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Saints Row im Test: Etwas altbacken, dafür herrlich sorgenfreier Actionspass

Endlich wieder mal ein Openworld-Spiel, das sich nicht allzu ernst nimmt. In «Saints Row» steht der Spass im Vordergrund und davon hatte ich jede Menge.

«Saints Row» 1 und 2 wollten das krassere «GTA» sein. Vergeblich. Erst mit «Saints Row The Third» fand Entwickler Volition einen eigenen Weg. Dieser wurde durch Rikscha-Verfolgungsrennen geebnet, die von halbnackten Sexsklaven gezogen werden, Taxifahrten für schlecht gelaunte Tiger oder eine Dubstep-Gun, die Menschen zum Tanzen zwingt. Der Reboot, schlicht «Saints Row» genannt, ist ein bisschen seriöser, setzt aber weiterhin alle Chips auf Spass. Ich habe die PC-Version getestet.

Ein sympathischer Haufen

Das namensgebende Gangster-Konsortium «Saints» existiert zu Beginn des Spiels noch nicht. Das wird erst gegründet, nachdem wir es uns mit unseren jeweiligen Gangs, respektive Privatarmeen verscherzen. Wir, das sind Oben-Ohne-Party-Hengst und Hobby-Koch Kevin, Automechanikerin Neenah, Nerd und die Stimme der Vernunft Eli sowie der von mir verkörperte The Boss. Ich kann wahlweise ein Mann, eine Frau oder auch alles dazwischen sein. Der Charaktereditor und die Outfits sind so vielfältig, dass es sogar eine Smartphone-App dafür gibt.

Diese Truppe muss man einfach lieben.
Diese Truppe muss man einfach lieben.

Was mir sofort positiv auffällt, ist der Umgangston. Egal, ob zwischen den vier Do-it-Yourself-Gangstern oder später mit der erweiterten Gang-Familie: Die sind richtig nett und aufrichtig zueinander. Zwar sind sie allesamt kaltblütige Mörder, das bedeutet aber nicht, dass man keine gemeinsamen Brettspielabende mit selbstgebackenen Enchiladas machen kann. Es ist der pure Gegensatz zu «GTA IV», das mit seinem zynischen Antihelden-Trio nie versucht, Sympathien zu schaffen. Bei den Saints wird nicht gestichelt, stattdessen gibt es Firmenausflüge zur Teambildung, die in wilde Schiessereien und Verfolgungsjagden mit Hoverbikes ausarten. «Saints Row» setzt auf Good Vibes und eine ordentliche Portion Blödelhumor. Ab der ersten Mission wird klar: Der Ernst muss draussen bleiben, in diesem Vergnügungspark haben nur unbeschwerte Menschen Zutritt.

Altbackenes, aber kurzweiliges Gameplay

Was braucht es für eine erfolgreiche Gang? Ein passendes Hauptquartier in diesem kunterbunten Santo Ileso als erstes. Das findet Neenah in einer verlassenen Kirche. Dumm nur, dass sich dort bereits ein Bauunternehmen ausgebreitet hat, um unser neues Zuhause abzureissen. Das können wir natürlich nicht zulassen. Also leihe ich mir bei den Gelbhelmen kurzerhand die Planiermaschine aus und fahre damit Container platt und nutze die Schaufel als Katapult, um ToiTois durch die Luft zu schleudern. Realismus? Eher nein. Spass? Oh ja.

Eine schicke Basis alleine beeindruckt aber niemanden. Unser Imperium muss wachsen. Weil man auch wachsen kann, in dem man andere kaputt haut, begleitete ich Neenah auf einer Rachemission gegen ihre ehemalige Bande, die Panteros. Die haben ihr heissgeliebtes Auto und Lebensprojekt geschrottet. Ein grosser Fehler. Wir leihen uns einen bewaffneten Touristen-Kampfheli aus – den gibt es natürlich in Santo Ileso – und schiessen damit die Panteros-Fahrzeugfabrik kurz und klein. Nachdem alles brennt und sich nichts mehr bewegt, landen wir auf dem Dach und gehen in den Nahkampf über.

