Kritik

«Kingdom Come Deliverance 2» im Test: Mehr Mittelalter bekommst du nirgends

«Kingdom Come Deliverance 2» bietet die glaubwürdigste Mittelalter-Welt, die ich in einem Game je erlebt habe. Das böhmische Reich ist rau, schmutzig und einfach wunderschön.

«So authentisch, dass du den Pferdemist riechen kannst» war mein Titel für den Test des ersten Teils. Da hat die Clickbait-Schule meines ehemaligen Arbeitgebers Watson noch aus mir gesprochen. Im Kern stimmt die Aussage aber.

Das tschechische Studio Warhorse hat 2018 mit «Kingdom Come Deliverance» ein imposantes Openworld-Mittelalterspiel veröffenlicht, das Authentizität und Realismus in der Vordergrund stellt. Trotz dieses Realitätsanspruchs war das Game in erster Linie ein Rollenspiel und keine Simulation. Genau wie der zweite Teil. Der macht das Spiel zugänglicher und umfangreicher, ohne seine Prinzipien zu verraten.

Zwei Brüder und eine Krone

«Kingdom Come Deliverance 2» knüpft direkt an den ersten Teil an. Es ist das Jahr 1403 in Böhmen, dem heutigen Tschechien. Erneut schlüpfst du in die Rolle von Heinrich von Skalitz. Der Schmiedesohn hat als einziger den hinterhältigen Angriff des ungarischen Königs Sigismund von Luxemburg auf sein Dorf überlebt. Seine Eltern sind dabei ums Leben gekommen. Seither sinnt er auf Rache am Anführer der Söldnertruppen, Markwart von Aulitz sowie dem Spion und Ränkeschmieder István Tóth. Diese wurde ihm im ersten Teil verwehrt. Dafür hat er sich zur Leibwache seines neuen besten Freundes Hans Capom hinaufgequestet. Hans ist der Erbe des Stadtherrn von Rattay. Mit ihm zusammen beginnt das neue Abenteuer.

Hans Capon (links) und Heinrich von Skalitz sind dicke Freunde trotz unterschiedlichem Status.
Hans Capon (links) und Heinrich von Skalitz sind dicke Freunde trotz unterschiedlichem Status.
Quelle: Philipp Rüegg

Hans’ Onkel gehört zur Widerstandsbewegung und ist König Wenzel, dem rechtmässigen Herrscher über das böhmische Reich, treu ergeben. Dieser wird aber von seinem Bruder Sigismund gefangen gehalten. Hans soll zusammen mit Heinrich einem potenziellen Verbündeten ein wichtiges Dokument überbringen.

Die Geschichte ist eigentlich simpel, trotzdem habe ich regelmässig den Faden verloren. Dafür gibt es zu viele Namen, Adelstitel und Städte, die ich mir merken muss. Spannend und vor allem glaubhaft erzählt sind die politischen Intrigen dennoch. Unter anderem auch, weil die meisten Figuren historischen Personen nachempfunden sind, genau wie die Story und die Geographie.

Im Kodex kann ich historische Fakten nachlesen.
Im Kodex kann ich historische Fakten nachlesen.
Quelle: Philipp Rüegg

Eine Welt, in der du dich verlieren kannst

Ein Openworld-Spiel steht und fällt mit der Welt. «Kingdom Come Deliverance 2» bietet eine noch grössere und detailliertere Welt als der Vorgänger. Sie ist aufgeteilt in die beiden Regionen Trosky und Kuttenberg. Beide sind riesig und laden zum Erkunden ein. Da ich selbst zu Pferd gemächlich unterwegs bin, kann ich die Welt richtig einsaugen. Die Landschaft ist wunderschön und wirkt im Gegensatz zu den meisten Openworld-Spielen extrem realistisch. Im Kodex kann ich jederzeit nachlesen, wie ein bestimmter Fluss oder ein Dorf in Wirklichkeit ausgesehen hat und welche künstlerischen Freiheiten sich das Entwicklerstudio genommen hat.

