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Disney+ Review: Starke Bibliothek, schwache Originale

Disney+ tritt endlich in der Schweiz den Dienst an. Zeit, ein erstes Fazit über «Disneys wichtigste Priorität» zu ziehen, die die Streaminglandschaft an sich reissen will.

Ich kriege das Grinsen kaum aus dem Gesicht. Das ausdruckslose, aber ikonische Visier eines Mandalorianers starrt mir entgegen. Es gehört der titelgebenden Figur in der Disney+-Serie «The Mandalorian». Und da oben, im Disney+-Hauptmenü, in der grossen Kachel, die jeweils die angesagtesten oder zuletzt hinzugefügten Serien oder Filme zeigt, passt das Visier wunderbar, finde ich.

Das Grinsen ist immer noch da, als mir die fünf darunter liegenden Mini-Kacheln auffallen. Es sind die Mini-Kacheln, auf die es eigentlich ankommt. Sie stehen nämlich für Disneys Marken; für Disneys grösstes Streaming-Kapital.

Disney, Pixar, Marvel, Star Wars und National Geographic.

Auf einmal prasseln Erinnerungen auf mich ein. Erinnerungen an mich als Kind, der Stunden mit Serien wie «Darkwing Duck», «Ducktales» oder «Gargoyles» verbringt. Oder Erinnerungen an mein 12 Jahre jüngeres Ich, das zum ersten Mal «Iron Man» sieht und seine allererste richtige Filmkritik schreibt – oder es zumindest versucht. Oh, das Internet vergisst nicht. Und dann ist da noch «Star Wars», der Film, der meine Liebe fürs Kino und für die Filmmusik entfacht hat, als ich etwa sieben oder acht Jahre alt war.

Schwierig, da nicht in nostalgische Gefühle zu schwelgen.

Aber Disney zählt darauf. Nicht nur bei mir. Bei uns allen. Genau das heisst es nämlich, Disneys derzeit «wichtigste Priorität» zu abonnieren: Ein Ticket für nostalgische Gefühle zu lösen.

Ein Ticket zurück in die eigene Kindheit.

Disney+ grosse Stärke: Sein Backkatalog

Es war einmal ein Mann namens Walt Disney. Mit einem Startkapital von 250 Dollar gründete er in den frühen 1920er in Kansas City seine erste Firma und schuf seine ersten Zeichentrickfiguren. Drei Jahre später zog es ihn und seinen Bruder nach Hollywood, wo sie die Walt Disney Company gründeten. Fünf Jahre später – 1928 – entstand «Mickey Mouse», und Walt Disney wurde zum bekanntesten Zeichentrick-Animateur und Filmproduzent der Welt.

Etwa 90 Jahre, über 400 Filme und mehr als 60 Oscar-Gewinne später ist Disney gemäss Forbes’ Liste der 2000 grössten Unternehmen der Welt aktuell auf Platz 70. Das soll auch weiterhin so bleiben. Darum der nächste Schritt: dem Kampf der Streamingdienste beizutreten – mit Disney+. Erst kürzlich bezeichnete Disneys Ex-CEO Bob Iger das Projekt gar als «Nr. 1 Priorität Disneys».

Konkret heisst das: Alle Klassiker, die Disney in seinem Bunker, dem Disney-Vault, aufbewahrt, sind auf dem Streamingservice verfügbar. Dazu kommen so gut wie alle Inhalte der Disney-Marken Pixar, Marvel, Star Wars und National Geographic.

Zumindest in der Theorie. Gemäss Medienmitteilung sind da 500 Filme und 350 Serien auf dem Service. Dazu exklusive Eigenproduktionen, die nur für Disney+ produziert werden – Disney Originale. Nachgezählt habe ich nicht. Aber die Leserkommentare, die ihr so fleissig schreibt, lassen darauf schliessen, dass etliche Inhalte fehlen. Vor allem im deutschsprachigen Raum.

Die «Goofy und Max»-Serie etwa ist drauf. «Der Goofy Film» aber nicht. «Avengers: Endgame» kommt erst im September. «Agents of Shield» ist da, aber nur die ersten drei Staffeln. Die «X-Men»-Filme von vom 2019 gekauften 20th Century Fox sind alle vorhanden – ausser «Logan» und «Dark Phoenix». Das laut Kritikern tolle, aber an den Kinokassen enttäuschende «Onwards» gibt’s seit Kurzem in den USA, aber nicht in Europa. Und, und, und.

