Hintergrund
Apple iOS 14.5: Privatsphäre für das moderne Internet
von Dominik Bärlocher
Meta droht der EU. Sollte der Datenschutz weiter verschärft werden, sei es dem Konzern nicht mehr möglich, den Betrieb in Europa aufrechtzuerhalten. Am Ende: Alles nur Säbelrasseln.
Die Schlagzeilen und Artikel der vergangenen Tage klingen hart: «Facebook-Mutterkonzern Meta könnte den Europäern bald den Stecker ziehen!», schreibt der Blick mit Ausrufezeichen. 20min.ch hingegen gibt sich vorsichtiger mit «Der Facebook-Mutterkonzern hat erneut die Möglichkeit angedeutet, seine wichtigsten Dienste in Europa einzustellen, wenn er die Daten seiner Nutzer nicht auf seine Server in den USA übertragen kann.»
Meta ist seit diesen Schlagzeilen zurückgerudert. In einer Pressemitteilung lässt der ehemals als Facebook bekannte Konzern die Öffentlichkeit wissen, dass kein Rückzug geplant sei.
Es ist naiv zu glauben, dass Meta die Bemerkung von wegen «könnten Services wie Facebook und Instagram nicht mehr zur Verfügung stellen» versehentlich in den Jahresreport 2021 geschrieben hat. Ein Konzern wie Meta, mit einer unheimlich grossen wirtschaftlichen Macht, macht keine «Hoppla, war nicht so gemeint»-Fehler. Die Drohung, die vielleicht nur Prognose ist, ist klar, wenn auch latent. Selbstverständlich ist der Wortlaut so gewählt, dass Meta mit einer Pressemitteilung wie der obigen einen leichten Weg aus der Situation hat, trotzdem aber für Schlagzeilen sorgt.
Eine Analyse eines perfekten PR-Stunts.
Meta, der Mutterkonzern Facebooks, spricht solche Drohungen nicht einfach so aus. Die Drohung kann als solche verstanden werden, oder als eine Feststellung eines Fakts. Genau das wollte Meta damit erreichen. Es handelt sich um klassisches Säbelrasseln. Der Wortlaut aus dem Meta Annual Report des Jahres 2021:
Übersetzt:
Das klingt komplex, ist es aber nicht. Im Wesentlichen steht da, dass der Rückzug aus Europa ein letztes Mittel ist. Bevor Meta zu diesem drastischen Schritt greift, müssen alle folgenden Statements zutreffen:
Selbst wenn alle diese drei Dinge zutreffen, ist es immer noch nicht gesagt, dass der Rückzug beschlossene Sache ist. Meta könnte die Daten in Europa verarbeiten. Deshalb sind die Drohungen nur Säbelrasseln: Meta will nicht aus Europa weg.
Meta will unbedingt am europäischen Markt festhalten. Der Grund: Geld. Im Geschäftsjahr 2021 hat Meta in Europa laut dem Earnings Report Q4/2021 (Seite 2) in Europa 28 573 000 000 US-Dollar – also 28 Milliarden Dollar – eingenommen. Das entspricht 26 372 736 135 Franken. Damit ist Europa Metas zweitgrösster Markt.
Wenn sich Meta aus Europa zurückzieht, würden dem Konzern 24,68 Prozent seiner Gesamteinnahmen verloren gehen.
Das dürfte Geld sein, auf das Meta nicht verzichten will. Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass Meta als Anlage weit volatiler ist als bisher angenommen. Anfang Februar 2022 hat der Konzern innerhalb eines Tages mehr als 26 Prozent seines Aktienwerts eingebüsst. Der Verlust beziffert sich auf 230 Millionen US-Dollar. Das ist der grösste Verlust binnen eines Tages der Geschichte der Börse. Der Grund: Eine einzelne Aktie sollte Ende 2021 3.84 USD kosten. Am Ende des Jahres stand der Wert bei 3.67 USD, also 17 Cent unter dem Wert, der von Investoren erwartet wurde. Dazu kommt, dass Meta zum ersten Mal in der Firmengeschichte verkündete, dass weniger Leute pro Tag Facebook nutzen. Die Nutzerzahlen bei Instagram und WhatsApp wachsen aber weiterhin.
Weiter kommt hinzu, dass Apple mit seinem «Do Not Track»-Feature Facebook ein wichtiges Einnahmewerkzeug genommen hat. Seit iOS 14.5 bekommen User die Wahl, wenn sie eine App zum ersten Mal öffnen: Darf die App Nutzerdaten sammeln, aufzeichnen und weiterverkaufen? Das hat dazu geführt, dass Meta Apple die Schuld am Verlust von 10 Milliarden US-Dollar gibt.