Vor den Stadttoren wartet das Abenteuer. Obwohl, drinnen eigentlich auch.
Vor den Stadttoren wartet das Abenteuer. Obwohl, drinnen eigentlich auch.
Quelle: Philipp Rüegg

Wenn ich auf einem schmalen Trampelpfad einem Flüsschen entlang spaziere und auf einem Hügel ein malerisches Schloss entdecke, dann schmelze ich fast dahin. Abgesehen von den Distanzen, die aus spieltechnischen Gründen deutlich kürzer sind als in der Realität gibt es kein Spiel, dass das Mittelalter-Flair besser und authentischer einfängt als «Kingdom Come Deliverance 2».

Dazu tragen auch die vielen Burgen und Schlösser bei, die detailliert nachgebildet wurden. Beispielsweise die Burg Trosky, die 1380 auf einem erloschenen Vulkan erbaut wurde. Dort haust Otto von Bergow, dem Heinrich und Hans besagtes Dokument überbringen sollen. Die Burg existiert heute noch. Im Spiel habe ich etliche Stunden dort verbracht und vom Verliess bis zu den beiden Türmen Jungfrau und Vettel jeden Winkel erkundet. Dabei bin ich mir wie auf einer interaktiven Museumsführung vorgekommen.

Die Burg Trosky ist nur eine von zahlreichen beeindruckenden Bauten.
Die Burg Trosky ist nur eine von zahlreichen beeindruckenden Bauten.
Quelle: Warhorse

Aber auch jede Mühle, jedes Fischerdorf und jedes kleine Lager am Wegesrand versetzt mich in Verzückung. Selbst nach fast 70 Stunden lässt meine Begeisterung für die idyllische Welt nicht nach. Die fantastische Grafik ermöglicht die neuste Version der CryEngine – die Engine, die 2007 «Crysis» zum legendären Grafik-Benchmark gemacht hat. Die Hardwareanforderungen sind zum Glück nicht mehr ganz so exorbitant. Aber meine RTX 4090 hatte mit der PC-Version in 4K nicht immer leichtes Spiel.

Die Welt ist nicht nur gross, sie wirkt auch lebendig. Etwas, wobei sich andere Openworld-Games notorisch schwer tun. Die Bewohnerinnen und Bewohner folgen ihrem Tagewerk. Sie besuchen die Schenke, arbeiten auf dem Feld, essen gemeinsam zu Abend und gehen anschliessend ins Bett. Auch die Kleidung und die Rüstungen sind echte Hingucker. Eine komplette Ritterrüstung besteht aus mehr als einem Dutzend Teile, die ich individuell anlegen kann. Ich fühle mich wie ein Cosplayer, wenn ich mich durch meinen fiktiven Kleiderschrank wühle.

Die Bevölkerung folgt ihrem Tagewerk.
Die Bevölkerung folgt ihrem Tagewerk.
Quelle: Warhorse

Die NPCs leisten einen entscheidenden Beitrag zur Authentizität der Mittelalterwelt. Wenn ich sie anremple, direkt neben ihnen nach meinem Pferd pfeife oder mich verdächtig verhalte, reagieren sie darauf. In den ersten Stunden fühlte ich echtes Unbehagen, wenn ich bei einem armen Zimmermann einbrach, um eine Laute zu klauen oder wenn es zu einem tödlichen Zwischenfall kam, weil mich jemand beim Herumschleichen erwischt hat.

Toll ist auch, dass in der englischsprachigen Version zahlreiche deutsche Sprecher zum Einsatz kommen. Sie simulieren die vielen deutschen Einwanderer und Händler, die damals in Böhmen unterwegs waren. Sie vermischen auch Englisch und Deutsch, was das Ganze noch authentischer macht.