Selbst die Beisserchen kann ich anpassen.
Selbst die Beisserchen kann ich anpassen.

«Saints Row» hält ein buntes Arsenal an Waffen und verschiedene Spezialfähigkeiten bereit. Feuerfaust à la Street Fighter? Jep. Gegner wie einen nassen Sack herumschleudern und ihnen vorher eine Granate in die Hosen stecken? Jep, jep. Eine Falle werfen, die Widersacher beim Drauftreten in die Luft katapultiert und dort zum Moorhuhn-Abschuss freigibt. Aber klar doch. Zusätzlich kann ich einen Nahkampf-Spezialangrifaufladen, mit dem ich Feinde auf Knopfdruck mit spektakulären Moves unschädlich mache.

Mit all diesen Fähigkeiten und Waffen ballere ich mich in bester Schiessbuden-Manier ins Herzen der Fabrik. Dort muss ich ein paar Schalter betätigen, damit Neenah die Anlagen sabotieren kann. Mehrere Wellen an Gegnern versuchen uns davon abzuhalten. Als ob sie eine Chance hätten gegen The Boss. Seht ihr nicht meinen Hotdog-Hut und meine Schuhe aus Papiertücher-Schachteln? Mit mir ist nicht zu spassen. Nach getaner Arbeit entkommen Neenah und ich der – selbstverständlich – explodierenden Fabrik in letzter Sekunde. Es folgt eine kurze Verfolgungsjagd mit mir auf dem Autodach und die Mission ist erledigt.

Praktisch alle Konflikte lassen sich mit Waffengewalt lösen.
Praktisch alle Konflikte lassen sich mit Waffengewalt lösen.

Slam Dunks mit dem Hoverboard

Etwas schade ist, dass die fantasievolleren Waffen spät im Spiel auftauchen. Sturmgewehr und Raketenwerfer sind schön und gut. Witzger ist ein experimenteller Football. Mit diesem leuchtenden Wurfgeschoss kann ich Personen und sogar Fahrzeuge anpeilen. Bei einem Treffer sausen sie durch die Luft – wie ein Luftballon, bei dem sich der Knoten gelöst hat. Oder das Hoverboard. Damit kann ich Slam Dunks auf Fahrzeuge machen. Yihaa.

Diese Spezialwaffen verdanke ich dem Eurekabator – einem kriminellen Unternehmen, das Teil unseres Expansionplans ist. Dieses Förderzentrum für Startups, das ganz zufällig dem der HBO-Serie «Silicon Valley» gleicht, habe ich über den Lageplan in der Basis aufgestellt. Dort schalte ich nach und nach neue fadenscheinige Unternehmen frei, die gegen das nötige Entgelt an verschiedenen Orten in Santo Ileso gebaut werden können.

Marty McFly lässt grüssen.
Marty McFly lässt grüssen.

Das erste Unternehmen ist Jimrob’s Garage. Weil ich dem Autowerkstatt-Besitzer aus der Patsche geholfen und seine Konkurrenz mit Monstertrucks platt gefahren habe, arbeitet er nun für uns. Einfach nur Autos reparieren, wäre aber Saints-unwürdig, also «leihe» ich verschiedene über die Stadt verstreute Kutschen aus und bringe sie in die Garage zurück. Warum dabei jedes Mal die Polizei mit einer Karawane aus Blaulichtfahrzeugen anrückt, ist mir zwar schleierhaft, garantiert aber eine explosive Verfolgungsjagd. Besonders, wenn ich die Spezialangriffe der Fahrzeuge nutzen kann, wie die Abrissbirne.