Marvel ist auf Disney+ prominent vertreten. Auch die X-Men-Filme und -Zeichentrickserien.
Marvel ist auf Disney+ prominent vertreten. Auch die X-Men-Filme und -Zeichentrickserien.

Nichtsdestotrotz: Der Backkatalog, also die Bibliothek exklusive Eigenproduktionen, ist der vielleicht attraktivste, den es auf dem Streaming-Markt gibt. Gerade mit derart starken Hollywood-Marken wie Marvel und Star Wars. Dazu die Möglichkeit, pro Account bis zu sieben Profile zu erstellen und auf bis zu vier Geräten gleichzeitig zu streamen.

Und: Disney spielt den Inhalt automatisch in der bestmöglichen Version ab, die das Wiedergabegerät unterstützt. Sprich: UHD-Auflösung, HDR10-Format und, wo’s das Gerät unterstützt, auch Dolby Vision. Letzteres gilt vor allem für Disney-Eigenproduktionen. Weniger für uralte Serien wie «Doug» oder Klassiker wie «Lady and the Tramp».

Und das alles für 9.90 Franken / 6.99 Euro monatlich oder 99 Franken / 69.99 Euro jährlich. Eine Kampfansage; das Netflix-Äquivalent kostet 21.90 Franken / 15.99 Euro monatlich.

Die App: Angenehme Menüführung und gute Übersicht

Das Design erinnert an Netflix und Amazon Prime: Kacheln vor dunklem Hintergrund, und jede Kolonne steht für eine Kategorie. Empfehlungen, Blockbuster, «Weil du X gesehen hast...» und solche Dinge. Hat’s in der unteren rechten Ecke der Kachel das Disney-Logo, ist es ein Disney Original. Ähnlich wie Netflix’ rotes «N» oder das Apfel-Logo bei AppleTV+.

  • Produkttest

    Apple TV Plus: Ist es wirklich so schlecht?

    von Luca Fontana

Ein Klick auf die Kachel führt zur Übersicht des Inhalts. Dort findet sich eine kurze Inhaltsangabe, verfügbare Episoden, Staffeln, Bild- und Tonqualität. Und: Extras. Von Making-ofs über gelöschte Szenen bis hin zu Bloopers und Trailern. Also etwa das, was auch auf Blu-rays oder DVDs im Bonusmaterial ist. Für Nerds wie mich ist das grossartig. Ich wüsste auch nicht, so was je bei Netflix oder AppleTV+ gesehen zu haben. Und ein Klick aufs Plus-Logo fügt den Inhalt zur Watchlist hinzu.

Ich mag das Netflix-ähnliche, aber aufgeräumte Design.
Ich mag das Netflix-ähnliche, aber aufgeräumte Design.

Dann sind da ja noch die besagten Mini-Kacheln je Disney-Marke: Ein Klick auf das Pixar-Logo bringt dich zu allen verfügbaren Pixar-Filmen, ein Klick aufs Star-Wars-Logo zu den Star-Wars-Filmen samt Spin-Offs, Real- und Zeichentrickserien. Und so weiter. Die Übersichtsseite ist pro Franchise passend designed.

Cool. Sehr cool sogar.

Jede Übersichtsseite hat ihr eigenes, passendes Design.
Jede Übersichtsseite hat ihr eigenes, passendes Design.

Cool sind auch die zusätzlichen Kolonnen unterhalb von «Filme» oder «Serien». Zum Beispiel die «Darth Vader Collection»-Kolonne, in der alle Inhalte aufgelistet sind, in die Darth Vader vorkommt – egal ob Film, Serie oder Zeichentrick.

Alternativ lässt sich auch via Hauptmenü durch die gigantische Bibliothek stöbern. Im Wesentlichen sind da «Watchlist», «Filme», «Serien» und eine dedizierte «Disney Original» Seite. Etwa so, wie es auch auf Netflix organisiert ist.

Schlicht, aber übersichtlich. Kann man machen.
Schlicht, aber übersichtlich. Kann man machen.

Alles in allem wirkt die App übersichtlich und aufgeräumt, unabhängig davon, ob sie via Smart-TV, Smartphone, Desktop oder Tablet bedient wird.

Die grosse Schwäche: Disney Originale

So attraktiv der Backkatalog Disneys ist, so spärlich gehalten ist sein Original-Angebot. Nicht nur in puncto Umfang. Auch an Qualität; die meisten Disney Originale sind mittelprächtig bis okay. Etwas, das ich bereits von Netflix kenne. Das ist für beide Streamingdienste gefährlich: Etliche Studien wie diese hier zeigen, dass die Attraktivität der Eigenproduktionen entscheidend ist für die Attraktivität des Streamingdienstes.