Wo die Authentizitätsbemühungen als Nachteil gewertet werden können, ist bei der Abwechslung der Spielwelt. «Kingdom Come Deliverance 2» spielt in Böhmen und ausschliesslich im Böhmen. Die Landschaft ist mehrheitlich grün, hügelig und voller Laubwälder. Einen völligen Tapetenwechsel durch eine Schneelandschaft, eine Wüste, oder ein Sumpfgebiet suchst du vergeblich.

Wenn dich Wälder und grüne Wiesen nicht begeistern können, wirst du es mit «Kingdom Come Deliverance 2» schwer haben.
Wenn dich Wälder und grüne Wiesen nicht begeistern können, wirst du es mit «Kingdom Come Deliverance 2» schwer haben.
Quelle: Warhorse

Kein Tausendsassa

Nicht nur bei der Welt und dem Design setzt Warhorse auf Realismus, auch beim Gameplay. Das ist deutlich gemächlicher als andere Openworld-Spiele. Im Vergleich zum ersten Teil wirkt alles polierter und es gibt mehr Komfortfunktionen. So folgt Heinrich, respektive sein Pferd, auf Knopfdruck dem Weg oder aber anderen Personen. So kann ich der Unterhaltung ungestört folgen oder die Landschaft geniessen. Geduld gehört beim Spielen dennoch dazu.

Das prominenteste Beispiel eines Spiels, das ebenfalls auf Langsamkeit in Verbindung mit einer detailverliebten Welt setzt, ist «Red Dead Redemption 2». Das erschien sogar im gleichen Jahr wie das erste «Kingdom Come Deliverance». Genau wie in Rockstars Wild-West-Epos dauert auch im Wilden Osten alles etwas länger. Aber genau das macht den Charme des Spiels aus. Als Schmiedesohn kann Heinrich selbst Waffen herstellen. Das beinhaltet das Erhitzen des Rohlings, über das gezielte und gleichmässige Aushämmern auf beiden Seiten. Statt in einem Menü auf «Herstellen» zu drücken, setze ich mich mit dem Handwerk auseinander. Genau wie bei der Alchemie, die ich nur an einem Alchemietisch ausführen kann.

Heinrich kann eigene Waffen schmieden. Dafür sind aber einige Handgriffe nötig.
Heinrich kann eigene Waffen schmieden. Dafür sind aber einige Handgriffe nötig.
Quelle: Philipp Rüegg

Dabei muss ich die genauen Schritte befolgen, die in meinem Rezeptbuch stehen. Das Brauen beginnt mit der richtigen Flüssigkeit, danach muss ich die richtigen Kräuter in der richtigen Menge und der richtigen Reihenfolge in der richtigen Dauer kochen. Zum Schluss wird destilliert und eingeschenkt. Ich braue mir nicht eben mal 20 neue Tränke, sondern muss mir Zeit dafür nehmen. Das macht sie umso wertvoller. Einer der meistbenutzten Tränke ist der Retterschnaps. Es gibt im Spiel vier Möglichkeiten zu Speichern. Im eigenen Bett schlafen, durch Beenden des Spiels, an gewissen Checkpoints oder manuell, indem ich einen Retterschnaps trinke.

Schmieden und Alchemie sind die einzigen Berufe, die Heinrich beherrscht. Er ist kein Tausendsassa. Die Berufe beherrscht er, weil er sie im ersten Teil erlernt hat und nicht einfach, weil er Punkte in einen Talentbaum investiert hat. Die gibt es in «Kingdom Come Deliverance 2» aber ebenfalls. Es bleibt ein Rollenspiel, auch wenn es durch Schlaf- und Nahrungsmanagement zuweilen an ein Survival-Spiel erinnert.

