Ex-«Rainbow Six Siege»-Profi: «Ich habe meinen Traum ein Jahr lang gelebt»
Yannic Martin aka Caneo war ein Jahr lang als internationaler Profispieler in «Rainbow Six Siege» aktiv. Damit hat er sich einen Traum erfüllt. Zurück möchte er aber nicht mehr.
In der «Rainbow Six Siege»-Szene ist Yannic Martin als Caneo bekannt. Ein Jahr lang hat der 21-jährige Informatiker aus Dietikon seinen Traum als E-Sports-Profi gelebt – auf internationaler Ebene.
Anlässlich unseres eigenen «Rainbow Six Siege»-Turniers am Digitec Playground habe ich mich mit Yannic über Ubisofts Taktik-Shooter und seine kurze, aber intensive Profi-Karriere ausgetauscht.
Yannic, «Rainbow Six Siege» erschien 2015. Wie viele Stunden hast du seither in das Spiel investiert?
Viele. Sehr viele. Über einen Zeitraum von neun Jahren habe ich ungefähr 17 000 Stunden gesammelt. Angefangen habe ich mit der Konsolenversion – dort sind es ungefähr 5 000 Stunden. Danach bin ich auf PC umgestiegen und habe etwa 12 000 Stunden gesammelt. Das meiste davon während meiner einjährigen Zeit als Profispieler.
Was fasziniert dich so an dem Game?
Für mich ist «Rainbow Six Siege» wie «Counter Strike» gepaart mit Schach. Man muss nicht so krass präzise zielen, dafür ist das Game im Gegensatz zu anderen Taktik-Shootern viel strategischer.
In «Rainbow Six Siege» gibt es zum Beispiel verschiedene Charaktere – oder: «Operators» – die ihre eigenen Fähigkeiten haben. In jeder Runde wählst du einen anderen Charakter und spielst somit andere Strategien. Auch die zerstörbaren Wände bringen eine Extra-Portion Taktik ins Spiel. Ich bin nach meinen 17 000 Stunden Spielzeit immer noch erstaunt, welche neuen Herangehensweisen Leute nutzen.
Was war dein erster Berührungspunkt mit «Rainbow Six Siege» – und wann hast du dich in das Spiel verliebt?
Mein Bruder hat 2015 die Beta auf der PS4 gespielt. Ich war dreizehn Jahre alt und fand das damals langweilig. Ein Jahr später hat mich ein Freund überredet, ein paar Runden zu spielen. Plötzlich hat es Klick gemacht.
Während meiner Lehre habe ich dann einen anderen Lernenden kennengelernt, der das Game kompetitiv gespielt hat. Durch ihn bin ich in diese neue Welt gerutscht und habe an Turnieren teilgenommen, die Ubisoft organisiert hat.
Danach bin ich von der Konsole auf PC gewechselt, mit dem Ziel, wirklich gut zu werden. Jeden Tag nach der Arbeit habe ich noch vier bis fünf Stunden gespielt. Auch die Wochenenden waren blockiert. Ich habe konsequent durchgespielt und trainiert.
Dein hartes Training hat sich ausgezahlt, du bist zum Profi geworden. Wie ist das passiert?
Das ging alles ziemlich schnell. Ein Schweizer Süssgetränkehersteller hat ein Fun-Turnier organisiert, das ich gewonnen habe. Mit diesem Sieg habe ich mir einen Namen in der Schweizer Szene gemacht. Danach habe ich an der SwitzerLAN 2021 bei mYinsanity als Spieler ausgeholfen – das war mein erstes grosses Turnier.
Nach der SwitzerLAN habe ich gesehen, dass ein polnisches Team – Anonymo Esports – auf Twitter nach Spielern sucht. Da habe ich mich gemeldet und wurde ins Bootcamp nach Warschau geflogen, an dem wir Qualifier für das «Six Invitational»-Turnier gespielt haben. An diesem sind wir gegen viele gute Teams angetreten, unter anderem auch gegen das deutsche Team Wylde. Wir haben verloren. Aber ich habe so gut gespielt, dass ich einen Monat später von Wylde angefragt wurde, ob ich zu ihnen wechseln möchte. Das habe ich dann auch gemacht.
Ein raketenhafter Aufstieg. Wie ging es nach Wylde weiter?
Wylde war meine letzte Profi-Station, ich habe meine Karriere Ende 2022 beendet. Meine Zeit dort war schwierig, ich war sehr nervös. Kein Wunder, denn ich war mit absoluten Profis wie Korey im Team. Einer der erfolgreichsten deutschen Spieler, den ich sonst nur aus Youtube-Videos kenne. Es war surreal. Ich habe schlecht gespielt und bin auf die Bank gerutscht.