Das habe ich in diesem Artikel detailliert beschrieben:

  • Hintergrund

    Disney+ kommt – und wiederholt denselben Fehler wie Netflix

    von Luca Fontana

Zusammengefasst: Mittelprächtige Originale schaden Disney+ mehr als der Konkurrenz. Netflix und Prime können immerhin mit Diversität punkten. So nach dem Motto: Egal, was du suchst – es gibt bestimmt was für dich. Kartenhaus-Thriller. Sex-Aufklärung-Dramas. Mafia-Epen. Zu Herzen gehende Zeichentrickfilme. Die Liste ist endlos. Disney+ hingegen kennt nur Familienunterhaltung. Will sich das Haus der Maus auch langfristig etablieren, hat’s keinen Platz für Mittelmässigkeit. Dafür ist die Konkurrenz einfach zu stark und zu zahlreich.

Ausnahmen bezüglich Mittelmässigkeit gibt es wenige. «Togo» zum Beispiel, ein grossartiger Film nach wahren Begebenheiten: Als 1925 in Nome, einem kleinen Ort im Westen Alaskas, Diphtherie ausbricht, muss das Gegenmittel, das in Anchorage wartet, nach Nome gebracht werden. Strassen zwischen den 1600 Kilometer auseinander liegenden Anchorage und Nome gibt es keine. Eine Schlittenhundestaffette soll die Rettung bringen: Togo, der mittlerweile 12-jährige Schlittenhund des Mushers Leonard Seppala (Willem Dafoe), steht das längste und schwierigste der insgesamt 20 Teilstücke bevor.

Der Stafettenlauf, der als Serum Run to Nome in die Geschichte eingeht, kennt in den USA jedes Kind.

Oder «The Imagineering Story», eine der besten Dokus über Disney, die es gibt. Sie rückt jene Künstler und Ingenieure ins Rampenlicht, die für alle Roboter, Attraktionen und Kulissen verantwortlich sind, die in den Filmen und Freizeitparks zu sehen sind.

Auch «The World According to Jeff Goldblum» ist super, weil es eine seichte Infotainement-Serie ist, die dafür jede Menge Goldblum’schen Charme versprüht.

Und natürlich: «The Mandalorian», das Aushängeschild von Disney+. Eine Geschichte, die nach «Star Wars» schreit. Selten habe ich eine Serie gesehen, die handwerklich so gut gemacht ist. Ausser HBOs «Game of Thrones», dessen Machart eine Ausnahme in der gesamten TV-Landschaft darstellt.

Aber eben: «Togo» und «The Imagineering Story» sind keine medialen Erfolge gewesen. Nur «The Mandalorian». Und bis die nächste ähnlich heiss erwartete Disney+-Show kommt, wird’s August 2020. Frühestens. Das wäre dann Marvels «Falcon and the Winter Soldier». Die viermonatige Wartezeit mit bereits gesehenen Klassikern zu füllen, ist möglich. Anfangs zumindest. In ein, zwei Jahren muss Disney aber mehr bieten, um die Abonnenten bei Laune zu halten.

Fazit: Ich mag Disney+, aber...

Disney zielt mit seinem riesigen Backkatalog auf unsere Kindheitserinnerungen. So, wie R2-D2 bei Luke Skywalker in «The Last Jedi», als der Astromech-Droide die berühmte Nachricht einer Prinzessin in Not vorspielt, die den jungen Luke einst dazu bewegte, seinen ersten Schritt in eine grössere Welt zu machen. Jetzt soll ihn die Erinnerung an längst vergangene Tage dazu bringen, eine neue Generation Jedi auszubilden.

«That was a cheap move», sagt dann der mittlerweile alte und mürrische Jedi-Meister zu seinem Freund, steht auf, und beginnt Reys Jedi-Ausbildung.

Ich und «Star Wars»… beinahe eine Art Obsession.
Ich und «Star Wars»… beinahe eine Art Obsession.

Disneys Trick ist genau so billig – und genauso effektiv. Ich lasse es zu, wissend, dass das Haus der Maus vor allem ein nostalgisches Bedürfnis befriedigt. Nicht mehr. Nicht weniger. Ist okay, stimmt so für mich. Vor allem für den Preis.

Aber: Ich bin überzeugt davon, dass Disney mehr – und vor allem bessere – eigens für den Streamingdienst produzierte Inhalte liefern muss. Denn dass sich Nostalgie melken lässt, bestreite ich nicht. Nur, dass sie sich ewig melken liesse.

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