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The Forever Purge: Der kreative Bankrott eines Franchises

«The Forever Purge» verspricht Gewalt und Satire. Nur, dass letzteres nicht passiert, da der Macher der Purge-Serie sein eigenes Konzept verloren hat und Konflikte nicht aufbauen kann.

Es sollte eine Nacht werden. Eine Nacht, in der jedes Verbrechen legal ist. Mord, Vergewaltigung, Raub. Alles. Doch das amerikanische Volk des Jahres 2030 hat davon die Schnauze voll. The Purge, so wird diese Nacht genannt, soll weitergehen. Für immer.

Das ist der Plot von «The Forever Purge», dem fünften Film in der Purge-Serie, der heute ins Kino kommt.

Der Film ist ein Reinfall. Das aus gleich mehreren Gründen. Ausser du bist ein Hardcore-Ultra-Fan der Serie und du bist dir zu 100 Prozent sicher, dass da einer in leuchtenden Maske vor deinem Haus lauert und dich umbringt, es sei denn, du gehst ins Kino… lass es.

Satire: Eine Frage der Charaktere

Der Plot von «The Forever Purge» ist simpel, bis er komplett ausufert: Die New Founding Fathers of America, eine politische Partei, ist acht Jahre nach «The Purge: Election Year» wieder an der Macht. Die eine Nacht, in der jedes Verbrechen legal ist, ist wieder eingeführt. The Purge, so heisst die Nacht, soll der Aggression des Volkes Luft machen. Doch einige sind am Morgen danach immer noch sauer auf das System, die Welt und illegale Einwanderer. The Purge geht weiter. The Purge wird zu The Forever Purge. An diesem Morgen geht die Flucht los. Abgesehen von schwer bewaffneten Wutbürgern wollen die Gutmenschen aus den USA flüchten. Mexiko und Kanada sind die Hauptziele. Der Amerikanische Traum wird von «Geh in die USA und schaff dir dein Glück» zu «Fuck the USA! Nix wie raus hier!»

The Purge wird von James DeMonaco geschrieben. Nicht nur der fünfte Film, sondern auch alle vier davor. Bei einigen hat er sogar Regie geführt. Daher können die Filme als eine Art Kolumne verstanden werden. Alle paar Jahre gibt es eine neue Kolumne, in der James der Welt einen Zerrspiegel vorhalten will. Er will seine Satire zeigen, getarnt als Action/Horror-Filme.

In «The Forever Purge» will sich DeMonaco nicht der Präsidentschaft Donald Trumps annehmen, sondern den gesellschaftlichen Auswirkungen des «orangen Mannes». Er thematisiert Radikalisierung, Gewaltbereitschaft und Wut. Aber halt alles in einer Satire auf 11 hochgedreht.

Das Problem: Satire funktioniert nur dann, wenn jemandem vor den Kopf gestossen wird. Jedes Argument braucht zwei Seiten. In einer guten Filmsatire kann die zweite Seite gut und gerne auch das Publikum sein. In Paul Verhoevens «Starship Troopers» aus dem Jahre 1997 ist die zweite Seite des Arguments das Publikum. Der Film ist unverhohlen faschistisch, behandelt das als ganz normal und bricht nie mit der Narrative.

Irgendwann kommt dir als Zuschauer der Gedanke: Das ist alles irgendwie falsch. Spätestens in der Szene, in der Robert David Halls Rekrutierungsoffizier mit Stolz und ohne Ironie sagt: «Die Mobile Infanterie hat aus mir den Mann gemacht, der ich heute bin.» Ihm fehlen beide Beine und ein Arm.

