Kritik

Ersteindruck: «The Witcher» sieht grandios aus, ist aber (noch) etwas langatmig

Luca Fontana
23.12.2019

Seit dem 20. Dezember ist die erste Staffel von «The Witcher» auf Netflix verfügbar. Die Serie ist düster und brutal, wartet mit grandiosen Schauplätzen und beeindruckenden Kampf-Choreografien auf. Schwächen hat sie trotzdem.

Acht Episoden à etwa einer Stunde gibt die erste Staffel von «The Witcher» auf Netflix her. Gesehen habe ich vier davon. Das reicht noch nicht für ein abschliessendes Urteil, aber für einen ersten Eindruck.

Eines vorweg: In diesem Serien-Ersteindruck gibt’s keine Spoiler. Du liest nur das, was aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt ist.

Vom Hexer und vom Schicksal

Hexer. Monsterjäger. Eigentlich Mutanten. Im Kindesalter mussten sie grausame Experimente über sich ergehen lassen: der Ursprung ihrer teils übernatürlichen und übermenschlichen Fähigkeiten. Jetzt ziehen die Hexer durchs Land und töten Monster, welche die Menschen eines namenlosen und von politischen Intrigen und Konflikten gebeutelten Kontinents plagen. Für Geld, Naturalien oder andere Gefallen.

Einer dieser Hexer ist Geralt von Riva (Henry Cavill). Beim Volk beliebt ist er nicht. Obwohl er zur Monsterjagd angeheuert wird, fürchten die Menschen den stoischen Einzelgänger, der mit düster Mine sein schmutziges Werk verrichtet – scheinbar jeglicher Emotionen beraubt, wie beim Rest der Sippschaft der Hexer-Gilde, so heisst es im Volksmund.

Während sich Geralt aus den Machenschaften und politischen Ränkespielen der Menschen rauszuhalten versucht, wird das nördliche, edle Königreich Cintra vom südlichen, barbarischen Königreich Nilfgaard überfallen und eingenommen. Die Erbin des Königreiches, Prinzessin Ciri (Freya Allan) muss fliehen und soll auf Geheiss ihrer Grossmutter, Königin Calanthe (Jodhi May), Geralt von Riva finden. Was Ciri nicht weiss: Ihr Schicksal ist mit jenem Geralts verbunden.

Schon seit vor ihrer Geburt.

Episodenhafte Erzählung mit Schwächen

Der Anfang will mich noch nicht so recht packen. Vielleicht wegen der episodenhaften Erzählstruktur der ersten vier «The Witcher»-Folgen, wo kein Cliffhanger mich zum Weiterschauen zwingt und in der – zugespitzt formuliert – im Wesentlichen immer dasselbe passiert: Da ist ein Monster, das ein Dorf oder eine Burg bedroht und um das sich Hexer Geralt kümmern soll. Und während Geralt das tut, erfahren wir Zuschauer Neues über die Welt, die Gesellschaft und deren politischen Verhältnisse.

Henry Cavill als Geralt von Riva – das passt.
Henry Cavill als Geralt von Riva – das passt.
Quelle: Netflix

Etwa, dass die Elfen den Menschen beigebracht haben, Monster, Dämonen und Fabelwesen mittels Magie zu kontrollieren. Oder, dass die Menschen das neugewonnene Wissen später dazu missbraucht haben, nichtmenschliche Rassen wie Elfen oder Zwerge – Anderlinge genannt – zu unterdrücken und zu Bürgern zweiter Klasse zu degradieren.

Ja, Rassismus spielt eine grosse Rolle in «The Witcher».

Während die Serie also ausserordentlich gut darin ist, eine Welt zu erschaffen, die lebendig und bewohnt wirkt, lässt sie in Punkto roter Faden zu wünschen übrig: Schon Geralts Monster-of-the-week-Abenteuer sind mit etwas gar gemächlichem Tempo erzählt, zerfleddern aber zusätzlich mit Prinzessin Ciris Flucht in die Wälder. Eine Flucht, die unnötig in die Länge gezogen wird, damit sie in die Episodenstruktur von einer Stunde Laufzeit passt.

Bis jetzt noch die Schwachstelle der Serie: Ciri.
Bis jetzt noch die Schwachstelle der Serie: Ciri.
Quelle: Netflix

Dann, ab der zweiten Episode, kommt mit Yennefer (Anya Chalotra) der dritte Hauptcharakter dazu. Das ist Segen und Fluch zugleich.

Segen, weil es Yennefers Geschichte ist, die am meisten fesselt: Sie ist die körperlich entstellte junge Frau, die von ihrem Vater für vier Mark an die Zauberin Tissaia (MyAnna Buring) verkauft wird, um fortan Magie in Aretusa, der Zauberinnen-Akademie, zu studieren.

Fluch, weil immer dann, wenn die Geschichte zurück auf Ciri oder Geralt schwenkt, das Gefühl aufkommt, bloss zwei Nebengeschichten in der eigentlich viel wichtigeren Handlung rund um Yennefer beizuwohnen. Das, obwohl Geralt der eigentliche titelgebende Hauptcharakter ist. Nur sind es nicht Geralts Monster, die der Handlung Gewicht geben, sondern die Zauberer, die als offizielle Berater des jeweiligen Königs oder Fürsten im Hintergrund die Fäden ziehen und dadurch die Welt der Menschen beherrschen.

Zumindest in den ersten vier Folgen.

