Lust auf TCM? Alles über die Traditionelle Chinesische Medizin
Hintergrund

Lust auf TCM? Alles über die Traditionelle Chinesische Medizin

Heilkunst aus Fernost: Du willst dein Yin und Yang in Einklang bringen? Das Wirkungsgebiet der Traditionellen Chinesischen Medizin scheint gerade für Neulinge unübersichtlich. Kein Problem mit dieser Aufklärung.

Nichts gegen die gute alte Schulmedizin. Aber in Zeiten der gesamtheitlichen Gesundheit, auch «Holistic Health» genannt, werden die Grenzen durchlässiger. Oft findet man Linderung auch bei alternativmedizinischen Therapien. Man unterscheidet dabei die klassischen Naturheilverfahren und eigenständige Konzepte wie die anthroposophische Medizin, Ayurveda oder die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM): Ihnen liegen ein spezielles Menschenbild und auch ein besonderes Diagnosesystem zugrunde.

Zugegeben: TCM ist ein weites Feld, das für Neulinge erstmal viel Verwirrendendes birgt. Das Grundkonzept beruht auf unserer Lebenskraft Qi, die laut TCM durch unsere Meridiane fließt und dem Gegensatzpaar Yin und Yang – diese sollen in Balance gebracht werden und bleiben.

TCM? Fragen wir echte Expertinnen!

Was genau dahintersteckt, erklärt dir eine wahre Fachfrau: Ching-Ling Tan-Bleinroth ist Ärztin für Allgemeinmedizin, TCM, Akupunktur und Naturheilverfahren. «Ich wollte schon immer die Medizin meiner Vorfahren kennenlernen. Aus diesem Grund habe ich parallel zum Medizinstudium in der TCM absolviert und noch währenddessen eine Arbeitsgruppe für Chinesische Medizin gegründet, die später in einen Ausbildungslehrgang mündete und noch bis heute existiert», sagt sie.

«Als Allgemeinmedizinerin verbinde ich Schulmedizin, Chinesischen Medizin und die westliche Kräuterheilkunde. Diese Verbindung der verschiedenen Heilmethoden wird auch Integrative Chinesische Medizin (ICM) genannt. Ich verwende also westliche, europäische Heilkräuter nach den Kriterien der Chinesischen Medizin, was sehr gut angenommen wird. Ein weiterer Schwerpunkt von mir ist die Behandlung von gynäkologischen Erkrankungen mit TCM, insbesondere Zyklusstörungen, zu denen auch Erkrankungen wie Endometriose und PCOS (eine Stoffwechselstörung bei Frauen) gehören, Kinderwunsch sowie Beschwerden in der Menopause.»

Zusätzlich habe ich bei Katharina Ziegelbauer um Antworten rund um die passende Ernährungsweise gebeten. Die diplomierte Ernährungsberaterin nach TCM und Buchautorin kennt sich auf ihrem Fachgebiet bestens aus.

Was ist TCM?

Im alten China wurden die Ärzte dafür bezahlt, dass die Menschen gesund bleiben. Deswegen konzentriert sich die Chinesische Medizin nicht nur auf die Behandlung von Krankheiten, sondern hat sich auch auf die Gesunderhaltung des Menschen spezialisiert. Dies ist mit ein Grund, weshalb es in der TCM die sogenannten Fünf Säulen der Therapie gibt: Ernährung, Bewegung (z.B. Qi Gong oder Tai-Chi), Massage (Tuina), Akupunktur und die Kräuterheilkunde. In Europa wurde die Chinesische Medizin im 20. Jahrhundert insbesondere ab den 1970er Jahren bekannt und ist immer noch sehr populär. Laut WHO ist es die am häufigsten genutzte alternative Therapieform der Welt.

Das Besondere an der TCM: Ursprünglich beruht sie auf der Beobachtung von Naturphänomenen, welche sie charakterisiert und dementsprechend die Therapiestrategie ausrichtet. Begriffe wie Qi (Lebensenergie) oder Yin und Yang (z.B. Kälte/Hitze, Feuchtigkeit/Trockenheit) spielen dabei eine wichtige Rolle. Der Begriff Gesundheit wird definiert als ein dynamischer Ausgleich von Yin und Yang und ein Vorhandensein von genügend Qi, welches gut im Körper fließen soll.

