Pico 4 im Test: Tolles VR-Headset, für alle, die ihre Daten lieber mit TikTok statt Meta teilen wollen
Die Pico 4 ist die direkte Konkurrentin zur Meta Quest 2. Das Standalone-VR-Headset bietet eine höhere Auflösung, etwas mehr Sichtfeld, schwächelt dafür in der App-Auswahl. Die Datenschutzproblematik teilen sich die beiden.
Mit dem Launch der Playstation VR2 hat Virtual Reality wieder etwas Aufwind erhalten. Das ist gut so, denn es gibt tolle Spiele und jede Menge VR-Headsets. Einer der Neuzugänge im Standalone-Bereich heisst Pico 4 und wurde von Bytedance entwickelt. Das gleiche Unternehmen, das die Social-Media-App TikTok herausgibt. Klingt nicht naheliegend, unterschätzen solltest du die VR-Brille deswegen nicht.
Grosszügige Ausstattung und viel Tragekomfort
Die Pico 4 funktioniert autark, ohne PC und externe Sensoren. Im Display ist das Pendant eines Smartphones verbaut, damit Spiele und sonstige Apps direkt auf dem Headset installiert und benutzt werden können. In Sachen Ausstattung nimmt es die Pico 4 mit fast jedem VR-Headset auf. Hier sind die wichtigsten Daten in der Übersicht.
- Auflösung: 2160 x 2160 Pixel pro Auge
- Display: LCD
- Sichtfeld (FOV): 105 Grad
- Bildwiederholrate: bis 90 Hz
- Linsen: Pancake
- Tracking: 6 DoF Inside-out
- Audio: integrierte Stereo-Lautsprecher
- Passthrough: Farbbild dank 16MP-RGB-Kamera
- Prozessor: Qualcomm XR2, 2,85 GHz
- RAM: 8 GB
- Speicher: 128 GB oder 256 GB
Bei der Auflösung muss selbst die Playstation VR2 mit ihren 2000 x 2040 Pixeln pro Auge hinten anstehen. Mindestens so wichtig, wie ein scharfes Bild, ist der Tragekomfort. Zwar ist die Pico 4 etwas hart gepolstert, sie fühlt sich dennoch relativ bequem an. Am ehesten spüre ich Druck auf den Wangenknochen. Das Gewicht ist sehr gleichmässig verteilt. Standalone-VR-Headsets sind oft frontlastig, weil im Display ein Mini-Computer verbaut ist. Die Meta Quest 2 beispielsweise liegt schwer im Nacken und zieht meinen Kopf nach hinten. Mit der Pico 4 kann ich ein bis zwei Stunden am Stück spielen und bekomme nicht mal einen roten Abdruck im Gesicht.
Das Anziehen ist gut gelöst, einfacher sogar als mit Sonys neuer Brille. Ich halte den Displayteil mit der rechten Hand und die Kopfstütze mit der linken Hand. Weil sich die Bügel auf der Seite ungefähr in einem 70-Grad-Winkel hochschieben lassen, kann ich mein Gesicht in das Headset legen und anschliessend die Kopfstütze wieder nach unten schieben. Da ich den Klettverschluss am Kopfband sowie den Drehverschluss auf der Rückseite eingestellt habe, muss ich nichts nachstellen.
Die Pico 4 liegt bezüglich der Verarbeitung etwa auf der Höhe der Playstation VR2. Das Headset wirkt etwas robuster, dafür fühlen sich die Controller billiger an. Die Knöpfe, Tasten und Analogsticks sind bei PS VR2, Quest 2 und besonders der Quest Pro wertiger. Die Anordnung der Knöpfe ist dafür praktisch identisch mit Metas Controllern. Es gibt allerdings je eine zusätzliche Menütaste. Die Controller liegen gut in der Hand, der Mittelfinger-Trigger dürfte etwas tiefer platziert sein.
Der 5300 mAH grosse Akku hält beim Spielen ungefähr drei Stunden.
Scharfes Bild und Sound direkt aus dem Headset
Die Pico 4 besitzt sogenannte Pancake-Linsen. Die sorgen für einen grosszügigen Schärfebereich. Dafür lassen sie weniger Licht hindurch als Fresnel-Linsen, wie sie beispielsweise die PS VR2 verwendet. Die leidet wiederum darunter, dass das Bild nur in einem sehr schmalen Bereich gestochen scharf ist. Die Pico 4 kann ich mir einfach überstülpen und das Bild ist immer scharf. Der richtige Augenabstand (PID) wird über ein Menü eingestellt, das die Linsen in Stellung bringt. Dabei muss ich mich auf mein Gefühl verlassen. Ich denke dabei sehnsüchtig an die PS VR2, die dank interner Kamera visuell anzeigt, wann die Augen ausgerichtet sind.
