Fisher-Price-Expertin im Interview: «Auch Eltern sollen Spass am Kinderspielzeug haben»
Wie finde ich das passende Spielzeug? Ist das Holzpuzzle besser als der blinkende Elektrowürfel? Und wann ist viel Technik zu viel? Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert ist neu im Experten-Team von Fisher-Price und gibt Auskunft.
Wer ein Geschenk für ein Kleinkind sucht, befindet sich in einem riesigen Spielwaren-Dschungel. Gross, klein, bunt, laut, blinkend, holzig oder aus Plastik – das Angebot ist kaum überschaubar. Und was ist am Ende überhaupt sinnvoll? Die deutsche Psychologin Liselotte Ahnert befasst sich seit Jahren mit der Entwicklung von Kindern und ist seit Kurzem Teil des Experten-Teams des Spielzeugherstellers Fisher-Price. Im Interview sagt die 70-Jährige, worauf es bei Spielsachen ankommt. Und warum elektronisches Spielzeug besser ist als sein Ruf.
Frau Prof. Dr. Dr. Ahnert, Sie sind neue «Fisher-Price-Expertin» – das klingt nach viel Spass. Besteht Ihr Job zu einem grossen Teil aus Spielen?
Lieselotte Ahnert: Als Entwicklungspsychologin habe ich über viele Jahre die Entwicklungsbedingungen in der Kindheit erforscht und dabei tatsächlich viel mit Kindern gespielt. Sind die Kinder noch sehr klein und ihre Sprachfertigkeiten rudimentär, lässt vor allem das Spielen viele Einblicke in ihre innere Welt zu. Beim Spielen ergeben sich ausserdem hervorragende Möglichkeiten, dem Kind Wissen zu vermitteln, seine Sprache zu fördern und die motorische und emotionale Frühentwicklung zu unterstützen.
Wie bringen Sie Ihr Wissen nun bei Fisher-Price konkret ein?
Ich bin Teil des Experten-Teams. Das heisst, dass ich die Entwicklung von Kleinkindern erkläre, ihren Umgang mit Gegenständen, ihre Interaktion mit Spielzeug. Ich beantworte Fragen wie: Was denkt das Kind? Wie kann es in seiner Entwicklung klug unterstützt werden? Was ist schädlich? Alles Erkenntnisse aus meiner jahrelangen Forschungsarbeit.
Wer heute ein Spielzeug sucht, wird vom riesigen Angebot fast erschlagen. Wie finden Eltern in der Fülle das Passende für ihr Kind?
Eine erste Orientierung geben die Altersangaben. Klar ist, dass sich in den ersten Lebensjahren eine rasante Entwicklung abzeichnet und sich bereits einjährige von zwei- oder dreijährigen Kindern eklatant unterscheiden. Dementsprechend sind die Entwicklungsbesonderheiten sehr unterschiedlich und altersabhängig.
Aber nicht jedes gleichaltrige Kind ist auch gleich weit.
Ja, diese Besonderheiten können stark von Kind zu Kind derselben Altersgruppe variieren, wofür in der neuesten Entwicklungsforschung auch verhaltensgenetische Ursachen herangezogen werden. Während das eine Kind auf musikalische Reize anspricht, interessiert sich ein anderes für technische Abläufe wie Baukonstruktionen oder für fürsorgliche Tätigkeiten wie das Spielen mit Puppen. Eltern kennen diese Vorlieben und sollten bei ihrer Spielzeugwahl daran anknüpfen.
Macht es Sinn, die individuellen Vorlieben auch mal ausser Acht zu lassen, um dem Kind neue Spielmöglichkeiten zu bieten?
Ein völlig neues Spielzeug ausprobieren zu wollen und etwa dem technikaffinen Kind eine Puppe und dem fürsorglichen Kind ein Feuerwehrauto zu kaufen, halte ich für nicht zielführend. Kinder richten schon sehr früh ihre Tätigkeits- und Interessengebiete eigenständig nach ihren Entwicklungsbedürfnissen aus. Sie würden deshalb Spielangebote über kurz oder lang ignorieren, die dem nicht entsprechen.
Was ist für Sie ein «gutes» Spielzeug?
Wenn es den Interessenbereich des Kindes trifft. Dabei sollte das Spielzeug für den jeweiligen Altersbereich entwickelt worden sein, damit das Kind auch die entsprechenden Fähigkeiten einbringen kann. Schlussendlich muss das Spielzeug dem Entwicklungsstand gerecht werden und darf das Kind nicht überfordern.
Aber herausfordern schon?
Ja, ein gutes Spielzeug muss auch das Potenzial haben, das Kind in die nächste Entwicklungsphase führen zu können. Mit anderen Worten: Das Kind sollte dazu angeregt werden, etwas mehr auszuprobieren als bisher. Eltern können diese Möglichkeiten durch ein paar einfache Strategien im Spiel aufzeigen.
Zum Beispiel?
