Die Kunst, sich respektvoll zu trennen: Tipps vom Paar-Coach
Hintergrund

Die Kunst, sich respektvoll zu trennen: Tipps vom Paar-Coach

Wie lange dauert Liebeskummer? Können Ex-Paare wirklich Freunde bleiben? Und wie überwindet man den Trennungsschmerz? Ein Paar-Therapeut hat Antworten.

Sie gehören zu den bekanntesten Beziehungsexperten der Schweiz, einzeln und gemeinsam: Amel Rizvanovic hat mit seiner Frau Felizitas Ambauen (vielleicht kennst du ihren Podcast «Beziehungskosmos«) einen speziellen Workshop entwickelt: Das Angebot «Paarcours – beziehungsweise werden» richtet sich explizit an Paare, die an ihrer Beziehung arbeiten möchten, aber nicht in einer akuten Krise sind.

Doch was, wenn dieses Stadium überschritten ist? Nicht immer muss es eskalieren, selbst wenn das Liebes-Aus noch so schmerzt. Die Kunst einer respektvollen Trennung liegt darin, Verantwortlichkeiten zu erkennen, Verletzungen zu betrauern sowie sich und dem anderen zu verzeihen, bevor es weiter geht. Ich habe Coach Amel Rizvanovic nach Rat und Tat gefragt.

Herr Rizvanovic, was passiert bei Liebeskummer?

Amel Rizvanovic: Sehr viel, körperlich und geistig. Es ist eine Verletzung, die sich ganz individuell äußert. Einige leiden unter Magenproblemen, Kreislaufstörungen, Schlaflosigkeit, Antriebslosigkeit oder unter einem grundsätzlichen Unwohlsein und Appetitlosigkeit. Auf der psychischen Ebene fühlen wir uns verletzt, verlassen, allein, traurig, wütend und manchmal alles zusammen. Jeder Trennungsschmerz entwickelt eine Eigendynamik.

Wie verläuft Liebenskummer?

Es gibt in der Realität zwar nicht den einen archetypischen Verlauf, der diesen Prozess abbildet. Jede und jeder modelliert sich in dieser Zeit etwas anders zusammen, um die Wirklichkeit greifbarer zu machen und um sich bestimmte Dinge zu erleichtern. Es gibt aber verschiedene Modelle, die einen Überblick über einen solchen Verlauf geben können. Eines davon fängt mit dem Schock an, der ausgelöst wird durch die Verletzung. Darauf folgt eine Reaktion, die sich zum Beispiel durch Wut und Traurigkeit äußert. Wobei sich diese zwei Emotionen abwechseln können. Später kommt der Teil, wo man mit einem gewissen emotionalen Abstand reflektiert und eine Umorientierung vollzieht. Damit ist die Basis geschaffen für den vierten Schritt – das ist dann der Neuanfang.

Und welche Modelle gibt es noch, wie der Schmerz nach der Trennung verläuft?

Da wären z.B. die bekannten fünf Phasen der Trauer nach Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross. Denn eine Trennung geht mit dem Verlust eines geliebten Menschen einher, dieser emotionale Zustand ist ähnlich wie bei einem Todesfall. Hier ist der erste Schritt das Leugnen, weil man oft zunächst im Schockzustand ist und begreifen muss, dass das jetzt passiert. Nach dem Realisieren folgen Zorn oder Wut. So im Sinne von: Jetzt muss alles raus. Die dritte Phase ist das Verhandeln, der Versuch den Verlust und den damit verbundenen Schmerz rückgängig zu machen. Und wenn das nichts nützt, kommt die Depression. Diese ist begleitet von Schwere und Dunkelheit. Das ist der Moment, in dem uns alles einholt. Wie eine bleierne Masse, die uns tief hinunterdrückt in die Trauer. Daraufhin folgt als fünftes das Akzeptieren. Auch wenn sich das vermeintlich banal anhört: Dieses Element ist am schwierigsten zu bewältigen.

Warum ist es so schwierig, eine Trennung anzunehmen?

Akzeptanz bedeutet loslassen – viele Menschen verwechseln das mit dem «Verstehen». Wirklich zu verstehen, dass und warum die Beziehung am Ende ist, ist mitunter schon schwer genug. Aber wir halten manchmal trotzdem unbewusst an ihr fest, drehen Schleifen und Schlaufen. Vielleicht ist das endgültige Loslassen – in Form von Akzeptanz – noch zu schmerzhaft und zu bedrohlich.

Und wie lange «darf» Liebeskummer dauern?

Diese Frage ist meines Erachtens tricky: Man kann sie nicht allgemein beantworten. Es spielt beim Liebeskummer eine große Rolle wie lang und wie intensiv die Beziehung war, ob ich eher sichere oder unsichere Bindungsmuster habe und auf welche Art die Beziehung zu Ende ging. Die Frage nach einem eindeutig definierten Zeitraum stigmatisiert die Menschen. Und er deutet darauf hin, dass nach einer gewissen Zeit der Abschluss gegeben sein muss, weil sonst etwas nicht mit einem stimmt. Das finde ich hochproblematisch.

