Mentaltraining: Was du dir vom Sport fürs Leben abschauen kannst
Hintergrund

Mentaltraining: Was du dir vom Sport fürs Leben abschauen kannst

Sie atmen tief durch, schließen die Augen und finden sich wieder vor dem Fußballtor. Anlauf, Schuss und Treffer. Das ist kein Auszug aus Ronaldos Träumen, sondern Mentaltraining. Das Gute daran: Es funktioniert nicht nur auf dem Fussballfeld, sondern auch in deinem Alltag.

Im späten 19. Jahrhundert wurde Mentaltraining durch den Gründer des Internationalen Olympischen Komitees, Pierre de Coubertin, zum Standard in der Wettkampfvorbereitung. Er sah im Sport die geistige Vervollkommnung des Menschen, wie die «arte»-TV-Dokumentation «Think Gold – Mentaltraining im Spitzensport» zeigt. Es aktiviert Ressourcen, schult den Umgang mit Stresssituationen und lässt Ziele so lange visualisieren, bis sie sich erfüllen. Wie ein Muskel wird so auch unser Gehirn trainiert.

Auch das deutsche Fußball-Nationalteam bewies bei der Weltmeisterschaft 2014 das riesige Potenzial mentaler Wettbewerbsvorbereitung: Im Halbfinal schlug die Deutsche Mannschaft Brasilien mit 7:1. Als einziges WM-Team beschäftigte Deutschland einen Yoga- und Meditationstrainer.

Aber was genau passiert beim Mentaltraining? Welche Strategien für mehr mentale Stärke helfen uns durch den Alltag und was sagt die Wissenschaft? Einen ersten Einblick gibt Alexander Schneider, Sportpsychologe und Mentalcoach des Österreichischen Fußball-Bundes. Er sagt: «Beim Fußball lerne ich mentale Stärke, emotionale und soziale Kompetenz und Teamzusammenhalt. Diese Kompetenzen kann ich auch für andere Lebensbereiche nutzen.» Mentaltraining in aller Kürze heißt: Wenn du dir etwas oft genug in Gedanken vorstellst, dann «kommt es im besten Falle zur selbsterfüllenden Prophezeiung.» Das willst du auch? Dann lass dich darauf ein.

Was ist Mentaltraining?

Mentaltraining bedient sich verschiedener psychologischer Methoden. Genau definiert sei der Begriff nicht, sagt Experte Schneider. Ursprünglich war die Idee dahinter, Bewegungsabläufe im Sport vorab zu visualisieren und in Kombination mit den physischen Trainingseinheiten zu perfektionieren. Heute verwenden Fachleute das Mentaltraining in allen möglichen Lebensbereichen, um soziale und emotionale Kompetenzen, die kognitiven Fähigkeiten, die Belastbarkeit und das generelle Wohlbefinden zu steigern.

«Im Mentaltraining arbeiten wir stärken- und lösungsorientiert», sagt der Coach. Es geht um Fragen wie: Welches Ziel willst du erreichen und welche Ressourcen musst du dafür aktivieren? Der Experte arbeitet dafür mit Ergebnis- und mit Prozesszielen. «Klassische Ergebnisziele haben den Nachteil, dass sie viel Druck erzeugen und nicht immer steuerbar sind. Darum arbeiten wir oft mit Prozesszielen – und die drehen sich darum: Mit welcher Motivation möchte ich an die Herausforderung herantreten? Wie möchte ich mich präsentieren?» Das Ziel sei es, diesen Prozess als Coach zu begleiten: «Wir geben keine Lösungen vor, sondern helfen dir dabei, selbst zu einer Lösung zu finden.»

Was sagt die Wissenschaft?

Ressourcenaktivierung, Visualisierungsübungen, Küchenpsychologie? Auch die Wissenschaft interessiert sich sehr für das Phänomen des mentalen Trainings. Forschende der Cleveland Clinic Foundation veröffentlichten schon vor 20 Jahren ihre erstaunlichen Studienergebnisse zu Mentaltraining, wie im Fachmagazin «New Scientist» nachzulesen ist: Schon der Gedanke an den angespannten Bizeps kann den Muskel zum Wachsen bringen. Muskeln bewegen sich, sobald sie ein Signal von den motorischen Nervenzellen bekommen. In welcher Intensität dieses Signal ausgesandt wird, hängt von der Stärke der vom Gehirn entsandten Impulse ab. Fünf Mal die Woche mussten sich Probanden mit aller Kraft ihren angespannten Bizeps vorstellen. Und tatsächlich stellten die Forschenden nach zwei Wochen einen Zuwachs um 13.5 Prozent fest.