Differentialdiagnose in der TCM: Feinheiten machen den Behandlungserfolg aus

Hat jemand zum Beispiel zu wenig Yin, kann das Yang überschießen und sich in Symptomen äußern wie Trockenheit, Hitze, Schlafstörungen oder einfach nur Unruhe. Ein anderes Beispiel ist die Erschöpfung. Nach unserer Vorstellung hängt eine Erschöpfung immer mit einem Mangel an etwas zusammen, bei einem echten Qi-Mangel ist tatsächlich zu wenig Energie vorhanden und es muss tonisierend gearbeitet werden (also die Grundspannung der Muskeln stärkend). Bei einer Qi-Stagnation ist genügend Energie da, aber die Betroffenen können das Qi nicht mobilisieren und fühlen sich deswegen erschöpft.

In letzterem Fall wird die Erschöpfung z.B. durch körperliche Bewegung besser, weil hier das Qi durch aktive Bewegung zu mehr Energie führt. Es sind genau solche Feinheiten, die die Differentialdiagnose in der TCM ausmachen. Differenziert man also genauer nach den Kriterien der Chinesischen Medizin, dann ist der Behandlungserfolg auch viel größer. Durch die genaue Differenzierung ist der Behandlungserfolg oft sehr beeindruckend, denn je gezielter die Behandlung, umso besser der Therapieerfolg.

In China hat jedes Krankenhaus auch eine Abteilung für TCM, sie ist dort wie alle anderen Fachrichtungen ebenso in der Medizin verankert und hat dort noch einen hohen Stellenwert. Während der Covidpandemie wurde die TCM ebenso wie die Schulmedizin zur Behandlung der Erkrankung angewendet und ist fest verankert in den Leitlinien der Behandlung von Covid-19 Infektionen.

Was passiert bei TCM?

Die Basis jeder Therapieform in der TCM ist die Diagnostik. Diese beruht auf einer sehr genauen, ausführlichen Erstanamnese, die durch die Zungen- und Pulsdiagnostik ergänzt wird. Auf dieser Grundlage wird herausgefunden, welche TCM-Syndrome und welche Konstitution vorliegen und wie der Charakter der Beschwerden ist. Es gibt mehr als 100 beschriebene Syndrome in der TCM. Im nächsten Schritt wird die Therapiestrategie und auch die Therapieform festgelegt. Ziel jeder Therapie ist, Yin und Yang wieder ins Gleichgewicht zu bringen und dafür zu sorgen, dass das Qi, die Lebensenergie, in ausreichendem Masse vorhanden ist und wieder frei im Körper fließen kann.

Welche der Therapieformen in Frage kommt, hängt von den Behandelnden ab. Es sind vor allem die Akupunktur, die Kräutertherapie und die chinesische Ernährungstherapie, die man in Europa in der Behandlung verwendet. Ein wichtiger Unterschied zur Schulmedizin: In der Chinesischen Medizin steht vor allem das Befinden im Mittelpunkt der Therapie und nicht nur die Befunde.

Bei der Akupunktur stimuliert man sogenannte Akupunkturpunkte mit Akupunkturnadeln, dabei werden sterile Einmalnadeln verwendet. Man spürt den Einstich nur ganz kurz, er ist im Vergleich zum Impfen oder Blutabnehmen kaum wahrnehmbar. Gelegentlich nimmt man ein Ziehen, Kribbeln oder Wärmegefühl wahr. Meist werden die Nadeln ca. 20 bis 30 Minuten belassen und danach wieder entfernt. Die meisten Patienten und Patientinnen können sich dabei sehr gut entspannen.

Außer der Behandlung mit Nadeln können die Akupunkturpunkte auch mit Moxa, das ist das sogenannte Beifußkraut, gewärmt oder durch Schröpfen mit Schröpfgläsern stimuliert werden. Bei der Kräutertherapie werden Arzneikräuter in Form von Tees, Granulat oder Tinkturen individuell den Bedürfnissen und der Situation der Patienten entsprechend zusammengestellt. Es gibt hierfür besondere Apotheken, die extra eine Abteilung für Arzneikräuter haben.

Die chinesische Ernährungstherapie bieten meist TCM-Ernährungsberaterinnen und -berater an. Sie teilen alle Nahrungsmittelgruppen genauso wie die Arzneikräuter nach denselben Kriterien wie etwa Qi oder Yin und Yang ein. Den Patientinnen und Patienten werden ausführliche Listen mit für sie sinnvollen Nahrungsmitteln zusammengestellt und sie werden darin gecoacht, welche Zubereitungsarten für sie wichtig sind. Entscheidet sich jemand für die TCM-Ernährungsberatung, muss klar sein: Dies bedeutet auch eine Änderung mancher Lebensgewohnheiten, denn diese beeinflussen auch die Essgewohnheiten mehr, als man annimmt.

