Neue Art von Magnetismus entdeckt
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Neue Art von Magnetismus entdeckt

Sie wirken wie eine Mischung von Ferro- und Antiferromagneten und könnten neuartige Technologien ermöglichen. Das Überraschende: Altermagnete sind alles andere als selten.

Vor Jahrtausenden kam die Menschheit erstmals mit Magnetismus in Kontakt: Die seltsamen Kräfte, die vom ferromagnetischen Magnetit ausgehen, fielen unter anderem Gelehrten im heutigen China und in Griechenland auf. Inzwischen haben Physikerinnen und Physiker die Mechanismen hinter magnetischen Materialien ausgiebig untersucht – und doch machte ein Team um den Festkörperphysiker Libor Šmejkal von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2020 eine erstaunliche Entdeckung: Es beobachtete ein seltsames Verhalten von Elektronen, das sich nur durch eine neue, bisher unbekannte Form von Magnetismus erklären liess. Ob ein solcher «Altermagnetismus» wirklich existiert, blieb zunächst offen. Doch haben drei Forschungsgruppen unabhängig voneinander in Laborexperimenten nachgewiesen, dass Altermagnetismus real ist. Und nicht nur das: Er könnte sich in der Praxis als überaus nützlich erweisen.

Was in der Vergangenheit wie eine magische Kraft wirkte, ist inzwischen genauestens verstanden. Magnete sind kristalline Festkörper, die aus in regelmässigen Gittern angeordneten Atomen bestehen. Diese Atome besitzen eine Art Eigendrehimpuls, einen «Spin», der in verschiedene Richtungen zeigen kann. Sind die atomaren Spins in einem Kristall alle gleich ausgerichtet, handelt es sich um einen Ferromagneten, wie das bereits in der Antike beobachtete Magnetit. In anderen Stoffen sind die Spins hingegen so wild durcheinandergewürfelt, dass sie keiner erkennbaren Struktur folgen – solche Materialien gelten als nichtmagnetisch. 1930 entdeckte der Physiker Louis Néel eine zweite Form von Magnetismus in sogenannten Antiferromagneten. Sie erzeugen zwar kein äusseres Magnetfeld, doch die Spins in ihrem Inneren sind geordnet: Sie zeigen abwechselnd in unterschiedliche Richtungen. Wenn der Spin eines Atoms nach Norden zeigt, sind die Spins der benachbarten Atome nach Süden gerichtet. Somit heben sich die magnetischen Momente der Teilchen gegenseitig auf. Antiferromagnete tauchen in der Natur deutlich häufiger auf als Ferromagnete.

Lange übersehene Form des Magnetismus

Wie sich herausstellt, haben selbst Fachleute jahrzehntelang eine dritte Form des Magnetismus übersehen. «Altermagnete verbinden quasi die Eigenschaften von Ferromagneten und Antiferromagneten», sagt der Festkörperphysiker Hans-Joachim Elmers von der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, der am Nachweis von Altermagneten beteiligt war. Von aussen betrachtet erzeugen diese Materialien ebenso wie Antiferromagnete kein Magnetfeld. Doch tatsächlich besitzen sie Merkmale, die eigentlich Ferromagneten vorbehalten sind.

Das stellten Šmejkal und seine Arbeitsgruppe fest, als sie ein so genanntes Hall-Experiment durchführten: Dabei wird untersucht, wie ein Magnetfeld den Stromfluss durch einen Leiter beeinflusst. Seit dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass dabei eine Lorentzkraft entsteht, die den Strom von seiner Bahn ablenkt. Wie der Physiker Edwin Hall allerdings erkannte, lässt sich diese Ablenkung auch beobachten, wenn der Leiter selbst magnetisch ist – dann ist kein äusseres Magnetfeld nötig. Dieses Phänomen ist als «anomaler Hall-Effekt» bekannt.

Fachleute erkannten, dass Altermagnete zwar einige Schlüsseleigenschaften mit Antiferromagneten teilen, aber noch mehr mit Ferromagneten gemeinsam haben.
Igor Mazin, Physiker

Šmejkal und seine Kollegen und Kolleginnen beobachteten 2020 den anomalen Hall-Effekt in Rutheniumoxid, einem antiferromagnetischen Stoff. «Das war sehr überraschend, schliesslich ging man bis dahin davon aus, dass der Hall-Effekt durch diese gegensätzlichen magnetischen Momente kompensiert wird», sagte Šmejkal in einer Pressemitteilung von 2020. Offenbar sind nicht alle Materialien, die bisher als Antiferromagnete klassifiziert wurden, gleich. Unter ihnen lauern auch Stoffe, die offenbar einer anderen Form von Magnetismus angehören, dem so genannten Altermagnetismus.