Pimp my Foodtruck

Jedes Fahrzeug verfügt über eine solche Spezialfähigkeit. Freigeschaltet wird sie durch bestimmte Manöver, wie dreimal einen Salto machen. Danach kann sie in Jimbob’s Garage ausgerüstet werden – zusammen mit einer gigantischen Palette an Anpassungsmöglichkeiten. Die Auswahl wächst dabei wie beim Charaktereditor stetig. Ich kann von der Breite der Räder, über den Seitenspiegel bis zum Motorengeräusch alles meinen Wünschen anpassen. Upgrades wie Nitro-Antrieb, Offroad-Kit oder allgemeines Tuning sind ebenfalls möglich. Mein Fuhrpark ist riesig und hält von Gokarts, über Lowrider bis zu Foodtrucks keine Wünsche offen. Allein mit den beiden Editoren könnte ich Stunden verbringen.

Die Auswahl an Fahrzeugen ist gigantisch.
Die Auswahl an Fahrzeugen ist gigantisch.

Im Verlauf des Spiels kann ich 14 solch zweifelhafter Unternehmen aufbauen. Jedes davon bringt neue Nebenaufgaben mit sich. Vieles davon ist nicht unbedingt originell. Weil die Beschäftigungen kurzweilig, humorvoll und abwechslungsreich sind, hat das meiste trotzdem Spass gemacht. Besonders dank des Soundtracks, der wie das Gameplay in den 0er-Jahren feststeckt. Mir soll’s recht sein. Mit Tracks wie «Slam» von Onyx oder «Tres Delinquentes» von Delinquent Habits fühl ich mich direkt in meine Jugend zurückversetzt. Neuere Gelüste befriedigt der Synthwave Radiosender «Outrun» oder ein anderer der insgesamt zehn Stationen.

Ein Herz aus Karton

Zwei Missions-Highlights möchte ich nicht unerwähnt lassen. Der Ragdoll-Klassiker aus vergangenen «Saints Spielen» ist wieder mit an Bord. Um Versicherungen zu betrügen, werfe ich mich vor fahrende Autos, um anschliessend hunderte Meter durch die Luft zu fliegen. Ziel ist es, möglichst viele weitere Autos zu treffen, die prompt explodieren und so maximalen Schaden anrichten. Ich selbst verletze mich dabei nicht. Habe ich erwähnt, dass ich einen Hotdog-Hut trage?

Top of the pops bleibt für mich aber die LARP-Questreihe. LARP steht für Live Action Role Playing, also Rollenspiel in echt. Eli ist ein grosser Fan und als Freund helfe ich ihm selbstverständlich dabei, sein eigenes Fantasiekönigreich zu erschaffen. LARP scheint ein Volkssport in Santo Ileso zu sein, denn die halbe Stadt duelliert sich in aus Pappkarton gebastelten Outfits. In einer Mission müssen wir das feindliche Schloss des Haus Phoenix stürmen, weil sie den gesamten Klebeband-Vorrat der Stadt geklaut haben. In einer anderen beschwören wir den Bowelrod. Ein mächtiges Biest, das seine Feinde durch tosendes Gebrüll unschädlich macht – es handelt sich dabei um einen Karton-Sandwurm, der auf einem mit Matratzen gepanzerten Fahrzeug angeseilt ist. Gekämpft wird beim LARPen ähnlich wie im Rest des Spiels, nur dass niemand verletzt wird. Aber alle sind mit voller Hingabe dabei und stürzen theatralisch zu Boden wenn ich ihnen das Herz rausreisse oder versprühen Konfetti bei Kopfschüssen mit Plastikpfeilen. Logisch? Nö. Köstlich? Jooo.

LARPen im «Mad Max»-Setting.
LARPen im «Mad Max»-Setting.