Für wen ist TCM geeignet? 

Menschen jeden Lebensalters können mit TCM begleitet oder behandelt werden. Als Prävention von Krankheiten, aber auch im Sinne von «Better Aging», spielt die TCM eine wichtige Rolle. In China gehören die Grundlagen der TCM-Ernährung zum breiten Allgemeinwissen. So ist es den meisten Menschen dort geläufig, im Winter eher warm, im Sommer eher kühl zu essen, um so gesund zu bleiben. Gesunderhaltene Maßnahmen wie Bewegung sind in China sehr verankert: So sieht man besonders morgens Menschen in den Parks, die Qi Gong oder Tai-Chi machen. Therapeutisch werden besonders Akupunktur und Heilkräuter eingesetzt.

In welchen Bereichen kann man TCM anwenden?

Ein wichtiger Grundsatz ist: Vor jeder Behandlung mit TCM muss die schulmedizinische Diagnostik abgeschlossen sein, um etwaige Erkrankungen, die anders behandelt werden müssen, auszuschließen. Im Prinzip kann die TCM sehr viele Erkrankungen behandeln oder in Kombination mit der Schulmedizin begleiten. In China gibt es Fachärzte für TCM für alle Fachrichtungen der Medizin.

Bei uns in Europa ist Akupunktur am bekanntesten für die Behandlung in der Schmerztherapie, etwa bei Kopfschmerzen/Migräne, orthopädischen Beschwerden wie Rücken- oder Knieschmerzen. Doch die Arbeit mit den Nadeln kann wie auch die Kräutermedizin in sehr vielen anderen Bereichen eingesetzt werden: In der Gynäkologie bei Regelbeschwerden oder Erkrankungen wie PMS, Endometriose, PCOS (polyzystisches Ovar-Syndrom) oder Wechselbeschwerden, im Bereich der Atemwege bei chronischen Infekten, Bronchitis, Heuschnupfen oder chronischer Sinusitis (Nebenhöhlenentzündung). In der Dermatologie z.B. bei Neurodermitis, in der Gastroenterologie etwa bei Reizdarm, chronischer Verstopfung oder Gastritis. Aber auch Erschöpfung oder Schlafstörungen lassen sich mit TCM behandeln oder begleiten.

Was sind die Grundlagen der TCM-Ernährung?

In der Ernährung nach TCM stehen nicht die Inhaltsstoffe im Mittelpunkt, also Eiweiß, Kohlenhydrate oder Vitamine, wie wir das aus der hiesigen Ernährung gewohnt sind. Es geht vielmehr um die energetische Wirkung der Nahrungsmittel: Was kühlt uns, was wärmt? Was befeuchtet, was trocknet? Was macht uns munter, was beruhigt uns?

Wenn dir etwa oft zu warm ist oder du etwa in der Nacht schwitzt, solltest du die erhitzenden Gewürze Pfeffer oder Chili eher meiden und mehr kühlende Gemüsesuppen oder grüne Blattsalate essen. Der größte Unterschied zur westlichen Ernährungslehre ist wohl dieser: In der TCM isst man viel mehr gekochte Speisen und weniger Rohkost oder Brotmahlzeiten. Warum? Weil die Verdauung mit dem sogenannten Verdauungsfeuer funktioniert. Erst, wenn der Nahrungsbrei im Bauch sinnbildlich zu einer kochenden Suppe verwandelt ist, können wir die Inhaltsstoffe überhaupt aufnehmen – in der TCM heißt das dann, Qi (Lebensenergie) aus der Nahrung gewinnen. Wenn es im Bauch zu kalt wird, etwa durch kalte Getränke, Jogurt und viel Rohkost, schwächt das die Verdauung und damit auch unser Qi.

Mit der Zeit folgen daraus alle möglichen Beschwerden, von Blähungen über Erschöpfung (zu wenig Qi = wenig Energie!) bis zu Ödemen, Durchfall und häufigen Erkältungen. Der Zweck der TCM-Ernährung ist sich mit ausreichend Qi, also Lebensenergie zu versorgen und Krankheiten zu vermeiden.

