Hintergrund

«The Day Before»-Studio macht dicht: Das Elend im Überblick

Debora Pape
13.12.2023

Ein Ende mit Schrecken: Das in postapokalyptischem Zustand veröffentlichte Spiel «The Day Before» wird nicht weiterentwickelt. Das Studio Fntastic schließt.

«The Day Before» war zeitweise das am meisten erwartete Spiel auf Steam. Nach Betrugsvorwürfen und Release-Verschiebungen wurde es letzte Woche veröffentlicht. Dabei war es kaum spielbar. Jetzt ist Schluss mit «The Day Before» und seinem Entwicklerstudio Fntastic. Das Studio hat auf X, ehemals Twitter, eine Nachricht veröffentlicht, in der die Verantwortlichen angeben, kein Geld mehr zu haben und deshalb den Geschäftsbetrieb einzustellen.

Auch eine Entschuldigung ist dabei: Dafür, dass das Studio die hohen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Da bekomme ich fast schon Mitleid. Doch beim Rückblick auf die drei Jahre seit der Spielankündigung wird klar, dass diese Entwicklung abzusehen war.

«Zu gut, um wahr zu sein»

Im Januar 2021 veröffentlichte Fntastic den Ankündigungstrailer zu «The Day Before». Das Original ist, wie alle weiteren Videos auf dem Youtube-Kanal des Studios, inzwischen gelöscht. Hier kannst du den Trailer aber noch sehen. Er kündigte ein Endzeit-Survival-Spiel an, in dem du gemeinsam mit anderen online in einer großen, offenen Welt gegen Zombies kämpfst.

Der Trailer kam sehr gut an und schürte hohe Erwartungen. Aber es gab auch schon erste Zweifel: Kann ein kleines, nahezu unbekanntes Studio überhaupt ein solches Spiel umsetzen? Anlass zur Sorge gaben auch die Spielszenen, die fast wie aus «The Division» und «The Last Of Us» entnommen wirken. Das sind erfolgreiche und sehr beliebte Spiele in postapokalyptischem Setting. Der User Techboah urteilte schon zu diesem Zeitpunkt auf Reddit: Das klingt alles zu gut, um wahr zu sein.

Weitere Trailer zu «The Day Before» zeigten neben einer Großstadt auch ländliche Regionen. Spielerinnen und Spieler sollten sich auch mit Fahrzeugen fortbewegen können. Dazu wurden Survival-Elemente wie Wetter, Hunger, Durst und Erschöpfung angekündigt.

Keine Frage: Ein solches Spiel wäre eine klare Ansage an die erwähnten Platzhirsche gewesen. «The Day Before» rangierte bei Steam zeitweise auf Platz 1 der meisterwarteten Spiele. Als Release wurde zunächst Juni 2022 angegeben.

Release-Verschiebungen und negative Schlagzeilen

Aus einem Release im Jahr 2022 wurde nichts. Insgesamt viermal verschob Fntastic den geplanten Veröffentlichungstermin. Das nährte Zweifel an der Spielbarkeit und sogar der Existenz des Projekts, zum Beispiel hier. Die erste Verschiebung erfolgte im Mai 2022 auf März 2023: Die Entwickler begründeten sie mit dem Umstieg auf die Unreal Engine 5. Fragen zu genauen Gameplay-Mechaniken beantwortete das Studio nicht.

Im Juni 2022 geriet das Studio in die Kritik, als bekannt wurde, dass zahlreiche unbezahlte Freiwillige am Projekt mitarbeiteten. Zwar setzen insbesondere Indie-Studios auf engagierte Hilfe aus der Community, beispielsweise bei der Lokalisierung. Zusammen mit der Verschiebung, der zu offensichtlichen Bedienung an berühmten Vorbildern und fehlenden echten Gameplay-Videos nährten die Vorwürfe weiter Zweifel am Spiel.

Im Januar 2023 verschwand «The Day Before» kurzzeitig aus dem Steam-Store. Das Studio gab dafür zunächst einen Bug und später Markenrechtsprobleme mit dem Spielnamen als Grund an. Auch ein angekündigter Trailer mit ungeschnittenem Gameplay wurde nicht veröffentlicht. Und so war es keine große Überraschung, als eine weitere Release-Verschiebung auf November und dann Dezember 2023 erfolgte.

Der Release: enttäuschte Erwartungen und Bugs über Bugs

Am 7. Dezember war es dann tatsächlich so weit: «The Day Before» erschien im Early Access auf Steam – für 40 Euro oder rund 38 Franken. Im Voraus waren keine externen Tests zugelassen. So gab es keine großen Erwartungen mehr an die Qualität des Spiels.

Und tatsächlich: «The Day Before» strotzt nur so vor Bugs. Dazu kursieren auf Youtube zahlreiche Videos wie diese Compilation. Sie zeigen, mit welchen Problemen das Spiel zu kämpfen hat. Die negativen Rezensionen auf Steam überschlagen sich: Von über 20 000 Rezensionen sind aktuell nur 16 Prozent positiv.

Die Spielerschaft bemängelt nicht nur die Bugs, sondern wirft dem Entwicklerstudio teilweise offen Betrug vor. Nicht erreichbare Server und Performance-Probleme mit Lags und Abstürzen gesellen sich zu einem schlecht entwickelten Gameplay und fehlenden, aber versprochenen Features: Aus dem angekündigten MMO-Survival-Spiel sei ein schlecht umgesetzter Extraction-Shooter geworden. Fntastic habe nach dem Release sogar die ursprünglichen Tags auf Steam entfernt, die das Spiel als MMO-Game kennzeichneten.

Insgesamt ist das Spiel, wenn ich nach den Steam-Rezensionen gehe, bei weitem nicht bereit für einen Early-Access-Release. Für ein Spiel in diesem Zustand 40 Euro zu verlangen, ist dreist.

Betrug oder Unfähigkeit?

Fntastic spricht im Statement zur Schließung des Studios davon, dass es bis zuletzt die Ambition hatte, «das volle Potenzial des Spiels» offenlegen zu wollen. Aber man habe sich übernommen und dann sei das Geld ausgegangen. Es mag sein, dass sich ein kleines Entwicklerstudio überschätzt hat. Das ist tragisch. Aber der Zustand des eigenen Spiels kann den Entwicklern nicht entgangen sein, und es zu einem solchen Preis zu veröffentlichen, grenzt meiner Meinung nach an Betrug.

Wer das Spiel weniger als zwei Stunden gespielt hat, kann es auf Steam zurückgeben und erhält sein Geld zurück. Auch, wenn du mehr Zeit im Spiel verbracht hast und es zurückgeben möchtest, solltest du den Rückgabeprozess starten. Nach der automatischen Ablehnung kannst du ein manuelles Ticket eröffnen. Die Chancen sollen gut stehen, dass du dein Geld zurückbekommst.

Das Studio sieht nach eigenen Angaben nichts von dem eingenommenen Geld. Es soll genutzt werden, um Schulden bei Partnern zu bezahlen.

Für mich bleiben am Ende nur die Fragen: Liegen hier wirklich hohe Ambitionen und Selbstüberschätzung vor? Oder steckt doch Betrug dahinter? So oder so ist es ein trauriger Fall.

Schreib mir doch deine Meinung: Betrug oder Unfähigkeit?

Titelbild: Fntastic

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Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.

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