Wirklich alles in «Saints Row» ist auf Spass getrimmt. Autos klaue ich innert Sekunden, indem ich durchs Seitenfenster hechte – selbst wenn es meinen Kumpels gehört, die ich zuvor zur Verstärkung gerufen habe. Auch die kleinste Karre beschleunigt wie ein 700-kW-Elektroauto. Überall stehen Rampen, über die ich hunderte Meter weit springen kann und in der Luft steuere ich sie, als wären es Flugzeuge. Realistisch? Nee. Spassig? Hell, yeah.

Bei allen Missionen oder Nebenbeschäftigungen geniesse ich die liebevolle Umgangsform. Ich mag meine Buddys. Wir sind füreinander da. Dass ich trotzdem jedes Problem wie ein psychopathischer Massenmörder lösen kann, passt perfekt zu «Saints Row». Das widerspiegelt sich auch in den Dialogen. Beispielsweise zwischen mir und Eli, als wir das Hauptquartier der Marshalls-Privatarmee stürmen. Weil ich meinen Arbeitsvertrag nicht genau gelesen habe, sind die Saints nun zu einem Tochterunternehmen der Marshalls geworden.

The Boss: «I tried it your way, now back to murder»
Eli: «You can’t solve everything with murder»
The Boss: «You shut your mouth»

Übersetzt heisst das: «Ich habe es auf deine Art versucht, jetzt gehe ich zurück zu Mord. Man kann nicht alles mit Mord lösen. Du hältst deinen Mund.» Ich mag sie, diese liebevollen Idioten.

Der perfekte Zeitvertreib bis «GTA 6»

Wenn du auf Openworld-Actiongames stehst, gibt es aktuell kaum etwas besseres als «Saints Row». Die Missionen sind abwechslungsreich, das Kampfsystem durch zahlreiche Fantasiewaffen und Spezialangriffe angenehm abgedreht und alles ist mit einer ordentlichen Portion Humor gewürzt. Vieles in «Saints Row» läuft auf Schiessereien oder Verfolgungsjagden hinaus, wodurch das Gameplay etwas altbacken wirkt. Dennoch ist es kurzweilig genug, sodass es selten langweilig wird. Hinzukommen die Saints, die eine sympathische Truppe sind und denen ich keinen Wunsch abschlagen kann. Sei es das Entführen von Kuhstatuen mit Neenah oder das Chauffeur spielen für Kevin, damit er sein heissbegehrtes Mechaburger-Spielzeug bekommt.

Ich bring den Geldtransporter gleich wieder zurück. Versprochen.
Ich bring den Geldtransporter gleich wieder zurück. Versprochen.

Zu bemängeln sind lediglich die ab und zu etwas schlecht platzierten Checkpoints, das Gummiband-System bei Verfolgungsjagden und ein paar Bugs. Die Grafik haut auch niemanden aus den Socken. Besonders der Regen sieht eher aus wie ein feuchter Sandsturm. Die Welt lädt aber definitiv zu Spritztouren ein – und sei es nur, um mit den gepimpten Karren neue Weitsprung-Rekorde aufzustellen. Obendrauf gibt es einen Co-Op-Modus, mit dem das Spiel auch mit Freunden gespielt werden kann.

«Saints Row» schert sich nicht darum, das bedeutendste Openworld-Spiel aller Zeiten zu sein. Es will einfach Spass machen und das ist im voll und ganz gelungen.

«Saints Row» ist erhältlich für PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series S/X und Google Stadia. Das Spiel wurde uns von Plaion zur Verfügung gestellt.

Deep Silver Saints Row Day One Edition (PS5, DE)
Game

Deep Silver Saints Row Day One Edition

PS5, DE

Deep Silver Saints Row - Day One Edition (Xbox Series X, Xbox One X, Multilingual)
Game

Deep Silver Saints Row - Day One Edition

Xbox Series X, Xbox One X, Multilingual

Deep Silver Saints Row Day One Edition (PS5, DE)

Deep Silver Saints Row Day One Edition

Deep Silver Saints Row - Day One Edition (Xbox Series X, Xbox One X, Multilingual)

Deep Silver Saints Row - Day One Edition

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 

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