«Joker»: Dürfen wir mit Massenmördern sympathisieren?
Hintergrund

«Joker»: Dürfen wir mit Massenmördern sympathisieren?

Luca Fontana
3.10.2019

Kaum ein anderer Film wurde dieses Jahr so kontrovers diskutiert wie «Joker». Dabei geht es um die Frage, ob Attentäter und Massenmörder – und sind es nur fiktive – vermenschlicht werden dürfen.

DCs «Joker» mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle wird derzeit heftig diskutiert – zumindest in den USA. Der Film ist dort seit dem 4. Oktober 2019 im Kino zu sehen. Bei uns startete er eine Woche später.

Joaquin Phoenix gibt den Joker, Batmans Erzfeind.
Joaquin Phoenix gibt den Joker, Batmans Erzfeind.
Quelle: Warner Bros.

In den besagten Kontroversen geht es nicht um die Qualität des Films. Tatsächlich sollen viele, die den Film bereits zu Gesicht bekommen haben, in Joaquin Phoenix Joker-Darstellung eine oscarwürdige Performance sehen. Stattdessen geht es um die Frage, ob mit Massenmördern sympathisiert werden darf – oder nicht.

Besorgte Kritiker: Attentäter in der Opferrolle

Grund zur Besorgnis der Debattierenden gibt die Handlung, in welcher der titelgebende Antagonist – Batmans Erzfeind Joker – ein aufstrebender Stand-Up-Comedian ist, der die Kontrolle über sein Leben verliert und zum geistesgestörten Attentäter wird. Dem Film kritisch gegenüberstehende Zuschauer befürchten, dass «Joker» Mitleid und Sympathie für den Charakter erregt und ihn damit zum Vorbild oder gar Inspiration weiterer potenzieller Gewalttäter macht, die sich als Opfer des Systems sehen wollen.

Wasser auf die Mühlen der Besorgten sind eine Reihe von Massenschiessereien, die kürzlich in den Vereinigten Staaten über 40 Menschenleben gefordert haben. Dazu kommt der von Kritikern aufgeworfene tragische Vorfall in Aurora, Colorado, ein 2012 stattgefundenes Attentat, das «Joker» nur indirekt betrifft: Damals zündete ein bewaffneter Attentäter während einer «The Dark Knight Rises»-Mitternachtsvorstellung eine Tränengasgranate und eröffnete das Feuer auf das Publikum. Zwölf Menschen wurden getötet, etwa 60 verletzt.

In New York will die Stadtpolizei deswegen den Kinostart mit zusätzlichem Personal überwachen. Auch das LA Police Department will verschärfte Massnahmen zur Überwachung ergreifen. Kinobetreiber sind zudem angehalten, keine Verkleidungen oder Maskierungen zu erlauben oder wenigstens strenge Personenkontrollen durchzuführen.

Für immer allein in der Menge, sucht Arthur Fleck aka Joker nach Anschluss.
Für immer allein in der Menge, sucht Arthur Fleck aka Joker nach Anschluss.
Quelle: Warner Bros.

Während die Kontroverse zweifelsohne da ist, versuchen die Verantwortlichen, wenigstens die Polemik zu verhindern. So sagte ein New Yorker Polizist gegenüber der Fachzeitschrift The Hollywood Reporter, dass es keine fundierten Hinweise auf geplante Attentate gibt. In dieselbe Kerbe schlägt auch die Polizei in Los Angeles. Sie nehme die Besorgnis der Bevölkerung zwar sehr ernst, hätte aber selbst noch keine ernstzunehmende Bedrohungen entdeckt.

Also viel Lärm um nichts?

Betroffene: Das Studio muss in die Verantwortung genommen werden

In einem offenen Brief der Opfer und geschädigten Familien des Aurora-Attentats an Warner Bros., dem produzierenden Filmstudio, zeigten sich die Hinterbliebenen besorgt über die realistische und plastische Gewalt in «Joker». In den USA hat er ein R-Rating bekommen – hierzulande vergleichbar mit einem FSK 18 aufgrund heftiger Gewalt. Zudem forderten sie das Studio auf, Spenden an Politiker einzustellen, die Gelder von der National Rifle Association (NRA) erhalten, um verschärfte Waffenreformen in den USA zu verhindern.

Ann Sarnoff, ihres Zeichens Warner Bros.-CEO, antwortete darauf, dass das Studio mit den Familien sympathisiere und seit Jahren grosszügige Spenden an Gewaltopfern tätige. Tatsächlich hätte das Unternehmen eine Million Dollar an die Opfer von Aurora gespendet.

