MGM / Amazon Prime Video
Meinung

Paukenschlag: James Bond droht, zum seelenlosen Franchise zu werden

Luca Fontana
21.2.2025

Die britische Ikone James Bond verliert ihre kreative Heimat: Barbara Broccoli gibt die Kontrolle über 007 ab – an Amazon, einen Streaming-Giganten, der Inhalte für Algorithmen produziert. Steht Bond vor seiner grössten Identitätskrise?

James Bond ist nicht nur der berühmteste Geheimagent der Welt. Er ist ein Mythos. Eine Institution, die mindestens so tief in der britischen Selbstverständlichkeit verwurzelt ist wie die selige Queen, der Nachmittagstee oder Mr. Bean. Die Balance zwischen Tradition und Erneuerung hielt jahrzehntelang eine einzige Konstante: die Familie Broccoli.

Jetzt ist genau das passiert, was Barbara Broccoli, Tochter des legendären Albert «Cubby» Broccoli, der James Bond in den 1960er Jahre zum weltweiten Phänomen machte, immer verhindern wollte:

Die kreative Kontrolle über James Bond geht an einen Grosskonzern über. Sie liegt nun ganz bei Amazon. Das bestätigt die Familie Broccoli über zahlreiche Medien wie The Verge oder Variety.

Ein Schock.

Ein erzwungener Rückzug

Unruhen gab’s seit «James Bond: No Time to Die» hinter den Kulissen schon lange. Das begann mit der Übernahme des Traditionsstudios MGM durch Amazon vor knapp vier Jahren. Damit krallte sich der E-Commerce-Gigant zahlreiche Lizenzen fürs Kino- und Streaminggeschäft. Darunter «The Hobbit», «Rocky», «Creed» – und «James Bond».

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Zum Deal gehörte allerdings, dass die Familie Broccoli die Hälfte der kreativen Kontrolle über James Bond behalten würde. Und weil sich die Broccolis und Amazon nicht auf einen gemeinsamen Nenner einigen konnten, wie das Agenten-Franchise weiterzuführen ist, stockte die Produktion des nächsten Filmes. Noch im Dezember 2024 schimpfte Barbara Broccoli die Amazon-Leute «fucking idiots», weil sie Bond angeblich nicht verstehen.

Jetzt, zwei Monate später, gibt Barbara Broccoli die kreative Kontrolle ab – still, ohne grossen Knall, ohne öffentliche Gegenwehr. Das stinkt nach einem Machtkampf hinter den Kulissen, den Broccoli am Ende verloren hat. Vielleicht gab es sogar Druck von Amazon: «Entweder ihr arbeitet mit uns, oder wir machen James Bond ohne euch.» Die Familie Broccoli hat dann wohl lieber den geordneten Rückzug gewählt, um wenigstens ihre finanziellen Beteiligungen zu behalten. Kein grosser Abschied, keine kämpferische letzte Botschaft – nur ein sachliches Statement, dass sie sich «anderen Projekten widmen».

So klingt keine «freiwillige» Übergabe, sondern ein stilles Ende.

Mich beunruhigt das. Nicht, weil ich mich sorge, dass Bond unter einem amerikanischen Unternehmen nicht bestehen könnte. «Cubby» Broccoli war ebenfalls Amerikaner. Aber er verstand Bond. Er liess die Filme nie wie Hollywood-Blockbuster wirken, sondern immer wie ein britisches Prestige-Projekt. Seine in England aufgewachsene Tochter führte diese Tradition fort.

Ob Amazon dieses Erbe versteht und respektiert, scheint zumindest fraglich. Es besteht die Gefahr, dass 007 zu einem glattpolierten, datengesteuerten und von kurzlebigen Trends bestimmten Prime-Produkt wird.

Es droht der Identitätsverlust

Genau dagegen hat sich Barbara Broccoli jahrelang gewehrt. Es gab nie einen Bond-Spin-off, keine seelenlosen Streaming-Serien, keine Algorithmen-Entscheidungen darüber, wie Bond sein muss. Oder wer. Bond war Kino. Bond war ein Event. Jetzt gehört er endgültig einem Konzern, dessen Heimat nicht das Kino, sondern der Online-Handel ist. Wie das ausgehen kann, haben wir bei «Lord of the Rings: The Rings of Power» gesehen:

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Mal sehen, ob Amazon wirklich verstanden hat, was sie da in die Hände bekommen haben. James Bond ist nämlich nicht bloss ein Actionheld. Das war er nie. Auch nicht damals, als er «nur» eine Romanfigur in Ian Flemings Büchern war. Fleming, selbst ehemaliger Geheimdienstoffizier der britischen Royal Navy, zeichnete seinen Agenten schon immer als eine Projektion britischer Stärke in einer Welt, in der das Empire zerfiel und in der Grossbritannien seinen Platz neu definieren musste.

Bond ist ein Relikt aus dieser Zeit – einer anderen Zeit –, und genau das ist seine Stärke. Er hat sich zwar immer wieder weiterentwickelt. Weg vom «sexistischen, mysogonischen Dinosaurier» aus den frühen Filmen. Aber nie um jeden Preis. Selbst Daniel Craig schaffte es, eine introspektive, moderne Version von Bond auf die Leinwand zu bringen, ohne seine Essenz zu zerstören.

Unter einer kreativen Leitung von Amazons Teppichetage droht Bond genau die Identität zu verlieren, die ihn einzigartig machte. Wer weiss, vielleicht sind wir nur noch eine Amazon-Pressemitteilung davon entfernt, dass Bond offiziell zum JBCU wird – dem James Bond Cinematic Universe.

Die Marvelisierung von Bond

Sind meine Sorgen zu weit hergeholt? Ich denke nicht. Marvel war einst ebenfalls das unantastbare Franchise schlechthin. Heute ist es eine ausgebrannte Marke, weil Disney das Marvel Cinematic Universe zunehmend zu einem Fliessband-Produkt gemacht hat. Zu viele Filme, zu viele Serien, zu viel belangloser Content, der nicht mehr erzählt wird, um eine gute Geschichte zu bieten, sondern um das nächste grosse Event vorzubereiten.

Bond könnte dasselbe Schicksal drohen. Ein Bond-Film würde dann nicht mehr der krönende Abschluss jahrelanger Planung sein, sondern ein weiterer Baustein im Content-Karussell.

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Denn Amazon wird Bond nicht einfach nur weiterführen – Amazon wird Bond «optimieren». Das behaupte ich jetzt einfach mal. Und Optimierung in Streaming-Logik bedeutet: mehr Inhalte, mehr Spin-offs und mehr Masse statt Klasse. Vielleicht eine Bond-Serie über M oder Q. Vielleicht eine Young-Bond-Show für den globalen Streaming-Markt. Oder eine familienfreundlichere, leichtere Version von Bond, weil eine harte in manchen Märkten nicht so gut läuft.

Dann wird Bond nicht mehr für die Leinwand gemacht, sondern für die Prime-Startseite und den Prime-Algorithmus. Und das wäre genau das, wovor Barbara Broccoli uns über Jahre hinweg beschützt hat.

Titelbild: MGM / Amazon Prime Video

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