Ist der Rasierhobel besser als normale Plastikrasierer?
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Ist der Rasierhobel besser als normale Plastikrasierer?

Lorenz Keller
18.4.2023

Seit 30 Jahren rasiere ich mich fast täglich mit einem Plastikrasierer mit austauschbaren Klingen. Das ist nicht nachhaltig und teuer. Mit dem 1874 erfundenen Rasierhobel wage ich den Schritt zurück in die Zukunft.

Ein bisschen Schiss habe ich schon vor dem ersten Mal. Rasierhobel tönt irgendwie grob – nach gereizter Haut und kleinen Schnitten. Einmal durchschnaufen – und los geht's. Ich wasche das Gesicht und verteile den Rasierschaum.

Dann setze ich den Rasierhobel das erste Mal an. Ideal ist ein 30-Grad-Winkel, sagen die Ratgeber im Internet. Ich sage: Man spürt ganz intuitiv, wie steil die Klinge stehen darf. Schon beim ersten Zug höre ich ein sanftes Raspeln. Darum also Hobel! Das nicht unangenehme Geräusch ist viel intensiver als bei einem Systemrasierer.

Der Rasierhobel wird für die klassische Form der Nassrasur genutzt – und das seit weit über 100 Jahren. Während man heute bei den Rasierern den ganzen Kopf mit oft mehreren Klingen wegwirft, spannt man beim Hobel nur eine einzelne, zweiseitig geschliffene Stahlklinge ein. Während der Winkel bei den austauschbaren Rasierköpfen von Gillette und Co. automatisch mehr oder weniger stimmt, bin ich beim Rasierhobel selber für die Ausrichtung der Klinge verantwortlich.

Zug um Zug rasiere ich die eine Seite des Gesichts. Viel konzentrierter als sonst – nicht nur, weil es das erste Mal ist. Steht die Klinge zu steil, ist die Schnittgefahr gross.

Die dünne Stahlklinge wird in den Rasierkopf eingespannt.
Die dünne Stahlklinge wird in den Rasierkopf eingespannt.
Quelle: Lorenz Keller

Ich bin noch blutiger Anfänger

Obwohl ich Anleitungen gelesen habe, mache ich offensichtlich Fehler. Ich verletzte mich leicht am Hals – an einer Stelle, die auch sonst immer mal wieder heikel war. Da stimmte wohl der Winkel nicht. Die gute Nachricht: Schon einen Tag später habe ich dazugelernt und schaffe die Rasur ganz ohne Blut.

Zu den Anfänger-Fehlern gehört auch, nach der Fotosession (siehe Titelbild) mit halb getrocknetem Schaum weiter zu rasieren. Auch das wird sofort mit einem Mini-Schnitt bestraft. Der Rasierhobel braucht eine feuchte, aufgeweichte Gesichtshaut. Nach den ersten Tagen weiss ich: Am einfachsten ist es für mich, wenn ich direkt nach dem Duschen rasiere.

Weitere Learnings: Weniger Druck ist besser. Das Resultat bleibt gleich gut, gleichzeitig ist die Verletzungsgefahr geringer. Zudem braucht alles ein bisschen mehr Zeit, in Eile rasiert es sich schlecht.

Ganz ohne Schnitt gelingt mein erster Versuch nicht – es wird aber schnell besser.
Ganz ohne Schnitt gelingt mein erster Versuch nicht – es wird aber schnell besser.
Quelle: Lorenz Keller

Schon nach wenigen Tagen habe ich den Dreh raus. Ein sanfter Zug reicht – und die Stoppeln sind weg. Da ist der Rasierhobel viel effizienter als die modernen Rasierer mit drei bis fünf Klingen. Auf den Flächen an Backe und Hals klappt das super. An den Übergängen, an Kinn und Oberlippe brauche ich mit dem Rasierhobel deutlich mehr Zeit und Konzentration.

Ich weiss natürlich, dass ich blutiger (wortwörtlich) Anfänger bin. Ich nutze zum Beispiel weiterhin ein Gel aus der Dose und noch keine Rasierseife oder Rasiercreme. Diese schäumt man mit einem Pinsel in einer Schale auf und trägt sie dann im Gesicht auf.

Die über 100 Jahre alte Rasiertechnik

Schon erstaunlich: Der Rasierhobel ist technisch eigentlich ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert. 1874 kamen erste Modelle in England auf den Markt. Sie erinnerten an Schreinerhobel. Zu den Pionieren gehörte der bis heute bekannte Hersteller Wilkinson. Die Klinge der ersten Hobel war aber ähnlich wie beim Rasiermesser viel ungeschützter.

Kurz nach der Jahrhundertwende erfand dann der Amerikaner King Camp Gillette den Sicherheitsrasierer. Und damit waren die zwei bis heute dominierenden Brands im Geschäft. In diesem neuen Rasierhobel wurden nicht Messerklingen eingespannt, die regelmässig geschliffen werden mussten, sondern dünne Stahlklingen, die nach Gebrauch ausgetauscht und weggeworfen werden. Die Klingen liegen zudem zwischen zwei Kämmen und sind so stärker geschützt.