Bleiben wir bei «The Forever Purge» und Satire. Damit der Film funktionieren könnte, bräuchte er die zwei Seiten. Da die Mehrheit der Menschheit – Hollywoodfilme sind ein globaler Markt – Donald Trump, Q Anon und die Proud Boys ablehnen, funktioniert die Starship-Troopers-Methode von «Die Welt der Leute im Film ist total gut» und dem Publikum als andere Seite nicht. Oder sie funktioniert zu gut. Denn wo es sicherlich grosse Fans des Militärs und der Kriegsfilme gibt, findet spätestens seit dem Sturm aufs Capitol niemand mehr die Proud Boys so richtig gut. Oder sie werden als Märtyrer verehrt. Daher muss die «andere Seite» im Film selbst vorkommen, was die zwei Hauptfiguren klar machen würde, wenn die Satire im Film funktionieren sollte:

Der Rassist

Die Lösung könnte die Einführung von Charakteren sein, die visuell wie von der Message her stark sind. Der Film braucht vor allem zwei Figuren, damit die Satire funktioniert.

Jacob Anthony Chansley alias Jake Angeli alias Q Shaman
Jacob Anthony Chansley alias Jake Angeli alias Q Shaman

Da müsste ein Alt-Right-Redner sein. Jemand, der das Establishment völlig ablehnt, dem die eine Nacht des Purges schlicht nicht ausreicht. Er muss den ewigen Kampf gegen Überfremdung und Schneeflöckchen zu 100 Prozent vertreten. Er muss in rot-weiss-blau daherkommen, rechtsradikale Tattoos und einen stets erhobenen Mittelfinger haben. Gegen alles, das nicht weiss, männlich und heterosexuell ist. Gegen all das, was sein utopisches Amerika gefährdet. Wenn dann sein Gegenpol im Team in Gefahr ist und nur er sie retten könnte, dann wächst er über sich hinaus. So wie Daryl Dixon (Norman Reedus) in «The Walking Dead».

Daryl Dixon (Norman Reedus), The Walking Dead, 2011
Daryl Dixon (Norman Reedus), The Walking Dead, 2011

Dass das Produktionsteam die Idee einer solchen Figur hatte, wird beim Blick auf das Filmposter klar.

The Forever Purge, 2021
The Forever Purge, 2021

Da ist die Figur, die ultra-amerikanisch überzeichnet daherkommt. Nur blöd, dass dieser Mann und sein Pferd im Film so selten vorkommen, dass sich nach dem Ende des Filmes niemand mehr an sie erinnern kann.

Die Linke

Diesem Alt-Right-Redner muss eine mindestens ebenso starke Figur gegenüberstehen.

Ein Stereotyp der Tumblr-Feministin
Ein Stereotyp der Tumblr-Feministin

Die andere Figur vom anderen Geschlecht muss von diametral anderer Überzeugung sein. Wo der Alt-Right-Mann gegen die Mexikaner wettert, muss die Tumblr-Feministin diese fast schon fetischartig verehren. Wo sie gegen die Gewalt ist, muss er fest daran glauben, dass er mit seinem Gewehr im Anschlag jedes Problem lösen kann. Sie hingegen muss sich offen gegen Gewalt bekennen und sie als «barbarisch» abtun. Wo sein männliches Bravado dann im dritten Akt des Filmes zerbricht, wird sie von emotional-weinerlich zu physisch stark. Sie verliert die naive Unschuld und übt notgedrungenerweise Gewalt aus. Er entdeckt, dass die Welt grösser und netter ist als angenommen.

Wenn diese beiden Figuren im gleichen Raum sitzen, sich gegen Horden von Hirnlosen mit Waffen behaupten müssen, dann funktioniert Satire. Denn die Figuren einer Satire alleine sind überzeichnete Karikaturen ihrer echten Vorbilder. Und ich bin mir sicher: Einige der Leser hier werden sich nur schon über die Bilder der Schrei-Feministin und des Rassisten-Mannes aufregen. Oder über die Benennungen, die ich denen gerade gegeben habe. Darauf lässt sich eine Satire basieren.

Das Problem

Das Problem: Irgendwer im Publikum wäre dann unzufrieden. Wenn die kreischende Feministin im Film in die Schulter geschossen wird, dann kreischt Twitter mit. Ein ganz klar frauenfeindlicher Film. Wenn der Alt-Right-Mann auf der Flucht vor Bewaffneten die Treppe runterfällt und sich den Arm bricht, dann schreit Twitter, dass der Film ganz klar gegen die neue Rechte ist und der Film von «Woke Hollywood» geschrieben wurde.

