Hört bitte mit diesem «Disney zerstört ‹Star Wars›»-Gerede auf!
Nach nur vier Folgen gilt «The Acolyte» schon als die schlechteste «Star Wars»-Serie aller Zeiten. Nicht nur das: Viele Fans sind sich einig, dass Disney das Franchise nun endgültig zugrunde richtet. Ich halte dagegen.
Unter «Star Wars»-Fans scheint es nur eine Meinung zu geben: Disney ist gerade dabei, das Franchise zu zerstören. Endgültig. Oder zumindest seit «The Acolyte». Keine andere «Star Wars»-Serie hat jemals so schlecht beim Publikum abgeschnitten. Nicht mal das viel gescholtene «The Book of Boba Fett» wurde so mies bewertet. Das muss was heissen.
Mir als «Star Wars»-Fan blutet das Herz. Nicht, weil ich der Welle des Hasses zustimme. «Hass führt zu unsäglichem Leid», sagte einst Yoda. Sondern wegen der Kultur der Selbstzerfleischung, die mich traurig stimmt. Schon immer kämpften Fans um das Recht des Gralshüters, der bestimmt, was echtes «Star Wars» sei und was nicht – ähnlich wie die Jedi in «The Acolyte» bestimmen, wer in der Galaxis die Macht nutzen darf und wer nicht. Was gar nicht Jedi-like ist.
«Ironic …», würde Imperator Palpatine dazu sagen.
Ich atme und lebe «Star Wars» zwar, seit ich denken kann. Aber was mich an der Sternenkriegs-Saga fasziniert und mein Herz höher schlagen lässt, muss nicht auf andere zutreffen. Und umgekehrt. Ich will dir nicht erklären, warum du «Disney-Star-Wars» mögen musst oder warum es dir nicht zusteht, Disney-Star-Wars zu kritisieren.
Aber – steht es wirklich so schlimm um «Star Wars»? Oder übertreiben es manche Fans ein wenig?
Hexen in «Star Wars»!?
Beginnen wir mit einem aktuellen Beispiel, das gerade für viel Stunk unter Fans sorgt: «The Acolyte». In der dritten Folge beschwört ein Hexenzirkel in einem nach Laientheater anmutenden Ritual die Dunkle Seite der Macht. Ich geb’s ja zu: Die Szene ist zum Fremdschämen. Und das ist noch gnädig ausgedrückt.
Trotzdem wirft mich die Szene als Fan nicht aus der Bahn. Schon gar nicht lässt es mich fluchend den Untergang des Franchises verkünden. Seit Tagen erklären wütende Fans auf TikTok, Instagram und Youtube, wie Disney die Agenda einer Kommune von Lesben durchdrückt, die keine Männer mehr braucht, um Kinder zu zeugen, und dass «Star Wars» deshalb gerade untergehe.
Ich zucke nur mit den Schultern. Einen Hexenzirkel gab’s schliesslich auch schon in der Animationsserie «The Clone Wars», die noch unter dem wachsamen Auge von «Star Wars»-Schöpfer George Lucas entstand. Bei denen ging auch schon ziemlich schräges Zeug ab. Vor allem aber hielten sie Sklaven – männliche Sklaven. Mit ihrer grünen Macht-Magie formten sie deren Körper um und liessen sie wie Schosshunde nach ihrer Pfeife tanzen. Man stelle sich nur mal die heutigen Reaktionen vor, wenn sowas auf Disneys Mist gewachsen wäre …
Von progressiver Agenda und dem Untergang von «Star Wars» sprach Ende der 2000er-Jahre, als «The Clone Wars» im Cartoon Network ausgestrahlt wurde, aber niemand. Vielleicht, weil die Animationsserie von den Erwachsenen kaum beachtet wurde. Oder vielleicht, weil die sozialen Medien noch nicht verbreitet genug waren, um massgeblich zu beeinflussen, wie Menschen auf neue Star-Wars-Inhalte reagieren – oder Kommentarspalten, wo sich enttäuschte Fans gegenseitig hochschaukeln.
Neu und Disney-exklusiv ist das Konzept eines Hexenzirkels, das eine andere Interpretation der Macht als die Jedi hat, jedenfalls nicht. Es ist bei den Nachtschwestern von Dathomir – so ihr Name – nur viel besser umgesetzt, da gehe ich mit den vielen Kritikerinnen und Kritikern mit.
Selten so miese Dialoge gehört! Und die Drehbücher erst!
Eine andere Kritik, die ich zum Thema Disney-Star-Wars immer wieder höre, ist jene, dass die Dialoge und Drehbücher unterirdisch seien. Nicht nur in «The Acolyte». Man erinnere sich nur an Text-Perlen wie «Somehow Palpatine Returned» und «They fly now!» aus den Sequel-Filmen. Zu Recht, wohlgemerkt. Und trotzdem: Das ist doch nicht erst seit Disney so?