Auch moderne Rasierhobel sehen noch aus wie vor 100 Jahren.
Auch moderne Rasierhobel sehen noch aus wie vor 100 Jahren.
Quelle: Lorenz Keller

Diese Grundform ist seither kaum verändert worden. Bis heute heisst der Rasierhobel im englischsprachigen Raum übrigens «Safety Razor», weil er eben sicherer und einfacher zu bedienen ist als Rasiermesser oder die ursprünglichen Rasierhobel.

Der Siegeszug des Rasierhobels wurde jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen. Elektrische Rasierer wurden erschwinglich. Seit den 1970er-Jahren ersetzten zudem Rasiersysteme aus Kunststoff und Einwegrasierer viele der noch vorhandenen Rasierhobel in den Haushalten. Auch hier an vorderster Front mit dabei: Gillette und Wilkinson.

Verführerisch und viel zu teuer

Zwei Marken, die ich sehr gut kenne: Das letztes Jahr auf den Markt gekommene Gillette-System mit Reinigungssystem genauso wie die 5-Klingen-Rasierer von Konkurrenz Wilkinson Sword. Und ja: Das Marketing der grossen Hersteller hat bei mir immer wieder gezogen. Den Rasierer mit Batterie und Vibrationsmotor (total angenehme Gesichtsmassage!) habe ich mir genauso gekauft wie die ersten Systeme mit sechs Klingen (ein Flop, weil kaum reinigbar!).

Aber ich bin immer auf den 3-Klingen-Rasierer zurückgekehrt, den Mach3 von Gillette. Für mich stimmt hier das Verhältnis von Preis und Leistung am besten. Die Klingen bekommt man für weniger als zwei Franken das Stück und sie halten meist länger als die Varianten mit bis zu fünf Klingen.

Modern ist nicht besser: Die Miniverpackung für den Rasierhobel im Vergleich zur Plastik-Konkurrenz.
Modern ist nicht besser: Die Miniverpackung für den Rasierhobel im Vergleich zur Plastik-Konkurrenz.
Quelle: Lorenz Keller

Wo gehobelt wird, fallen Stoppeln

Nun kenne ich auch den Rasierhobel. Getestet habe ich ein Modell von Mühle und eines von King C. Gillette. Die beiden sind sich sehr ähnlich, was am Prinzip der Rasierhobel liegt. Die Nutzerinnen und Nutzer sind nicht in einem System gefangen. Klingen und Hobel können frei kombiniert werden, der Standard gilt für alle Hersteller.

Die zwei getesteten Einsteiger-Hobel sind nicht nur optisch sehr ähnlich.
Die zwei getesteten Einsteiger-Hobel sind nicht nur optisch sehr ähnlich.
Quelle: Lorenz Keller

Sehr sympathisch ist, dass der Abfallberg kleiner wird. Die dünnen Metallklingen sind im Idealfall nur in Papier eingewickelt. Für das Zehnerpack reicht eine Mini-Kartonschachtel. Kein Vergleich zum vielen Plastik bei den Systemrasierern.

Wer allerdings die Hoffnung hat, dass sich die Metallklingen recyclen lassen, der wird zumindest in der Schweiz enttäuscht. In den meisten Gemeinden gehören sie in den Haushaltkehricht – am besten gleich ins Papier der Austauschklinge verpackt. Ob einzelne Recycling-Betriebe gesammelte Stahlklingen annehmen, muss individuell abgeklärt werden.

Preislich hat der Rasierhobel ebenfalls Vorteile, auch wenn die Anfangsinvestition grösser ist. Systemrasierer gibts bereits ab 10 Franken, Rasierhobel kosten 20 bis 40 Franken – und es gibt auch viel teurere. Gute Hobel halten aber jahrzehntelang und eine Klinge kostet nur 20 bis 40 Rappen. Bei den Systemen sind es 2 bis 4 Franken. Auch wenn die Klingen beim Rasierhobel viel eher stumpf sind und getauscht werden, summiert sich die Ersparnis.

Preis und Umweltgedanke sprechen klar für den Rasierhobel. Und beides trägt zum Comeback der über 100 Jahre alten Technik bei. Übrigens nicht nur bei den Männern, sondern auch bei Frauen, wie Redaktorin Natalie Hemengül hier in diesem Artikel festgehalten hat.

Der Plastikrasierer wird noch nicht entsorgt

Hobel, Klingen, Rasierpinsel, Zubehör – viele kleine Brands haben die Chance auf neue Kunden gepackt. Traditionsmarken wie Mühle oder Merkur Solingen feiern ein Comeback. Zusätzlich bringen Pioniere wie Gillette und Wilkinson ihre Rasierhobel zurück, die sie vor 120 Jahren erfunden haben.

Mein Plastikrasierer wird trotzdem noch nicht gleich entsorgt. Denn die traditionelle Rasur braucht Zeit und Musse – und das habe ich nicht immer. Aber ich werde in den nächsten Wochen möglichst oft üben, um mich vom blutigen Anfänger zum messerscharfen Rasierprofi zu entwickeln.

Über Tipps und Tricks in den Kommentaren freue ich mich. Zum Beispiel auch, mit welcher Rasierseife oder Creme ich als Anfänger starten soll.

Titelfoto: Lorenz Keller

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Gadgets sind meine Passion – egal ob man sie für Homeoffice, Haushalt, Smart Home, Sport oder Vergnügen braucht. Oder natürlich auch fürs grosse Hobby neben der Familie, nämlich fürs Angeln.


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