten Stellen keine andere Farbe zum Vorschein. So fallen die Gebrauchsspuren weniger auf. Die Bilanz beim Saphirglas ist hervorragend. Es sieht noch immer aus wie am ersten Tag – obwohl das Display trotz Schutzlippe direkten Felskontakt hatte. Selbst wenn ich die Uhr gegen das Licht halte, kann ich nicht den kleinsten Kratzer im Glas erkennen. Die Knöpfe funktionieren trotz der Schläge noch tadellos. Mit diesem Ergebnis hat die Apple Watch Ultra das Prädikat «robust» definitiv verdient. Zumal die wenigsten Leute sie so stark misshandeln werden, wie ich.
Klettern: Wenig Mehrwert
Ein robustes Gerät bringt mir nur was, wenn es auch nützlich ist. Auf die Verwendung der Ultra als normale Smartwatch gehe ich in diesem Test nicht weiter ein. Sie kann alles, was die reguläre Apple Watch kann. Die letzte Generation davon hat meine Kollegin Coya Vallejo im Januar getestet. Ich bin unschlüssig, ob ich die smarten Funktionen wirklich brauche. Sie harmonieren zwar perfekt mit meinem iPhone, aber ich vermisse die Uhr im Alltag nicht, wenn ich sie ausziehe.
Ähnlich verhält es sich beim Klettern. Dabei nutze ich vor allem drei Funktionen: Die Statistiken zur Herzfrequenz und den verbrannten Kalorien finde ich interessant. Mit einer speziellen App protokolliere ich zudem meine Routen. Topos – also grafische Übersichten von Klettergebieten – kann ich mit meinem iPhone fotografieren und dann auf der Apple Watch aufrufen. Das ist besonders für Mehrseillängen praktisch – hohe Wände, die in mehreren Etappen geklettert werden. Dort schätze ich zudem die LTE-Verbindung der Ultra. So könnte ich in Notsituationen meine Kletterpartnerin oder die Rega anrufen, selbst wenn das iPhone ausser Reichweite wäre.
Den letzten Punkt sehe ich als echten Mehrwert. Alles andere ist nett, aber eher Spielerei. Die Kehrseite: Die Ultra ist mit ihrer Grösse beim Klettern manchmal störend– besonders wenn die linke Hand in einen Felsspalt muss. Unter dem Strich erhält die Uhr deshalb nur auf Mehrseillängen einen festen Platz an meinem Handgelenk.
Wandern: Gute Navigation mit Zusatzapps
Besser sieht es beim Wandern aus, allerdings nur mit Apps von Drittanbietern. Apples eigenes Angebot an Funktionen für die Navigation überzeugt mich nicht: Ich kann Wegpunkte setzen, weiss aber nicht, wozu ich das brauche. Zumal sie nicht auf einer Karte erscheinen. Stattdessen zeigt mir der Kompass einfach Richtung und Distanz zum ausgewählten Punkt an. Ähnlich ratlos bin ich beim Backtracking-Feature. Die Funktion zeichnet den zurückgelegten Weg auf. Danach kann ich die Schritte zurückverfolgen – das funktioniert zwar sehr genau, ich habe aber keine Verwendung dafür.
Stattdessen will ich sehen, wo ich bin und wo ich hingehe. Das kann ich auf der Apple Maps App, die ich nur in der Stadt nützlich finde. Gott sei Dank gibt es kostenpflichtige Apps mit topografischen Karten. Ich habe WorkOutDoors ausprobiert, die einmalig sechs Franken kostet. Sie liefert gutes Kartenmaterial, auf dem Gelände und Pfade eingezeichnet sind. Du kannst ausserdem Routen im GPX-Format importieren. Die Genauigkeit des GPS der Apple Watch Ultra ist gut.
«Kann das nicht auch dein Smartphone?», höre ich dich fragen. Doch, und es hat erst noch ein grösseres Display. In der Praxis finde ich es aber angenehmer, während dem Wandern ab und zu auf die Uhr zu schauen, statt das Handy hervorzukramen. Zudem entlastet es den Akku meines iPhones, wenn die Apple Watch die Navigation übernimmt. Das spielt erst bei Mehrtageswanderungen ohne Stromversorgung eine Rolle. In allen anderen Fällen ist die Ultra kein essenzielles Werkzeug, aber immerhin ein nützliches Gadget.
Eine Anwendung, die ich nicht erwartet hatte: Auf kurzen Erkundungstouren oder Spaziergängen kann die Ultra das Telefon komplett ersetzen. Dank Mobilfunkverbindung streame ich Musik oder Podcasts auf meine Kopfhörer. Telefonieren funktioniert ebenfalls erstaunlich gut, sogar mit den internen Mikrofonen und Lautsprechern. Auf dem grossen Display kann ich eine Nachricht tippen, wobei Apps von Drittanbietern wie WhatsApp nur mit verbundenem iPhone funktionieren. Auch Social-Media-Apps oder einen Browser hat die Ultra nicht. Sie ist wie Digital Detox für Feiglinge, wenn ich das Handy zu Hause lasse – weniger Ablenkung, aber trotzdem erreichbar.
