
Hintergrund
Wir müssen schon wieder reden, Thermomix
von Luca Fontana
Die Patrouille Suisse, das fliegende Aushängeschild des Schweizer Militärs, ist seit Neustem auf TikTok. Ich habe zwei Piloten besucht und mit ihnen über Social Media und ihre Jobs als Militärpiloten gesprochen.
Die Bustüre öffnet sich und der Himmel grollt, als würde soeben ein Jahrhundertgewitter über Emmen ziehen. Etwas verloren stehe ich zwischen dem hohen Flughafenzaun und einem Acker und frage mich, wo die Kunstfliegerstaffel des Schweizer Militärs gleich landet. Eine Spaziergängerin scheint mein Problem erkannt zu haben, ihre Mütze mit Patrouille-Suisse-Schriftzug ist Indiz, dass sie mehr weiss. «Gäge de Wind, det änä uf sebigem Rollfeld lande sie iez». Wenige Augenblicke später düsen die sechs weiss-roten Jets mit ohrenbetäubenden Krach über meinen Kopf hinweg und setzen auf dem Militärflugplatz auf.
Ein paar Minuten später und endlich vor dem richtigen Eingang angekommen, holt mich Hauptmann und Patrouille-Suisse-Pilot Claudius – Pilotenname Mac – Meier ab. Er trägt Sonnenbrille und einen feinen Abdruck seines Helms im Gesicht. Eben noch ist er mit 800 Kilometer pro Stunde über die Berner Alpen gebrettert. Das Training für die Flugshow Axalp stand auf dem Programm.
Seit zwei Monaten kann man die Manöver der Patrouille-Suisse-Piloten nicht nur auf dem Feld, sondern auch auf TikTok sehen. Mit den imposanten Videos hat Claudius, der seit drei Jahren bei der Kunstfliegerstaffel ist, in der kurzen Zeit über dreissigtausend Follower generiert – ein Senkrechtstart, wie ihn die Patrouille Suisse sonst nur mit ihren Jets hinlegt. Hauptsächlich ist die Perspektive direkt aus dem Cockpit zu sehen – also den Teil der Flugmanöver, die man sonst nie zu Gesicht bekommt.
Bevor ich den Flugplatz betreten darf, muss ich meine ID bei der Militärpolizei gegen einen Badge tauschen, dann erst darf ich durch eine Schleuse rein. Gleich hinter dem Eingang sitzen die weiteren fünf Piloten der Patrouille Suisse in ihren grünen Tenues und winken mir freundlich beim Vorbeigehen zu. Zusammen mit Claudius laufe ich zu den Hangars, dort stehen die Tiger-F-5E-Jets der Patrouille Suisse. Es ist warm in der hellen und steril wirkenden Flugzeughalle. Die Getriebe der Jets strahlen Hitze ab. Ein lauter Tanklaster, der noch den letzten Jet befüllt, sorgt dafür, dass ich kaum verstehe, was Claudius mir gerade über die Flugzeuge erzählt.
TikTok, die Plattform, die als Zuhause von unlustigen Tanzvideos gilt und die Kunststaffel der Schweizer Luftwaffe – wie passt das zusammen? «Ich wollte das schon länger und dann habe ich es einfach gemacht», meint Claudius trocken. Immerhin verstehe ich ihn unterdessen, da wir uns ins kleine Büro neben dem Hangar zurückgezogen haben. Er sei vis à vis vom Social-Media-Verantwortlichen gesessen, habe das kurz mit ihm besprochen und dann den Account erstellt. Als «Marketing-Abteilung des Militärs» hätten sie mehr Privilegien als andere Truppen, erklärt Claudius. Deshalb könnten sie sehr frei agieren. «Und aus dem Cockpit dürfen wir eh alles zeigen, da alle Systeme deklassifiziert, also nicht mehr geheim, sind».
Das erklärte Ziel mit TikTok: neue Followerinnen gewinnen. Dazu sei TikTok ein geniales Medium, so Claudius. Durch den Algorithmus würden andere User als zum Beispiel bei Instagram erreicht werden. Personen, die schon Fans der Patrouille Suisse sind, folgen der Fliegerstaffel auf Instagram und Facebook sowieso. Weil der TikTok-Algorithmus die Video-Vorschläge nicht nur auf Follows, sondern auch auf Interessen basiert, werden neue Userinnen erreicht. Videos mit vielen Reaktionen – also Likes und Kommentaren – werden vom TikTok-Algorithmus höher gewichtet und mehr ausgespielt.
Was Claudius mit dem TikTok-Kanal beabsichtigt hat, funktioniert: Die Patrouille Suisse erreicht auf TikTok innerhalb zwei Monaten etwa gleich viele Follower wie auf Instagram in fünf Jahren. Nur auf Facebook hat die Patrouille Suisse deutlich mehr Follower, was mit dem Generationen-Unterschied erklärt werden kann: Ältere Menschen, die grösste Fan-Gruppe der Patrouille Suisse, sind generell auf Facebook aktiv. Ein bisschen von dieser Fanbase hätten sie aber auch auf TikTok mitnehmen können, so Claudius. Wenn ältere Menschen also plötzlich auf TikTok sind, ist vielleicht die Patrouille Suisse schuld.
