Streik in Hollywood: Autorinnen und Autoren legen per sofort die Arbeit nieder
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Streik in Hollywood: Autorinnen und Autoren legen per sofort die Arbeit nieder

Luca Fontana
2.5.2023

In Hollywood treten Drehbuchautorinnen und -autoren per sofort in den Streik. Grund dafür sind gescheiterte Verhandlungen mit den grossen Studios. Die Auswirkungen für die Film- und Streaming-Industrie dürften enorm sein; Hollywood droht lahmgelegt zu werden.

Es ist passiert, was alle befürchtet haben: Hollywoods Drehbuch-Autorenschaft legt mit sofortiger Wirkung ihre Arbeit nieder, wie die Writers Guild of America (WGA) offiziell mitteilt. Dies, nachdem in wochenlangen Verhandlungen mit der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) keine Einigung über verbesserte Arbeitskonditionen für Schreibende erzielt werden konnte.

Damit dürfte sich die Situation wiederholen, die 2007 schon einmal zu einem 100-tägigen Autorinnen- und Autorenstreik geführt hat, mit den gleichen weitreichenden Konsequenzen für die gesamte Industrie. Damals wurden mehr als 60 TV-Shows eingestellt, Filmprojekte verschoben und Gala-Shows abgesagt. Der finanzielle Verlust für die kalifornische Wirtschaft alleine wurde auf zwei Milliarden Dollar geschätzt.

Worum genau geht es in dem Streik?

Im Kern der Verhandlungen steht das explodierende Wachstum der Streaming-Dienste. Mit ihnen würden nämlich bisher funktionierende Vergütungspakete für Schreibende nicht mehr greifen, so die Writers Guild. Ein Beispiel: Wenn Filme oder Serien im linearen Fernsehen wiederholt werden, bekommen Autorinnen und Autoren ein sogenanntes Resthonorar dafür. Diese Wiederholungen und damit die Resthonorare verschwinden in Zeiten des Streamings zunehmend.

Dazu kommt die veränderte Nachfrage bei Serienformaten auf Streaming-Plattformen. Wo früher eine Staffel in der Regel 20 Episoden oder mehr umfasste, tendieren Netflix und Co. zu Staffeln mit zehn oder sogar weniger Episoden. Da Schreibende nicht pro Staffel, sondern pro Episode bezahlt werden, führt das zu einem geringeren Einkommen.

Die AMPTP – sie vertritt grosse Studios wie Amazon, Disney, NBC Universal, Netflix, Paramount, Sony und Warner Bros. – argumentiert, es gäbe dafür deutlich mehr Serien als früher und damit mehr Arbeit. Die Writers Guild hält dagegen: Serien mit mehr Episoden sorgen für längere Festanstellungen. Die gibt es immer weniger. Zuletzt führten Studios gar Tagessätze ein, wodurch sich Schreibende von Job zu Job hangeln müssen. Das wiederum hat einen zerstörerischen Konkurrenzkampf ausgelöst: Wer am wenigsten Geld fürs Schreiben fordert, bekommt den Zuschlag. Die Arbeitsverhältnisse haben sich dadurch für alle massiv verschlechtert. Ein neuer Gesamtarbeitsvertrag müsse darum her.

Autorinnen und Autoren beim Streik im Jahr 2007.
Autorinnen und Autoren beim Streik im Jahr 2007.
Quelle: Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0

«Wir sind enttäuscht, aber nicht überrascht. Die Unternehmen haben unsere Anliegen nie ernst genommen, ohne dass ihnen zumindest ein Kampf angedroht wurde», sagte Danielle Sanchez-Witzel, Mitglied des Verhandlungsteams der Gewerkschaft, bereits vor einer Woche. Die WGA veröffentlichte dazu eine Liste mit ihren Forderungen und die von der AMPTP angebotenen Gegenvorschläge.

Zu guter Letzt fordert die Gilde, dass im Angesicht der sich rasch weiterentwickelnden künstlichen Intelligenzen neue Standards für deren Einsatz festgelegt werden. Die Befürchtung, dass Chatbots wie ChatGPT und Co. bald zur Konkurrenz werden, steht im Raum. Zuletzt etwa kündigte der Spieleentwickler Ubisoft ein neues Tool namens Ubisoft Ghostwriter an, bei dem eine KI Autorinnen und Autoren «unterstützen» soll, Dialoge zu schreiben.

Welche Auswirkungen wird der Streik haben?

