Warum ich (fast) alles an «Vaiana 2» liebe
Acht Jahre nach «Vaiana» segelt die Fortsetzung los, um die Kinoleinwände zu erobern. Und der Wind dafür steht günstig. «Vaiana 2» bleibt im Fahrwasser seines Vorgängers – und macht damit vieles richtig.
Disclaimer: Die folgende Filmkritik enthält keine Spoiler. Ich verrate dir nicht mehr, als ohnehin schon bekannt und in den Trailern zu sehen ist.
«I am Vaiana», singe ich nach dem Abspann noch lange immer wieder vor mich hin. Leise, versteht sich. Denn erstens bin ich ganz offensichtlich nicht Vaiana, und zweitens kann ich gar nicht singen. Dass ich es dennoch tue, hat viel mit dem Film zu tun, den ich soeben gesehen habe: «Vaiana 2» lässt mich beschwingt zurück, um nicht zu sagen glücklich. Warum ist das so? Werde ich als ausgewiesener Musicalfilm-Grinch etwa doch noch altersmilde? Wir werden sehen.
Darum geht’s in «Vaiana 2»
Aus Vaiana ist eine junge Frau geworden. Drei Jahre sind vergangen, seit sie die Insel Motunui in Polynesien, die Heimat ihres Stammes, gerettet hat. Tatkräftige Unterstützung erhielt sie dabei von Halbgott Maui, der ihr und ihrem Stamm den ganzen Mist erst eingebrockt hatte. Fast noch wichtiger: Mit ihrem Wagemut, quer durch den Pazifik und zurück zu segeln, hat Vaiana aus ihrem Stamm wieder das gemacht, was ihre Ahnen einst waren: Seeleute.
Seither segelt die inzwischen 19-jährige Vaiana immer wieder im Pazifik umher, auf der Suche nach weiteren Stämmen, anderen Menschen. Als sie tatsächlich mit einem entsprechenden Hinweis nach Motonui zurückkehrt, beschliesst ihr Vater, der Stammeshäuptling, ihr den traditionellen Seefahrertitel «Tautai» zu verleihen.
Während der dazugehörigen Zeremonie hat Vaiana eine Vision, in der ihr ein Vorfahr erscheint, ein anderer «Tautai». Von ihm erfährt sie, dass die sagenumwobene Insel Motufetu der Schlüssel zur Vereinigung aller polynesischer Völker und Stämme ist. Das Problem: Der Sturmgott Nalo hält von einer solchen Vereinigung so gar nichts und hat das besagte Eiland deshalb verflucht. Und so machen sich Vaiana und ihre zusammengewürfelte Crew auf eine abenteuerliche Reise, um den Tag zu retten.
Ihre tierischen Sidekicks aus dem ersten Teil dürfen dabei genauso wenig fehlen wie der nonchalante Halbgott Maui und die Kakamora, durchgeknallte Kokosnussfreibeuter.
Die Odyssee von «Vaiana 2»
2016 im Kino gestartet, entwickelte sich «Vaiana» zu einem respektablen Kassenschlager mit einem weltweiten Einspielergebnis von knapp 700 Millionen US-Dollar. So richtig durch die Decke gegangen ist er aber erst im Heimkino: Mit mehr als 80 Milliarden gestreamten Minuten ist er für Disney+ der bis dato erfolgreichste Film überhaupt.
Trotzdem war zunächst lediglich eine «Vaiana»-Serie für Disney+ geplant, an der auch schon fleissig gearbeitet wurde. Erst als «Vaiana» 2023 plattformübergreifend der meistgestreamte Film in den USA war, schwenkten Disney-CEO Bob Iger und sein Team um und kündigten ein Sequel an.
Eine goldrichtige Entscheidung, wie es scheint. Der erste «Vaiana 2»-Trailer wurde innert 24 Stunden 178 Millionen Mal aufgerufen. Das macht ihn zum meistgesehenen Trailer eines Animationsfilms von Disney macht. Zudem rechnen Branchenportale wie etwa Boxoffice Pro auch für den Kinostart mit einem neuen Rekord.
Aber ist der sich anbahnende Erfolg für «Vaiana 2» denn überhaupt gerechtfertigt? Wenn du mich fragst: ja.
Die Geschichte wiederholt sich
Ich durfte dieses Jahr schon «Inside Out 2» besprechen, den inzwischen umsatzstärksten Animationsfilm aller Zeiten, mit einem weltweiten Einspielergebnis von rund 1,7 Milliarden Dollar. Auch ich hatte grossen Spass an dem Gefühlsspektakel, fand ihn in der Summe aber doch etwas gar routiniert und seinem Vorgänger zu ähnlich.
