Wie blinde Menschen «God of War: Ragnarök» spielen können
Den Playstation-Blockbuster «God of War: Ragnarök» können auch blinde, gehörlose und motorisch beeinträchtigte Menschen spielen. Möglich macht das eine Reihe an ausgeklügelten Optionen für Barrierefreiheit.
Der Bildschirm ist verschwommen, zu klein, ein einziger Brei. Meine Spielfigur verschmilzt mit dem Hintergrund und die Untertitel sind unsichtbar. Plötzlich greift ein Monster an. Ich starte einen Gegenangriff und verfehle, weil ich nichts sehen kann. Mist.
So oder so ähnlich fühlt sich der Gaming-Alltag von blinden Menschen an. Spielen ist für sehbehinderte Personen meist sehr anstrengend und mit teils unüberwindbaren Hürden verbunden. Auch Menschen mit auditiven und motorischen Einschränkungen haben beim Spielen mit diversen Problemen zu kämpfen. Im Gegensatz zu Filmen und Serien, die passiv konsumiert werden, gestaltet sich der Abbau dieser Barrieren bei Games um einiges komplizierter. Immer mehr Publisher und Entwicklerstudios versuchen diese Problematik mit ausgefeilten Software-Lösungen anzugehen.
Um ein besseres Verständnis für die Probleme und die Software-Lösungen zu bekommen, habe ich mich durch die ausführlichen Accessibility-Optionen des neu erschienenen «God of War: Ragnarök» gespielt.
«God of War: Ragnarök»: Barrierefreiheit mit Software-Lösungen
In den letzten Jahren haben sich körperlich eingeschränkte Gamer immer stärker organisiert, um ihre Anliegen bei Spielstudios und Konsolenherstellern zu platzieren. Content Creators wie der blinde Gamer Steve Saylor werden mittlerweile bei der Entwicklung von grossen AAA-Games als Accessibility-Berater hinzugezogen. Das Ziel dieser Bemühungen ist einfach: möglichst viele Spieler und Spielerinnen sollen einen barrierefreien Zugang zu Games erhalten.
Den grössten Anklang haben die Befürworter der Barrierefreiheit bisher bei den Playstation-Studios gefunden. Vor allem der PS4-Blockbuster «The Last of Us Part II» (2020) gilt als wichtiger Meilenstein für barrierefreies Gaming. Seit dem Release des postapokalyptischen Abenteuers implementiert Sony in ihren First-Party-Spielen konsequent Optionen für Barrierefreiheit und entwickelt diese stetig weiter.
Auch das neu erschienene «God of War: Ragnarök» reiht sich in die Riege von barrierefreien Playstation-Spielen ein. Sony Santa Monica beweist mit Kratos' nordischem Abenteuer, dass selbst Games mit hochkomplexen Spielmechaniken für körperlich eingeschränkte Menschen zugänglich gemacht werden können, ohne das Kern-Design des Spiels zu beeinträchtigen. Im Making-Of siehst du, wie das Studio die Features in «Ragnarök» integriert hat.
Nachfolgend stelle ich die wichtigsten Einstellungsmöglichkeiten und ihre Funktionsweisen in «God of War: Ragnarök» vor.
Barrierefreiheit für Menschen mit Sehbehinderung
Das Navigieren durch komplexe dreidimensionale Spielumgebungen ist für blinde Menschen oft nur mit zusätzlichen Hilfsmitteln oder mit der Unterstützung von anderen Spielern möglich. Der Barrierefreiheit-Advokat Steve Saylor illustriert in einem Video anhand von «Fortnite», wie er Games als blinder Spieler wahrnimmt.
Der Screen erscheint für Steve kleiner, das Spielgeschehen ist extrem verschwommen, Texte und Symbole sind kaum lesbar. So macht Gamen nicht nur weniger Spass, sondern ist auch extrem anstrengend.
Um diesen Problemen entgegenzuwirken, bietet «God of War: Ragnarök» eine Vielzahl an Optionen für Menschen mit verschiedenen Arten von Sehbehinderungen. Neben Standardoptionen, wie verstellbaren Text- und UI-Grössen, enthält das Spiel auch einige aufwändigere Features. Besonders eindrücklich ist der Render-Modus mit hohem Kontrast.