Wie schon 2007 dürfte sich ein düsteres Bild abzeichnen. Zuerst wird es TV-Formate wie die in den USA äusserst beliebten Late-Night-Shows treffen, da sie auf tagesaktuelle Texte von Autorinnen und Autoren setzen. Shows wie «The Late Show with Stephen Colbert», «Jimmy Kimmel Live!» und «The Tonight Show Starring Jimmy Fallon» wurden bereits abgesagt. Als nächstes dürften Daily Soaps in die Bredouille geraten, also Seifenopern wie hierzulande «Gute Zeiten, schlechte Zeiten», deren Folgen meistens ein, zwei Tage vor ihrer Ausstrahlung gedreht werden.

Sollte sich der Streik erneut über mehrere Wochen hinziehen, werden auch Serien mit Staffelstarts im Jahresrhythmus vom Arbeitsstopp betroffen sein: In der Regel werden deren Drehbücher im Mai geschrieben, im Sommer produziert und ab Herbst ausgestrahlt.

Danach werden grössere Serien-Produktionen wie etwa die 2024 geplante zweite Staffel von «The Last of Us» oder die finale Staffel von «Stranger Things» dem Streik Rechnung tragen müssen. Die durch die Verschiebungen entstehenden Lücken dürften – wie 2007 – mehrheitlich mit Wiederholungen oder Reality-Shows gefüllt werden, für die kaum Schreibarbeit benötigt wird. Dazu werden manche Serien wohl stark gekürzt und mit unfertigen Drehbüchern produziert. Prominentes Beispiel: die vierte Staffel von «Lost», die 2008 mit einem Jahr Verspätung und mit nur 14 statt den üblichen 23 Episoden ausgestrahlt wurde.

Auch Kinofilme sind nicht vom Streik gefeit. Zwar haben sie eine deutlich längere Vorlaufzeit. Produktionen können entsprechend flexibel um den Streik herum geplant werden. Und Filme, die 2023 in die Kinos kommen, befinden sich zu diesem Zeitpunkt sowieso bereits im Dreh oder in der Post-Produktion. Aber sollte die Autorenschaft erneut über 14 Wochen lang ihre Arbeit niederlegen, dürfte sich das Filmjahr 2024 radikal ändern.

In dem Fall würden für Filme, die 2024 in die Kinos kommen sollen, zum heutigen Zeitpunkt schlichtweg die Drehbücher fehlen, ohne die ein Dreh fast unmöglich ist. Das erste Halbjahr 2024 könnten Studios überbrücken, indem sie für Ende 2023 geplante Filme ins nächste Jahr verschieben. Von weniger dichtgedrängten Terminkalendern könnten manche Produktionen sogar profitieren.

Fürs zweite Halbjahr müssen die Studios allerdings kreativ werden. Unfertige oder noch nicht vorhandene Drehbücher müssten dann von Leuten, die nicht der Writers Guild angehören, geschrieben werden – mit grossen Qualitätsverlusten. Prominentes Beispiel dafür: «James Bond: Quantum of Solace», das vom Schweizer Marc Forster praktisch ohne Drehbuch gefilmt und verspätet im Jahr 2008 ins Kino gebracht wurde – mit entsprechend enttäuschenden Kritiken und für einen Bond-Film bescheidenen Kassenerfolg.

Wie geht es weiter?

Kurzfristig ist die Zukunft vieler Autorinnen und Autoren ungewiss. Schliesslich entstehen während eines Streiks nicht nur für Studios Schäden in Millionenhöhe. Auch die Schreibenden verdienen während dem Arbeitsstopp kein Geld. Das weiss die Writers Guild. Sie hält aber daran fest, dass es in ihrem Sinne ist, mit dem Autorinnen- und Autorenstreik das grösstmögliche Druckmittel einzusetzen, um einen fairen Vertrag für alle zu erhalten. Entsprechend ihr Statement:

Alle Autorinnen und Autoren wissen: Die Konzerne haben dieses Geschäft kaputt gemacht. Sie haben den Menschen, den Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die sie reich gemacht haben, viel weggenommen. Aber was sie uns nicht nehmen können, ist unsere Solidarität und unser gemeinsames Bestreben, uns selbst und diesen Beruf, den wir lieben, zu retten. Wir hatten gehofft, dies durch vernünftige Gespräche erreichen zu können. Jetzt werden wir es durch grossen Widerstand tun. Um unserer Gegenwart und unserer Zukunft willen haben wir keine andere Wahl.

Wann der Streik endet, ist somit nicht bekannt.

Titelfoto: Reed Saxon / AP Keystone

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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