Jahre später beschreiben Forschende der Technischen Hochschule in Lausanne im Fachmagazin «Current Biology» das Phänomen der Visualisierungsübung. Wer eine Situation erfolgreich bewältigen möchte – egal, ob eine Präsentation in der Arbeit, eine Prüfung im Studium oder ein Freistoß auf dem Fußballfeld –, der solle die Situation wiederholt vor dem geistigen Auge durchspielen. Daher zählen Visualisierungs- und Imaginationstechniken auch zum festen Bestandteil von Alexander Schneiders Mentalcoaching: «Unser Gehirn wählt immer die Pfade, die wir am häufigsten gedanklich gehen», sagt er. Sein Tipp: Stell dir zum Beispiel bei deiner nächsten Präsentation im Büro vor, wie das Wetter sein wird, wie es im Büro riechen wird, welche Personen anwesend sein werden oder wie der Ablauf der Präsentation sein wird. «Wenn du vorab positive Assoziationen mit dem Ort herstellst, wirst du später mit einem Gefühl der Zuversicht in deinen Präsentationstermin gehen.»

Mentaltraining ist also nicht nur etwas für Sportlerinnen und Sportler, sondern hilft uns auch in unserem Alltag, die Resilienz zu stärken. Das zeigt eine aktuelle Studie im Fachmagazin «Psychoneuroendocrinology», für die eine Forschungsgruppe der Sozialen Neurowissenschaften untersuchte, wie Mentaltraining dabei hilft unsere innere Widerstandskraft zu stärken und erfolgreicher mit Stress umzugehen. Untersucht wurden 289 gesunde Probandinnen und Probanden und deren Stresshormon Cortisol. Nach drei Monaten Mentaltraining konnten erhöhte Werte der Selbstwirksamkeit bei den Teilnehmenden, allerdings kaum Effekte auf den individuellen Cortisol-Spiegel festgestellt werden. Die Ergebnisse erlauben somit keine Schlüsse auf die physische Wirkung von Mentaltraining auf das individuelle Stressempfinden im Alltag. Die Forschenden betonen: «Die Laborergebnisse sollten nur mit Vorsicht auf das Individuum und seine täglichen Routinen übertragen werden.»

Mentalcoach: So erkennst du ein seriöses Angebot

Mit Vorsicht zu genießen sind zudem viele der Online-Angebote, auf die man bei der Suche nach einem Mentalcoach stößt. Ein Grund dafür sei die fehlende Qualitätssicherung, sagt Schneider. «Mentaltrainer ist kein geschützter Begriff. Du kannst jederzeit einen dreitägigen Lehrgang zum Mentaltrainer machen. Es gibt keine Berufsrichtlinien für den Job.» Anders ist das in der Psychologie und der Psychotherapie: Hier gibt es eine lange Ausbildung, die gewisse Qualitätskriterien und berufsethische Richtlinien vorgibt. Schneider selbst befindet sich derzeit in der Ausbildung zum Psychotherapeuten, denn: «Die Ausbildung ist das erste und wichtigste Qualitätsmerkmal eines guten Mentalcoaches.»

Zur Unterscheidung: Anders als Mentalcoaching ist eine Psychotherapie darauf ausgerichtet, Leiden zu lindern oder zu heilen. Menschen mit hohem Leidensdruck oder gar psychischen Erkrankungen kommen in solche Sitzungen – und mit ihnen dürfen nur klinische Psychologinnen, Psychiater oder Psychotherapeutinnen arbeiten. Wer aber etwa erfolgreicher im Beruf und Privatleben sein möchte oder durch eine Phase der Neu- und Umorientierung geht, ob in Beruf oder Beziehung, sei bei einem Mentalcoach gut aufgehoben, sagt Schneider: «Im Mentalcoaching steht das Hinarbeiten auf bestimmte Ziele im Vordergrund, mithilfe von Ressourcenaktivierung und Persönlichkeitsentwicklung.»

So findest du allein zu mentaler Stärke

Du musst aber nicht direkt zum Mentalcoach, um schwierige und stressige Situationen erfolgreich zu bewältigen. Auch für zuhause kennt der Experte Schneider die richtigen Methoden für mehr mentale Stärke, die du in deinen Alltag integrieren kannst.

1. Mentales Training: Den Erfolg programmieren

Formuliere ein für dich wichtiges Thema und leite daraus konkrete und machbare Ziele ab. «Wichtig ist, dass die Ziele positiv formuliert sind und sich danach kontrollieren lassen», sagt Schneider. Die Ziele werden in deiner Wohnung aufgehängt und mit Gedankenfiltern bestückt: Welche Gedanken helfen dir, das Ziel zu erreichen und welche blockieren dich dabei? Setzt du dir beispielsweise das Ziel, bei der nächsten Präsentation in der Arbeit souverän aufzutreten, dann überlege dir: Hilft es dir, Worst-Case-Szenarien gedanklich durchzuspielen oder braucht es doch einen anderen, positiveren Gedanken? Dir zum Beispiel eine Person vorzustellen, die du für ihr souveränes Auftreten bewunderst? «Dann ist Disziplin gefragt. Jedes Mal, wenn einer der negativen Gedanken aufkommt, musst du ihn bewusst erkennen und dich dagegen entscheiden.»