Beim Tränke brauen muss ich der Anleitung genau folgen. Frische Kräuter sind dabei wirkungsvoller als getrocknete. Dafür können sie schimmeln.
Beim Tränke brauen muss ich der Anleitung genau folgen. Frische Kräuter sind dabei wirkungsvoller als getrocknete. Dafür können sie schimmeln.
Quelle: Philipp Rüegg

Heinrich lernt dazu, in dem er Tätigkeiten ausführt. Viel Reden verbessert die Redekunst, Klauen die Heimlichkeit und Schwertkampf den Umgang mit dem Schwert. So schalte ich ganz natürlich neue Talente frei. Die sind allesamt erstrebenswert und bringen echte Vorteile mit sich. Das Talent «Händler» sorgt dafür, dass gestohlene Ware schneller nicht mehr als solche erkannt wird. So kann ich sie besser verkaufen. Mit dem «Meisterhaften Schlag» wiederum erlange ich eine neue Angriffstechnik, mit der ich gegnerische Angriffe kontere.

Zieh dein Schwert!

Kampf ist ein essenzieller Teil von «Kingdom Come Deliverance 2». Zur Auswahl stehen Stangenwaffen, wie Hellebarden, schwere Waffen wie Äxte und natürlich Schwerter. Beim Kampf ist es wichtig, die eigene Ausdauer im Auge zu behalten. Angreifen und Verteidigen kostet Energie. Beim Angreifen muss ich den Gegner genau beobachten, damit ich aus der richtigen Richtung angreife oder blocke. Die Kämpfe fühlen sich wuchtig an. Ohne entsprechende Rüstung reichen bereits ein, zwei Treffer und der Kampf ist vorbei. Mit voller Rüstung kann sich ein Kampf mehrere Minuten hinziehen.

Kämpfe sind sehr dynamisch – solange nicht zu viele Kämpfer darin verwickelt sind.
Kämpfe sind sehr dynamisch – solange nicht zu viele Kämpfer darin verwickelt sind.
Quelle: Philipp Rüegg

Sobald mehrere Personen in einen Kampf verwickelt sind, wird es chaotisch. Dann sind Physik und Kamera schnell überfordert und der Kampf artet in wildem Tastengedrücke aus. Gerade in den ersten Stunden habe ich selbst gegen einfache Banditen oft ins Gras gebissen. Insgesamt ist es aber ein Genuss mitzuerleben, wie ich geschickter werde und mich zumindest im Eins gegen Eins von kaum jemanden mehr bezwingen lasse. Und sonst steht mir immer noch Köter zur Seite – den Namen habe ausnahmsweise nicht ich mir ausgedacht. Mein treuer Hund, der mir nicht nur beim Jagen oder Spurensuchen behilflich ist, sondern auf Kommando auch Gegnern in den Hintern beisst.

Toll inszeniert sind Belagerungen. Heinrich und Hans’ Botengang führt sie früh zur Festung Nabokov. Dort gilt es, dem Angriff durch Markwart von Aulitz und seiner Prager Söldnertruppe standzuhalten. Die mit Leitern heranstürmenden Truppen nehme ich zuerst mit Bogen, Armbrust oder der neuen Handkanone aufs Korn. Wobei letztere zwar viel Durchschlagskraft besitzt, aber viel zu lange zum Laden benötigt. Und beim Zielen bin ich nicht besser als ein betrunkener Feuerwerkszünder.

Gegen Steinbrocken hilft auch kein Helm mehr.
Gegen Steinbrocken hilft auch kein Helm mehr.
Quelle: Philipp Rüegg

Wenn die Feinde ihre langen Leitern anlegen, versuche ich sie wegzustossen. Gelingt das nicht, folgen chaotische Kämpfe auf den Mauergängen. Den Angriff aufs Haupttor wehre ich ab, indem ich Felsbrocken auf die Köpfe der darunter stehenden Feinde schmeisse.

Immer der Nase nach

Openworld-typisch gibt es auch fernab der Hauptgeschichte viel zu tun. «Kingdom Come Deliverance 2» bleibt dabei glücklicherweise meilenweit vom Ubisoft-Spiel-«Map Barf» entfernt. In Ortschaften gibt es meistens nur ein, zwei Nebenquests und auch die werden mir nicht direkt auf die Nase gebunden.