Aber: die beiden Seiten des Arguments können sich zwischen Actionszenen Wortgefechte liefern, sich finden, sich nicht finden, übertreiben und sich vertragen. Im Publikum dann Erkenntnis, Kopfschütteln, Lacher. Satire.

Das wäre eigentlich ziemlich gut so. Nur, dass «The Forever Purge» sich ziert. Keiner darf sich vom Film in seiner politischen und/oder menschlichen Haltung angegriffen fühlen. Dem Film wird als kreativer Entscheid die Zähne gezogen.

Was uns «The Forever Purge» gibt

In «The Forever Purge» ist diese «andere Seite» fast gar nicht vorhanden. Die Hauptgruppe, der der Film folgt, besteht aus mexikanischen Immigranten und Rassisten, die sich Anfang des Filmes aktiv angefeindet haben. Sie vertragen sich ab der zehnten Minute für den Rest des Films ohne wirklichen Grund. Das Analog zu den «Proud Boys» und anderen gewaltbereiten Alt-Right-Gruppierungen ist eine amorphe Masse ohne Persönlichkeiten und Stimme. Da und dort ein Statement von wegen «The Purge geht jetzt immer weiter» und gut ist. Warum? Wer? Wie stellen sie sich das vor?

Die Rolle des Rassisten ist in unserem Haupt-Cast vorhanden. Das wäre der Cowboy Dylan Tucker (Josh Lucas), der mit Südstaatenakzent gegen den mexikanischen Farmarbeiter Juan (Tenoch Huerta) wettert. Er ist so bisschen gemein zu ihm, aber der Dialog, der für ihn geschrieben wird, erlaubt es ihm nicht, Kraftausdrücke zu benutzen oder plakative Gemeinheiten mit oder ohne Nuance gegen Juan einzusetzen. Einzig mal eine Bemerkung von wegen «Ich finde einfach, dass deine Sorte und wir uns nicht über den Weg laufen sollten» weist darauf hin, dass er allenfalls so ein bisschen Rassist sein könnte.

Ihm gegenüber ist Juan, der illegale Einwanderer in die USA auf der Suche nach Wohlstand und dem amerikanischen Traum. Vielleicht. Denn so viel erfahren wir gar nicht über ihn. Er ist in den USA und der Dylan ist immer so fies zu ihm. Und das, obwohl er der bessere Cowboy als Dylan ist. Hui.

Dass beide Cowboys sind, also auf einer Farm mit Pferden arbeiten, führt dann dazu, dass die beiden visuell ziemlich genau gleich aussehen. Von wegen Tattoos und blaue Haare. Cowboyhüte sind jetzt Mode.

Dylan Tucker (Josh Lucas), The Forever Purge, 2021
Dylan Tucker (Josh Lucas), The Forever Purge, 2021
Juan (Tenoch Huerta), The Forever Purge, 2021
Juan (Tenoch Huerta), The Forever Purge, 2021

Klar, dass das nicht funktioniert, um Spannung innerhalb einer Gruppe und am Ende dann Charakterentwicklung zu generieren. Wenn die Rolle des Juan jetzt eine blauhaarige Frau wäre, deren Hauptlebensinhalt das Skandieren von Parolen auf Twitter und die Erhaltung der Cancel Culture wäre, dann könnten sie und der Rassist sich zoffen, vertragen, voneinander lernen oder auch nicht. Es ist gut möglich, dass am Ende des Films keiner von beiden etwas gelernt hat. Oder beide sterben. Immerhin sind wir bei «The Purge», da soll's auch passieren, dass Leute sterben.

Natürlich ist da auch eine Frau. Mehrere sogar. Aber sie sind nur Dekoration, damit der Plot weitergeht und damit die Männer irgendwas haben, worum sie sich sorgen können. Hätte man jetzt auch mehr draus machen können. Aber wenn die beiden Hauptfiguren schon sterbenslangweilig sind, dann dürfen die Nebenfiguren auch nicht zu interessant werden.