2. Imaginationstechniken aus dem Mentaltraining nutzen

Der erste Schritt ein Ziel zu erreichen, egal welches, ist, sich dieses vorzustellen. Diese Technik wird besonders gerne im Fußball angewendet, erzählt Schneider. Beispielsweise den 11-Meter-Schuss ins Tor zu treffen: Der Spieler stellt sich also das Fußballfeld vor, wie es dort riechen wird, das Wetter, mit wie vielen Schritten er auf den Ball zulaufen wird und wie sich der Aufprall des Balles an seinem Fuß anfühlen wird. Denn wenn du Ziele gedanklich immer wieder durchgehst, werden notwendige Gedankenbahnen im Gehirn gebaut, die später dabei helfen, das Ziel tatsächlich zu erreichen. (Dein Hirn ist wie gesagt so angelegt, dass es immer dieselben, bewährten Pfade nutzt.)

Die Schritte am Fußballfeld kannst du schließlich auch auf Situationen in anderen Lebensbereichen übertragen: Für Vorstellungsgespräche, wichtige Prüfungen oder schwierige Familienbesuche. Dazu schließt du die Augen, machst drei tiefe Atemzüge und stellst dir vor, wie du eine Situation optimal bewältigst. «Wichtig ist, auch eventuelle Stolpersteine gedanklich durchzugehen und dich zu fragen: Wie würde ich hier reagieren?» Der Kollege, der während der Präsentation lästige Fragen stellt, kann dich so nicht mehr aus der Fassung bringen.

3. Ressourcen aktivieren: In dir steckt schon genug Kraft

Gut zu wissen: Du bringst meistens schon alle Ressourcen mit, die du für die Bewältigung einer schwierigen Situation brauchst. Bei dieser Übung wirst du nur nochmal daran erinnert: Schreibe in der ersten Woche drei deiner Stärken auf einen Zettel und hänge ihn dir an den Badezimmerspiegel. Lies ihn dir jedes Mal durch, wenn du daran vorbeikommst. In der zweiten Woche schreibe drei Erfahrungen auf den Zettel, die dir ein schönes Gefühl geben. Oft reicht ein Stichwort. In der dritten Woche schreibe drei Personen auf, die für dich eine Quelle der Kraft sind. Am Ende der drei Wochen hast du Wege gefunden, deine Ressourcen zu aktivieren und wie du sie in schwierigen Situationen abrufen kannst. Du trägst schon viel in dir, um schwierige Situationen zu meistern.

4. Highlights visualisieren dank Mentaltraining

Im Beruf, im Privatleben oder im Sport – jeder kann bereits auf Erfolge zurückblicken. Schreibe zehn Highlights auf, und zwar aus jenen Lebensbereichen, in denen du nach Unterstützung suchst. Diese Höhepunkte sollten Dinge sein, die du erreicht hast und auf die du stolz bist. Durch mehrfaches Durchlesen manifestierst du deine bisherigen Erfolge, verspricht der Coach: «Wir vergessen oft, dass wir schon viele Herausforderungen bewältigt haben und bereits über notwendige Strategien verfügen. Am Ende der Übung merken wir: Eigentlich wissen wir bereits, was zu tun ist.»

5. Rituale, Rituale, Rituale

Rituale sind fixe Abläufe: Wann stehe ich auf, was frühstücke ich, welche Musik höre ich beim Zähneputzen und so weiter. Diese fixen, oft automatisieren Abläufe geben uns Sicherheit im Alltag. Wir müssen uns dafür nicht mehr anstrengen und wissen genau, was uns im nächsten Schritt erwartet. Diese Sicherheit können wir auch in herausfordernden Lebenssituationen durch Rituale nutzen: Besonders wirkungsvoll sind Rituale an besonderen Stichtagen, sagt Schneider: «Tage, an denen man die großen Weichen des Lebens stellt.» Denn damit sei man von Tagesbeginn an in einem vorteilhaften Mindset: «Ein Mindset, dass mir das Gefühl gibt: Ich bin selbstbewusst, ich habe alle Antworten auf alle Fragen und kann meine Kompetenzen jederzeit abrufen.»

Titelbild: Meghan Holmes via unsplash

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Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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