Hintergrund

«Mein Job ist es, Monster zu erschaffen»

Wenn in Filmen das Blut nur so spritzt und Aliens die Welt erobern, dann hat Lee Joyner seine Finger im Spiel. Er ist Maskenbildner in Hollywood und hat in Werken wie «Godzilla» und «Star Trek: Beyond» mitgewirkt. Einblicke in eine Welt voller Special Effects und fremder Kreaturen.

Horrorfilme mute ich meinem Nervensystem schon seit Jahren nicht mehr zu. Primär, weil ich nach dem Schauen nachts im Bett wach liege und kaum noch zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden kann. Besonders gewaltvolle Szenen mit Blut und gruselige Fratzen setzen mir zu. Was für mich der Alptraum schlechthin ist, scheint für Lee Joyner das pure Vergnügen. Der 50-Jährige arbeitet seit 1995 in Los Angeles als Special Make-up Effects Artist und leitet die renommierte «Cinema Makeup School», an der auch oscarprämierte Künstler unterrichten. Das Erschaffen von Skulpturen und weltfremden Kreaturen ist Lees Leidenschaft. Er hat unter anderem in Werken wie «Godzilla» und «Star Trek: Beyond» mitgewirkt.

Lee, was darf ich mir unter SFX genau verstehen?
Lee Joyner, Director of Admissions Cinema Makeup School:
SFX ist die Abkürzung für «Special Effects» und ein Sammelbegriff für spezielle visuelle Effekte. Darunter fallen auch computergenerierte Bilder (CGI) und Keyframing, eine Animationstechnik, die aus der Produktion von Zeichentrickfilmen stammt. Im Bereich der Maskenbildnerei sprechen wir daher spezifisch von SFX Make-up oder FX Make-up. Dabei geht es nicht darum, die Schönheit einer Person mit Schminke zu unterstreichen, sondern darum, einen Effekt so real wie möglich wirken zu lassen. Dass heisst konkret: Ich schminke Menschen für Filmprojekte älter, modelliere ihre Gesichter neu, füge Wunden und Narben hinzu oder erschaffe echt aussehende Ausserirdische, Monster sowie andere Fantasiewesen.

Lee beim Modellieren seiner Cthulhu Standing Maquette Skulptur an der San Diego ComicCon.
Lee beim Modellieren seiner Cthulhu Standing Maquette Skulptur an der San Diego ComicCon.

Wenn wir von SFX Make-up reden, denke ich erst mal nur an Wunden, Narben und viel Blut. Ich vermute, das ist eine sehr einseitige Sicht auf dein Handwerk?
Da hast du recht. Zur Maskenbildnerei gehört neben dem Einsatz von Kunstblut auch die Arbeit mit unterschiedlichen Farben: Es gibt zum Beispiel alkohol- oder wasseraktivierte, sowie Fett-, Crème- und klebstoffbasierte Farben. Zu welchen ich greife, hängt davon ab, welches Material ich bemalen möchte und unter welchen Bedingungen mein Werk halten muss.

Die Herstellung und der Umgang mit künstlichen Körperteilen ist ebenfalls zentral. Dieser Bereich nennt sich Prothetik. Dabei handelt es sich um «Bausteine», mit denen wir das Volumen oder die Struktur eines Gesichts, eines Körperteils oder gar eines ganzen Körpers verändern. Dafür erstellen wir erst eine dreidimensionale Kopie des Körpers respektive des Gesichts des Schauspielers, auf welcher wir anschliessend die Prothesen modellieren. Durch diese Massschneiderung stellen wir sicher, dass die Teile später am Set wie angegegossen sitzen. Häufig verwenden wir in der Prothetik ein flexibles Material wie Silikon, damit die Schauspieler ihre Mimik und Gestik trotz der Einschränkung zum Ausdruck bringen können.