Mein «Comeback» feierte ich am «Gamers 8»-Turnier in Saudi-Arabien. Ein Mitspieler hatte Probleme mit dem Visum und ich bin an seine Stelle ins Team gerutscht. Zwar auf einer anderen Position, aber das war egal. Ich habe sehr gut gespielt und mein Selbstvertrauen zurückbekommen. Danach habe ich ungefähr weitere sechs Monate bei Wylde gespielt. Insgesamt habe ich etwa ein Jahr als Profi-Spieler Geld verdient.
Wieso hast du nach nur einem Jahr aufgehört?
Am liebsten hätte ich für immer professionell gespielt. Nach einem Jahr auf höchstem Niveau musste ich mir aber einiges eingestehen. Eine Profi-Karriere in «Rainbow Six Siege» ist nicht das Beste für meine mentale Gesundheit.
Was für Auswirkungen hatte die Profi-Karriere auf deine mentale Gesundheit?
Ich habe meinen Traum ein Jahr lang gelebt. Es war schön, aber auch sehr anstrengend. Ich konnte nie abschalten. Ständig habe ich überlegt, wie ich mich verbessern kann. In jeder freien Minute habe ich nur an das Spiel und meine Leistung gedacht. Ich finde es angenehmer, «normal» zu arbeiten. Auch mal Feierabend machen und mit Freunden was trinken gehen. Das konnte ich als Profi nicht.
Ich dachte mir zudem, dass es für meine langfristige, berufliche Zukunft keinen Sinn macht, auf dem Niveau weiterzumachen.
Inwiefern hat deine berufliche Planung unter deiner E-Sport-Karriere gelitten?
Ich bin frisch aus der Informatiker-Lehre in die Profi-Gaming-Karriere gerutscht. Das ist ein Full-Time-Job, wir trainieren und spielen quasi den ganzen Tag.
Wenn ich nach meiner «Rainbow Six Siege»-Karriere irgendwo einen «normalen» Job in der Schweiz suchen würde, hätte ich eine riesige Lücke in meinem Lebenslauf. Ich hätte nochmal eine Lehre oder ein Studium anfangen müssen.
Wie kann man sich ein Training als «Rainbow Six Siege»-Profi vorstellen?
Normalerweise haben wir uns jeweils um 13:00 Uhr in einem Discord-Call getroffen, um den Tag und aktuelle Strategien zu besprechen. Danach folgte eine Trainingseinheit von drei bis vier Stunden, gefolgt von einer einstündigen Analyse. Zum Abschluss gab's dann jeweils noch ein drei bis vierstündiges Training am Abend und einen Debrief, in dem wir den ganzen Tag Revue passieren liessen. Ich habe danach jeweils noch bis um zwei oder drei Uhr in der Nacht ranked Matches gespielt.
Was macht ein gutes «Rainbow Six Siege»-Team aus?
Die Moral. Mit einer schlechten Teammoral kannst du nur scheitern. Darum haben wir auch viel Teambuilding gemacht. Wir waren beispielsweise zusammen in den Ferien in Griechenland. Wenn man gut miteinander auskommt, trainiert man auch gut und diszipliniert. Das Training ist die Basis für den Erfolg.
Falls sich die Gelegenheit anbieten würde, würdest du nochmal einen Schritt Richtung Profi-Karriere in «Rainbow Six Siege» wagen?
Ich habe von verschiedenen Teams aus Saudi-Arabien und Europa Anfragen bekommen, ob ich nicht bei ihnen mitspielen möchte. Aber darauf habe ich keine Lust mehr. Das Gefühl, etwas zu gewinnen, war unbeschreiblich. Aber ich habe keine Nerven mehr dafür.
Spielst du noch «Rainbow Six Siege»?
Nach meinem Profi-Ende habe ich 2023 mit einem Amateur-Team weitergespielt. Heute spiele ich nur noch ab und zu. Kleinere Turniere, just for fun. So mache ich zum Beispiel auch beim Digitec Playground mit.
Und wie sieht es mit anderen Games aus?
Weil alle meine Freunde auf Konsole spielen, habe ich auch wieder zurückgewechselt. Wir spielen ab und zu «Rocket League» und «Fortnite». Auch auf das neue «EA FC» freuen wir uns. Alleine spiele ich Games, wie «Elden Ring» oder aktuell «Black Myth: Wukong». Titel, die mich richtig herausfordern.