Sie können das Kind gezielt anleiten, das Spielzeug auch mal anders zu verwenden. Oder ihr Kind durch Nachfragen selbst auf einen anderen Weg bringen und durch Lob und Ermutigung dabei sein Interesse aufrechterhalten. Oder sie könnten es selbstständig spielen lassen, ihm jedoch von Zeit zu Zeit mitteilen, wie gut es seine Fähigkeiten dabei einsetzt und erweitert. In der Entwicklungspsychologie sprechen wir hier von Coaching, Guidance, Reinforcement und Feedback.
Wie hat sich Spielzeug in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie verändert?
Zunächst ging es darum, dass ein Spielzeug die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Kindes wecken und seine Aktivitäten stimulieren und erweitern sollte. Das Spielzeug sollte farblich attraktiv sein und eine Vielfalt von Handlungsmöglichkeiten zulassen und auch das Nachahmen von Alltagsereignissen ermöglichen. Die moderne entwicklungspsychologische Forschung hat jedoch gezeigt, dass die Kleinen schon gegen Ende des ersten Lebensjahres mit anderen spielen wollen. Deshalb sind Spielzeuge zunehmend wichtig geworden, die vielfache Interaktionen zulassen, und bei denen auch Eltern Spass haben können.
Worauf stehen Eltern denn?
Sie haben Spass, wenn auch sie überrascht werden. Wenn ein Spielzeug innovativ, kreativ und neuartig ist. Etwas, das sie selbst nicht aus ihrer eigenen Kindheit kennen.
«Früher war das Spielzeug besser und im Gegensatz zu heute noch aus Holz», heisst es oft. Zu Recht?
Jein. Holzspielzeuge gelten als robust, schadstofffrei und nachhaltig. Wegen ihrer hervorragenden Materialeigenschaften haben sie sich in der Spielzeugherstellung dauerhaft bewährt.
Was kann Holzspielzeug nicht?
Ein Kind sollte vielfältige visuelle, haptische und akustische Erfahrungen bereits während der ersten Lebensmonate machen können. Für derartige Erfahrungen ist ein variationsreiches Spielzeug-Angebot unerlässlich, das neben Holz auch Materialien wie Stoff, Leichtmetall und Plastik verwendet. Deren Schadstofffreiheit und Unschädlichkeit müssen aber selbstverständlich gesichert sein.
Kinder wachsen heute in einer digitalisierten Welt auf, das Spielzeug zieht parallel mit elektronischem Lernspielzeug mit. Schadet das?
Die moderne Entwicklungspsychologie hat bereits mehrfach bewiesen, dass schon Babys die belebte Umwelt von der unbelebten unterscheiden können. Sie scheinen also zu wissen, dass sich die belebte Umwelt durch Eigenaktivität und absichtsvolles Handeln auszeichnet, die unbelebten Umwelt dagegen inaktiv ist und erst «bewegt» werden muss. Insofern ist ein Spielzeug, das erst auf Knopfdruck etwas macht, eine sehr attraktive Angelegenheit und eine unmittelbare Bestätigung dieser Unterscheidung. Wenn ein Kind nun mit den verschiedensten technischen Abläufen unserer modernen technisierten Welt vertraut gemacht wird, sind diese Erfahrungen seiner Entwicklung langfristig zweifellos dienlich.
Wann ist viel Elektronik zu viel?
Es ist fraglich, welches Wissen ein Kind erwirbt, wenn es die technischen Effekte anhaltend wiederholt und sich damit zufrieden gibt. Wenn es quasi nur sinnlos auf Knöpfen und Tablets herumdrückt, ohne zum Beispiel etwas logisch zu kombinieren oder hinzuzufügen. Darauf darf der Umgang eines Kindes mit Technik nicht hinauslaufen.
Gibt es Spielzeug-Klassiker, die seit Jahren praktisch unverändert sind?
Einige sogar. Friedrich Fröbel (1782–1852) und Maria Montessori (1870–1952) haben als erste erkannt, dass das kindliche Spiel die Entwicklung unterstützen kann, die kindliche Neugier und das Denken anregt, die wachsenden Fertigkeiten fördert und das Lernen vorantreibt. Sie gelten als die Wegbereiter der Frühpädagogik. Ihre Spielmaterialien, die aus Bauklötzchen, Puzzles, Sortier- und Steckspielen und vielem mehr bestehen und auch als Bastel- und Konstruktionsspielzeuge angeboten werden, sind aus der heutigen Spielzeugherstellung nicht mehr wegzudenken.
Zur Person: Lieselotte Ahnert ist Professorin der Entwicklungspsychologie am Arbeitsbereich Angewandte Entwicklungswissenschaft der Freien Universität Berlin und Fisher-Price-Expertin. Ihre Forschung umfasst umfangreiche Studien, die sich mit den Entwicklungsbedingungen von Kindern befassen. Vieles ist auch in ihrem Buch «Wieviel Mutter braucht ein Kind?» (2020 im Beltz-Verlag erschienen; hier zum Beispiel bei Exlibris zu bestellen) zu lesen.
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.