Überzeugt hat mich die Pico 4 beim Abdunkeln. Ausser bei der Nase dringt praktisch kein Licht in die Brille. Die Quest 2 und die PS VR 2 dunkeln einen Zacken besser ab.
Beim Spielen überzeugt die Pico 4 fast auf ganzer Linie. Das Inside-Out-Tracking funktioniert einwandfrei. Die Controller steuern sich präzise und das Bild ruckelt nie, auch nicht, wenn ich den Kopf schnell bewege. Das Sichtfeld ist grösszügig und ich kann den schwarzen Rand, der mit VR-Brillen immer sichtbar ist, gut ausblenden. Meistens habe ich Spiele vom PC gestreamt. Dort kann ich auf all meine gekauften VR-Spiele zugreifen. Hinzukommt, dass die PC-Versionen deutlich besser aussehen, als ihre Mobile-Pendants. Das Streamen funktioniert ganz einfach. Ich muss nur Picos Streaming Assistant auf dem PC installieren und die beiden Geräte per WLAN verbinden. Beim Displaymodus habe ich die höchste Bildqualität und 90 Hz ausgewählt. Abgesehen von gelegentlichen kleinen Rucklern funktioniert das perfekt.
Die Bildqualität ist dank der hohen Auflösung der Pico 4 sehr gut. Ausnahme sind Spiele mit vielen dunklen Szenen wie «Half-Life Alyx». Dabei tritt der Screen Door Effekt deutlich auf. Das bedeutet, dass ich das Display in der Brille wahrnehme und eine unbeleuchtete schwarze Ecke pixelig grau aussieht. Das fällt besonders auf, weil ich auch die PS VR2 zuhause habe. Es ist die einzige VR-Brille, die auf OLED statt LCD setzt. Das sorgt für das kontrastreichste Bild mit den stärksten Farben und schwarz ist dort auch richtig schwarz. Aber weil Sonys Brille nicht mit PCs kompatibel ist, fällt dieses Defizit bei der Pico 4 nicht sonderlich ins Gewicht.
Für einen kurzen Direktvergleich mit Meta Quest 2, Quest Pro und PS VR2 habe ich «Moss» installiert. Das gibt es auf allen Plattformen. Das Spiel sieht mit der Pico 4 etwas schärfer aus als bei der Quest 2. Im Vergleich mit der Quest Pro erkenne keinen Unterschied. Die Meta-Brillen sind minimal heller, dafür ist der Kontrast eine Spur besser bei der Pico 4. Am besten sieht das Bild mit der PS VR2 aus. Das liegt nicht nur am besseren Display, sondern auch daran, dass die PS5 die stärkste Hardware besitzt. Zudem wird das Spiel mit mehr Details gerendert.
Der Sound der integrierten Lautsprecher reicht vollkommen aus. Für mehr Immersion und um mich besser abzuschotten, kann ich Kopfhörer verwenden. Allerdings klappt dies nur via Bluetooth. Einen Kopfhöreranschluss gibt es nicht. Ich habe es mit meinen etwas älteren Sennheiser Momentum 2 probiert. Das funktioniert wunderbar und die Kopfhörer stossen nirgends störend an. Anders sieht es aus, wenn ich die grösseren Astro A50 verwende. Da kommen sich die Bügel in die Quere.
Intuitive Bedienung, beim App-Angebot hapert’s
Die Pico 4 steuert sich fast genauso wie eine VR-Brille von Meta. Starte ich die Brille, werde ich von einem schwebenden Menü begrüsst. Von da gelange ich in den Store, um Apps zu installieren, kann Spiele starten oder Einstellungen vornehmen. Das Gleiche während dem Spielen. Hier stehen mir die typischen Knöpfe, wie sie jeder klassische Controller besitzt, zur Verfügung. Hinzukommen auf jeder Seite ein Home-Button, der das Pico-Menü öffnet, sowie eine dedizierte Taste für Screenshots. Die Menüführung ist klar verständlich.
Das Headset selbst verfügt lediglich über drei Tasten. Den Power-Button auf der rechten Seite und die Lautstärke-Tasten auf der rechten oberen Seite der Bügel. Sie sind gut auffindbar, wenn ich die Brille aufhabe.
Ein sehr nützliches Feature ist die Möglichkeit, das Headset auf der Seite zweimal anzutippen. Dann wechselt die Pico 4 in den Passthrough-Modus. Damit kann ich meine Umgebung durch die Brille hindurch betrachten. Sehr nützlich, wenn meine Frau oder die Kinder etwas von mir wollen oder
ich wissen will, ob ich gleich mit meinem Pult zusammenpralle. Davor warnen allerdings auch die virtuellen Banden, die sichtbar werden, sobald ich meinen definierten Spielbereich verlasse. Diesen erstelle ich, indem ich mit den Controllern am Boden Linien einzeichne.