Oft hilft es, zuerst mit der Schankwirtin zu reden, um die neusten Gerüchte zu erfahren. Oder ich höre einen Streit zwischen zwei Grundbesitzern, die sich seit Jahren um eine Wiese zanken. Ich kann den Friedensstifter mimen oder den Streit anheizen, indem ich einen preisgekrönten weissen Bullen schwarz anpinsle. Viele Quests können auf unterschiedliche Art und Weise gelöst werden. Hier unterscheidet sich das Spiel deutlich von «Red Dead Redemption 2», das im Missionsdesign oft nur einen Weg erlaubt.

Nur schon um ins Heerlager von Sigismund zu gelangen, gibt es mehrere Möglichkeiten.
Nur schon um ins Heerlager von Sigismund zu gelangen, gibt es mehrere Möglichkeiten.
Quelle: Philipp Rüegg

Gute Redekünste sind fast immer von Vorteil. Ganz im Sinne von «Kleider machen Leute» gibt schöne und besonders gewaschene Kleidung einen Bonus auf meine Charme-Werte. Umgekehrt halten sich die Leute die Nase zu, wenn du voll Blut tropfend und stinkend durch die Strassen läufst – oder vergisst, eine Hose anzuziehen. Kann ja mal passieren.

Apropos Nase: Auf meinen Reisen durch die beiden Gebiete Trosky und Kuttenberg habe ich mich oft von meiner Nase leiten lassen. Auch wenn dich die Hauptquest an die meisten Sehenswürdigkeiten heranführt, gibt es fernab der Hauptstrasse immer etwas zu entdecken. Mal habe ich mich auf der «Teufelsjagd» in einer verlassenen Mine begeben. Ein andermal hat mich eine Legende um einen Wasserkobold zu einer echten Silberaxt geführt.

Die Welt von «Kingdom Come Deliverance 2» wirkt trotz Realismus märchenhaft.
Die Welt von «Kingdom Come Deliverance 2» wirkt trotz Realismus märchenhaft.
Quelle: Warhorse

Ohne Zeitdruck für das Review hätte ich kaum je die Schnellreisemöglichkeit genutzt. Dafür macht das Reiten durch die malerischen Landschaften zu viel Spass. Wobei das Schnellreisen gelegentlich durch zufällige Begegnungen unterbrochen wird, die ich ohne vielleicht verpasst hätte.

Einen Ruf zu verlieren

Das Spiel erschafft eine lebendige und echt anmutende Welt. Darum stört es umso mehr, wenn die Illusion zerbricht. «Kingdom Come Deliverance 2» setzt auf ein Ruf-System. Dein Ruf verändert sich zum Guten oder Schlechten, je nachdem, was du tust und ob es irgendjemand bemerkt. Hilfst du den Menschen, benimmst du dich anständig und offerierst du Händlern gute Preise, steigt dein Ansehen. Beleidigst du die Bewohner, wirst handgreiflich oder wirst beim Klauen erwischt, sinkt es.

Betrete ich unerlaubt einen Bereich, werde ich schnell hinaus begleitet. Widersetze ich mich, muss ich mich auf meine Redekunst verlassen, kämpfen oder lande im schlimmsten Fall im Gefängnis.
Betrete ich unerlaubt einen Bereich, werde ich schnell hinaus begleitet. Widersetze ich mich, muss ich mich auf meine Redekunst verlassen, kämpfen oder lande im schlimmsten Fall im Gefängnis.
Quelle: Warhorse

