Knete deine Persönlichkeit: Für Veränderung ist es nie zu spät
Es gibt Momente, in denen man mutiger, selbstbewusster oder geselliger sein will. Was Menschen davon abhält? Die Überzeugung, nichts an seiner Persönlichkeit verändern zu können. Dabei geht das sehr wohl.
Spieglein, Spieglein an der Wand… ich wäre gerne erfolgreich, selbstsicher und charmant. Simsalabim?
Nun, so einfach und schnell wie im Märchen geht es nicht mit der Persönlichkeitsentwicklung. Doch falls du dir von Zeit zu Zeit wünschst, anders zu sein – die gute Nachricht ist: Bei deiner Persönlichkeit ist nichts in Stein gemeisselt. Du kannst an ihr arbeiten und das ein Leben lang. Du kannst selbstsicher, extrovertiert und optimistisch sein und zu der Person werden, die du sein willst.
Der Haken? Es ist nicht mit einem Zauberspruch getan. Aber: Man kann Experten und Expertinnen um Rat fragen. Darum sagt dir hier Psychologin Christine Hoffman, was unsere Persönlichkeit ausmacht und wie du zu der Person werden kannst, die du schon immer sein wolltest.
Unsere Persönlichkeit und was sie ausmacht
Christine Hoffmann sagt: «Es gibt einen Persönlichkeitskern, der sich im Laufe des Lebens immer weiter entfaltet.» Welche Teile dieses Persönlichkeitskerns vererbt und welche erlernt sind, damit beschäftigt sich vor allem die Persönlichkeitspsychologie.
Aus ihr kommt auch das «Big Five Modell», wonach die menschliche Persönlichkeit im Grunde aus fünf Merkmalen besteht, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Diese Persönlichkeitsmerkmale sind: Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit, Kreativität), Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus), Extraversion (Geselligkeit), Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Empathie) und Neurozitismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit).
Generell legen Forschungsergebnisse, beispielsweise in der wissenschaftlichen Zeitschrift Molecular Psychiatry nahe: Zwischen 30 und 60 Prozent unserer Persönlichkeit ist vererbt – also genetisch vorgegeben. Der Rest ist sozial erlernt.
Demnach sind auch nicht alle Eigenschaften der «Big Five» in unsere DNA geschrieben. Das konnte eine Studie im Journal Translational Psychiatry zeigen: Vererbt werden den Forschenden zufolge hauptsächlich der Neurozitismus und die Offenheit für neue Erfahrungen.
Ob wir kreativ und offen sind oder zu Stimmungsschwankungen neigen, sei demnach in unserer Genetik angelegt. Ob wir extrovertiert oder introvertiert sind, ist dagegen primär sozial erlernt.
Wer bin ich eigentlich? Was die Persönlichkeit formt
Weil vieles in deinem Verhalten sozial erlernt ist, fragst du dich vielleicht: Wer bin ich überhaupt? Oder, wie Hoffmann es ausdrückt: «Bin ich der, der ich bin? Oder bin ich die, zu der ich gemacht wurde?»
Zu Beginn sei vorweggenommen: Du veränderst dich andauernd und musst dir diese Frage wahrscheinlich öfter im Leben stellen. Persönlichkeitsentwicklung ist kein isoliertes Ereignis, sondern ein lebenslanger Prozess. «Unsere Persönlichkeit ist laufend in Veränderung», sagt Expertin Hoffmann. «Die Annahme, sie sei in Gips gegossen, ist veraltet. Eher ist unsere Persönlichkeit eine Knetmasse, die in unterschiedliche Formen fließt.»
So schlüpfen du, deine Arbeits-Kolleginnen und -Kollegen oder die Verkäuferin oder der Verkäufer an der Supermarktkasse tagtäglich in unterschiedliche soziale Rollen, in denen man auf immer andere Facetten seiner Persönlichkeit zurückgreift. «Du wirst dich beim Abendessen mit den Schwiegereltern anders verhalten als beim Spaziergang durch den Wald», fasst die Psychologin zusammen. Es gibt aber Wege, unter all der sozialen Etikette deinen wahren Persönlichkeitskern zu erkennen. Denn: Was unsere Persönlichkeit formt, sind Erfahrungen. Und was unser Selbstbild formt, sind die Dinge, die wir regelmäßig tun.
In diesen Verhaltensweisen kannst du dich selbst beobachten, rät Hoffmann. In deinem Verhalten wirst du Dinge erkennen, die du regelmäßig tust und durch sie deine Persönlichkeit definierst. «Ich beschreibe mich dann als sportlich, wenn ich regelmäßig Sport betreibe. Dinge, die wir regelmäßig tun, beweisen uns, wer wir sind.»