Die wichtigsten Ernährungsempfehlungen, die für die meisten Menschen günstig sind, lauten daher:

Iss regelmäßige, vorwiegend gekochte Mahlzeiten mit mehr Gemüse als gewohnt. Achte dabei auf deine Verdauung und iss nichts, was dir Blähungen oder andere Beschwerden verursacht. Besonders wertvoll ist nach TCM ein gekochtes Frühstück, egal ob süß wie etwa Porridge oder pikant wie Eier mit Tomaten und Champignons.

Wie ist der Ablauf einer TCM-Therapie?

Am Anfang jeder Therapie steht die TCM-Anamnese, diese ist sehr ausführlich und dauert meist eine Stunde. Die Zungen- und Pulsdiagnostik sollte bei jedem Termin durchgeführt werden. Im Anschluss daran wird der Therapieplan erstellt und besprochen, ob eine Kräuter- und oder Akupunkturtherapie sinnvoll ist. Eine Akupunktursitzung dauert meist ca. eine halbe Stunde, mit Follow-up Gespräch, Puls- und Zungendiagnose von 45 bis 60 Minuten. Wie viele Akupunktursitzungen nötig sind, ist sehr individuell vom Beschwerdebild und der Erkrankung der Patientinnen und Patienten abhängig. Handelt es sich um eine akute Situation, sind die Abstände enger, z.B. ein- bis zweimal pro Woche. Geht es um chronische Beschwerden, reicht ein Intervall von etwa 3 bis 4 Wochen, insbesondere dann, wenn auch Arzneikräuter verordnet werden.

Wie erkenne ich eine echte Expertin oder Experten?

Inzwischen gibt es zahlreiche Institutionen, die eine Ausbildung in Akupunktur, Arzneikräuter oder TCM-Ernährung anbieten. Wichtige Qualitätsmerkmale im deutschsprachigen Raum können z.B. von den Ärztekammern anerkannte Diplome sein. Ein wichtiger Punkt ist auch, ob neben einer ausführlichen TCM-Anamnese eine Zungen- und Pulsdiagnostik durchgeführt wird. Auch die TCM befindet sich im Wissensfluss, das heißt, dass TCM-Therapeutinnen und Therapeuten regelmäßige Fort- und Weiterbildungen auf diesem Gebiet nachweisen können sollten.

In der Schweiz sind TCM-Studiengänge zielführende Berufsausbildungen und führen zu einem Beruf namens «NaturheilpraktikerIn mit eidg. Diplom mit der Fachrichtung Traditionelle Chinesische Medizin TCM». Das eidgenössische Diplom beweist, dass profundes TCM-Wissen hochqualifiziert eingesetzt werden kann, so der Fachverband. Leistungen werden bei Vorhandensein einer Zusatzversicherung für Komplementärmedizin anteilsmäßig von der Krankenkasse übernommen.

Und was sagt die Wissenschaft?

Gegenfrage: Zu was genau? Denn TCM besteht aus vielen Facetten von der Bewegung bis hin zur Arznei. Jedoch hat sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO die TCM im Jahr 2019 als offizielle Medizintherapie anerkannt. 2015 wurde der Nobelpreis für Medizin an die chinesische TCM-Expertin und Pharmakologin Youyou Tu verliehen. Sie hat ein Medikament gegen Malaria entwickelt, das aus dem sekundären Pflanzenstoff Artemisinin besteht. Inzwischen ist die TCM eine anerkannte Heilmethode, und es werden immer mehr Studien durchgeführt.

Insbesondere für die Wirksamkeit westlicher Heilkräuter, die in der Chinesischen Medizin inzwischen immer mehr an Bedeutung gewinnen, gibt es zunehmend wissenschaftliche Belege. Eines der wichtigsten Bücher über westliche Arzneipflanzen in der Chinesischen Medizin hat der Biologe und TCM-Experte Jeremy Ross verfasst: In «Klinische Materia Medica» zählt der Autor zu jedem aufgeführten Arzneikraut zahlreiche Studien auf bezüglich Inhaltsstoffen, Wirkweisen (inkl. Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen) und wissenschaftlich belegten Indikationen.

Darüber hinaus gibt es bereits beeindruckende Belege zur Wirksamkeit bei einem Kinderwunsch, Covid19, Angstzuständen von Parkinsonpatientinnen und -patienten, Schlafstörungen und der Begleitung von Brustkrebspatientinnen während der Chemotherapie.

Titelfoto: Shutterstock

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