Des Weiteren ist das Anbringen sogenannter «Bald Caps» ein Teil unserer Arbeit. Die sehen ein bisschen so aus wie Schwimmkappen. Sie lassen das Deckhaar verschwinden und mimen eine Glatze. Auch das Ankleben von Gesichtsbehaarung, das Aufmalen falscher Tattoos sowie das künstlich altern lassen, sind Fertigkeiten, die ein Special Make-up Effects Artist beherrschen muss. Und zu guter Letzt ist da noch meine persönliche Leidenschaft. Sie gilt dem Modellieren und Erschaffen von Skulpturen verschiedener Kreaturen.

Apocalypse basierend auf dem X-Men Comicbuch für die San Diego ComicCon durch die Cinema Makeup School. Skulptur: Lee Joyner. Rüstung und Anzug: CMS Walter Welsh und Kelton Ching. Model: Mick Ignis
Apocalypse basierend auf dem X-Men Comicbuch für die San Diego ComicCon durch die Cinema Makeup School. Skulptur: Lee Joyner. Rüstung und Anzug: CMS Walter Welsh und Kelton Ching. Model: Mick Ignis
Arkham Asylum Joker für die San Diego ComicCon durch die Cinema Makeup School. Skulptur: Lee Joyner, aufgetragen durch Gabi Gonzalez. Model: Strange Dave
Arkham Asylum Joker für die San Diego ComicCon durch die Cinema Makeup School. Skulptur: Lee Joyner, aufgetragen durch Gabi Gonzalez. Model: Strange Dave

Spezialisieren sich Künstler auf diese verschiedenen Gebiete?
Das ist tatsächlich so. Es gibt viele Künstler, die für ein spezifisches Skill Set bekannt sind und in ihrem Bereich als Spezialisten gelten. Basierend darauf tendieren sie auch dazu, gewisse Jobs zu bevorzugen. Trotzdem ist es wichtig, dass jeder Maskenbildner bis zu einem gewissen Grad in allen Bereichen Knowhow mitbringt.

Als ich letztes Jahr die IMATS (Make-up Artists, Exhibitors and Enthusiasts Trade Show) in London besucht habe, war ich überwältigt von der grossen Auswahl an Kunstblut. Ich nehme an, das ist ebenfalls eine Wissenschaft für sich?
Es gibt zahlreiche Brands, die Kunstblut verkaufen. Das liegt daran, dass du für unterschiedliche Filmszenen unterschiedliche Arten benötigst. Von hell bis dunkel und dünn- bis dickflüssig findest du alles. So gibt es Augenblut, Blut für den Mund, trockenes Blut, Blutsprays, Arterienblut, Blutgels und so weiter und so fort. Wenn in einer Szene beispielsweise das Blut spritzen soll, brauchst du eins, das mühelos durch ein Pumpsystem fliesst. In anderen Fällen brauchst du wiederum ein Produkt, das sich aus gebleichtem Haar oder einem weissen Hochzeitskleid entfernen lässt.

Wie muss ich mir den Prozess von der Idee bis hin zur Umsetzung im Rahmen eines Filmprojekts vorstellen?
Es beginnt damit, dass ich das Skript lese und mehrere Gespräche mit dem Regisseur führe. Wenn das Team mit einer Manufaktur zusammenarbeitet, hat der Besitzer dieser meist schon eine klare Vorstellung davon, was er gerne hätte. Mein Job ist es dann, sein Design eins zu eins umzusetzen, oder seine Idee so zu interpretieren, dass sie zum Schauspieler passt. Was die kreative Freiheit anbelangt, so variiert diese von Projekt zu Projekt. Für gewöhnlich darf man bei Low-Budget-Projekten mehr herumexperimentieren. Oder, wenn man für einen bestimmten Stil bekannt bist.

Lee im Jahre 1998 beim Modellieren mit Lead-Skulpteur Jose Fernandez für Patrick Tatopoulos Designs für den Film Godzilla.
Lee im Jahre 1998 beim Modellieren mit Lead-Skulpteur Jose Fernandez für Patrick Tatopoulos Designs für den Film Godzilla.

