Manipulation und Kontrolle: Warnzeichen einer toxischen Beziehung
Hintergrund

Manipulation und Kontrolle: Warnzeichen einer toxischen Beziehung

Eine Partnerschaft, in der du mit Liebe bombardiert wirst: Klingt anfangs gut, kann aber auf eine toxische Beziehung hindeuten. Und das ist ein anderes Kaliber als nur unglücklich verliebt zu sein. Gibt es einen Ausweg?

Kaum etwas liegt so nahe beieinander wie die Liebe und der Schmerz. Die Erfahrung machen alle mindestens einmal im Leben. Angenehm ist dieses Messerspiel nie, meistens wird man dabei verletzt und nur selten geht alles so auf, wie man es sich erhofft hat. Enttäuschte Liebe tut eben weh.

Schnell behauptet da der eine oder die andere unglücklich Verliebte, der Partner oder die Partnerin verhalte sich «toxisch». Das Verhalten sei Gift für einen selbst und für die Beziehung. Aber ist das nicht ein vorschnelles Urteil?

«Unglückliche Beziehungen gibt es immer» sagt Diplom-Psychologe Christian Hemschemeier, Autor des Buchs «Vom Opfer zum Gestalter: Raus aus toxischen Beziehungen, rein ins Leben». «Aber diese toxischen, neurotransmittergetränkten Beziehungen – das ist eine ganz andere Liga.» Ich spreche mit dem Experten darüber, was eine toxische Beziehung ausmacht, an welchen Warnzeichen du toxisches Verhalten (auch schon frühzeitig) erkennst und bespreche die Frage, ob toxische Beziehungen überhaupt zu retten sind.

Manipulation und Kontrolle: Was kennzeichnet toxische Beziehungen?

Eine einheitliche Definition toxischen Verhaltens gibt es nicht. Darum wird der Begriff aktuell sehr inflationär genutzt, egal, ob man damit den abwesenden Partner oder die fordernde Chefin beschreibt. Dabei müssten es Kinder der 1990er Jahre eigentlich besser wissen: Denn eine der akkuratesten Beschreibungen toxischen Verhaltens kommt aus der Popkultur der frühen 2000er Jahre. Britney Spears beschreibt in Ihrem Song «Toxic» keine unglückliche Liebe, sondern pathologische Abhängigkeit: «I’m addicted to you, don’t you know that you’re toxic» heißt es treffenderweise im Refrain.

Wie Britney weiß auch Hemschemeier: «Tatsächlich erkenne ich eine toxische Beziehung an dem Suchtartigen. Daran, dass ich immer weiter hineingezogen werde. Wenn man nicht mehr essen und nicht mehr schlafen kann, wenn man von der Beziehung komplett aufgefressen wird – dann ist die Beziehung toxisch.»

In dieser «Liebessucht» treffen zwei Gegenspieler aufeinander, deren Verhalten sich perfekt komplementiert. Auf der einen Seite steht der «Täter», also die Person von der toxisches Verhalten ausgeht, zum Beispiel:

  • Love Bombing: unverhältnismäßige Überschüttung mit Liebesbekundungen bereits sehr kurz nach dem Kennenlernen

  • Gaslighting: Manipulation durch Verdrehen von Tatsachen und Untergraben der eigenen Wahrnehmung («Das hast du falsch verstanden» oder «Das bildest du dir ein»)

  • Schuldumkehr: Der Partner / die Partnerin bekommt immer die ganze Schuld

  • Future-Faking: übertriebene Versprechen, die nie eingehalten werden

  • Doppelstandards: Der Partner / die Partnerin wird bis ins Detail kontrolliert, während man sich selbst alle Freiheiten nimmt.

«Auf der anderen Seite sehen wir eher die klassischen People Pleaser mit einer co-abhängigen Grundhaltung» sagt Hemschemeier. Der Partner oder die Partnerin bekommt die zehnte weitere Chance und das toxische Verhalten wird immer wieder gerechtfertigt.

Verlauf toxischer Beziehung: Alltagshorror und Teufelskreis

Es ist schwierig, toxisches Verhalten beim ersten Treffen zu identifizieren und sich den Leidensweg einer Beziehung zu ersparen. Meistens beginnen sie aber mit klaren Warnzeichen, auf die du bereits beim ersten Kennenlernen achten kannst: «Das deutlichste und früheste Anzeichen toxischen Verhaltens ist, dass man sehr schnell und sehr früh kritisiert wird» sagt der Psychologe. Bereits beim ersten oder zweiten Date werde Kritik zwischen das Love Bombing gestreut und es entstehe sehr schnell eine heiß-kalt-Dynamik zwischen überschwänglichen Liebesbekundungen und eiskalter Kritik.

Dazu kommt: «Toxische Beziehungen verlaufen im Grunde verkehrt herum» weiß Hemschemeier aus der Arbeit mit Klientinnen und Klienten. «Normale Beziehungen bauen sich langsam auf und man wird mit der Zeit immer vertrauter. Die toxische Beziehung beginnt dagegen mit dem Love Bombing, mit dem überwältigenden Gefühl, den Seelenpartner gefunden zu haben.» Weil das Gefühl zu Beginn so stark ist, macht die toxische Liebe nicht nur blind, sondern süchtig. Ein Teufelskreis nimmt seinen Lauf.

Denn nach circa drei Monaten folgt die erste Enttäuschung, es kommt zu Lügen, zu Betrug, zu Isolation oder den ersten gebrochenen Versprechen. Es entsteht Spannung zwischen den Partnerinnen oder Partnern. Und ist man einmal ganz unten angekommen, beginnt alles wieder von vorne. Das Paar dreht sich in einer Abwärtsspirale im Kreis: «In toxischen Beziehungen geht es auf und ab wie bei einem Erdbeben. Mit der Zeit wird das Leid immer größer und die Freude der Anfangszeit wird immer kleiner.»