Die Passthrough-Aktivierung gefällt mir besser als die Taste bei der PS VR2, die ich immer erst erfühlen muss. Das Bild ist farbig, ein weiterer Vorteil im Vergleich zu Meta Quest 2 und PS VR2. Die Perspektive ist leicht verzogen und alles sieht etwas vergrössert aus. Trotzdem kann ich problemlos Dinge greifen, ohne daneben zu fassen.
Die Pico 4 beherrscht Hand-Tracking. Die Option muss aber aktiviert werden. Dazu klicke ich in den Einstellungen siebenmal auf die Software-Version. Danach wird der Entwicklermodus freigeschaltet. Unter diesem neuen Menüpunkt kann ich das Hand-Tracking einschalten und die VR-Umgebung ohne Controller steuern.
Eine klare Schwäche von Pico ist die App-Auswahl. Die hinkt deutlich hinter Meta hinterher. «Star Wars: Tales from the Galaxy's Edge», «Moss 2» oder «Beat Saber» suchst du vergebens. Mit «The Walking Dead: Saints & Sinners» gibt es zwar auch den einen oder anderen «neueren» Titel, aber oft sind die Spiele-Portierungen nur dürftig umgesetzt und sehen weniger knackig aus als auf der Quest 2. Auch kann ich im Store nicht nach Games filtern. Das ist halb so schlimm, weil sowieso fast nur Spiele angezeigt werden. Die mangelnde Game-Auswahl wird auch nicht durch Exklusiv-Titel kompensiert. Hier hat die Pico 4 klar das Nachsehen. Glücklicherweise gibt es die Streaming-Möglichkeit vom PC.
Ein Wort zum Datenschutz
Bytedance, die Firma hinter Pico 4 und zu der auch TikTok gehört, stand des öfteren in den Schlagzeilen wegen ihres Umgangs mit dem Datenschutz. Aus diesem Grund ist letzte Woche in den USA ein Gesetz erlassen worden, das Apps verbieten kann, welche die nationale Sicherheit beeinträchtigen. Wenn du die Pico 4 einrichtest, musst du diversen AGBs zustimmen. Dort steht unter anderem, dass sie so ziemlich alle möglichen Daten und Verhaltensmuster sammeln und diese auch an Dritthersteller weitergeben. Es dürfte klar sein, dass diese Daten auch mit dem Mutterkonzern Bytedance in China geteilt werden. Falls du diesbezüglich Bedenken hast, musst du wie bei der Quest 2 von Meta einen weiten Bogen um die VR-Brille machen.
Fazit: Am besten in Verbindung mit dem PC
Die Pico 4 ist eine solide VR-Brille. Die Controller liegen gut in der Hand, das Tracking funktioniert präzise und das Display erzeugt ein knackiges Bild. Auch die Bedienung ist durchdacht. In den Menüs finde ich mich sofort zurecht. Das Feature, dass ich nur zweimal den Headset-Bügel antippen muss, um den Passthrough-Modus zu aktivieren, möchte ich nicht mehr missen. Positiv fällt auf, wie leicht ich die Pico 4 anziehen kann. Ich muss mich nicht hineinzwängen wie bei der Quest Pro oder erst gefühlt minutenlang den Schärfepunkt finden wie bei der PS VR2. Ich kippe einfach die Bügel hoch, setze sie auf und fertig. Bezüglich Plug-and-play ist sie für mich die unkomplizierteste Brille. Auch Spiele vom PC streamen funktioniert zuverlässig und störungsfrei.
Verbesserungsfähig ist die Polsterung. Die fällt hart aus, dank der guten Gewichtsverteilung bleibt die Pico 4 aber bequem. Der schwächste Punkt neben Datenschutzbedenken ist die App-Auswahl. Falls du das Headset ausschliesslich autark verwendest, musst du dich mit einer mageren Zahl an Spielen und Apps abfinden. In diesem Fall würde ich zur Quest 2 raten oder wenn das Geld locker sitzt, zur Quest Pro. In Verbindung mit einem PC kommt die Pico 4 erst richtig in Fahrt. Zwar sind die Controller nicht ganz so High End wie die der Quest Pro, dafür ist die Brille einiges leichter. Am Preis von rund 500 Franken gibt es wenig zu meckern. Darum werde ich künftig am PC zur Pico 4 greifen, wenn ich VR spiele – und weiterhin dem Umstand nachtrauern, dass die PS VR2 nicht mit dem PC kompatibel ist. In Sachen Bildqualität bleibt Sonys VR-Headset unangefochten.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.