Gary Kildall: Der Beinahe-Gates
Gary Kildall war ein Pionier der Computer-Software. Er entwickelte das Betriebssystem CP/M. Obwohl eher unbekannt, sollte eine Variante von CP/M die PC-Industrie befeuern: DOS.
Dieser Artikel wurde bereits am 7. April 2020 veröffentlicht. Aus aktuellem Anlass, Kildall wäre heute 80 geworden, wird er erneut publiziert.
Was waren die ersten Programme, die Hobbyisten für Mikrocomputer entwickelt haben? Richtig: Games. Die grafischen Fähigkeiten der Mikrocomputer in den 1970ern waren sehr begrenzt. Deshalb waren die meisten davon textbasierte Abenteuer- oder Rollenspiele. Mike Mayfield hat 1971 mit «Star Trek» ein textbasiertes Spiel programmiert, das für Mikrocomputer portiert wurde. Das Spiel kannst du heute noch spielen. Wie, erfährst du hier.
Die Spiele demonstrierten nicht nur die Leistungsfähigkeit der Mikrocomputer. Sie überzeugten auch nicht-hobbyisten und Unternehmer, dass sie einen Computer bedienen können. So wurde ein Markt für Software geschaffen. Damit diese lief, brauchte es ein Betriebssystem.
Gary Kildall entwickelt das erste Betriebssystem für Mikrocomputer.
Gary Kildall und CP/M
Kildall wird 1942 als Nachfahre norwegischer Einwanderer geboren. Eigentlich will er Mathematiklehrer in seiner Heimatstadt Seattle werden. Aber er ist besessen von Computern. So sehr, dass er seinen Doktortitel in Computerwissenschaften macht.
Als Kildall für Vietnam einberufen wird, beginnt er die Ausbildung zum Marineoffizier. Im Jahr 1969 wirbt ihn die Marine an, um an der Naval Postgraduate School in Monterey, Kalifornien, Informatik zu unterrichten. Dort kommt er mit dem ersten programmierbaren Mikroprozessor in Kontakt, dem 4004. Bald darauf arbeitet er für dessen Hersteller: Intel.
Kildall entwickelt als erstes die Programmiersprache PL/M für Mikroprozessoren. 1973 folgt das Betriebssystem CP/M. Damit ist es möglich, Dateien auf einer 8-Zoll-Diskette zu lesen und zu schreiben – das erste Diskettenbetriebssystem für einen Mikrocomputer ist geboren.
1976 gründen Kildall und seine Frau Dorothy die Software-Firma Digital Research, um Software für Personalcomputer zu entwickeln und zu vermarkten. Kildall schreibt CP/M so um, dass es auf verschiedenen Arten von Computern verwendet werden kann. Dazu erfindet er ein System namens BIOS (Basic Input/Output System). Bereits 1978 verdient das Unternehmen 100 000 Dollar im Monat und macht 1983 einen Umsatz von 44.6 Millionen Dollar. Eine Zeit lang ist das Produkt von Kildall das Standardbetriebssystem auf den meisten PCs.
Der geplatzte Deal
IBM tritt 1980 auf Vorschlag von Bill Gates an Digital Research heran, um über den Kauf einer Version von CP/M namens CP/M-86 für den IBM-PC zu verhandeln. Gary überlässt die Verhandlungen wie üblich seiner Frau Dorothy. Er liefert derweil mit seinem Privatflugzeug Software aus.
Bevor die IBM-Vertreter den Zweck ihres Besuchs erläutern, bestehen sie darauf, dass Dorothy eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreibt. Auf Anraten des Anwalts weigert sie sich, die Vereinbarung ohne Garys Zustimmung zu unterzeichnen. Gary kehrt am Nachmittag zurück und versucht, die Diskussion mit IBM voranzutreiben.
Ohne Erfolg.
Über die Gründe, wieso der Deal zwischen Digital Research und IBM platzt, wird bis heute spekuliert: Die Aussagen der Betroffenen stimmen nicht überein. Jeder erzählt seine eigene Version. Hat Gary die Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben? Hat er sich überhaupt mit den Vertretern von IBM getroffen?