Sogar ich als Hardcore-Fan, der seine halbe Wohnung mit «Star Wars»-Kram zugepflastert hat, behaupte ketzerisch, dass Texte und Dialoge im Franchise schon immer schwächelten. Auch Harrison Ford sagte 1977 beim Dreh von «Star Wars»: «George, das kannst du so schreiben, aber das kann ich niemals so sagen!», während sein Co-Star Mark Hamill nachts sogar vom grottig geschriebenen Drehbuch des ersten Films träumte.
Von allen Dingen, die ich an «Star Wars» vergöttere – die Dialoge sind’s nicht.
«I don’t like sand» ist für mich nicht mal das fremdschämigste Beispiel, das aus George Lucas’ Feder stammt. «Blinded by love» finde ich viel schlimmer. Ganz ehrlich: Wer beim komischen Ritual der Brendok-Hexen aus «The Acolyte» die Grenze zieht, aber diese Szene gucken kann, ohne die Miene zu verziehen, ist voreingenommen. Nicht mal John Williams’ wunderschöne Musik im Hintergrund kann das Debakel hier retten.
Hand aufs Herz: Dialoge und gut geschriebene Drehbücher waren selten die Stärke von «Star Wars»:
Ausnahmen, die die Regel bestätigen, gibt’s nur wenige: «Andor» zum Beispiel, eine Serie, die unter Disney entstanden ist – ausgerechnet. Sie hat so viele unglaublich stark geschriebene Dialoge, dass es mir schwerfällt, eine auszuwählen.
Luthens Monolog vielleicht? Maarvas Trauerrede? Nemiks Manifest? Mon Mothmas Geldbeschaffung? Oder doch Kino Loys unvergessliche «One Way Out!»-Rede?
Ob «Andor» auch unter George Lucas Riege entstanden wäre? Für mich schwer vorstellbar. «Star Wars», das sagte George Lucas einst, als er seine polarisierende Figur Jar Jar Binks verteidigte, sei ohnehin für Kinder.
Für. Kinder.
«Andor» hingegen richtet sich an ein erwachsenes Publikum und bleibt damit ein absolutes Unikum im «Star Wars»-Universum. Denn egal, ob wir von Produktionen reden, die unter Lucas oder Disney entstanden sind: Sie alle richten sich in erster Linie an ein eher jüngeres Publikum. Eines, das weitaus weniger Gewicht auf ausgefeilte Dialoge oder kohärent durchdachte Geschichten und Figuren legt als wir Erwachsene, die sich stundenlang in den sozialen Medien oder in Kommentarspalten darüber auslassen.
«Star Wars» ist für Kinder
Überleg mal: Wann wurdest du zum «Star Wars»-Fan? Vermutlich nicht vorgestern. Eher als Kind. So wie viele andere. So wie ich. Heute bin ich 35 Jahre alt. Als 1999 «The Phantom Menace», der erste Film der Prequels, in die Kinos kam, war ich elf – und dank den 1997 zum ersten Mal im TV ausgestrahlten Special Editions der Original-Trilogie sowieso schon voll im «Star Wars»-Fieber. Ich konnte gar nicht anders, als Jar Jar Binks grossartig und lustig zu finden.
Die Generation vor mir? Oh, sie hasste die Prequels inbrünstig. Und alles, was darin vorkam. George Lucas zerstöre sein eigenes Vermächtnis, schimpfte sie. Das ganz miese Gefühl, das sie schon hatte, weil Lucas in den Special Editions Änderungen vornahm, bestätigte sich: «Han schoss doch nicht zuerst!? Meine Kindheit war eine Lüge!»
Die Prequel-Filme setzten aber noch einen drauf. Auf einmal sorgten zum Schnarchen langweilige Handelsblockaden für politischen Stunk im Senat der Galaktischen Republik. Gähn. Das passt nicht zum sonst so abenteuerlichen «Star Wars». Überhaupt: Midichlorianer? Was wurde aus der mystischen Macht? Darth Vader soll C-3PO gebaut haben? Und wieso zum Geier sieht der Film wie ein Computerspiel aus?!
Die Lage eskalierte. Der damals bloss zehnjährige Anakin-Darsteller Jake Lloyd etwa wurde von den Fans so stark gemobbt, dass er sein Leben nach «Star Wars» als «lebendige Hölle» beschrieb und unter schweren Depressionen litt, auch wenn seine Mutter erst vor kurzem die Version ihres eigenen Sohnes dementierte. Jar-Jar-Binks-Schauspieler Ahmed Best erhielt sogar Morddrohungen. In einem Interview gab er Jahrzehnte später zu, ernsthaft über Selbstmord nachgedacht zu haben. Ähnlich erging es Hayden Christensen. Nachdem er zwei Filme lang Anakin in seinen 20ern gespielt hatte, sah er sich gezwungen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, um endlich in Ruhe gelassen zu werden.
Und George Lucas, der «Star Wars»-Schöpfer? Der wurde als Anti-Christ bezeichnet. Als falscher Prophet. Auf den Strassen sangen die Fans: «George vergewaltigte unsere Kindheit!» Es gab sogar einen Dokumentarfilm – «The People vs George Lucas» –, der die Menschen gegen ihren einstigen Messias anstachelte.