Die Mehrheit der Fans auf TikTok sind aber junge Menschen. Schaut man sich die Kommentare unter den Videos an, wird sehr viel geschwärmt und bewundert. Die Macht, Power und Präzision der Fliegerstaffel begeistert. Claudius nimmt sich Zeit, all die vielen Fragen und Kommentare unter dem Video zu beantworten. Das meiste macht er während seiner Freizeit. Eine häufige Frage? «Wie nah die Jets in den Formationen nebeneinander her fliegen». Die Antwort: «Meistens etwa drei bis vier Meter».
Mit dem TikTok-Gang hat Claudius auch auf das Interesse der jungen Menschen abgezielt – Nachwuchs-Militärpilotinnen sind gesucht. In einigen der spektakulären Videos macht die Patrouille Suisse deshalb Werbung für Sphair. Sphair ist eine Organisation des Bundes, die Schweizer Nachwuchspilotinnen sowie Fallschirmaufklärer*innen sucht und Eignungstests durchführt.
Auch Claudius hat das Sphair-Programm durchlaufen und ist hauptberuflicher F/A-18-Kampfjetpilot. Das Fliegen mit der Patrouille Suisse nimmt nur etwa 20 bis 30 Prozent seines Arbeitsalltages ein. Normalerweise ist Claudius in Payerne oder in Meiringen stationiert. Als Berufspilot trainiert er dort für diverse Szenarien und hat Luftpolizeidienst – übernimmt also die Sicherung und Überwachung des Schweizer Luftraums. Bevor ich etwas sagen kann, rückt er nach: «Nicht nur zu Bürozeiten. Wir schlafen auch dort und sind während 24 Stunden jeden Tag in der Woche mit zwei Flugzeugen innerhalb von 15 Minuten bereit».
Dass nicht die gesamte Bevölkerung Fans von der Fliegerei des Schweizer Militärs ist, ist spätestens seit den neuesten Kampfjet-Abstimmungen kein Geheimnis mehr. Diese wurde nur sehr knapp angenommen. Der Widerstand gegen die Luftwaffe ist gross. Trotzdem hat Claudius erst zehn Kommentare bei seinen Videos löschen müssen. Bei über 200 000 Likes eine sehr gute Quote. Auf anderen Kanälen der sozialen Medien sieht es anders aus, dort gibt's immer wieder militärkritische Kommentare.
Aber generell wisse man ja nie, wann sich ein Shitstorm über einem zusammenbraut – eine solche Welle könne einen immer erfassen, so Claudius. Gerade in der hitzigen Kampfjet-Situation und mit einer wachsenden Bewegung für eine Schweiz ohne Armee, die bereits einige Initiativen gegen Kampfjets lancierte. Aber davon ist eher die Luftwaffe betroffen als die Patrouille Suisse. Sie ist völlig losgelöst von der Kampagne. Auch der Bund selbst macht keinen Wahlkampf.
Claudius hat den TikTok-Kanal ins Leben gerufen, die Videos macht er aber nicht alleine.
Piloten-Kollege Lukas Nannini, Pilotenname Bigfoot, unterstützt ihn dabei tatkräftig. Wieder zurück im Hangar treffen wir ihn. Für unsere Bilder zieht er sich extra die schönen Kampfstiefel an. Lukas und Claudius diskutieren schmunzelnd, ob sie sich für die Bilder auf die Schultern nehmen oder doch lieber lasziv auf dem Flügel der Tiger-Jets posieren sollen.
Weil die Piloten während dem Fliegen natürlich nicht noch mit einer Kamera hantieren können, haben sie sich eine pragmatische sowie effiziente Lösung überlegt: Die Piloten befestigen und sichern GoPros im Cockpit. Diese müssen sie nur beim Starten einschalten. Seit einiger Zeit haben sie ein Modell, das im 360-Grad-Radius filmt. Sie fliegt immer wieder bei einem anderen Piloten mit – für die Abwechslung und weil das Video je nach Position in der Staffel besser oder schlechter aussieht.
Danach müssen Claudius und Lukas die Videos nur noch schneiden. Das machen sie mit dem Handy. Das gehe eigentlich ganz gut, erklärt mir der Lukas, bei dem man am Dialekt erahnen kann, dass er Tessiner ist. Sein grösstes Problem sei, dass er wegen den vielen Videos auf seinem iPhone keinen Speicherplatz mehr hat.
In einem Tiger-Jet holpert und wackelt es während des Fluges mächtig. Am meisten zwar draussen an den Flügeln und nicht im Cockpit selbst. Bei bis zu 6 g wirken jedoch enorme Kräfte auf die Kameras – und natürlich auf die Piloten selbst. «Die Stabilisierung der GoPros funktioniert meistens ganz gut», meint Lukas. Das ist auch in den Videos zu sehen, dort wirkt es, als wäre der Flug, bei dem das Sechsfache des eigenen Gewichts auf den Körper einwirkt, eine Sonntagsausfahrt ins Grüne.