Für eine Quest musste ich eine Laute besorgen. Ich hätte sie kaufen können, aber das Geld war knapp und meine Finger lang. Also bin ich in der Nacht ins Haus geschlichen, in dem sich das Instrument befand und habe meinen Fünffingerrabatt genutzt. Gesehen hat mich niemand. Weil ich aber am Tag zuvor bereits auf dem Anwesen herumspaziert bin, hat mich das verdächtig gemacht. Eine Anzeige am oberen Bildschirmrand mit einem knuffigen animierten Häschen signalisiert, ob mich jemand sieht, mich sucht oder mit mir kämpfen will. So hat mir der gelbe Hase auch mitgeteilt, dass ich am Tag gesehen wurde. Auch das nur, weil ich erst nach dem Übertreten einer Türschwelle erkenne, ob ich rein darf oder nicht.

Dieser Schritt hat bereits ausgereicht, dass mich am folgenden Tag der Büttel, sozusagen der Dorfpolizist, festnehmen will. Die Mechanik, dass sich die Leute mein Verhalten bemerken, finde ich toll. Aber dass ich aufgrund eines Verdachts bereits zum gesuchten Verbrecher werde, nervt. Originell wiederum ist, dass Kleidung unterschiedlich stark auffällt, unterschiedlich viel Lärm macht und den Menschen unterschiedlich im Gedächtnis bleibt. Ein buntes Festkleid ist also in vielerlei Hinsicht nicht das passende Einbrecheroutfit.

Studio Warhorse hat die Welt des 15. Jahrhunderts mit viel Liebe nachgebildet.
Studio Warhorse hat die Welt des 15. Jahrhunderts mit viel Liebe nachgebildet.
Quelle: Warhorse

AA statt AAA

Trotz riesiger Spielwelt, viel Umfang und detailverliebter Welt fühlt sich «Kingdom Come Deliverance 2» nicht nach einem vor Geld stinkenden Spiel wie die «Red Dead Redemtpion 2» anl. Die Gesichter sind schön animiert, aber auch relativ steif. Das gilt auch für die Bewegung der NPCs und das liegt nicht an den Rüstungen.

Das Missionsdesign ist auch nicht über alle Zweifel erhaben. An einer Stelle musste ich durch einen Wald voller feindlicher Soldaten schleichen. Weil die keinem nachvollziehbaren Muster folgen und es praktisch keinen Ort zum Verstecken gibt, verkommt das Ganze zu einer nervigen «Trial and Error»-Mission. Weil es keine Schnellspeichermöglichkeit gibt und ich nicht unendlich Retterschnaps vergeuden wollte, habe ich am Ende alle 50 Meter das Spiel beendet, um auf diese Weise zu speichern.

Einige Schleichpassagen verkommen zu Trial and Error.
Einige Schleichpassagen verkommen zu Trial and Error.
Quelle: Warhorse

Bei der Mission mit der Burgbelagerung habe ich die ersten Male nicht kapiert, was ich genau tun sollte. Ständig rief jemand nach mir, aber ich wusste nicht wer das war oder wohin ich sollte. Solche gescripteten Momente schlagen schnell ins Ärgernis um, wenn sie nicht wie geplant ablaufen. Oder wenn ich sie wiederholen muss. Wie in der Mission, in der ich als getarnter Diener in König Sigismunds Hof Wein servieren muss. Die zieht sich über fünf Minuten hin während ich die Adligen belausche. Weil ich dabei zu oft den falschen Wein erwische, muss ich das ganze nochmal von vorne machen – und den exakt gleichen Dialogen zuhören. Zum Glück sind solche Missionen die Ausnahme.

Eine Kritik am ersten Teil war, dass es ausschliesslich weisse Personen gab. Game Director Daniel Vávra, der im ersten Teil durch seine Nähe zur GamerGate-Szene und seiner Kritik an der «linken politischen Propaganda» der Fachpresse negativ auffiel, ist nun ironischerweise selbst Ziel solcher Angriffe. Bereits im Vorfeld hat das Studio erklärt, dass Teil 2 mehr Wert auf Diversität legen wird. So gibt es in «Kingdom Come Deliverance 2» nun tatsächlich eine dunkelhäutige Person. Ausserdem gebe es eine gleichgeschlechtliche Romanzen-Option. Das führt dazu, dass Vávra und das Spiel als «woke» betitelt werden.

