Hinter den Kulissen

Verbesserte Finanzplanung dank neuem Demand Forecast Modell

Unsere Finanzplanung ermöglicht es uns, unsere Strategie zu plausibilisieren und uns realistische Ziele zu setzen. Basierend darauf entscheiden wir zum Beispiel, wann neue Lagerflächen benötigt werden, wie viel Fixkosten wir aufbauen können oder wie viel Liquidität wir brauchen. In unserer Bestrebung, unsere Prozesse kontinuierlich zu verbessern, haben wir den Demand Forecast als wichtigsten Treiber der Finanzplanung von Grund auf neu entwickelt und damit zu einer Steigerung unserer Planungsqualität und -effizienz beigetragen.

Unser Demand Forecast prognostiziert die tägliche Kundennachfrage in Stück pro Produktgruppe, Kundentyp, Geschäftsmodell und Verkaufsland. Daraus leitet unser Finanzmodel Metriken wie zum Beispiel den Umsatz, den Deckungsbeitrag, die Anzahl Lieferungen oder Retouren ab. In der Logistik sind die täglichen Stückzahlen ein Indikator für die Personalplanung. All diese Treiber hängen direkt oder indirekt vom Demand Forecast ab, welcher uns bekannte Schwächen aufwies. So wurden zum Beispiel Samstage systematisch überschätzt oder die Black Friday Week wurde unterschätzt. Der langfristige Trend in der Entwicklung der Produktgruppen wich teils im zweistelligen Prozentbereich von den Erwartungen unseres Category Managements ab. Weiter konnten Nachfrageschocks nicht so einfach erkannt und vom Modelltraining ausgeschlossen werden. Das führte zum Beispiel zu unsinnigem Wachstum von Desinfektionsmittel (nach dem Ausbruch der Covid-Pandemie) wie auch von Energiespeichern und Drohnen (nach Ausbruch des Ukraine Kriegs).

Tägliche Bestellmengen für Desinfektionsmittel in der Schweiz.
Tägliche Bestellmengen für Desinfektionsmittel in der Schweiz.

Um die bekannten Schwächen zu vermeiden, haben wir zahlreiche Anpassungen vorgenommen. Während wir ursprünglich alle Zeitreihen mit ein und demselben von Meta entwickeltem Modell namens Prophet schätzten, entscheiden wir neu im ersten Schritt, welche Art von Model sich am besten für die Vorhersage der zugrunde liegenden Zeitreihe eignet. Basierend auf der Verteilung der Daten schätzen wir den Trend und die Saisonalitäten separat oder erlauben dem Model auch Tage, an denen kein einziges Stück verkauft wird. Wir unterscheiden aktuell zwischen 5 Modelltypen und können diese in Zukunft beliebig erweitern, sobald wir bemerken, dass ein uns bis anhin unbekanntes Datenmuster von keinem der bestehenden Typen korrekt modelliert werden kann. Bei der Vielfalt an unterschiedlichen Zeitreihen ist dies auch dringend notwendig. So verkaufen wir zum Beispiel keine Adventskalender im Sommer, dafür Gartenlounges und Autozubehör. Windeln oder Oatly Hafermilch verkaufen wir in einer stetig wachsenden Stückzahl. Firmenkunden bestellen in der Regel nicht am Wochenende, aber bei Privatkunden ist der Sonntag oft der Wochentag mit der stärksten Nachfrage.

Zahlreiche Erneuerungen führen zu deutlich besserem Nachfragemodel

Zusätzlich stellte sich die Frage, auf welcher Granularität wir die Nachfrage am besten schätzen können und welche für unser Finanzmodel am besten geeignet ist. In dem einen Extremfall, auf Produktebene, müssten wir eine Vorhersage für mehrere Millionen Zeitreihen generieren und im anderen Extremfall, aggregiert über alle Produkte, würden wir viele produktspezifische Eigenschaften verlieren. Nach verschiedenen Tests haben wir einen Mittelweg gefunden, sodass wir einerseits genügend granular bleiben, um die saisonalen Eigenheiten der Produktgruppen nicht zu verlieren, aber andererseits genügend Daten für eine belastbare Vorhersage zur Verfügung haben. Dies führte zu einer deutlichen kleineren Anzahl an Zeitreihen, für welche bis anhin eine Nachfrage prognostiziert wurde. Dank dieser Reduktion lässt sich auch unser Monitoring mit geringerem Aufwand durchführen. So können wir nun individuelle Anpassungen wie zum Beispiel eines kürzeren Trainingszeitraums oder einer vom Modeltypen abweichenden Modelparameterkonfiguration mit vertretbarem Aufwand umsetzen.

