
Hintergrund
«Acrylglas ist das neue Gold»
von Carolin Teufelberger
Sie hält Bilder an der Wand, Möbel zusammen und für so einige Metaphern her. Die Schraube ist allgegenwärtig. Aber seit wann gibt es sie überhaupt?
Eine Schraube locker haben. Das ist weder wörtlich noch im übertragenen Sinn wünschenswert. Zumindest in unserer abendländischen Kultur halten Schrauben die Welt seit gut 400 Jahren zusammen, auch wenn dies gerne dem Gaffer Tape nachgesagt wird.
Schon in der Bronzezeit, also etwa 2200 bis 800 v. Chr., wurde die Spirale als Zierelement an Schmuck, Keramik und Waffen verwendet. Über Jahrhunderte hinweg blieb die Spirale ein beliebtes Ornament. Kein Wunder, tritt sie doch häufig in der Natur auf. So zum Beispiel bei Schneckenhäusern, Muscheln und Pflanzen, aber auch unsere DNA ist spiralförmig. Okay, das ist nicht ganz korrekt, denn vieles davon ist eigentlich helixförmig. Umgangssprachlich verwenden wir für alles, was irgendwie immer grössere Kreise zieht, das Wort «Spirale». In der Geometrie ist das nur für zweidimensionale Formen korrekt, dreidimensionale nennt man eben Helix. Darunter fällt auch die Schraube. Diesen Fehler, wenn er damals überhaupt schon einer war, machte schon Johann Wolfgang von Goethe und fasste seine Erkenntnisse und Beobachtungen in der Natur als Spiraltendenz zusammen.
Ihren ersten mechanischen Einsatz hatte die Schraube vermutlich im 3. Jahrhundert vor Christus. Der griechische Mathematiker und Physiker Archimedes, der unter anderem die Hebelgesetze formulierte, soll auch Erfinder der archimedischen Schraube gewesen sein. Mit diesem Konstrukt wurde in der Antike Wasser auf ein höheres Niveau transportiert. Inspiriert dazu soll ihn eine Studienreise nach Ägypten haben, wo schon einfachere Förderanlagen existierten.
Bei den Römern wurde dann das Spekulum erfunden, das noch heute für vaginale Untersuchungen dient. Mittels eines meist bronzenen Schraubengewindes konnte der eingeführte Zapfen gespreizt werden und ermöglichte so längere Untersuchungen und Operationen. Aber auch an Olivenöl- und Weinpressen waren solche Bewegungsschrauben in Form von Spindeln zu finden. Hierfür wurde aber nicht mit Bronze, sondern mehrheitlich mit Eichenholz gearbeitet. Das Prinzip dieser Spindelpressen sollte später auch der Münzprägung und dem Buchdruck dienen.
Alles wichtige Erfindungen, die bis heute nachhallen. Doch bislang basieren sie alle auf dem Prinzip der Kraftverschiebung. Es sind also sogenannte Bewegungsschrauben. Die Befestigungsschraube spielte noch keine Rolle. Das änderte sich im Mittelalter. Im 15. Jahrhundert n. Chr. wurden für die Gelenke an Ritterrüstungen vereinzelt Schrauben verwendet. Die festen Verbindungen hingegen wurden verschweisst oder vernietet. Ende des 15. Jahrhunderts fand auch zum ersten Mal der Schraubenzieher Erwähnung. Im «Mittelalterlichen Hausbuch des Schloss Wolfegg» wurde er als birnenförmig und für Schlitzschrauben tauglich dargestellt.
Von einer Flut an Schrauben konnte aber noch keine Rede sein. Die Gewinde wurden in Schmiedewerkstätten von Hand in das Metall gefeilt. Erst die Renaissance brachte Bewegung in die Schraubensache. Denn der Fortschritt des Geistes und der Wissenschaft verlangte immer genauere Geräte. Vor allem das Aufkommen der feinmechanischen Uhrmacherei machte es unmöglich, die Schrauben von Hand zu schleifen. Matrizen, also gehärtete «Schablonen» aus Metall, waren die Lösung. Der Schraubenrohling wurde mehrfach durch sie hindurch gepresst, bis das Material die gewünschte Form hatte. In der Renaissance feierten dann auch die römischen Bewegungsschrauben eine Renaissance, die – wie so vieles – im Mittelalter in Vergessenheit gerieten.
Und dann kam die Industrielle Revolution. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts war auf einmal Schluss mit Einzelstücken und Spezialberufen. Akkordarbeit und Massenproduktion hielten Einzug. Mit der Erfindung der Dampfmaschine wurden Unmengen an mechanischen Einzelteilen und daher auch Schrauben benötigt. Gleichzeitig brauchte es den Umstieg von Hand- zu maschineller Arbeit und die Energieerzeugung durch die Dampfmaschine auch, um Schrauben überhaupt massenhaft herstellen zu können. 1770 baute der englische Optiker Jesse Ramsden die erste funktionierende Drehmaschine, bei der mit einem Meissel in Rotationsbewegung geschnitten wurde. 1797 dann liess sich Henry Maudslay eine Gewindeschneidemaschine patentieren. Es folgten die Herstellung des Handschraubenziehers und neue Schraubenköpfe.
Die Schraube war etabliert. Doch jede Manufaktur hatte eigene Formen und Grössen. Den ersten Schritt in Richtung Normierung machte 1841 Joseph Whitworth mit dem Vorschlag einer standardisierten Gewindegrösse. Doch international wurden weiterhin die unterschiedlichsten Schrauben benutzt. Das wurde spätestens im Ersten Weltkrieg zum Problem. Der fehlende Standard führte dazu, dass Schrauben an Maschinen und Waffen, die die Alliierten unter sich verteilten, nicht einfach ausgetauscht werden konnten. Man würde meinen, dass dieses Problem in den 21 Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg gelöst werden konnte. Nein. Die Probleme wurden durch Weiterentwicklung der Waffen eher noch grösser. Immerhin setzten sich Grossbritannien, die USA und Kanada an den runden Tisch und fanden zum Unified-Standard. Doch, fällt dir was auf? All diese Länder nutzen das «Imperial System» (Kanada kam 1985 zur Vernunft) als Masseinheit und der Standard wurde von Ländern mit dem metrischen System natürlich nicht übernommen.
Erst 1998 einigte man sich auf das metrische ISO-Gewinde als weltweiten Standard, auch wenn andere Grössen, wie das Whitworth-Gewinde, noch immer in Gebrauch sind. Eine Schraube locker haben bezieht sich übrigens darauf, dass eine Maschine, bei der eine Schraube locker ist, nicht richtig funktioniert. Seit wann genau, die Redewendung im Einsatz ist, ist unklar, aber es wird wohl kaum vor der Industriellen Revolution gewesen sein.
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.