Am Ende verkaufte Lucas «sein» Baby an Disney. Womöglich sogar mit einem erleichterten Seufzen – nicht nur wegen den 4 Milliarden Dollar, die er für den Deal erhielt.
Früher war alles besser – oder!?
Nein, Disney macht keinen perfekten Job. Das darf und soll man auch kritisieren. Auch mir gefällt nicht bedingungslos alles, was von Disney kommt und worauf «Star Wars» steht. «The Book of Boba Fett» zum Beispiel. Oder was auch immer das ist. Ich bin aber auch nicht das Zielpublikum. «Star Wars» wird sich immer zuerst an die jüngeren Menschen richten und am etablierten Kanon herumdoktern, wenn’s gerade passt. Aber das ist nichts Neues. Das war schon unter George Lucas so. Selbst seine Original-Trilogie entstand nicht aus einem Guss.
Darth Vader etwa wurde erst in «The Empire Strikes Back» zu Lukes Vater. Sonst hätte Obi-Wan Kenobi im ersten Film Vaders Sohn niemals unter dessen ursprünglichen Namen versteckt. Dass Luke und Leia Zwillinge sind, entschied Lucas sogar erst in «The Return of the Jedi». Anders ist Lukes und Leias Kuss-Szene einen Film zuvor nicht zu erklären. Und Obi-Wan leistete sich tatsächlich seinen eigenen «Somehow Palpatine Returned»-Moment, als er einem bestürzten Luke erklären musste, dass Lukes Vater tatsächlich Vader sei und nicht von besagtem Vader ermordet worden ist, wie Obi-Wan ursprünglich behauptet hatte.
Aber «from a certain point of view» war das schon richtig so, ja ja.
Ich bin froh, dass damals noch keine sozialen Medien existierten. Sie hätten Lucas für eine solch laxe Handhabe mit etablierter Lore zerfleischt. Und dafür, dass Imperator Palpatines beste und hochtechnologisierte Soldaten in «Return of the Jedi» von einer Horde Teddybären mit Stock, Speeren und Steinen besiegt worden wären.
Schlimmer noch: Es ist sogar Leia, eine Frau (!), die den Gangsterboss Jabba tötet, weil ihre männlichen Kollegen, darunter ein Jedi, alleine nichts auf die Reihe kriegen. Die lassen sich stattdessen von besagten Teddybären gefangen nehmen.
«Nur ein Sith kennt nichts als Extreme»
Es scheint, als ob vor allem Erwachsene, die mit «Star Wars» aufgewachsen sind, stets die grössten und – leider – am hasserfülltesten Kritikerinnen und Kritiker des Franchises sind. Zuerst vor 20 Jahren bei den Prequels. Heute bei allem, was Disney produziert. Sie nehmen jeden noch so kleinen und unbedeutenden Fehler zum Anlass, die Sternenkrieg-Saga für tot zu erklären: «Oh Gott, in ‹The Acolyte› gibt es Feuer im Weltraum! Wie unlogisch!»
Als ob es nie zuvor in «Star Wars» Feuer im Weltall gegeben hätte …
Tatsächlich bringt es «Pillar of Garbage» im obigen Video ziemlich gut auf den Punkt: Auf der Suche nach Bestätigungsfehlern, dass Disney tatsächlich der Ursprung allen Übels im heutigen «Star Wars» ist, wird jede noch so kleine Macke, die «Star Wars» schon immer hatte, auf einmal zu einem riesigen Loch.
Als Kind war mir solches Verhalten der erwachsenen «Fans» schleierhaft. Ist es mir immer noch. Gehe ich nach dem Aussehen jener, die heute in ihren sozialen Medien oder auf Youtube Hass, Spott und Häme gegen Disney-Star-Wars schüren, schätze ich sie etwa in meinem Alter ein. Haben sie vergessen, wie es damals war, selbst das zerfleischt zu sehen, was sie am meisten mochten? Müssen auch sie jetzt erneut Schauspielende in die Depression treiben? Oder der nächsten Generation auf Gedeih und Verderb die Freude an «Star Wars» nehmen?
Ist das wirklich die Art von «Fan-Community», die wir sein wollen?
Ein Appell: Seid toleranter – und wieder Kinder
«It’s like poetry. It rhymes.», sagte einst George Lucas. In diesem Fall hoffe ich es nicht. Mein Appell an die Nörgelnden: Seid selbst wieder Kind. Versetzt euch in euer 11-jähriges Ich, das voller Freude und Neugierde mit den Prequels aufwuchs. Das Jar Jar Binks ulkig fand. Das Anakin feierte, wie er das Droiden-Kontrollschiff im Alleingang zerstörte. Und das weinte, als er der Dunklen Seite anheim fiel.
Irgendwo ist dieses Kind noch – und feiert Schauspieler Hayden Christensen frenetisch, wenn er heute eine Bühne betritt, nachdem dieser die Schauspielerei vor Jahrzehnten an den Nagel hängte, weil er den Hass der Generation vor euch nicht mehr ertrug.
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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»