Batterielaufzeit: Zwölf bis hundert Stunden
Sind 36 Stunden Batterielaufzeit gut oder «Steinzeit»? Darüber habt ihr in den Kommentaren zu meinem Hands-on-Test diskutiert. Die verschiedenen Meinungen sind das Resultat unterschiedlicher Referenzpunkte: Siehst du die Ultra primär als Sportuhr? Dann ist die Batterielaufzeit schlecht. Eine Garmin hält deutlich länger, eine Taucheruhr sowieso. Sportuhren sind allerdings nicht gleichzeitig Alltag-Smartwatches. Verglichen mit anderen Geräten in dieser Kategorie ist die Laufzeit der Ultra hervorragend. Sie schlägt die Konkurrenz von Samsung, Google und auch Apples eigene Series 8 um Längen.
Was heisst das in der Praxis? Die Antwort variiert je nach Anwendung. Ich skizziere drei Szenarien: normale Alltagsnutzung, intensive Nutzung beim Sport und möglichst sparsame Nutzung.
Trage ich die Apple Watch Ultra im Arbeitsalltag, lade ich sie jeden zweiten Abend vor dem zu Bett gehen auf. Zu diesem Zeitpunkt hat sie in der Regel noch über 20 Prozent Akku. Wenn ich die vollen 100 Prozent Laufzeit ausnutze, komme ich auf mehr als 40 Stunden. Darin inbegriffen sind vier Stunden Spazieren, bei dem ich Podcasts über LTE streame und die Route per GPS aufzeichne. Während dieser Zeit ist kein gekoppeltes iPhone in der Nähe und ich führe über die Apple Watch ein paar kurze Telefongespräche. Ich aktiviere beim Spazieren den regulären Energiesparmodus. Den Rest der Zeit verbringt die Ultra im Standard-Modus. Nachts bleibt sie am Handgelenk und zeichnet meinen Schlaf auf.
Schneller leer ist der Akku an einem intensiven Klettertag. Im Standardmodus gibt Apple bei einer durchgehenden Aufzeichnung von Trainings eine Laufzeit von zwölf Stunden an, was sich in etwa mit meinen Erfahrungen deckt. Aktivierst du den normalen Energiesparmodus, steigt die GPS-Laufzeit auf etwa 17 Stunden. Die Herzfrequenz wird weiterhin normal aufgezeichnet. Dafür werden das Always-on-Display, einige Hintergrundfunktionen und die passive Mobilfunkverbindung ohne gekoppeltes iPhone deaktiviert. Wenn du aktiv einen Anruf tätigen willst, funktioniert das weiterhin.
Seit Ende Oktober gibt es zusätzlich den erweiterten Energiesparmodus. Er reduziert die Häufigkeit der Herzfrequenz-Messung von einmal pro Sekunde auf einmal pro Minute. Der GPS-Standort wird statt einmal pro Sekunde nur noch einmal alle zwei Minuten aktualisiert. So soll die Apple Watch Ultra bei realistischer Nutzung 60 Stunden durchhalten. Das scheint sogar eine konservative Schätzung zu sein, denn bei meinen Tests verliert der Akku im erweiterten Energiesparmodus nur etwa ein Prozent pro Stunde. Bei minimaler Nutzung würden wohl bis zu 100 Stunden drinliegen. Allerdings: Die reduzierte Aufzeichnungsfrequenz schränkt die Genauigkeit der Uhr ein. Wenn du eine kurvige Strecke auf einem Trail läufst, wird die Apple Watch unter Umständen nicht die gesamte Distanz aufzeichnen. Für langsamere Aktivitäten wie Bergwandern wird der Fehler kleiner sein und die Statistik weniger wichtig.
Fazit: Gute Umsetzung, individueller Nutzen
Smartwatch und Sportuhr in Einem will die Apple Watch Ultra sein. Für eine gewisse Zielgruppe schafft sie das. Im Alltag ist die Ultra für Besitzer eines iPhones die derzeit beste Smartwatch auf dem Markt – solange dich die Grösse nicht stört. Zusätzlich bietet sie eine Fülle an Sport-, Wellness- und Navigations-Funktionen. Die entfalten oft erst mit Apps von Drittanbietern ihre volle Wirkung. Zum Glück gibt es in Apples WatchOS-Universum jede Menge davon.
Die Batterielaufzeit variiert je nach Nutzung. Hobbysportler wie ich dürften selten mit einem leeren Akku kämpfen, zumal sich die Laufzeit mit den zwei verschiedenen Energiesparmodi erheblich verlängern lässt. Die Ausdauer von dedizierten Sportuhren darfst du trotzdem nicht erwarten. Verarbeitung und Robustheit sind ausgezeichnet. Gemessen an dem, was Titangehäuse und Saphirglas an meinem Handgelenk durchmachen mussten, sieht beides immer noch hervorragend aus. Der Preis dafür ist hoch. Übertrieben finde ich ihn aber nicht, wenn ich bedenke, wieviel Entwicklungsarbeit, Technologie und teure Materialien in der Uhr stecken.
Bei allem Lob zur Umsetzung lässt mich das Konzept der Apple Watch Ultra mit der Frage zurück: Wer braucht eine solche Uhr? Das ist sehr schwierig zu beantworten. Ich wage einen differenzierten Versuch im obenstehenden Entscheidungsbaum. Für meine persönlichen Anwendungsgebiete ist sie ein nettes Gadget. Der Mehrwert ist jedoch klein. Sowohl im Alltag als auch in meinen Sportarten kann ein Smartphone fast alles genauso gut. Ich lande deshalb in meinem Diagramm auf der Spur ganz rechts und bleibe uhrenlos.
Titelbild: Samuel BuchmannMein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.