Wovon hängt es denn ab, wie jemand eine Trennung verarbeitet?

Bei einer Trennung werden alte Bindungsmuster aus unserer Kindheit reaktiviert durch den Verlust an Bindung. Wenn man da eher sicher gebunden ist, ist es zwar eine schwierige und schmerzhafte Erfahrung. Aber: Es entgleitet einem nicht unbedingt so extrem der Boden unter den Füssen. Somit erlebe ich das ganze Prozedere komplett anders, als wenn ich tendenziell unsicher gebunden bin. Weitere wichtige Fragen wären: Wie viel emotionale Tiefe hatte die Beziehung? Wie und was war das gemeinsame Fundament? Was hat man miteinander erlebt? Welche Höhen, Tiefen und Life Events? War man sich emotional nahe? Und dann kommt die Art der Trennung dazu, die mitunter sehr verletzend sein kann. Außerdem darf man nicht vergessen: In manchen Fällen wird ein ganzes Familiensystem auseinandergerissen- Das betrifft auch den Freundeskreis, Bekannte, Verwandte, Nachbarn, gemeinsame Kinder oder Haustiere. Eine Trennung ist komplex.

Hat sich der Stellenwert von Partnerschaft in der Gesellschaft verändert?

Heutzutage obliegen Paarbeziehungen mehr Erwartungen als früher, weil sich die Rolle der Partnerschaft verändert hat. Die romantische Beziehung hat die Zweckheirat abgelöst und mit der zunehmenden Gleichstellung der Frau hat eine ökonomische Emanzipation stattgefunden. Mehr Unabhängigkeit führt zu mehr Augenhöhe. Und das bedeutet: Die Machtverhältnisse haben sich verschoben. Dadurch können Frauen heute die Art von Beziehung einfordern, die sie möchten und ihren Wünschen und Bedürfnissen Nachdruck verleihen. Diese Entwicklung hat den Charakter von Paarbeziehungen fundamental verändert. Und das ist gut so.

Gibt es weitere Einflüsse, die moderne Beziehungen verändert haben?

Früher haben wir Sinnhaftigkeit und Orientierung aus der Religion bezogen, das hat sich auch radikal verändert wegen fortschreitender Säkularisierung in unseren Gefilden. Diese Entwicklung hat zu einem Vakuum geführt in vielen Bereichen, in denen uns traditionell Religion Halt und Orientierung gegeben hat, unter anderem die grosse Frage nach dem Sinn. Was gibt uns heute einen übergeordneten Sinn, da Religion als Sinnstifter an Bedeutung verliert? Eine Antwort lautet: Arbeit und Beziehungen. In der Arbeitswelt gibt es schon länger einen Trend in diese Richtung: Purpose! Meaning! Sinn! Auch die Partnerschaft überfrachten wir mit einer riesigen Ladung an Erwartungen, was sie alles zu leisten hat ...

... und das kann nicht gutgehen?

Mein Gegenüber soll aufregend sein, zugleich ruhig und stabil, sexy, wild, aber zuverlässig und ausgeglichen; spontan und abenteuerlich, darüber hinaus auch kontrolliert, strukturiert und analytisch; enthusiastisch und selbstsicher – aber selbstverständlich auch zärtlich und einfühlsam sowie mein Fels in der Brandung ... Ganz nah – und unnahbar. Best friend, treue Gefährtin und zugleich Partner-in-Crime. Die grossartige Paartherapeutin Esther Perel sagt dazu sinngemäss: «Wir erwarten heute von unseren Partnerinnen rsp. Partnern das, wofür früher ein ganzes Dorf zuständig war.»

Wie findet man heraus, ob die Beziehung noch zu retten ist?

Keine Frage, die allgemeingültig zu beantworten ist, aber auch hier gibt es ein passendes Modell zur Veranschaulichung. Es sind «Die vier Reiter der Apokalypse» von John Gottman. Der erste Reiter ist die Kritik. Diese bezieht sich auf dich als Person. Sprich: Man kritisiert den Partner in Bezug auf den Charakter, den Menschen an sich – und nicht ein bestimmtes Verhalten. Darauf folgt die Rechtfertigung (der zweite Reiter, die Red.), denn die Kritik führt immer zu einer Abwehrhaltung, im Sinne von: Du wirfst einen Stein auf mich und ich werfe ihn zurück auf dein Glashaus. Der dritte Reiter tritt meistens im fortgeschrittenen Stadium auf: das Mauern. Es kommt in unterschiedlichen Ausprägungen daher, aber er ist eine der häufigsten Strategien der emotionalen Vermeidung. Das bedeutet, man macht zu – zieht sich in seine Burg hinter die hohen, dicken Mauern zurück. Mauern ist insbesondere bei Männern eine gängige Schutzstrategie.

Jetzt fehlt noch der vierte apokalyptischen Reiter – was macht der mit Paaren?