Über Spenden an Politiker, die gegen Waffenreformen sind, äusserte sich Sarnoff hingegen nicht.

Joaquin Phoenix: Kontroverse ist gut und gesund

Mittlerweile haben sich auch die Stars von «Joker» zu Wort gemeldet. So sagte Regisseur Todd Phillips, dass er weder durch den fiktiven Charakter Joker noch durch seinen Film die Absicht hätte, Gewalt zu verherrlichen oder potenzielle Attentäter zu inspirieren. Allerdings sagte Schauspieler Robert De Niro an der «The Irishman»-Premiere gegenüber Branchenmagazin Variety, dass er die Forderungen der Aurora-Familien unterstütze.

Robert De Niro in «Joker»
Robert De Niro in «Joker»
Quelle: Warner Bros.

Etwas ausführlicher war Hauptdarsteller Joaquin Phoenix gegenüber der Fachzeitschrift Vanity Fair. Demnach hätte er Kontroversen erwartet, fände sie aber gut und gesund, weil sie die Diskussion anregen. Er hätte sich nämlich auch gefragt, warum er einen Film machen sollte, der mit dem Bösewicht sympathisiert. Eine Antwort gab er sich selber in einem Interview gegenüber IGN.

Der Film «Joker» macht Aussagen über den Mangel an Liebe, über Kindheitstraumata und über mangelndes Mitgefühl in der Welt. Ich finde es bizarr, wenn die Leute pauschal sagen: «Oh, nun, ich könnte damit umgehen». Aber stell dir vor, was passiert, wenn du es nicht könntest.
Joaquin Phoenix gegenüber IGN

Der wahre Wert des Films läge also darin, so Phoenix, den Menschen klar zu machen, dass sie es sich oft zu einfach machen, das Böse zu verleumden, ohne es verstehen oder wenigstens nachvollziehen zu wollen.

Die Kontroverse: Gibt es überhaupt ein Richtig oder Falsch?

Die Frage, ob Massenmörder – ob fiktive wie der Joker oder reale wie James Eagan Holmes, der Aurora-Attentäter – vermenschlicht werden dürfen, ist unangenehm und unbequem.

Geht es nach den Film-Beteiligten, soll «Joker» helfen, Böses besser zu verstehen, zu erkennen und frühzeitig zu verhindern, ehe es zu spät ist. Besorgte Kritiker und Familien hingegen sehen eine viel grössere Gefahr darin, dass potenzielle Gewalttäter sich in ihrer Opferrolle bestätigt sehen und sie als Rechtfertigung für weitere Attentate nutzen könnten.

Mordende Opfer: Mitleid haben oder vehement verurteilen?
Mordende Opfer: Mitleid haben oder vehement verurteilen?
Quelle: Warner Bros.

Die Wahrheit liegt wohl dazwischen. Kein Attentäter darf je vor der Verantwortung seiner Taten freigesprochen werden – mögen die Umstände noch so verzweifelt sein. Denn die Entscheidung, abzudrücken, treffen Mörder ganz alleine. Immer.

Allerdings liegt es an uns, die wir die Gesellschaft bilden und unsere Kinder gemäss unseren moralischen Vorstellungen erziehen, für ein gesundes Miteinander zu sorgen. Das kann nur dann funktionieren, wenn wir alle auch in unseren dunkelsten Stunden genügend Abstützung beieinander finden, ehe es zu spät ist.

Wie siehst du das?

Das Vermenschlichen von Attentätern

Dürfen wir mit Massenmördern sympathisieren?

  • Ja – Auch sie sind Menschen, die aus einem bestimmten Grund zu dem geworden sind, was sie sind, auch wenn es schrecklich ist.
    14%
  • Nein – Attentäter haben ihre Menschlichkeit aufgegeben und das Recht verloren, als Menschen wahrgenommen zu werden.
    6%
  • Weder noch – Es geht nicht darum, sie von Schuld freizusprechen. Es geht darum, zu verstehen, wie sie geworden sind und was wir als Gesellschaft tun können, um Ähnliches in Zukunft zu verhindern.
    80%

Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.

Apropos: Kennst du die Netflix-Serie «Mindhunter»? Dort geht’s um die ersten Profiler der Geschichte, die sich mit der Psyche von Serienmördern auseinandersetzen – entgegen dem Druck der Gesellschaft, die nichts von der Vermenschlichung von Killern wissen will.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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