Die GoPros scheinen im Jet das Modernste zu sein. «Die Jets sind 40 Jahre alt, an neue ist momentan nicht zu denken», sagt Lukas und wirkt etwas unglücklich. Die Patrouille Suisse fliegt mit diesen älteren Jets auf Sicht. Immer höchst konzentriert. Sie orientieren sich am Leader – also dem Piloten, der die Staffel anführt. «Den korrekten Abstand einzuhalten ist Handarbeit», erklärt mir Claudius. Zudem müssen sie die sogenannte Parallaxe korrigieren – das ist die Perspektive, wie die Flieger für Zuschauende von unten aussehen. Navigiert wird mit Papierkarten, die sich die Piloten in den Beintaschen vorne am Tenue befestigen. Dort sind Fixpunkte und Geometrien für die Piloten mit dem genauen Massstab eingezeichnet. Der Leader erstellt diese jeweils vor dem Einsatz und verteilt sie den Piloten.
Einige der Aufnahmen, die auf TikTok zu sehen sind, sind von aussen gefilmt und zeigen die gesamte Staffel. Sie sind mit einem siebten Tiger-Jet gefilmt, erklären mir die beiden Piloten. Im Ausland dient der siebte Jet als Ersatzflieger, falls bei einem anderen plötzlich ein technisches Problem auftritt. Meistens wird dieser von einem ehemaligen Patrouille-Suisse-Pilot geflogen. Am Heck des Fliegers ist aussen in einer Box eine Kamera angebracht – diese filmt zwar im Querformat, für TikTok können Lukas und Claudius die Aufnahmen aber einigermassen zurechtschneiden. Zudem sind viele Videos vom siebten Flieger schon älter und werden für den TikTok-Kanal wiederverwertet.
«Am liebsten filme ich, wenn es Wolken am Himmel hat. Das sieht am besten aus. Aber es ist auch schwieriger zu fliegen, als bei strahlend blauem Himmel», erzählt Lukas. Er probiert immer wieder gerne neue Winkel und Videoideen aus. Manchmal funktioniert etwas, dass er gar nicht wollte besser, als das was er eigentlich geplant hat. Eigentlich habe es sich auch so einfach ergeben, dass er zum Content-Creator der Patrouille Suisse geworden ist. Zuvor hatte er keine Erfahrung mit Filmen oder Fotografieren. Vieles würden sie sowieso als Team machen – wie es auch beim Fliegen der Fall ist, erzählt Lukas. «Es zählt die Gruppenleistung».
Claudius, der schon seit den Anfängen der App auf TikTok ist, hat die gesamte Crew der Patrouille Suisse mitgerissen. Mittlerweile haben auch die fünf weiteren Piloten einen TikTok-Account. Alle kämen mit Ideen für neue Videos, so Lukas. Viele Ideen würden sie zusammen diskutieren. «Ein Pilot sieht ein Video mit cooler Musik auf TikTok, das wir dann auch nachmachen.» Claudius erhebt Einspruch: «Viele Ideen können wir aber nicht umsetzen, weil sie nicht funktionieren würden.» Am wichtigsten sei es laut Claudius, dass es zu Beginn des Videos gleich Action gibt. Sonst würden die User*innen einfach weiterscrollen. Lukas sagt mir leise, dass es meistens seine Ideen seien, die Claudius ignoriere.
So auch die Idee, Tanzvideos und Choreografien, wie sie oft auf TikTok zu finden sind, nachzustellen. «Dass wir hier selbst herumtanzen, wird nicht passieren. Aber vielleicht möchte das ja sonst jemand auf diesem Flugplatz machen.»
Von einem kleinen Gerüst im Hangar lächelt ein älterer Herr herunter. Er amüsiert sich sichtlich über die Posen und Ideen der beiden Piloten. Der Herr gehört zur Technik-Crew, die für den Unterhalt der Patrouille-Suisse-Jets zuständig ist. Wir verlassen den Hangar und er kann endlich Feierabend machen. «Tschüss, bis morn», ruft er den beiden Piloten nach, als er das blaue Tor hinter uns schliesst. Draussen blendet die Sonne, die heute das erste Mal durch die Wolken drückt. Die Schnallen des Fallschirmrucksacks auf Lukas’ Rücken klimpern bei jedem Schritt über das Rollfeld. Während ich Claudius’ Helm trage, greifen die beiden Piloten nach ihren Sonnenbrillen. Mehr Top-Gun-Feeling geht nicht.
Experimentieren und Neues entdecken gehört zu meinen Leidenschaften. Manchmal läuft dabei etwas nicht wie es soll und im schlimmsten Fall geht etwas kaputt. Ansonsten bin ich seriensüchtig und kann deshalb nicht mehr auf Netflix verzichten. Im Sommer findet man mich aber draussen an der Sonne – am See oder an einem Musikfestival.