Das ist die Verachtung. Dieser toxische, abschätzige Umgang miteinander geschieht nicht nur im privaten Bereich, sondern oft auch in der Öffentlichkeit. Es wird sarkastisch, zynisch, verletzend, geht unter die Gürtellinie. Die Verachtung ist der giftigste der vier Reiter. Grundsätzlich gilt: Je mehr Reiter regelmässig galoppieren und je öfter, desto schwieriger ist es, in der Beziehung wieder ein wertschätzendes, liebevolles und gesundes Miteinander zu finden.

Kann man sich denn überhaupt in Frieden trennen?

Es entspricht vermutlich nicht der Norm – aber es gibt Paare, die es schaffen, sich auf eine erwachsene Art zu trennen. Ja, man kann das respektvoll und würdevoll. Aber es ist eine grosse Herausforderung. Denn es setzt voraus, sein Ego und seine Impulse ein Stück weit zurückzunehmen und kontrollieren zu können. Zentral ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Also: Was macht das gerade mit mir? Welche Gefühle habe ich? Bin ich wütend, trotzig, traurig, ohnmächtig, verlassen? Oder ist es gar eine Mischung aus verschiedenen Emotionen? Auf Basis meiner Gefühlslage leitet sich die Frage ab: Was brauche ich jetzt? Der nächste Schritt wäre, zu lernen, mit seinen Bedürfnissen auf eine adäquate und gesunde Art umzugehen. Wie kanalisiert man seine Wut angemessen und gesund? Wie geht man mit dem Gefühl des Verlassenseins um? Was sind geeignete Wege, um mit der Trauer umzugehen?

Das klingt nach einer Menge Arbeit.

Den Kontakt zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen kultivieren und dann auf eine erwachsene Artdarauf eingehen – das ist eine hohe Kunst und in der Realität oft extrem schwer. Paare, die es schaffen, sich in Frieden zu trennen, bewegen sich viel und oft im sogenannten Erwachsenen-Ich. Manche kriegen das selbst gut hin, anderen hilft es, sich professionelle Unterstützung zu holen.

Wie können Paar- und Trennungstherapie hier helfen?

Es geht nicht darum, den Schuldigen oder die Schuldige zu finden, sondern darum, die Dynamik der Beziehung und Trennung zu verstehen. Mitunter kann eine Fachperson helfen, das Geschehene und das «Warum» besser einzuordnen. Sowie der Frage nachzuspüren: Was ist mein Anteil an dieser Dynamik? Anteil heisst: Was sind meine (vielleicht teilweise unbewussten) Muster und Verhaltensweisen, die ein eher schwieriger Teil von mir sind und die eine Rolle in der Beziehung gespielt haben? Im besten Fall hilft mir ein solcher Prozesses, einen differenzierteren und ergiebigeren Blick auf die Beziehung zu bekommen. Was sehr hilfreich für Akzeptanz sein kann. Grundsätzlich ist eine Paarbegleitung oder Begleitung einer Trennung der Versuch, ein Paar darin zu unterstützen, weniger im unbewussten Autopiloten zu sein, sondern mehr bewusste Regie zu übernehmen. Wenn wir die Dynamiken und unseren eigenen Anteil besser verstehen, ist das ein grosser und hilfreicher Schritt.

Hilft eine solche Begleitung auch für künftige Beziehungen?

Ja, denn statt sich ausschliesslich zu fragen, was ich von meiner künftigen Partnerin oder dem Partner und der Beziehung erwarte, kann es wertvoll sein, sich selbst die Frage zu stellen: Welche Version von mir möchte ich gerne in einer nächsten Partnerschaft sein?

«Lass uns Freunde bleiben» – ist das eine Illusion oder eine echte Möglichkeit?

Es kann in manchen Fällen durchaus wertvoll sein, wenn man zu seinem Ex-Partnern ein vernünftiges Verhältnis aufbauen kann. Aber hinter diesem Satz steckt mitunter etwas anderes: Vermeidung. Also der Wunsch, dass wir diese Trennung möglichst ohne Schmerz, ohne Drama, ohne Verletzung vollziehen. Und einfach Freunde bleiben. Ich versuche mein Gegenüber – und vor allem mich – zu schonen und diese sehr unangenehmen Gefühle zu vermeiden, die mit der Trennung einhergehen. Das ist allzu menschlich und durchaus nachvollziehbar. Aber ...

... ich habe es geahnt, es gibt einen Haken.

Ja, denn gleichzeitig braucht es bei Trennungen eine gesunde Distanz. Gerade am Anfang der Trennung, damit alle genügend Raum für sich haben – und ihren schmerzhaften Prozess in einem geschützten Rahmen durchleben können, ohne das ständig alte Wunden getriggert werden. Eine Freundschaft als direkte lineare Fortsetzung zur Paar-Beziehung halte ich deshalb eher für schwierig. Wie viel Nähe es verträgt und wieviel Distanz es braucht, ist unterschiedlich und kann sich im Laufe der Zeit verändern.

Titelfoto: shutterstock

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Janina Lebiszczak
Autorin von customize mediahouse

Lebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.


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