Dasselbe könnte oder müsste ich jetzt eigentlich auch über «Vaiana 2» sagen. Das Schema des erfolgreichen ersten Teils wird nahezu identisch weitergestrickt, abgesehen von ein paar neuen Figuren und einer etwas anderen Mission. Im Gegensatz zu «Inside Out 2» fühlt sich das bei «Vaiana 2» für mich aber kein bisschen routiniert oder aufgesetzt an.
Sei es beim Animationsstil, der Musik, dem Humor und der Action, der Film knüpft praktisch nahtlos an den Vorgänger an. Trotzdem kommt «Vaiana 2» so unbekümmert und erfrischend daher, dass er mich gerne darüber hinwegsehen lässt, alles so ähnlich schon mal gesehen zu haben. Aus Vaiana ist nicht nur eine junge Frau geworden, sie ist auch aus ihrem eigenen Schatten getreten.
Endgültig um den Finger gewickelt hat mich übrigens Vaianas kleine Schwester Simea, vielleicht weil ich selbst so eine kleine Tochter zu Hause habe. Simea hat nicht viele Szenen, dafür ist jede einzelne emotional aufgeladen. Sie hat mir sogar feuchte Augen beschert.
Music makes the world go round
Ich habe es schon erwähnt, Musicalfilme sind überhaupt nicht mein Genre. Dieser ständige Singsang zwischendurch hat für mich nichts mit Filmgenuss am Hut. Die einzige Ausnahme, die ich seit jeher gelten lasse, sind die Animationsfilme von Disney. Tatsächlich stören mich die Gesangseinlagen auch bei «Vaiana 2» nicht. Das hat viel damit zu tun, dass sie die Geschichte vorantreiben, oder besser gesagt, sie sind Teil der Geschichte. Ganz im Gegensatz zu beispielsweise «Joker 2: Folie à Deux», wo die Musical-Einlagen meist nur das wiederholen, was die Zuschauenden sowieso schon wissen und eben erst gesehen haben, wie Kollege Luca völlig zu Recht bemängelt.
Apropos Musik: So manch eine und einer bedauert, dass Lin-Manuel Miranda bei «Vaiana 2» nicht mehr an Bord ist. Der US-Komponist hat für den ersten Teil unter anderem die Musik und den Text für den Song «How far I’ll go» geschrieben, der ihm einen Grammy und eine Oscar-Nominierung einbrachte. Für Miranda springen nun die Grammy-Preisträgerinnen Abigail Barlow und Emily Bear in die Bresche. Und das tun sie ordentlich; meinen ungeübten Filmmusik-Ohren ist jedenfalls kein Qualitätsabfall aufgefallen. Und mit «Beyond» steht für alle Fans auch wieder ein potenzieller Ohrwurm in den Startlöchern. Ich sag’s ja: «I am Vaiana!»
Ach ja, bleibt während des Abspanns unbedingt sitzen … da kommt noch was.
«Vaiana 2» läuft ab dem 27. November in den Schweizer Kinos. Laufzeit: 100 Minuten. Freigegeben ab 6 Jahren.
Fazit
Würdige Fortsetzung eines grossartigen Vorgängers
«Vaiana 2» führt die Geschichte des ersten Teils in allen Belangen nahtlos weiter, ohne sich hinter seinem Vorgänger verstecken zu müssen. Die Figuren rund um Vaiana, sowohl die bekannten als auch die neuen, wirken auch in der Fortsetzung frisch und unverbraucht. Die Animationen sind wunderschön, die Witze zünden immer noch und die emotionalen Szenen sind fein dosiert, ohne dass es gefühlsduselig wird.
Die Geschichte hat Drive und unterhält über die gesamte Laufzeit von 100 Minuten. Vielleicht hat der Film sogar zu viel Drive. Vereinzelte Szenen wirken zu episodenhaft, einige Szenenwechsel abrupt. Das ist möglicherweise dem Fakt geschuldet, dass «Vaiana 2» ursprünglich als Serie geplant war.
Nein, das Animationsfilm-Rad erfindet «Vaiana 2» ganz sicher nicht neu. Dafür ist er seinem Vorgänger zu ähnlich. Das ändert nichts daran, dass das Regiedebüt von David G. Derrick Jr. wunderbare und leichtfüssige Unterhaltung für Gross und Klein ist. Und das ist auch genau das, was «Vaiana 2» sein will. In diesem Sinne: Chee Hoo!
Ich bin Vollblut-Papi und -Ehemann, Teilzeit-Nerd und -Hühnerbauer, Katzenbändiger und Tierliebhaber. Ich wüsste gerne alles und weiss doch nichts. Können tue ich noch viel weniger, dafür lerne ich täglich etwas Neues dazu. Was mir liegt, ist der Umgang mit Worten, gesprochen und geschrieben. Und das darf ich hier unter Beweis stellen.