Yennefers Handlung ist die bisher spannendste.
Yennefers Handlung ist die bisher spannendste.
Quelle: Netflix

Erzählerisch problematisch ist vor allem die zweite Folge, in der in einem Handlungsstrang Wochen vergehen, im zweiten aber nur Tage und im dritten bloss Stunden: Die Idee ist gut, die Umsetzung aber ein Wirrwarr. Ein Wirrwarr, das in den zwei darauffolgenden Episoden aufgelöst wird und für den einen oder anderen Aha-Moment sorgt. Das rettet die erste Hälfte der ersten Staffel in der Retrospektive, aber das Gefühl, dass die Geschichte besser hätte erzählt werden können, bleibt.

Hochwertig produziert. Grandiose Choreos. Und gut gecastet

Fairerweise muss gesagt werden: Es ist nicht die erste Serie, die sich gerade anfangs mit der Einführung ihrer Charaktere, ihrer Welt und der eigentlichen Handlung schwertut, später aber grossartig wird. Wie «Breaking Bad», zum Beispiel. Zudem ist «The Witcher» trotz seiner vorhandenen Längen seltsam fesselnd.

Die Szenerie ist über alle Zweifel erhaben.
Die Szenerie ist über alle Zweifel erhaben.
Quelle: Netflix

Da ist diese Welt, die keinen Namen hat und die auf mitteleuropäischen Märchen und speziell slawischen Legenden beruht. Das ist einzigartig. Besonders, weil die Serie hier und da parodistische Elemente beinhaltet; «Schneewittchen» und «Die Schöne und das Biest» lassen grüssen.

Es ist auch eine Welt, die von den Machern mit viel Liebe zum Detail und grossem Produktions-Budget erschaffen wird: Von imposanten Burgen am Klippenrand über dem tosenden Meer bis zu verwunschenen kleinen mittelalterlichen Dörfern, die vom Pöbel der Welt bevölkert werden.

Da ist sichtlich viel Geld in die Serie geflossen.
Da ist sichtlich viel Geld in die Serie geflossen.
Quelle: Netflix

Und wenn «The Witcher» etwas verdammt richtig macht, dann seine Monster. Zur Freude der Fans gibt’s deutlich mehr davon, als die Trailer es haben vermuten lassen. Ihr bizarres und verzerrtes Design erinnert oft an Kreaturen aus einem Guillermo-del-Toro-Film. Etwa die Striga aus der dritten Episode. Gruseliges Teil. Aber ein Fest fürs Auge. Sowas hochwertig produziertes gibt’s im Serienbereich kaum.

Weil «The Witcher» auf Netflix läuft, braucht sich die Serie auch keine Sorgen um Restriktionen in Punkto Gewalt, Brutalität und Erotik zu machen: Es wird gemetzelt und gemordet was das Zeug hält. Mit viel abgetrennten Köpfen, Armen, Beinen, auslaufenden Gedärmen und anderen Innereien – nicht nur von Monstern. Und nackte Haut gibt’s in jeder Folge. So viel, dass selbst die ersten Staffeln von «Game of Thrones» im Vergleich dazu restriktiv wirken.

Ein Monster von ziemlich vielen, denen wir bereits in den ersten vier Episoden von «The Witcher» begegnen.
Ein Monster von ziemlich vielen, denen wir bereits in den ersten vier Episoden von «The Witcher» begegnen.
Quelle: Netflix

An dieser Stelle soll eine Lanze für den in den DC-Superman-Verfilmungen oft gescholtenen Henry Cavill gebrochen werden: Er gibt den mürrischen Geralt von Riva herrlich mies gelaunt. Schaust du die Serie im Original, dann wirst du die tiefe, brummende Stimme kaum von jener aus den Games unterscheiden können. Und wenn ich weiter oben gesagt habe, dass Yennefers Handlung die spannendste sei, so ist Cavills Geralt die mit Abstand interessanteste Figur der Serie.

Dazu kommen Kampf-Choreografien, die Cavill höchstselbst ausführt, also ohne Stuntman-Ersatz. Und die Choreografien haben’s in sich. So richtig: Das Gemetzel ist irgendwo zwischen animalisch-roh und seltsam-anmutig angesiedelt. Das freut den John-Wick-Fan in mir, der gerne klar und deutlich sieht, was da vor der Kamera passiert.

Die Kämpfe in «The Witcher» sind grandios inszeniert.
Die Kämpfe in «The Witcher» sind grandios inszeniert.
Quelle: Netflix

Und gekämpft wird von Anfang an: In den Büchern ist Geralt von Riva auch als «der Schlächter von Blaviken» bekannt.

Die erste Episode spielt in Blaviken.

Erster Eindruck: Sieht gut aus, könnte aber besser erzählt sein

«The Witcher» soll die Verantwortlichen bei Netflix so sehr von seiner Qualität überzeugt haben, dass sie eine zweite Staffel angekündigt haben, bevor die erste überhaupt verfügbar war.

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    von Luca Fontana

Ganz so euphorisch bin ich nicht. Noch nicht. Aber nach bloss vier Folgen möchte ich auch nicht von einem abschliessenden Urteil, sondern von einem ersten Eindruck reden. Und der ist gut. Nicht herausragend oder umwerfend, aber gut.

Die Schauwerte sind da. Die Serie fühlt sich episch und hochwertig produziert an. Mit Ausnahme der einen Schlacht in der ersten Episode: Sie ist weit weg von der inszenatorischen Genialität eines «Battle of the Bastards» aus «Game of Thrones». Dafür stimmt alles andere. Vom furchterregenden Monster-Design bis zu den aufwändig gestalteten Grossstädten, Schlösser und Burgen. Und die Charaktere, wenn auch in unterschiedlich spannenden Handlungen, sind interessant genug, um mich zum Weiterschauen zu animieren.

Allerdings erwarte ich jetzt, wo mir die Charaktere und die Welt des Hexers hinreichend etabliert scheinen, eine Handlung, die zusammenhängender und weniger episodenhaft wirkt. Das täte der Spannung gut.

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