Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich forscht am personalisierten Krafttraining
Krafttraining, das auf die physiologischen Eigenschaften einer Person zugeschnitten ist und effizient absolviert werden kann. In diese Richtung forscht die ETH in Zürich. Ein Augenschein vor Ort mit Selbstversuch.
Krafttraining ist Medizin. Es funktioniert bis ins hohe Alter und lässt uns mobil bleiben. Und längere Mobilität bedeutet mehr Lebensqualität. Krafttraining bedeutet aber auch Blut, Schweiss und Tränen. Okay, ganz so dramatisch ist es dann doch nicht. Um allerdings langfristig von den Vorteilen des Krafttrainings zu profitieren, ist konstante Arbeit über Jahre gefragt. Das braucht einerseits Disziplin und andererseits nimmt es viel Zeit in Anspruch. Zeit, die viele von uns nicht haben.
Dem Faktor Zeit ein Schnippchen schlagen
Hier setzt Dr. Claudio Viecelli, Biologe an der Eidgenössischen Technischen Hochschule und Gastautor bei Galaxus, mit seiner Forschung an. Gemeinsam mit Luca Niederhauser, der an der ETH Maschineningenieurwissenschaften studiert, haben sie die Regelungstechnik für eine motorisierte Leg Extension entwickelt, die ein hochintensives Beintraining in wenigen Minuten möglich macht. Der Prototyp befindet sich am Hauptsitz der ETH, im Zürcher Kreis 11.
Quelle: Patrick Bardelli
Durch eine hohe Intensität beim Training am Prototyp werden quasi alle motorischen Einheiten sofort rekrutiert. Bei einem konventionellen Training mit beispielsweise 50 Prozent des 1-RM (stellt die Masse dar, mit der du eine bestimmte Übung genau einmal über das komplette Bewegungsausmass ausführen kannst, aber kein zweites Mal) rekrutieren sich die motorischen Einheiten nach und nach. Entsprechend dauern die Übungen länger. Allerdings gibt es dabei ein Problem: Eine hohe Intensität ist mit geringer Spannungsdauer der Muskulatur verbunden, da das interne Drehmoment das externe Drehmoment überwinden muss – ist dies nicht mehr der Fall, kommt es unweigerlich zum Übungsabbruch. Bei 85 Prozent des 1-RM ist dies normalerweise zwischen vier und sechs Repetitionen der Fall.
Viecelli und Niederhauser wollen mit ihrer Forschung herausfinden, ob sie den Verlust an internem Drehmoment durch Reduktion des externen Drehmoments in Echtzeit so kompensieren können, dass immer eine weitere Repetition über das volle Bewegungsausmass des Muskels möglich ist. Das Ziel besteht darin, die effektive Spannungsdauer, bei der alle Fasertypen vollständig rekrutiert sind, auf zwei Minuten zu erhöhen und damit die Effizienz des Trainings zu maximieren, bei gleichzeitiger Reduktion der Trainingsdauer. Das würde es Athletinnen und Athleten ermöglichen, ihre Trainingszeit enorm zu reduzieren und somit mehr Zeit für Erholung und andere Trainingsmöglichkeiten bieten.
Quelle: Claudio Viecelli
Drop-Set, drop dead
Tönt in der Theorie kompliziert, ist in der Praxis jedoch ziemlich simpel. Ich konnte den Prototypen an der ETH schon mal ausprobieren. Zuerst wird das 1-RM des Quadrizeps ermittelt. Anschliessend trainierst du mit 85 Prozent davon an der Leg Extension, mittels Drop-Set und stets über das volle Bewegungsausmass des Muskels. Du befindest dich also permanent am Muskelversagen und zwar gefühlt ab der ersten Wiederholung. Dabei passt der Algorithmus das Gewicht laufend an und du machst so viele Reps wie möglich. Das dauert pro Bein maximal zwei Minuten, dann hast du deinen Quadrizeps an die Wand gefahren. Mörderisch effizient. Einen zweiten Satz willst du freiwillig nicht mehr machen.
Quelle: Claudio Viecelli
Quelle: Claudio Viecelli
Biologie und Maschinenbau
Für dieses interdisziplinäre Forschungsprojekt haben sich mit Claudio Viecelli und Luca Niederhauser ein Doktor der Biologie und ein Masterstudent der Maschineningenieurwissenschaft zusammengetan. Und forschen am Krafttraining der Zukunft. In vielen Bereichen unseres Alltags hält die Personalisierung Schritt für Schritt Einzug. So reden wir beispielsweise von der personalisierten Medizin unter Berücksichtigung des Genoms und der Epigenetik.
In den Gyms wird jedoch noch (zu) oft nach standardisierten Trainingsplänen gearbeitet, ohne die individuellen physiologischen Eigenschaften der Trainierenden ausreichend zu berücksichtigen. Das ist weder effizient noch effektiv. Zumal die meisten Geräte analog sind, was eine Datenerfassung oder -analyse unmöglich macht. Hier ist die Leg Extension ein erster Schritt in Richtung personalisierter, datenbasierter Workouts, denn das Krafttraining der Zukunft ist personalisiert und digital. Dies ermöglicht die Abbildung der Wissenschaft in Software, die das Training analysiert, in Echtzeit steuert und so individualisiert, um den grösstmöglichen Nutzen für das persönliche Ziel zu schaffen.
Quelle: Patrick Bardelli
Quelle: Patrick Bardelli
Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.