Wer bin ich nicht (mehr)? Das abgelaufene Selbstbild
Oft hältst du dich aber selbst davon ab, du selbst zu sein. «Wir hegen uns selbst gegenüber viele Vorurteile», erfährt Psychologin Hoffmann regelmäßig in ihrer Arbeit mit Menschen. «Wenn ich von mir glaube, ungeduldig zu sein, werde ich mich aufgrund dieses Glaubenssatzes auch häufig ungeduldig verhalten.» Dazu kommt, dass diese Glaubenssätze meistens veraltet sind und gar nicht mehr auf dich im Heute zutreffen: «Wir hängen mit unserem Selbstbild oft in der Vergangenheit und glauben, heute noch so zu sein (respektive sein zu müssen), wie wir es in der Vergangenheit mal waren.»
Die Gründe dafür: Erfahrungen, die mit großen Emotionen verbunden sind. Denn diese prägen uns besonders stark. «Wenn ich als Kind oder Jugendliche von meinen Eltern mit abwertenden Eigenschaften beschrieben werde, dass ich dumm bin oder zwei linke Hände habe, wird mich das ein Leben lang prägen.» Diese Zuschreibungen unserer Persönlichkeit tun sehr weh und entsprechende Verbindungen in unserem Gehirn sind daher besonders stark ausgeprägt, sagt Hoffmann.
Wer willst du sein? Wie wir an unserer Persönlichkeit arbeiten können
Eine Lösung solcher schädlicher Glaubenssätze, beispielsweise «ich bin dumm», liegt oftmals in der Formulierung alternativer Glaubenssätze oder einfacher: im Reality Check. «Ich frage meine Patienten und Patientinnen dann, ob es Erlebnisse gab, in denen sie eindeutig Intelligenz bewiesen haben», sagt die Expertin. Im nächsten Schritt solltest du dich fragen: Angenommen ich wäre nicht mehr davon überzeugt, dumm zu sein: Was wäre dann alles möglich? «Wir beleuchten so die Ausnahme des Glaubenssatzes und zeichnen ein Bild der gewünschten Zukunft.»
Diese Auseinandersetzung mit negativen Überzeugungen über dich und deine Persönlichkeit, sind äußerst wichtig. Denn Fakt ist: Es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die wahrscheinlicher zu einem erfüllten Leben führen als andere. Eine Zwillingsstudie im Wissenschaftsblatt Nature konnte vor allem eine Eigenschaft identifizieren, die unser Wohlergehen maßgeblich steigert: Optimismus.
Die Autorinnen und Autoren erklären: «Wie zufrieden wir mit unserem Leben sind, hängt davon ab, mit welcher Einstellung wir darauf blicken. […] Eine Person, die das Leben von der positiven Seite sieht, wird sich eher an positive Lebenserfahrungen erinnern und über das Leben eine insgesamt positivere Bilanz ziehen.»
Geduld und Zuversicht: Veränderung der Persönlichkeit brauchen Zeit
Und wie wird man nun zu einem optimistischen Menschen? Geduld ist gefragt und ein verständnisvoller Umgang mit dir selbst – egal in welche Richtung du dich entwickeln möchtest. Wie lange du etwas regelmäßig tun musst, bis die Weichen deiner Gehirnbahnen entsprechend umgestellt sind, kann global kaum beantwortet werden. Konsistenz und Geduld sind aber entscheidend: «Es gibt eine Regel, laut der sich Persönlichkeitsveränderungen nach 30 Tagen automatisieren», sagt Hoffmann. «Das hängt aber massiv davon ab, wie häufig ich das gewünschte Verhalten in meinem Alltag zeige. Wer geselliger werden will, und sich nur zwei Mal im Monat unter Menschen begibt, bei dem wird es deutlich länger dauern.»
Geduld ist das eine, Verständnis für den eigenen Prozess das andere. Schließlich wirst du bei allen Bemühungen nicht von heute auf morgen gewünschte Persönlichkeitsattribute umsetzen. Wer zum Beispiel optimistischer werden will und trotzdem gelegentlich in negative Gedankenspiralen gerät, braucht Verständnis für sich selbst statt Frust, rät die Psychologin. «Manchmal geht es eher um eine Erlaubnis, als um ein Dagegenhalten. Wenn wir dagegenhalten, halten wir Dinge oft fest.» Negative Gefühle wahrnehmen und vorbeiziehen lassen ist demnach die Devise. Darüber hinaus kannst du den Fokus bewusst auf das Positive in deinem Alltag richten: Welche drei Dinge waren heute schön oder welche Menschen unterstützen dich dabei, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken?
Wo Christine Hoffmann zuversichtlich ist? Um an unserer Persönlichkeit zu arbeiten, ist es niemals zu spät. Auch Persönlichkeitsanteile, die wir geerbt haben oder die uns schon sehr lange begleiten, lassen sich mit ausreichend Geduld und Verständnis für die eigenen Höhen und Tiefen bearbeiten. «Wenn wir das tun, was wir gerne tun und dabei konsequent sind – dann können wir unsere Persönlichkeit ein Leben lang in alle Richtungen verändern.»
Titelbild: Stefan Spasov via unsplashIch liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.