In diesem Modus wird die Farbsättigung der Spielumgebung auf ein Minimum reduziert und wichtige interaktive Elemente werden mit knalligen Farben hervorgehoben. Die Farben sind frei wählbar und der Modus kann mit einem Shortcut über das Touchpad des PS5-Controllers jederzeit aktiviert und deaktiviert werden. Im Beispiel unten habe ich Kratos und seinen Sohn Atreus gelb und die Draugr-Gegner rot eingefärbt. Die hirnlosen Zombies sind im Nebel von Niflheim mit einem roten Anstrich viel besser erkennbar.
Ausserhalb von Kämpfen kann der Modus ebenfalls hilfreich sein. Im Spiel kannst du insgesamt 48 magische – und ziemlich gut versteckte – Krähen töten. Mit hohem Kontrast sind die Viecher viel besser sichtbar. Ein Feature, das ich bei der Komplettierung des Games auch nutzen werde.
Auch sämtliche interaktive Elemente – wie Schatztruhen, zerstörbare Objekte oder begehbare Wege – werden in diesem Modus hervorgehoben.
Falls die visuellen Hilfen nicht ausreichen, kann zudem ein Modus mit Audio-Hinweisen aktiviert werden. Das Game verfügt über ein ausführliches Audio-Glossar, das zahlreiche visuelle Hinweise in kurze Audiosignale übersetzt. Im Video unten siehst du das Audio-System in Aktion.
Das Spiel verrät mir mit einem kurzen Piepton, dass vor mir ein sammelbarer Gegenstand liegt, den ich aber noch nicht einsammeln kann. In einem zweiten Schritt gibt mir das Audio-System den Hinweis, dass mein Begleiter Atreus die kleine Steinmauer zwischen mir und dem Gegenstand mit einem Pfeil zerstören kann. Der Weg ist jetzt frei und ich bekomme ein weiteres Signal, das mir bestätigt, dass ich den Gegenstand nun einsammeln kann.
Ein weiteres Audio-Hilfsmittel ist der Screenreader, der Texte in den Menüs und in der Spielumgebung vorliest. Schade ist, dass der Reader momentan in den meisten Menüs nicht funktioniert – vor allem in der teils unübersichtlichen Weltkarte hätte das Feature für Menschen mit Sehbehinderung grosses Potenzial.
Barrierefreiheit für Menschen mit Hörbehinderung
Für schwerhörige Spieler und Spielerinnen bietet «God of War: Ragnarök» eine Vielzahl an Optionen für Untertitel. Diese beschränken sich nicht nur auf gesprochene Dialoge, sondern inkludieren auch detaillierte Beschreibungen der Hintergrundmusik und Umgebungsgeräusche.
In vielen Situationen ist es aber nicht nur wichtig zu wissen, wie sich ein Geräusch anhört, sondern auch woher es kommt. Darum hast du die Möglichkeit, zusätzliche Richtungspfeile neben den Untertiteln zu aktivieren.
Im Beispiel unten löse ich ein Rätsel, bei dem ich Geysire mit Kratos Axt einfrieren muss. Die Untertitel geben mir Hinweise zum aktuellen Stand der Geysire und verraten mir, wo sich die Fontänen befinden.
Barrierefreiheit für Menschen mit motorischen Einschränkungen
Für viele Gamer ist der Controller die grösste Barriere beim Spielen. Vor allem actiongeladene und schnelle Games wie «God of War: Ragnarök» verlangen ihrem Publikum so einiges ab. Knöpfe werden in schneller Abfolge gedrückt, die zwei Analog-Sticks müssen gleichzeitig bedient werden und die Trigger auf der Rückseite des Controllers sind ebenfalls pausenlos im Einsatz. Für motorisch eingeschränkte Menschen ist dieser Grad an Komplexität oft unüberwindbar.
Um die Controller-Inputs zumindest ein bisschen zu vereinfachen, bietet «God of War: Ragnarök» einige Optionen, mit denen Kratos' Aktionen automatisiert werden können. So kann ich beispielsweise einstellen, dass sich die Kamera automatisch auf Gegner ausrichtet oder dass Kratos automatisch sprintet, Items sammelt und Gegner mit einem finalen Spezialangriff niedermetzelt.