Lassen sich Masken und Prothesen mehrfach tragen? Immerhin müssen Schauspieler Tag für Tag gleich aussehen.
Nein, das ist leider nicht möglich. Es sei denn, es handelt sich dabei um eine Silikonmaske, die wir dem Schauspieler komplett über den Kopf ziehen können oder um eine Schaum-Latex-Maske für einen Statisten. Für gewöhnlich werden wir für Filmdrehs jedoch von einer Manufaktur unterstützt, die konstant daran arbeitet, neue identische Prothesen herzustellen. So können wir sichergehen, dass die Übergänge von der Haut zum künstlichen Stück schön sauber sind, der Klebstoff gut hält und kein Fett, Dreck oder irgendwelche Leimreste vom Vortag dran haften.

Wie stellst du sicher, dass der Mensch unter der Maske richtig atmen kann?
Das kommt mit der Erfahrung. Manchmal, wenn die Nase bedeckt ist, kann ich kleine Kanäle unter der Prothese anbringen, die an einem versteckten Ort wieder herauskommen und eine Luftzirkulation ermöglichen. Gewisse Masken lassen sich auch so designen, dass Ein- und Ausatmungswege kaschiert werden. Die Faustregel ist: Es muss immer mindestens ein richtiger Atemweg existieren, entweder für die Nase oder für den Mund. Sicherheit hat Vorrang.

Hier arbeitet Lee an einem Full Head, bestehend aus mehreren Teilen und einem Make-up mit Alterungseffekt.
Hier arbeitet Lee an einem Full Head, bestehend aus mehreren Teilen und einem Make-up mit Alterungseffekt.

Sind Computeranimationen eine Bedrohung für Künstler wie dich?
Ich würde eher sagen, dass sie eine Bedrohung für das Publikum darstellen, sofern sich die Produktion komplett auf CGI verlässt. Wenn man nach dem Motto «Lasst es uns im Nachhinein machen» geht, dann ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. Wenn man die Technologie jedoch ergänzend zu faktischen Effekten und Make-up einsetzt, dann wird es ein Erfolg. Ein gutes Beispiel für ein solches Zusammenspiel ist der Film «Wo die wilden Kerle wohnen». Dort wurde mit echten Monster-Kostümen gearbeitet. Anschliessend wurden in der Nachbearbeitung Augen- und Schwanzbewegungen digital ausgebessert.

Das menschliche Unterbewusstsein ist viel klüger, als die Filmproduzenten glauben. Stell dir vor, Menschen lachen und weinen heute noch, wenn sie Kermit den Frosch oder E.T. auf dem Bildschirm sehen und das, obwohl es offensichtlich Puppen sind. Es ist das Physische, das unsere Seelen berührt. Das lässt sich nicht leugnen. Es gab in den letzten Jahren nur wenige meisterhafte digitale Kreationen und die waren extrem teuer. Wann hast du das letzte Mal wegen eines computeranimierten Charakters geweint? Was macht dir mehr Angst: ein CGI-Biest oder eine physische Kreation? Vergleichst du die Werwölfe aus «The Howling» und «American Werewolf in London» mit Filmen wie «American Werewolf in Paris» oder gar «Twilight», liegt die Antwort auf der Hand. Die Reaktion von Schauspielern auf Geschöpfe und Charaktere, die direkt und wahrhaftig von ihnen stehen, oder die Art wie das Licht von diesen Kreationen zurückgeworfen wird, das Schattenspiel, das dabei entsteht – all das kann CGI nicht ersetzen.

Mehr Infos zur Cinema Makeup School findest du hier.

Auftaktbild: Lee bei der Arbeit für den Film Star Trek Beyond. Er modelliert Loleeki für Joel Harlow Designs, designt durch Carlos Huante.

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