Während es in der Vergangenheit jeweils eine grosse Herausforderung war, für die Black Friday Week und die Woche vor und nach Weihnachten eine akkurate Vorhersage zu treffen, können wir diese zwei Perioden dank zusätzlichen Modellen jeweils mit vergleichbarer Genauigkeit wie den Rest des Jahres prognostizieren. Einerseits war der Effekt des Zusammenspiels von Wochentag und Feiertag während Weihnachten für ein Model schwierig zu erlernen (fällt der 23. Dezember auf einen Samstag, werden keine Pakete am 24. Dezember ausgeliefert), da diese Kombination von Wochentag und Feiertag in den historischen Daten nur ein- bis maximal zweimal vorkommt. Andererseits wurde vor 2 Jahren die Black Friday Week eingeführt, um die Spitze vom Black Friday besser auf die Woche zu verteilen und dadurch die Logistik zu entlasten. Ersteres Problem haben wir gelöst, indem wir für die Feiertage separate Modelle trainieren, welche von Daten von mehreren Zeitreihen gleichzeitig lernen und so die Kombination von Wochentag und Feiertag mehrmals in den Trainingsdaten sehen. Letzteres konnten wir beheben, indem wir ein weiteres zusätzliches Model trainieren, welches eine Vorhersage für die gesamte Nachfrage während der Black Friday Week tätigt und diese dann sinnvoll auf die einzelnen Wochentage verteilt.

Tägliche Bestellmengen in der Schweiz im Verlauf.
Tägliche Bestellmengen in der Schweiz im Verlauf.

Hat sich der Aufwand gelohnt? Die obige Grafik gibt Aufschluss: Wir sehen die aggregierten Vorhersagen für die Schweiz. Um einen fairen Vergleich zu ermöglichen, haben wir das bisherige und das neue Modell mit den gleichen Daten bis Anfang November 2023 trainiert und eine Vorhersage für die folgenden 12 Monate generiert. Dies entspricht exakt dem Budgetplanungsprozess. Ein Vergleich zeigt, dass die blaue Linie (die neue Vorhersage) der schwarzen Linie (den Ist-Werten) fast deckungsgleich folgt. Die wöchentliche Saisonalität, die Black Friday Woche, Weihnachten, sowie der generelle Trend sind allesamt besser geworden. Wurden die Samstag vom bisherigen Vorhersage Model noch konstant überschätzt (erkennbar an den grünen, positiven vertikalen Balken in regelmässigen Abständen), ist kein systematischer Fehler bei den blauen, positiven vertikalen Balken (den Residuen) mehr erkennbar.

Die Verbesserung zeigt sich auch in den Metriken: Der durchschnittliche prozentuale Fehler konnte von 16% auf 7% während der gesamten einjährigen Evaluationsperiode verbessert werden. Etwas technischer: Die R-Squared Metrik, welche beschreibt, welcher Anteil der Varianz der Zielvariable erklärt werden kann, konnte von 34% auf über 90% verbessert werden.

Bessere Vorhersagen auf sämtlichen Produkthierarchien und deren Grenzen

Letztendlich setzt sich die aggregierte Vorhersage wie in der obigen Grafik aus zahlreichen Vorhersagen auf tieferer Hierarchiestufen zusammen. Die Genauigkeit für die Vorhersage auf oberster Ebene hängt damit direkt von der Genauigkeit der Vorhersagen auf den tiefsten Ebenen ab. Die untenstehende, linke Grafik zeigt zum Beispiel die Nachfrage für die Produktgruppe Computing in der Schweiz. Die Wochensaisonalität ist auch hier deutlich exakter modelliert als bis anhin.

Tägliche Bestellmengen für Computing in der Schweiz
Tägliche Bestellmengen für Computing in der Schweiz
Tägliche Bestellmengen für Wassersport in der Schweiz.
Tägliche Bestellmengen für Wassersport in der Schweiz.

Trotzdem sollte man das neue Model nicht als Orakel betrachten. Es gibt immer Dinge, die ein Langzeitprognosemodel nicht ein Jahr im Voraus wissen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist die Vorhersage der Produktgruppe Wassersport. Wie in obiger, rechter Grafik ersichtlich ist, wurde die effektive Nachfrage nach Wassersportartikel im Juli und August ziemlich unterschätzt. Grund dafür ist das schwankende Wetter, welches wir nicht im Voraus vorhersagen können. Das Model nimmt einen Durchschnittswert über die letzten Jahre an, welcher deutlich zu tief liegt. Nicht zuletzt können auch Marketingaktivitäten wie zum Beispiel eine Gutschein-Aktion oder kurzfristige Anpassungen am Pricing dazu führen, dass die Realität anders kommt, als wir sie geplant hatten. Diese Faktoren kann unser Nachfragemodel nicht bereits ein Jahr im Voraus kennen.

In Summe können wir klar bestätigen, dass sich die Entwicklung eines neuen Demand Forecast Modells für die Finanzplanung gelohnt hat. Wir können die Entwicklung der Kundennachfrage aus heutiger Sicht mit hoher Zuverlässigkeit schätzen. Das gibt uns Vertrauen in unsere ambitionierten Ziele und den Mut, auch weiterhin „piratisch“ Opportunitäten zu nutzen. Alles wissen wir heute noch nicht, aber wir sind so aufgestellt, dass wir schnell auf geänderte Rahmenbedingungen reagieren können.

22 Personen gefällt dieser Artikel


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hinter den Kulissen

    Lego und iPhone: Danach sucht die Kundschaft am häufigsten

    von Manuel Wenk

  • Hinter den Kulissen

    Von schwankenden Preisen und begrenzten Vorräten

    von Martin Jungfer

  • Hinter den Kulissen

    «Das Preistransparenztool hat die Beziehung zur Marke Galaxus verstärkt»

    von Tobias Billeter

Kommentare

Avatar