Fujifilm GFX 100S – ohne BC-W235 Ladegerät
102 Mpx, Mittelformat
Starke Maschinen geben ein Gefühl der Macht – egal, ob es sich um ein Höllenmotorrad, einen Hochleistungscomputer oder um eine 100-Megapixel-Kamera handelt. Doch bringt diese auch wirklich bessere Resultate? Die Antwort ist ja – aber nur unter bestimmten Umständen.
101 756 928 Pixel. Diese Auflösung weisen Fotos auf, die aus der Fujifilm GFX 100S kommen. 11 648 Pixel auf der langen und 8736 auf der kurzen Seite. Das ist aussergewöhnlich. Zwar hat Fujifilm schon vor zwei Jahren eine Kamera mit dieser Auflösung herausgebracht, die Fujifilm GFX 100. Die war jedoch extrem teuer. Mit der 100S liefert Fujifilm nun praktisch dasselbe – zu einem wesentlich tieferen Preis und erst noch in einem kompakteren Gehäuse. Die einzigen Vorteile der GFX 100 gegenüber der neuen GFX 100S sind eine längere Akkulaufzeit wegen grösserer Batterie sowie ein Sucher mit einer höheren Auflösung.
Die GFX 100S gibt es schon seit Anfang Jahr, doch sie war lange kaum lieferbar. Mit einigen Monaten Verspätung ist es mir endlich gelungen, eine zwischen die Finger zu kriegen. Es handelt sich um eine Mittelformatkamera: Der Sensor ist mit 44×33 mm noch etwas grösser als Vollformat mit 36×24 mm. Daher haben die einzelnen Pixel selbst bei dieser Auflösung immer noch eine vernünftige Grösse. Allzu kleine Pixel taugen nämlich nicht viel, da sie nicht genügend Licht aufnehmen können.
Was bringen 100 Megapixel? Zunächst einmal kannst du stark reinzoomen. Und du könntest das Bild auch entsprechend beschneiden. Hier Beispiel, wie stark der Zoom-Effekt bei 100 Megapixeln ist.
Das wäre der Bildausschnitt mit der gleichen Auflösung bei einem Ausgangsbild mit 50 Megapixeln. Der Unterschied ist nicht so gewaltig wie es sich vielleicht anhört.
Dass der Zoom-Effekt willkommen ist, daran bestehen für mich keine Zweifel. Heute werden Bilder zu 99 Prozent am Bildschirm betrachtet, nicht auf Papier. Reinzoomen gehört da einfach dazu. Die Ansicht, dass immer schon bei der Aufnahme der richtige Bildausschnitt gewählt werden muss, ist engstirnig und veraltet. Nur schon deshalb, weil gar nicht immer klar ist, was überhaupt der «richtige» Bildausschnitt ist.
Nicht ganz unproblematisch ist die Datenmenge, die mit 100 Megapixeln verarbeitet werden muss. Eine unkomprimierte 16-bit-Rohdatei wiegt über 200 MB. Verlustfrei komprimiert sind es immer noch etwa 130 MB und erst mit verlustbehafteter Komprimierung kommst du auf weniger als 100 MB. Wenn du gleichzeitig noch JPEGs schiesst, reicht ein Gigabyte nur für fünf Aufnahmen. Selbst mit komprimiertem RAW.
Die Datenverarbeitung innerhalb der Kamera läuft flott. Trotz der gigantischen Auflösung kann die Fujifilm GFX 100S fünf Bilder pro Sekunde schiessen und auch sonst macht sie einen flinken Eindruck. Aber die Nachbearbeitung am Computer kann mühsam werden. In Lightroom dauert es bei mir mehrere Sekunden, bis ich ein Bild überhaupt bearbeiten kann. Und immer wieder stockt die Verarbeitung, teilweise schon beim Reinzoomen. Ein leistungsfähiger Rechner mit viel RAM und einer ordentlichen GPU ist im Zusammenspiel mit dieser Kamera dringend zu empfehlen.
Übrigens: Zwischen den drei RAW-Typen unkomprimiert, verlustfrei komprimiert und verlustbehaftet komprimiert sehe ich keinen Unterschied in der Qualität und spüre auch keinen in der Verarbeitungsgeschwindigkeit. Und ich bin da nicht der Einzige. Unkomprimiert solltest du nur wählen, wenn dein Editor die anderen Formate nicht lesen kann.
Um das Potenzial von 100 Megapixeln bezüglich Schärfe und Details auszuschöpfen, muss alles passen. Der Fokus muss haargenau stimmen, die Objektive müssen knackscharf sein, jeder kleinste Verwackler wird sichtbar. Die 100 Megapixel müssen erarbeitet werden.
