«Stray» im Test: Ein herzhaftes Katzenabenteuer in einer prachtvollen Cyberpunk-Welt
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«Stray» im Test: Ein herzhaftes Katzenabenteuer in einer prachtvollen Cyberpunk-Welt

Eine Katze in einer dystopischen Welt voller Roboter bildet das Herz dieses charmanten und ungewöhnlichen Spiels. Das Abenteuer ist kurz, aber unvergesslich.

Gemütlich spaziere ich mit meiner Familie durch eine menschenleere Gegend. Ich necke meine Geschwister und lausche dem Zwitschern der Vögel. Doch beim Balancieren über ein altes Wasserrohr passiert es: Das Rohr bricht und ich stürze in die Tiefe. Zum Glück spiele ich in «Stray» eine Katze, ansonsten wäre das Spiel schon hier zu Ende. Stattdessen finde ich mich an einem fremden Ort wieder, weit entfernt von meinen vierbeinigen Geschwistern.

«Stray» spielt in einer dystopischen Zukunft, die von Robotern mit Bildschirmköpfen bewohnt wird. Von Menschen fehlt jede Spur. Als ich das erste Mal mit meinem orange gestreiften Büsi auf einen Bewohner treffe, weicht dieser erschrocken zurück und rennt weg. Entweder liegt hier ein dramatischer Fall von Katzenallergie vor oder dem Roboter ist noch nie eine Felis Catus über den Weg gelaufen.

Man tut, was eine Katze halt so tut.
Man tut, was eine Katze halt so tut.

Ein ungewöhnliches Duo

Vogelgezwitscher und Sonnenschein sind mittlerweile dunklen Häuserschluchten gewichen. Am Ende der Gasse weckt ein flackerndes neonfarbiges Schild meine Aufmerksamkeit. Darauf sind Pfeile abgebildet, die mir ganz offensichtlich eine Richtung anzeigen wollen. Eine Ecke weiter leuchtet eine Anzeigetafel mit den Worten «Folge mir». Keine Ahnung, ob Katzen in dieser Welt lesen können, oder ob hier die «willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit» zum Einsatz kommt. Wie dem auch sei, ich folge den farbigen Lichtern weiter. Dank katzenhafter Akrobatik klettere ich mühelos auf Müllcontainer, springe auf Hausdächer und steige schliesslich in ein leicht geöffnetes Fenster, aus dem bläuliches Licht schimmert.

Die kleine Drohne kann Terminals hacken und dient als Übersetzer zwischen mir und den Robotern
Die kleine Drohne kann Terminals hacken und dient als Übersetzer zwischen mir und den Robotern

Dort mache ich mit einer kleinen Drohne namens B-12 Bekanntschaft. Sie hat die Erinnerungen an ihren früheren Besitzer und Wissenschaftler verloren und möchte sie wiederfinden. Eine ungefähre Richtung kennt sie ebenfalls. Hilfsbereit, wie ich bin und weil ich nicht wüsste, wohin ich sonst gehen sollte, lasse ich mich von der fliegenden Blechdose leiten. Auf unseren Streifzügen lernen wir immer mehr Bewohner kennen, die menschlicher sind als es im ersten Moment den Anschein macht.

Einfache, aber motivierende Spielmechaniken

Ein Wächter rät uns, die Outsider aufzusuchen. Sie sollen uns helfen können, aus dieser geheimnisvollen Stadt zu entkommen. Dabei klettere und springe ich wie ein junges Rehlein – oder nunja, eine Katze – und überwinde mühelos jedes Hindernis. Gerade das erste Gebiet erlaubt viele Freiheiten beim Erkunden und Vorgehen. Eine der ersten Aufgaben besteht darin, in verlassenen Wohnungen Tagebücher zu finden. Dabei muss ich kleine Bilderrätsel lösen, damit meine Drohne einen Tresor öffnen kann oder ich blockiere Ventilatoren, um an zuvor versperrte Orte zu kommen. Ein anderes Mal tausche ich Soda-Dosen beim Händler gegen ein Stromkabel, welches wiederum der lokale Hacker benötigt, damit er mir einen Code entschlüsselt.

Einfach mal das Roboterbein schwingen.
Einfach mal das Roboterbein schwingen.

Der Grossteil des Spiels besteht aus einfachen Umgebungsrätseln. Im späteren Verlauf muss ich mich auch mal vor schiesswütigen Drohnen verstecken oder fleisch- und metallfressenden Monstern entkommen, die wie kleine Headcrabs aus «Half-Life» aussehen. Das Spiel ist relativ linear, bietet aber immer wieder Raum zum Erkunden. Meist, um zusätzliche Erinnerungsstücke für meinen Drohnenfreund zu finden und so mehr über die Welt und die Geschichte herauszufinden.

