Frauen und Krafttraining geht nicht? Im Gegenteil, geht sogar sehr gut
Was ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern im Kraftsport und können Frauen ebenso an Kraft und Muskelmasse zulegen wie Männer? Die Antworten zu diesen Fragen gibt es hier.
Seit einigen Jahren ist strong das neue sexy. Immer mehr sind auch Frauen in Krafträumen anzutreffen. Krafttraining ist nämlich nicht nur etwas für Männer sondern auch für Frauen. Abgesehen von den Fortpflanzungsorganen gibt es vor der Pubertät keine wesentlichen geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Dies ändert sich dann mit Beginn der Pubertät. Aufgrund von hormonellen Veränderungen werden diese unterscheidenden Merkmale ausgeprägter.
Der hormonelle Einfluss
Beim Mann ist der Testosteronspiegel in Ruhe zwischen 10 bis 40 Mal höher [1,2] als bei Frauen. Testosteron besitzt ein anaboles Potential, die Muskelmasse zu regulieren, indem es entweder die Muskelproteinsynthese erhöht [3] oder den Abbau von Muskelprotein verringert [4]. Bei Frauen wird vermutet, dass Östrogen die Muskelmasse reguliert, da dieses Hormon, so wie Testosteron, die Fähigkeit hat, den Abbau von Muskelprotein zu verringern [5]. Rezeptoren für Östrogen hat man in Muskeln, Bändern und Sehnen gefunden und es wird angenommen, dass sie die Muskelproteine regulieren und die Empfindlichkeit gegenüber anabolen Reizen erhöhen [6].
Im Alter nimmt das Östrogen bei Frauen ab. Das wirkt sich insofern nachteilig aus, dass damit ein grosser Rückgang an Muskelmasse und Kraft einhergeht [159]. Dieser Verlust an Muskelmasse und Kraft kann durch eine Hormontherapie bei postmenopausalen Frauen aufgefangen werden, was auf eine Rolle in der Regulation der Muskelmasse von Östrogen hinweist [7].
All das zeigt auf, dass sowohl Männer als auch Frauen in der Lage sind, Muskelmasse und Kraft aufzubauen. Frauen starten jedoch mit weniger Muskelmasse. Daher fallen relative Veränderungen zu ihren Gunsten aus.
Unterschiedliche Studienergebnisse
Viele Studien haben sich der geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Krafttraining zwischen Mann und Frau angenommen. Roth und Kolleginnen und Kollegen [8] untersuchten den Einfluss des Alters und des Geschlechts auf das Muskelvolumen nach einer Krafttrainingsintervention: Sechs junge Frauen, acht junge Männer, zehn ältere Frauen und neun ältere Männer nahmen an einem sechsmonatigen Krafttraining teil, bei dem alle grossen Muskelgruppen des Ober- und Unterkörpers dreimal pro Woche trainiert wurden. Das Volumen des Oberschenkelmuskels sowie des Quadriceps wurden vor und nach der Intervention mittels MRI gemessen. Krafttraining führte zu einer signifikanten Zunahme (P < 0,001) des Muskelvolumens in allen Alters- und Geschlechtsgruppen. Es wurde kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt. Weder Alter noch Geschlecht beeinflussten die Vergrösserung des Muskelvolumens durch das Krafttraining.
In einer weiteren Studie [9], die den Effekt von intensivem Krafttraining bei jungen und älteren Probandinnen und Probanden in Bezug auf das Muskelvolumen untersuchte, wurde drei Mal pro Woche über einen Zeitraum von neun Wochen die Oberschenkelmuskulatur des dominanten Beins trainiert. Die absolute Zunahme des Muskelvolumens war bei Männern signifikant grösser als bei Frauen (204 ± 20 vs 101 ± 13 cm3, P < 0.01). Selbst nach Anpassung an das Ausgangsmuskelvolumen blieb ein geschlechtsspezifischer Effekt bestehen. Darüber hinaus zeigte sich nach 31 Wochen trainingsfreier Zeit ein signifikant grösserer Verlust an absolutem Muskelvolumen bei Männern als bei Frauen (151 ± 13 vs 88 ± 7 cm3, P < 0.05). Die Autoren kamen zum Schluss, dass die Reaktion der Muskelmasse durch das Geschlecht beeinflusst wird, da Männer ihr Muskelvolumen etwa doppelt so stark vergrösserten wie Frauen.