Zuerst zu den Objektiven. Diese müssen extrem scharf sein, damit du einen Vorteil von der Auflösung hast. Ich konnte gleich vier GF-Objektive von Fuji ausprobieren.
In der Bildmitte sind alle vier so gut, dass sie auch in der 100-Prozent-Ansicht total scharfe Konturen liefern. Das gilt selbst für das flache und relativ günstige 50-mm-Objektiv.
Mit Offenblende ist das allerdings nicht der Fall. In der Bildecke werden die Konturen sowohl mit dem 50mm- als auch mit dem teureren 45mm-Objektiv unscharf. Wobei das teurere 45mm-Objektiv doch wahrnehmbar besser abschneidet.
In der Bildecke ist das 50mm-Objektiv selbst bei f/8 noch unscharf. Das 45mm-Objektiv macht das wesentlich besser. In Kombination mit einer 100-Megapixel-GFX lohnen sich der höhere Preis und das höhere Gewicht des 45mm-Objektivs also.
Das 80mm-Objektiv ist in der Ecke am schärfsten. Es ist selbst bei der sehr grossen Offenblende von f/1,7 noch erstaunlich scharf.
In der Bildmitte ist diese Aufnahme total unscharf. Das liegt aber nicht am Objektiv, sondern an der extrem geringen Tiefenschärfe. Da das fotografierte Buch nicht komplett flach ist und wohl auch nicht zu 100 Prozent senkrecht zur Kamera steht, ist die Aufnahmedistanz ein ganz klein wenig anders. Und das reicht schon, um den Schärfepunkt völlig zu verfehlen.
Damit zu dem, was mich beim Fotografieren mit dieser Kamera am meisten herausgefordert hat: die geringe Tiefenschärfe des Mittelformats. Für den gleichen Bildausschnitt braucht es im Mittelformat eine längere Brennweite als mit kleineren Sensoren – damit wird der Bereich kleiner, der scharf abgebildet wird. Der Unterschied zum Vollformat ist zwar nicht riesig. Aber bei 100 Megapixeln Auflösung erkennst du in der Vergrösserung eben selbst ganz kleine Unschärfen.
Natürlich ist ein verschwommener Hintergrund auch ein tolles Gestaltungsmittel, das du im Mittelformat hervorragend ausschöpfen kannst. Das Problem sind die Bildteile, die auf den ersten Blick scharf scheinen, auf den zweiten aber leicht unscharf sind.
Es ist darum wichtig, bei der Bildkomposition die Tiefenschärfe zu berücksichtigen. Die Unterstützung durch die Kamera ist diesbezüglich nicht schlecht, könnte aber noch besser sein. Sie zeigt zwar das Sucherbild mit der tatsächlich gewählten Blende an, was gegenüber Spiegelreflexkameras oder manchen Systemkameras ein Vorteil ist. Sobald ich aber im Sucherbild reinzoome, um zu sehen, ob ein Bildteil wirklich ganz scharf ist, wird das Bild mit Offenblende angezeigt. Durch Vorfokussieren und Auslöser gedrückt halten kann ich das umgehen, aber das ist umständlich.
Der Autofokus an sich ist top. Er arbeitet zuverlässig, genau und schnell. Für die bessere Kontrolle der Tiefenschärfe könnte dennoch der manuelle Fokus besser geeignet sein. Der bietet auch ein Focus Peaking: Die Konturen im scharfen Bereich werden farblich hervorgehoben. Allerdings ist diese Anzeige immer gleich, egal ob ich eine grosse oder kleine Blende wähle. Somit weiss ich wieder nicht im Voraus, ob die kritischen Bereiche wirklich scharf sind.
Als weitere Möglichkeit bietet die Kamera Focus Bracketing an. Dabei werden mehrere Aufnahmen der exakt gleichen Szene mit unterschiedlicher Fokusdistanz geschossen. Die Kamera kann automatisch die benötigte Anzahl Aufnahmen ermitteln. Typischerweise sind das um die 30 Fotos. Diese müssen am Computer zu einem Gesamtbild kombiniert werden. Dafür brauchst du eine spezielle Software und es ist schwierig, das perfekt hinzukriegen. Ausserdem dürfte das Zusammenrechnen von 30 so grossen Bildern den Computer extrem ins Schwitzen bringen.
Bei hochauflösenden Kameras hatte ich in der Vergangenheit oft Probleme mit Mikro-Verwacklern. Also mit ganz kleinen Unschärfen, die bei einer Auflösung von 10 Megapixeln nicht sichtbar wären, bei 40 Megapixeln und mehr aber schon. Bei der Fujifilm GFX 100S hatte ich dieses Problem nie.