In den kommenden Jahren erkannten Forscherinnen und Forscher, dass zahlreiche als Antiferromagnete klassifizierte Materialien in Wirklichkeit altermagnetisch sein könnten. «Fachleute erkannten, dass Altermagnete zwar einige ihrer Schlüsseleigenschaften mit Antiferromagneten teilen, dass sie aber noch mehr mit Ferromagneten gemeinsam haben», schrieb der Physiker Igor Mazin von der George Mason University in Fairfax in einem Beitrag der American Physical Society. Neben dem anomalen Hall-Effekt weisen Altermagnete weitere elektronische Eigenschaften auf, die sonst nur in Ferromagneten auftreten. Doch ihre atomaren Spins sind wie bei Antiferromagneten entgegengesetzt ausgerichtet.

Schaut man allerdings genauer hin, lässt sich eine zusätzliche Ordnung erkennen, die Antiferromagnete nicht haben: In Altermagneten haben alle Elektronen, die sich in dieselbe Richtung bewegen, einen gleich ausgerichteten Spin. «Dieses Ordnungsphänomen hat nichts mit der räumlichen Ordnung zu tun – also mit dem Aufenthaltsort der Elektronen –, sondern nur mit den Richtungen der Elektronengeschwindigkeiten», sagt Elmers. Dieser wesentliche Unterschied führt dazu, dass die Materialien unerwartete Merkmale besitzen, die eigentlich Ferromagneten vorbehalten sind.

Experimenteller Nachweis von Altermagnetismus

Den drei Arbeitsgruppen ist es gelungen, die theoretischen Vorhersagen über Altermagneten in Experimenten zu bestätigen – und damit die Existenz einer neuen Form von Magnetismus nachzuweisen. Die Forschungsgruppe um Elmers hat dafür am Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg eine dünne Schicht aus Rutheniumdioxid mit Röntgenlicht bestrahlt, das die Elektronen des Stoffs so weit anregte, dass sie aus der Schicht herausgeschlagen und detektiert wurden. Daraus liessen sich sowohl die Geschwindigkeit als auch die Spinrichtung der Teilchen bestimmen. Die Ergebnisse legen nahe, dass Rutheniumdioxid wie theoretisch vorhergesagt ein Altermagnet ist. Die Resultate haben die Forschenden am 31. Januar 2024 in «Science Advances» veröffentlicht.

Ein anderes Forschungsteam um Tomas Jungwirth von der University of Nottingham sowie eine Gruppe um Chang Liu von der Southern University of Science and Technology in Shenzhen haben Mangantellurid und Manganditellurid untersucht. Theoretischen Berechnungen zufolge sollte es sich bei beiden Materialien ebenfalls um Altermagnete handeln. Mit winkelauflösender Fotoelektronenspektroskopie ist es beiden Gruppen gelungen, eindeutige altermagnetische Eigenschaften in beiden Stoffen nachzuweisen. Ihre Ergebnisse haben sie am 14. Februar 2024 im Fachjournal «Nature» veröffentlicht. «Die beiden Gruppen haben unterschiedliche experimentelle Ansätze und Analysemethoden verwendet und konnten Aufschluss über die komplexen magnetischen Strukturen dieser Materialien geben», schreibt die Physikerin Carmine Autieri von der Polish Academy of Sciences in Warschau, die nicht an den Arbeiten beteiligt war, in einem begleitenden Artikel.

Die neu entstehenden Konzepte werden vermutlich bald integraler Bestandteil Physiklehrbücher sein.
Carmine Autieri, Physikerin

Die neu entdeckte Form des Altermagnetismus könnte eine Vielzahl technologischer Anwendungen ermöglichen. Vor allem im Bereich der Spintronik, bei der Signale nicht durch die Ladung, sondern die Spins von Teilchen transportiert werden, könnten Altermagnete hilfreich sein. «Ferromagnete können magnetische Streufelder induzieren, die die Leistung des Materials beeinträchtigen, aber diese Felder treten bei Antiferromagneten nicht auf», schreibt Autieri. Mit Altermagneten lassen sich daher ferromagnetische Eigenschaften nutzen, ohne störende Magnetfelder zu erzeugen. Zudem könnten Altermagnete Bauteile mit höheren Taktfrequenzen ermöglichen als bisher. «Diese neu entstehenden Konzepte werden vermutlich bald integraler Bestandteil Physiklehrbücher sein», so Autieri.

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Originalartikel auf Spektrum.de
Titelbild: Libor Šmejkal und Anna Birk Hellenes / JGU

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