Im Gegensatz zum ersten Teil gibt es in «Kingdom Come Deliverance 2» nun auch eine dunkelhäutige Person.
Im Gegensatz zum ersten Teil gibt es in «Kingdom Come Deliverance 2» nun auch eine dunkelhäutige Person.
Quelle: Philipp Rüegg

Auch in den Steam-Foren wurde der Umgangston rauer, so dass sich Publisher Deep Silver genötigt sah, neue Richtlinien aufzustellen. Unter «Zero Tolerance» waren sexistische, homophobe und transphobe Äusserungen strikt verboten. Den Widerstand hat das Unternehmen bereits wieder aufgegeben und die alten Regelungen eingeführt.

Technisch habe ich wenig zu bemängeln. Ab und zu stimmte die Audioabmischung nicht und gewisse Personen waren in Zwischensequenzen kaum zu hören. Manchmal verheddern sich Figuren ineinander. Die meisten technischen Probleme sind dem Entwicklerteam bekannt und dürften zeitnah rausgepatcht werden. PC-Spielerinnen und Spielern brauchen dennoch einen leistungsfähigen PC, wenn sie das Game in voller Pracht zocken wollen. Die höchste Stufe, «Experimentell», richtet sich gar an zukünftige Hardware – selbst mit einer RTX 4090 war das Game mit diesen Einstellungen kaum spielbar.

«Kingdom Come Deliverance 2» wurde mir von Plaion zur Verfügung gestellt. Ich habe die PC-Version getestet. Das Spiel ist verfügbar ab dem 4. Januar für PC, PS5 und Xbox Series X/S

Fazit

ein echtes Mittelalterfest

«Kingdom Come Deliverance 2» ist ein bemerkenswertes Spiel. Obwohl es Openworld-Games gibt wie Sand am Meer, sticht Warhorses neuestes Werk heraus. Eine solch detailverliebte und weitläufige Welt, die das Mittelalterflair so schön einfängt, gibt es kein zweites Mal. Es gibt prachtvolle Burgen, riesige Armee-Zeltlager und beschauliche Dörfer, in denen ich mich am liebsten niederlassen würde.

Fast 70 Stunden bin ich abgetaucht, ohne Überdruss zu spüren oder mich zu langweilen. Andere Genre-Vertreter strengen mich oft an, durch viele monotone Aufgaben wie das konstante Beute-Aufsammeln oder nerviges Inventarmanagement. «Kingdom Come Deliverance 2» geht alles gemächlicher an und verzichtet auf Effekthascherei. Es gibt keine Drachen, ich mache im Kampf keine Rückwärtssaltos und wenn ich ein Schwert schmieden will, muss ich mich aktiv dieser Aufgabe widmen.

Auch die Geschichte hat mich bis zum Schluss unterhalten. Sie ist ein wildes auf und ab mit politischem Ränkeschmieden, blutigen Schlachten und heimlichen Raubübefällen, die an «GTA V» erinnern.

Wenn du auch nur das kleinste Faible für Mittelalter hast, gerne offene Spielwelten erkundest und dich nicht daran störst, dass alles etwas länger dauert, dann kann ich dir «Kingdom Come Deliverance 2» wärmstens empfehlen.

Pro

  • authentische Mittelalterwelt
  • wunderschöne Grafik
  • spannende Geschichte
  • spassiges Kampfsystem
  • nicht überladen mit Mechaniken oder Aufgaben

Contra

  • Spannungsbogen hängt manchmal etwas
  • einige Quests sind Trial and Error
Deep Silver Kingdom Come Deliverance II Gold Edition (PC, DE)

Deep Silver Kingdom Come Deliverance II Gold Edition

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 

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