Digital Research, das nur über einige wenige Produkte verfügt, ist möglicherweise nicht bereit, sein Hauptprodukt gegen eine einmalige Zahlung an IBM zu verkaufen. Üblicherweise besteht das Unternehmen auf Lizenzgebühren.
Dorothy glaubt, dass das Unternehmen CP/M-86 nicht nach dem von IBM vorgeschlagenen Zeitplan liefern kann. Digital Research ist zu jenem Zeitpunkt mit der Implementierung der Programmiersprache PL/I für Data General beschäftigt.
Möglicherweise sind die IBM-Vertreter auch verärgert darüber, dass Gary und Dorothy Stunden mit einer ihrer Ansicht nach routinemässigen Formalität verbringen. Laut Kildall haben er und Dorothy auf einem Flug weiter mit IBM verhandelt und eine Einigung per Handschlag erreicht. IBM-Verhandlungsführer Jack Sams besteht hingegen darauf, dass er sich nie mit Gary getroffen hat. Er räumt jedoch ein, dass jemand anderes aus seiner Gruppe möglicherweise mit Kildall verhandelt hat.
Verhandlungsführer Sams jedenfalls tritt nach den in seinen Augen gescheiterten Gesprächen mit Kildall wieder an Bill Gates heran. Er beauftragt ihn, ein Betriebssystem für den IBM-PC zu finden. Gates schlägt vor, das Betriebssystem 86-DOS zu verwenden. Dabei handelt es sich um ein Betriebssystem von Seattle Computer Products (SCP), das Kildalls CP/M implementiert. IBM liefert das System später als IBM PC-DOS aus. Microsoft lizensiert das Programm noch später als MS-DOS.
Die verpasste Chance
Kildall besorgt sich eine Kopie von PC-DOS. Nach einer Prüfung kommt er zum Schluss, dass PC-DOS seine Rechte an CP/M verletzt. Da die Rechtslage bei geistigem Eigentum für Software unklar ist, beschliesst er, nicht zu klagen. Stattdessen droht Kildall IBM mit rechtlichen Schritten. IBM erklärt sich bereit, Kildalls Betriebssystem CP/M-86 als Option für den IBM-PC anzubieten. Gary Kildall verzichtet im Gegenzug auf eine Klage. Er geht davon aus, dass IBMs Personalcomputer kein kommerzieller Erfolg werden.
Als der IBM-PC eingeführt wird, verkauft IBM PC-DOS separat als Option. Es kostet lediglich 40 US-Dollar. Obwohl PC-DOS optional ist, braucht es für die meisten Softwares das Betriebssysstem. CP/M-86 wird einige Monate später zu einem sechsmal höheren Preis optional angeboten. Mit dem Preis von 240 US-Dollar kann es sich nicht gegen PC-DOS durchsetzen und wird auch von weniger Software unterstützt.
Tragisches Ende
Innerhalb weniger Jahre ist der IBM-PC der unangefochtene Champion. Microsoft der führende Anbieter von Betriebssystemen. CP/M verschwindet allmählich in der Versenkung. Kildall verkauft 1991 sein Unternehmen an Novell Inc. für 120 Millionen Dollar. Freunde erzählen später, dass er sich immer enorm über die Geschichte, dass er «fliegen ging» als IBM zu Besuch war, aufregte. In seinen Augen hat er alles unternommen, damit die Verhandlungen Früchte tragen.
In späteren Jahren wird er immer verbitterter über die verpasste Chance mit IBM und darüber, dass Gates ein Vermögen mit DOS scheffelte. So schreibt er in seinem Manuskript «Computer Connections» über Bill Gates:
Gates ist laut Gary manipulativ, sät Zwietracht und nutzt Menschen aus. Er habe der PC-Industrie und ihm viel genommen. Starker Tobak dafür, dass die beiden bis zum IBM-Deal Freunde waren.
Kildall stirbt am 8. Juli 1994. Die Todesursache kann nicht abschliessend herausgefunden werden. Gary Kildall sei ein paar Tage früher auf den Kopf gefallen und habe eine Behandlung verweigert. Die Ärzte gehen davon aus, dass er an den Folgen des Sturzes starb.
Er wurde nur 52 Jahre alt.
Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.