Mein Problem ist grundsätzlich: Weil ich in «Rainbow Six Siege» so gut war, erwarte ich, dass ich in jedem anderen Spiel auch so gut werde. Und wenn ich mal nicht so gut bin, nervt mich das. Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, in einem anderen Game jemals wieder auf Pro-Level zu spielen.
Wie steht es neun Jahre nach dem Launch von «Rainbow Six Siege» um das Spiel – bist du zufrieden, wie sich das Game entwickelt?
Das Game hat sich stark weiterentwickelt, langweilig wird es nicht. So gibt es mittlerweile über 70 spielbare Operators. Gestartet ist das Game mit etwa 20 Charakteren.
Ein Problem gibt es aber. Ubisoft nerft immer wieder gute Operators und macht sie schlechter, statt schlechte Operators zu buffen und sie spielbar zu machen. Ich rechne damit, dass meine aktuellen Lieblinge im Angriff (Grim, Buck, Hibana, Ram und Ace) und in der Defensive (Kapkan, Mute, Kaid, Warden und Lesion) früher oder später auch generft werden.
Auf dem PC hat «Rainbow Six Siege» zudem ein grosses Cheater-Problem. Das liegt unter anderem an der veralteten Engine, die sie nutzen. Lustigerweise spielen viele PC-Profis in ihrer Freizeit auf Konsole, weil es dort keine oder nur wenige Cheater hat. Mir macht die PC-Version ebenfalls keinen Spass mehr.
2022 erschien mit «Rainbow Six Extraction» ein weiterer Ableger der Spielreihe – der hat in der Szene aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, oder täusche ich mich?
Nein, das Spiel kam und ging. Es basiert auf einem temporären Spielmodus aus dem vierten Jahr von «Rainbow Six Siege» – der hiess damals «Outbreak». Der war cool, aber sie haben den Modus nicht gut in ein Standalone-Game übersetzt. Es ist quasi das gleiche Spielprinzip wie bei «Helldivers 2». Und genau wie bei «Helldivers 2» wird das Spielprinzip irgendwann monoton. Das war der Grund für den Untergang des Spiels.
Wünscht sich die Szene einen «echten» Nachfolger – ein «Rainbow Six Siege 2»?
Der nächste logische Schritt wäre ein «Rainbow Six Siege 2» mit einem robusten Anticheat-System. Es gab Leaks und Gerüchte, aber bisher noch nichts Konkretes.
Abgesehen davon wünsche ich mir, dass der Nachfolger noch einsteigerfreundlicher wird. Wir brauchen mehr Nachwuchsspieler in der Szene. Neue, frische Leute, die in das Game einsteigen und die Spielerbasis vergrössern. Das brauchen wir, damit auch die kompetitive Szene am Leben bleibt.
Der Profi-Szene in «Rainbow Six Siege» geht es also momentan nicht gut?
Nein. Es fehlen Nachwuchsspieler. Ubisoft pflegt das nicht genug. Es gibt zu wenige Turniere, an denen sich neue Spieler beweisen können. Teams suchen nicht nach neuen Spielern, sondern fragen alte Spieler an und versuchen sie zu sich zu locken. Darum wurde auch ich von diversen Teams angefragt – obwohl sie wissen, dass ich nicht mehr aktiv bin. Der Talentpool trocknet aus.
In der Schweiz ist die kompetitive Szene quasi inexistent. Sie war mal grösser, schätzungsweise zwischen 2018 und 2021. mYinsanity ist das einzige Schweizer Team, das sich auch international einen Namen gemacht hat.
Dass es weniger Schweizer Spieler auf Top-Niveau gibt, liegt sicher auch am Gehalt. Kommst du aus anderen europäischen Ländern, verdienst du mit einem Profi-Gehalt ziemlich viel. In der Schweiz ist aber alles teurer, das Gehalt reicht nicht aus. Ausserdem muss man viel Zeit investieren, um überhaupt zum Punkt zu gelangen, an dem man Geld verdient. Es lohnt sich einfach nicht.
Am Samstag, 14. September, finden die letzten Qualifier für den Playground Cup Vol. 13 statt. Gespielt wird «Rainbow Six Siege» – das hat die Community in einem öffentlichen Voting entschieden. Melde dich jetzt an oder schau live zu.
Moderiert werden die Streams von den «Rainbow Six Siege»- und Shooter-Experten AndiGAMETV und Gardalus. Der Qualifier und das Finale werden live auf Twitch und Youtube übertragen.
Alle Infos zum Turnier und zur Anmeldung findest du in diesem Artikel:
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.