Mit Biopsien untersuchten Bamman und Kolleginnen und Kollegen [10] die durch Krafttraining hervorgerufenen geschlechtsspezifischen Querschnittsgrössenanpassungen bei älteren Frauen (66 ± 1 Jahre, n = 5) und Männern (69 ± 2 Jahre, n = 9). Die Studienteilnehmer trainierten ihre Beinmuskulatur über 26 Wochen hinweg dreimal wöchentlich. Obwohl Krafttraining den Muskelquerschnitt bei allen Fasertypen (d.h. I, IIA, IIX) bei beiden Geschlechtern erhöhte, waren Hypertrophie (P < 0,05) und Kraftzuwachs (P < 0,05) bei Männern grösser als bei Frauen.
Walts und Kolleginnen und Kollegen [11] untersuchten den Einfluss von Geschlecht und Ethnie auf die Auswirkungen von Krafttraining auf das Oberschenkelmuskelvolumen. Sie rekrutierten 181 inaktive gesunde Frauen (63 ± 0.9 Jahre, n = 99) und Männer (63 ± 0.9 Jahre, n = 82), die zehn Wochen lang dreimal wöchentlich eine einseitige Kniestreckung des dominanten Beins durchführen mussten. Das Volumen des Quadricepsmuskels wurde vor und nach dem Versuch mittels CT gemessen. Die absolute Zunahme des Muskelvolumens war bei den Männern signifikant grösser (P < 0.001) als bei den Frauen. Allerdings erhöhten beide Geschlechtsgruppen ihr Muskelvolumen als Antwort auf das Krafttraining signifikant (P < 0.001).
Hubal et al. [12] untersuchten 342 Frauen und 243 Männer. Die Teilnehmer absolvierten ein isometrisches und dynamisches Krafttraining für den Biceps brachii des nicht dominanten Arms. Mittels MRI wurde der Muskelquerschnitt vor und nach zwölf Wochen progressivem, dynamischem Krafttraining bestimmt. Bei Männern war der absolute Zuwachs des Muskelquerschnitts im Vergleich zu Frauen um 2.5 % grösser (P < 0.01). Trotz des absoluten Zuwachses waren jedoch die relativen Zuwächse bei den Kraftmessungen, d. h. bei der maximalen willentlichen isometrischen Kontraktion und dem 1-Repetitionsmaximums, bei Frauen grösser als bei Männern (P < 0.05).
Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit einer Studie von West et al. [13], die einen geschlechtsspezifischen Vergleich der Muskelproteinsynthese, kurz MPS, nach einem einzigen hochintensiven Krafttraining im nüchternen Zustand bei acht Männern und acht Frauen durchführten. Die Ergebnisse zeigten, dass der Serumtestosteronspiegel bei Männern im Vergleich zu Frauen zwar um das 45-fache anstieg, dass sich die MPS bei Männern und Frauen jedoch nicht unterschied, wenn man die Werte 1 bis 5 Stunden nach der Belastung und nach der Proteinzufuhr nach 24 Stunden Erholung verglich. Obwohl der Testosteronspiegel bei Männern und Frauen als Reaktion auf ein einzelnes hochintensives Krafttraining signifikant unterschiedlich ist, ist die MPS bei beiden Geschlechtern deutlich erhöht. Es scheint also keinen Zusammenhang zwischen dem Testosteronspiegel nach der Belastung und der Muskelproteinsynthese zu geben, da diese auch bei Frauen erhöht ist, die jedoch niedrige systemische Testosteronkonzentrationen aufweisen.
Fazit: Krafttraining ist Medizin für alle
Obwohl sich Männer und Frauen in ihren basalen anabolen Hormonspiegeln unterscheiden, zeigen Frauen und Männer ähnliche Veränderungen der Muskelmasse und -kraft in Abhängigkeit von Krafttraining. Allerdings ist die absolute Zunahme der Muskelmasse bei Männern grösser als bei Frauen. Dennoch ist die MPS bei beiden Geschlechtern als Reaktion auf das Krafttraining deutlich erhöht. Daher ermutigen wir alle Männer und Frauen, Krafttraining zu machen. Denn: Krafttraining ist Medizin, für alle Menschen.
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Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.