In die Ecke geschrieben

Der Film will niemandem ans Bein pieseln. Das wollte das Studio vielleicht nicht, vielleicht James DeMonaco nicht. Die Forever Purger werden zur Masse von hirnlosen Ballermännern und unsere Gruppe verträgt sich den Film hindurch prima. Im Fernsehen im Hintergrund wird oft sogar erwähnt, dass die menschenfeindlichen New Founding Fathers of America – die Partei an der Macht – keinen Plan haben, wer die Forever Purger sind und keine Kontrolle über sie haben. Sogar die Bösen aus den vorherigen Filmen haben kein Sagen mehr. Da ist kein Gegner in «The Forever Purge», kein Konflikt. Da ist nur halbwegs okay Action, ein paar kreative Tode und am Ende dann, tja, ein Ende.

Jedem ist klar: Unsere Gruppe ist gut, auch wenn der eine so bisschen leicht rassistisch sein könnte. Die anderen sind böse und haben keinen eigenen Gedanken. Wo ist da der Konflikt? Wo ist da der Diskurs? Wo ist da die Satire? Sogar der Trailer des zweiten Teils mit «America the Beautiful» im Hintergrund ist satirischer als der ganze Forever Purge.

Da musst du dir die Frage stellen: War da niemand sauer auf Hollywood und James DeMarco? War da nirgends jemand, der sich darüber aufgeregt hat, dass sich da ein Filmemacher erdreistet, ein wunderbar patriotisches Lied für die Horrorvision aus Gewalt und Perversion zu missbrauchen? Genau da setzt Satire an. Sie tut weh, sie trifft ins Herz und am Ende lädt sie zum Denken ein.

Dazu kommt die Tatsache, dass sich James DeMarco mit «The Forever Purge» im Rahmen seiner eigenen Serie komplett ins Abseits bugsiert. Gehen wir davon aus, dass da Fans der Serie sind, selbst wenn da keine Charaktere sind, die in mehr als zwei Filmen vorkommen und so den Fortsetzungscharakter etwas abschwächen.

Da stellt sich die Frage: Wohin jetzt?

Nach der ironischen «Amerikaner reisen illegal nach Mexiko»-Chose und der Tatsache, dass jetzt immer Purge ist, ist da nicht mehr viel Potenzial für gehaltvolle Satire – gut oder schlecht – übrig. Nur sowas wie «$charakter muss nach $usCity, weil $grund. Gewalt folgt». Diskurs? Unmöglich. Ideen? Nein.

The Purge, das Franchise, ist kreativ bankrott.

Es ist unten angekommen, kann nicht weiter runter und auch nicht wieder rauf. Denn die Welt, der politische Raum USA, in dem alle Purge-Teile bisher gespielt haben, ist jetzt kaputt. Das ist dahingehend schade, dass die Welt das war, was The Purge ausgemacht hat. Denn der Zerrspiegel hat funktioniert, hatte sogar Kontinuität. Denn «The Forever Purge» spielt im Jahr 2048. Charlene Roan hatte zwei Amtszeiten nach den Ereignissen von «The Purge: Election Year» und ist nun abgewählt. Die New Founding Fathers sind wieder an der Macht und die Nacht, in der jedes Verbrechen legal ist, ist zurück. Ideen waren da, zweifelsohne. Doch James DeMonaco verliert sich in seiner vermeintlichen Cleverness des Kommentars der heutigen Gesellschaftsextreme der USA.

Jetzt ist der Zerrspiegel zerschlagen. Durch die Dummheit eines Autors und die Zurückhaltung eines Studios.

Daher, wenn du wirklich ins Kino willst, dann schau dir doch lieber «The Suicide Squad» an. Da ist die Gewalt mindestens ebensogut, der Film schont niemanden und am Ende macht er auch noch Spass.

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Apropos: Im Film nennen die Forever-Purger ihre andauernde Kampagne der Gewalt «The Purge Ever After». Hat da etwa ein cleverer Studioboss den Filmtitel gesetzt, ohne das Script gelesen zu haben?

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