Das liegt zum einen daran, dass die Kamera selbst keine Erschütterungen verursacht. Schliesslich hat sie als spiegellose Kamera keinen Spiegelschlag, und statt des mechanischen Verschlusses kann der elektronische verwendet werden.
Zum anderen hat die Kamera einen eingebauten Bildstabilisator. Und der leistet offensichtlich gute Arbeit. So relativiert sich das Problem der Tiefenunschärfe etwas, denn bei Tageslicht kann ich problemlos mit f/16 und 100 ISO aus der Hand fotografieren. Zumindest, solange es sich nicht um ein Teleobjektiv handelt.
Die Dynamik präzis zu ermitteln, ist ohne Labor schwierig. Darüber habe ich mich kürzlich ausgelassen. Das Testlabor von DxOMark ist offensichtlich nicht in der Lage, Fujifilm-Sensoren zu testen – vermutlich, weil diese Sensoren ein anderes RGB-Muster aufweisen als das übliche Bayer-Muster. Bei PhotonsToPhotos.Net schneidet die Fujifilm GFX 100 bezüglich Dynamik sehr gut ab – besser als alle Vollformatkameras und auch besser als die Fujifilm-Mittelformatkameras mit 50 Megapixeln. Bei der 100S müsste das genau gleich sein, weil sie den gleichen Sensor hat.
Die Unterschiede zwischen heutigen Kameras mit grossem Sensor sind aber allgemein nicht sehr gross. Im Alltag stelle ich eigentlich nur fest, dass die GFX 100(S) zwar eine gute Dynamik hat, sich aber im Rahmen dessen bewegt, was ich auch sonst kenne. Bei suboptimalen Lichtverhältnissen erhalte ich nicht plötzlich super Bilder, nur weil ich hier eine Mittelformatkamera in Händen halte.
Das erstaunt auch nicht, wenn du den Abstand der Pixel und damit die Grösse der einzelnen Pixel vergleichst. Grosse Pixel sind lichtempfindlicher, was sich positiv auf die Dynamik auswirkt. Mit 3,8 Mikrometer ist der Abstand bei der GFX 100S nicht grösser als bei der Sony Alpha 7R IV, und auch die typische 24-Megapixel-APS-C-Kamera hat diesen Pixelabstand. Es fragt sich dann allerdings, warum die Fujfilm GFX 50S mit 5,3 Mikrometer nicht besser abschneidet. Vielleicht, weil der Sensor schon einige Jahre älter ist.
Das Bildrauschen entspricht ebenfalls etwa dem von High-End-Vollformatkameras. Bereits bei 1600 ISO ist Rauschen beim Reinzoomen deutlich zu erkennen. Aber wenn du die sehr hohe Auflösung nutzen kannst, um die Bilder stärker herunterzuskalieren, verschwindet auch mehr vom Bildrauschen. Es kommt also darauf an, ob du nur einen Bildausschnitt verwenden willst und was deine Zielauflösung ist.
Der Einsatzbereich dieser Kamera dürften Studio- und allenfalls Landschaftsaufnahmen mit Stativ sein. Hier gilt: ISO 100 einstellen und fertig. Dem Bildrauschen würde ich da nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Natürlich: auch bei ISO 100 fängt es an zu rauschen, wenn du beim Bearbeiten den Bogen überspannst. Aber ich kenne keine Kamera, bei der das nicht so ist.
Als Beispiel hier ein Bild mit ISO 100. Selbst bei der Vergrösserung des Himmels rauscht nichts.
Dasselbe Bild stark bearbeitet: Tiefen und Lichter sind 84 bzw. 75 Prozent korrigiert, dazu «Dunst entfernen» auf 50 Prozent. Am Himmel zeigt sich Rauschen, aber recht wenig, gemessen am Eingriff.
Ein gelungenes 100-Megapixel-Bild macht Freude. Aber: Alles muss stimmen. Die Objektive müssen Spitzenklasse sein, dein Rechner auch, sonst drehst du bei der RAW-Bildbearbeitung durch. Und selbst dann erreichst du nicht immer das Potenzial, das die Auflösung bieten würde. Vor allem, weil du die Tiefenschärfe nicht perfekt kontrollieren kannst. Die GFX 100S ist darum nichts für den durchschnittlichen Hobbyfotografen, auch wenn das nötige Kleingeld vorhanden wäre. Es ist eine sehr gute Kamera, aber nur für spezielle Anwendungsbereiche: Studioaufnahmen für Plakatdrucke oder Landschaftsfotografien, bei denen höchste Auflösung wichtig ist. Für alles andere würde ich beim gegenwärtigen Stand der Technik zu einem Modell mit tieferer Auflösung greifen – egal ob Kleinbild- oder Mittelformat.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.