Klingt intensiv? Ist es auch. «In der toxischen Beziehung wird Intensität mit Intimität verwechselt» sagt Hemschemeier. «Zwischen den Partnern gibt es wenig echte Nähe, sondern immer nur Drama.»

Männer und Frauen sind anders toxisch

Die Schriftstellerin Margarete Atwood hat einmal den schwer aushaltbaren Satz gesagt: «Männer haben Angst, dass Frauen sie auslachen. Frauen haben Angst, dass Männer sie umbringen.» Was die toxische Beziehung betrifft, beschreibt er die Dynamik aber leider ganz gut. Nicht, weil toxisches Verhalten nur von Männern ausgeht, sondern weil Frauen und Männer zu anderen Strategien greifen.

In einer Studie der University of Saskatchewan wurden die Daten von 35 000 Frauen und Männern analysiert. Die Ergebnisse sind interessant: Während die Männer davon berichteten, schon mal von ihren Partnerinnen verbal herabgesetzt und beleidigt worden zu sein, waren Frauen öfter von extrem kontrollierendem Verhalten und sozialer Isolation betroffen. Gesellschaftliche Geschlechterrollen könnten die Ursache sein. So zeigt eine Studie: Frauen sind häufiger Opfer der Manipulationstechnik Gaslighting.

Darüber hinaus zeigt eine Untersuchung im Fachblatt Personality and Individual Differences: Soziokulturell bedeutet Männlichkeit immer noch Macht, Dominanz und Aktion. Weiblichkeit gilt dagegen als nährend, beziehungsorientiert, diplomatisch und passiv. Frauen würden, den Autorinnen und Autoren zufolge, also eher zu indirekt aggressivem Verhalten greifen.

Psychologe Hemschemeier bestätigt: «Toxisches Verhalten von Frauen ist anders als von Männern. Männer neigen eher zur Bindungsvermeidung, sind im Schnitt illoyaler oder nutzen ihre finanzielle Macht aus. Bei Frauen ist toxisches Verhalten versteckter, aber genauso mächtig. Sie lügen eher, stellen die Dinge verfälscht dar oder nutzen ihre Macht vor Gericht bei der Kinderfürsorge.»

Die Frage der Fragen: Ist die toxische Beziehung zu retten?

Zunächst: Jeder Mensch kann in eine toxische Beziehung schlittern und Warnzeichen übersehen. «Besonders nach einschneidenden Lebensereignissen, zum Beispiel dem Tod eines Verwandten, ist man extrem anfällig dafür» sagt Hemschemeier. Gefeit ist also niemand davor. Wichtig ist nur rechtzeitig anzuerkennen: Die toxische Beziehung kannst du nicht retten. Willst du die Liebessucht überwinden, dann musst du die Droge absetzen und dich trennen.

Eine schwierige Übung für alle, die mittendrin stecken. Und eine fast noch schwierigere Übung für alle, die schon mal einen Freund oder eine Freundin durch eine toxische Beziehung begleitet haben. «Das ist tatsächlich sehr mühsam» weiß der Experte. «Aber wenn man seit Jahren dieselbe Geschichte aufgetischt bekommt und sich nichts ändert, sollte man das Gespräch darüber verweigern. Es ist besser, man erzeugt keinen Gegendruck mehr. Das regt die Leute meistens mehr zum Nachdenken an, als immer wieder zu sagen: Trenn dich endlich.»

Die unausweichliche Trennung: Wie verlasse ich eine toxische Beziehung?

Und wie stellt man das nun an, die toxische Beziehung hinter sich zu lassen? Zunächst mit der Einsicht: «Das ist keine Liebe in toxischen Beziehungen. Das ist Ego, Manipulation, Abhängigkeit – aber keine Liebe» sagt Hemschemeier. Du lässt nicht die große Liebe hinter dir, sondern ein großes Desaster. Im nächsten Schritt musst du dich für Rückfälle wappnen. «Die toxische Beziehung ist wie eine Sucht. Wenn sie endet, muss ich mit einem Entzug rechnen. Man ist in der Situation wie ein Junkie.» Informiere dich also über Stellen, an die du dich im Zuge der Trennung wenden kannst, zum Beispiel die Opferhilfe Schweiz oder Frauen gegen Gewalt.

Wenn dir die Trennung sehr schwerfällt, rät Hemschemeier: Schreibe deine Beziehungsziele auf. Was wünscht du dir von Beziehungen und was davon ist für dich nicht verhandelbar? «Sich klarzumachen, welche Standards man eigentlich hat, wie oft die schon gebrochen wurden und was alles bereits vorgefallen ist – das ist unglaublich ernüchternd.» In dem Moment, in dem du realisierst, dass diese Beziehung nicht deinen Standards entspricht, bricht die toxische Beziehung von selbst auseinander, sagt Hemschemeier.

Raus aus dem Teufelskreis: Schlussstrich ziehen

Die Trennung ist ein wichtiger Schritt, aber ganz aus der Schusslinie bist du danach nicht. «Die Gefahr, direkt in die nächste toxische Beziehung zu geraten, ist riesengroß» weiß Hemschemeier. Am höchsten ist sie direkt nach der Trennung. «Selten greifen die Menschen nur einmal so richtig daneben. Meistens geraten sie immer wieder an eine ähnlich Art Leute.»

Sein Rat für alle Liebessüchtigen: Abstinenz. «Keine Dates, kein Sex und versuchen, wieder auf Null zu kommen. Es ist wichtig, das alte Muster zu durchbrechen und danach außerhalb des üblichen Beuteschemas nach Partnern suchen.»

Titelfoto: shutterstock

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Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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