Facebooks Geschäftsmodell basiert unter anderem auf:
Nun ist der Teil mit den User-Daten zu einem bemerkenswerten Teil weggefallen und hat das Unternehmen 10 Milliarden Dollar gekostet. Nebst Apple könnte auch die EU Meta einen Strich durch die Rechnung machen.
Als Beispiel eines solchen Gesetzes oder eines Regulariums gibt Meta den Privacy Shield an. Dieses Abkommen hat zwischen 2016 und 2020 den Datenaustausch über den Atlantik geregelt. Der Privacy Shield wurde vom Europäischen Gerichtshof am 16. Juni 2020 für ungültig erklärt. Als Grund gibt der Gerichtshof an, dass der Privacy Shield Daten aus Europa nicht ausreichend schützt.
An die Stelle des Privacy Shields wird ein weiteres Abkommen treten. Dieses ist aber noch nicht beschlossen. Facebook befürchtet nun, dass dieses Abkommen den Datenaustausch des Meta-Konzerns stärker regelt oder einschränkt.
In diesem Zusammenhang sind auch andere Abkommen in den Fokus gerückt. Die Standard Contract Clauses (SCCs) werden derzeit vom Gesetzgeber genau untersucht. Meta hat in diesem Zusammenhang im August 2020 einen ersten Entwurf der Entscheidung der Irish Data Protection Commission (IDPC) erhalten. Darin steht, dass die SCCs keinen ausreichenden Schutz der Daten der Europäer bieten. Im Extremfall würde das bedeuten, dass keine Daten aus Europa in die USA zu Meta abfliessen dürfen.
Meta selbst kann wenig tun. Denn der Konzern selbst ist nicht direkt in den Gesetzgebungsprozess involviert. Doch Meta muss nicht nur einfach warten und darauf hoffen, dss die Regularien und Abkommen für den Konzern aus den USA besser ausfallen. Meta hat in der EU 25 Lobbyisten. Darunter sind Menschen wie Hans Hoefnagels und Lara Levet, die am Europäischen Parlament akkreditiert sind. Ihre Aufgabe ist es, Politiker und deren Entscheidungen so zu beeinflussen, dass Meta Vorteile davon hat.
Am Ende bleibt Meta nur die Frage, ob sich der Betrieb in Europa nach wie vor lohnt oder nicht. Oder ob es möglich ist, den Betrieb in seiner aktuellen Form aufrechtzuerhalten. Sollte dem nicht so sein – das ist aber extrem unwahrscheinlich –, dann könnte Meta sich ganz aus dem europäischen Markt zurückziehen, oder eine Lösung analog TikTok anbieten.
Die Kurzvideoplattform TikTok existiert in zwei softwareseitig identischen Versionen. Zum einen ist da Douyin für den chinesischen Markt. Auf der anderen Seite der Great Firewall of China gibt es TikTok. Douyin-Nutzerinnen haben in der Smartphone-App keinen Zugriff auf TikTok-Content. TikTok-Nutzer haben keinen Zugriff auf Douyin-Videos, wenn sie die App benutzen. In der Browser-Version ist es möglich, beide Seiten via URL aufzurufen.
Zum Lobbyismus und einem höchst theoretischen und unwahrscheinlichen Split kommt natürlich die Öffentlichkeitsarbeit. Wenn Meta latent droht, sich aus Europa zurückzuziehen, dann macht das Schlagzeilen. Aus «Wenn X Faktoren nicht zutreffen, dann ist das etwas, das wir uns überlegen könnten» wird eine Skandalmeldung mit Ausrufezeichen.
Meta weiss das.
Wenn dann ein paar Tage später die beruhigende Pressemitteilung kommt, dann wird diese wohl kaum beachtet. Selbst wenn die Medien abwiegeln, im Kopf der Leser bleibt die Skandalmeldung von vor ein paar Tagen.
Meta hat das Säbelrasseln beendet. Vorerst. Natürlich ist die Arbeit des Konzerns noch nicht getan. Diese beginnt jetzt erst. Nach dem Fall des Privacy Shields ist der Beschluss eines neuen Abkommens fällig. Bis die Tinte auf diesem Abkommen trocken ist, wird Meta dafür kämpfen, dass dieses möglichst Meta-freundlich ist.
Ein Blick in die Mitteilung zeigt, was die Strategie ist:
So weit, so gut. Doch ganz am Ende kann Meta es dann doch nicht lassen. Der Konzern publiziert eine neue latente Drohung. Es ist nach wie vor naiv zu glauben, dass Meta nicht weiss, was sie da schreiben.
Well played, Meta, well played…
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.