Ein Augenschmaus

Die Welt lädt allein durch ihr Design zum Verweilen und Entdecken ein. Das Cyberpunk-Szenario mit den quirligen Roboterbewohnern sieht schlichtweg umwerfend aus. Eine Wohnung, die den Eindruck erweckt, als hätte jemand mit Büchern und Röhrenmonitoren Jenga gespielt, lässt meine Fantasie sprudeln. Auf die dünn besiedelten Slums, mit denen das Spiel beginnt, folgt im späteren Verlauf eine pulsierende Stadt, die durch ihre kontrastreiche Beleuchtung zum Anbeissen aussieht.

Die Beleuchtung trägt massgeblich zur Stimmung bei.
Die Beleuchtung trägt massgeblich zur Stimmung bei.

Aus den Augen einer Katze bietet sich zudem ein unverbrauchter Blickwinkel. Denn entweder laufe ich am Boden herum und schaue zu den grossen Gestalten hinauf oder ich beäuge sie aus sicherer Distanz, wenn ich einem Balkon entlang spaziere. Dass ich dabei regelmässig Blumentöpfe runterschmeisse, Drinks an der Bar umschubse oder meine Krallen an Möbeln wetze, scheint niemanden zu jucken. Benehmen sich die Roboter sonst sehr menschlich, zeigen sie hier übermenschliche Gelassenheit.

Wegen dieser Tastatur bekommt Kollege Kevin bestimmt feuchte Äuglein.
Wegen dieser Tastatur bekommt Kollege Kevin bestimmt feuchte Äuglein.

Das Katzen-Dasein hört aber nicht beim Zerstören von Einrichtungsgegenständen auf. Ich kann aus Pfützen trinken, an den unmöglichsten Orten ein Nickerchen machen, mich an Hosenbeinen schmiegen und auf Kommando miauen. Auch die Animationen der Katze hat Entwickler BlueTwelve Studio fast perfekt hinbekommen. Nur an wenigen Stellen merke ich, dass hier nicht ganz so viel Budget wie für die Pferdehoden bei «Red Dead Redemption 2» vorhanden war.

Fazit: Nicht nur für Katzenliebhaber

Mit einer Katze in der Hauptrolle und einer von Robotern bevölkerten Welt bietet «Stray» ein unverbrauchtes Setting. Es macht einfach Spass, mit der Leichtigkeit eines flauschigen Fellknäuels diese unbekannte Welt zu erkunden. Wenn man dann noch, wie ich, ein Flair für Cyberpunk hat, dann strahlt die Neon-leuchtende Umgebung doppelten Reiz aus. Zusammen mit einem perfekt abgestimmten Sound Design kann ich richtig in diese Welt abtauchen.

Selten habe ich so viele Screenshots gemacht, wie in «Stray».
Selten habe ich so viele Screenshots gemacht, wie in «Stray».

Auch wenn die meisten Spielmechaniken, wie Schalterrätsel oder Kletterpassagen, streng genommen nichts Neues bieten, sorgt das Katzengewand doch für eine frische Perspektive – in doppelter Hinsicht. Dass das Spiel grösstenteils auf Action verzichtet, lässt mich die Umgebung in Ruhe geniessen. Im Verlauf des Spiels schlüpfe ich immer mehr in die Rolle meines tierischen Protagonisten. Ich nehme absichtlich Umwege in Kauf, wenn ich dafür ein paar Flaschen umstossen kann oder ich streife um Roboterbeine herum, nur, um mich dann sofort aus dem Staub zu machen, wenn sie mich streicheln wollen. Wir Katzen sind unberechenbar.

Dass ich sogar Lust verspüre, Kapitel ein weiteres Mal durchzuspielen, um noch die letzten Erinnerungslücken meiner fliegenden Begleitung zu finden, spricht Bände. «Stray» ist mit sechs bis zehn Stunden ein eher kurzes Spiel, wird mir aber noch lange in Erinnerung bleiben.

«Stray» wurde mir von Annapurna Interactive zur Verfügung gestellt. Das Spiel ist ab dem 19. Juli erhältlich für PC, PS4, PS5 und ist in den Abos PS Plus Extra und Premium enthalten.

Mehr über «Stray» oder sonstige Game- und Tech-Themen reden wir im wöchentlichen digitec Podcast, der jeden Donnerstag erscheint.

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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