Persönlich war ich froh um die Option, mit der ich schnelles Button-Mashing durch einen langen Druck auf einen Knopf ersetzen kann. Nach einer Verletzung am rechten Arm habe ich meinen Daumen tagelang nicht gespürt und konnte ihn nur schlecht bewegen. Das wiederholte, schnelle Drücken eines Knopfs wäre für mich nicht möglich gewesen.
Besonders spannend finde ich den Navigationsassistenten im Game. Dieser richtet die Kamera auf Knopfdruck in die Richtung des gerade aktiven Ziels aus und führt mich im Brotkrümelprinzip durch die Levels. Der Navigationsassistent kann auch für Menschen mit Sehbehinderung sehr hilfreich sein.
Die Brotkrümelnavigation funktioniert vor allem in kleineren, geschlossenen Levels gut. In den offenen Spielgebieten, in denen ich die Umgebung frei erkunden kann, führt mich der Assistent ab und zu vor eine unüberwindbare Mauer. Trotzdem bin ich vom Prinzip fasziniert – und ich bin gespannt, wie die Playstation-Studios das Ganze in kommenden First-Party-Games weiterentwickeln werden.
Barrierefreiheit in «God of War: Ragnarök» aus der Sicht eines Betroffenen
Nachdem ich mich durch die über 70 Einstellungsmöglichkeiten für Barrierefreiheit durchprobiert habe, wollte ich wissen, wie die Features bei den Betroffenen ankommen. Auf Websites wie «Can I Play That?» und «DAGER» werden Reviews zu aktuellen Games aus der Perspektive von eingeschränkten Spielern publiziert.
Der Autor von «Can I Play That?» lobt in seiner Rezension die Fülle an verschiedenen Barrierefreiheitoptionen. Besonders positiv fallen die visuellen Hilfsmittel und das Automatisieren von Kratos Interaktionen auf. Bemängelt wird die inkonsequente Implementation des Screenreaders sowie der teilweise unzuverlässige Navigationsassistent.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der blinde Content Creator Steve Saylor, der das Game auf seinem Youtube-Kanal detailliert bewertet.
Mein Fazit: Games sind für alle da
Das Thema Barrierefreiheit in Games fasziniert mich seit dem Release von «Uncharted 4: A Thief's End» 2016. Zum Launch hat das Entwicklerstudio Naughty Dog ein kurzes Behind-the-Scenes-Video veröffentlicht, in dem auf die – aus heutiger Sicht ziemlich rudimentären – Accessibility-Optionen eingegangen wird.
Besonders das Zitat von Josh Straub, Editor in Chief bei DAGER, ist mir in Erinnerung geblieben (im Video ab vier Minuten und zwölf Sekunden): «Wenn ich ein Spiel einschalte, bin ich nicht an einen Rollstuhl gefesselt. Ich bin ein Haudegen, ein Schatzsucher wie Nathan Drake. Diese kurze Zeit der Flucht ist der Grund, warum Barrierefreiheit so wichtig ist».
Barrierefreiheitoptionen sind keine «Easy Modes» oder Cheats. Sie können implementiert werden, ohne das Kerndesign des Games zu beeinträchtigen. Sie erlauben es Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Games zu geniessen und in fremde Welten einzutauchen. Die Implementation dieser Optionen in «God of War: Ragnarök» und anderen Playstation-Games ist nicht perfekt, aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Auch ausserhalb des Playstation-Universums gibt es vereinzelten Bemühungen, das Thema voranzutreiben. Trotzdem wünsche ich mir, dass Barrierefreiheit industrieweit etwas systematischer angegangen wird. Das ist aufgrund der Interaktivität und grossen Bandbreite von Genres wahrlich nicht einfach. Aber trotzdem wäre es schön, wenn zumindest die grossen AAA-Publisher voneinander lernen und sich auf einen Mindeststandard für Barrierefreiheit bei grossen Produktionen einigen. Denn Games sind für alle da.
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.