Hintergrund

Wieso Fertigtastaturen mit Custom Keyboard Features wohl die Ausnahme bleiben werden

Kevin Hofer
21.8.2023

Mit der Black Widow V4 75% bietet neu auch Razer eine Tastatur mit Custom Keyboard Features. Dies, obwohl der Markt dafür eigentlich ausgetrocknet ist.

Grosse Hersteller reagieren häufig spät auf Trends. So springen die Peripherie-Hersteller erst nach und nach auf den Custom-Keyboard-Zug auf. Asus hat dieses Jahr mit der Azoth den Anfang gemacht. Ich selbst habe sie als Kreuzung aus Gaming-Tastatur und Tastatur der Marke Eigenbau bezeichnet. Jüngstes Beispiel ist Razer mit der Black Widow V4 75%. Die als «Groundbreaking» beschriebene Tastatur ist wie die Azoth kein Vollblut Custom Keyboard. Aber sie bietet mit austauschbaren Switches, weichem Tippgefühl und Fokus auf die Akustik Enthusiasten-Features.

Diese Features sind bei Fertigtastaturen immer noch unüblich. So war Hot Swap bei namhaften Herstellern vor zwei Jahren noch undenkbar – geschweige denn eine Tastatur im 75 Prozent Layout. Der Trend zu mehr Individualisierung von den Grossen kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die fetten Jahre der Custom Keyboards vorbei sind.

Die Krise der Custom-Keyboard-Szene

Während der Pandemie schossen Custom-Keyboard-Projekte wie Pilze aus dem Boden. Die sozialen Medien waren voller Tippvideos – auch ich berichtete über DIY-Tastaturen. Während der Pandemie hatte der Subreddit r/mk sogar mehr Subscriber als r/lego. Im Zuge dessen gab es viele innovative Projekte. Die Szene als Ganzes ist nicht nur gewachsen, sondern hat sich stark entwickelt. Es kamen viele qualitativ hochwertige Projekte zustande, die aufgrund der höheren Stückzahlen auch preislich sehr attraktiv waren.

Mittlerweile ist die Pandemie weltweit für beendet erklärt. Damit brach auch der Markt für Eigenbautastaturen zusammen. Die Leute scheinen wieder nach draussen zu gehen oder widmen sich anderen Hobbys statt hunderte, teils sogar tausende, von Franken für Tastaturen auszugeben. Die Szene hat sich jedoch nicht schnell genug an diesen erneuten Wandel angepasst.

Meist werden DIY-Tastaturen durch sogenannte Group Buys finanziert, die auf dem Prinzip des Crowdfunding basieren. Du bezahlst also für ein Produkt, das erst noch hergestellt werden muss. Es wird aber nur hergestellt, wenn eine gewisse Menge an Bestellungen – die sogenannte Minimum Order Quantity (MOQ) – eingeht.

Genau dieses Prinzip wird nun vielen Online-Shops zum Verhängnis. Wie das im Detail funktioniert, wird in diesem Video sehr gut erklärt (im Kapitel «Group Buys Then vs. Now»). Kurz: Einige Anbieter haben sich mit zu vielen Group Buys und dem Drang nach Profit übernommen. Dazu haben sie Projekte, welche die MOQ nicht erreicht haben, mit Geld von anderen Group Buys querfinanziert. Dies mit dem Ziel, die Ware später ab Lager zu einem höheren Preis zu verkaufen.

Jetzt, wo der Markt eingebrochen ist, können die Händler die Hersteller nicht mehr bezahlen und sitzen auf Ware, die niemand will. Die Kundschaft der Group Buys, die für die Querfinanzierung herhalten musste, sitzt ohne ihre Ware und Geld da. Einige Shops sind deshalb in Schieflage geraten, andere mussten bereits schliessen.

Das Vertrauen in neue Projekte ist deshalb angeschlagen. Wer neu mit dem Hobby beginnt, kann mit dem Prinzip Group Buy wenig anfangen. Und wer von den aktuellen Geschehnissen erfährt, lässt sowieso lieber die Finger von Group Buys. Dabei gibt es auch jetzt noch sehr gute, innovative Projekte zu Preisen, die vor dem Boom undenkbar waren.

Gaming-Keyboards mit Custom-Features werden die Ausnahme bleiben

Inmitten dieser Krise kommen jetzt die grossen Peripherie-Hersteller wie Razer und Asus. Sie inkorporieren Entwicklungen aus der Custom-Keyboard-Szene in ihren Tastaturen und verkaufen sie als «Groundbreaking». Dass solche Superlativen nötig sind, um den Verkauf anzukurbeln, erstaunt nicht: Die Azoth sowie die Black Widow V4 75% – wer hat sich diesen Namen ausgedacht? – sind mit über 200 Franken / US-Dollar teuer für Fertigtastaturen.

Verkaufen werden sie sich aufgrund des hohen Preises wohl nicht gut. Dieser kommt sicherlich dadurch zustande, dass die Tastaturen für die Hersteller ein Experiment sind – Forschung und Entwicklung hat ja die Custom-Keyboard-Szene übernommen. Sie werden nicht grosse Stückzahlen der Keyboards herstellen – die Azoth gibt es noch heute nicht im CH-Layout. Dies ist mit ziemlicher Sicherheit dem Umstand geschuldet, dass sich die Investition schlicht nicht rechnet.

Und dann spielt sicherlich auch der Zeitpunkt eine Rolle. Auch wenn die Hersteller bei der Entwicklung der Azoth oder Black Widow V4 75% von den Erkenntnissen der Custom-Keyboard-Szene profitieren, dauert es vom Reissbrett bis zur Markteinführung eines Produktes mindestens ein Jahr. Und in einem Jahr kann viel passieren. Ein ganzer Markt kann einbrechen – wie dies bei den Custom-Tastaturen der Fall ist. Ob sich die Hersteller auf weitere Experimente mit Custom-Features einlassen, ist fraglich.

Selbstverständlich kann ich auch komplett daneben liegen. Vielleicht verkauft sich die Black Widow V4 75% wie die PS5 zum Launch und in drei Jahren ist jede Fertigtastatur O-Ring-Gasket-Mount mit Schnäpperverschluss und kommt im FRL-TKL-Formfaktor daher. Was meinst du?

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.

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