Die KI-Blase
Der Goldrausch rund um Künstliche Intelligenz kennt keine Grenzen. Der wirtschaftliche Nutzen der Technologie bleibt bisher überschaubar. Ändert sich das nicht, wird eine Blase platzen.
Generative Künstliche Intelligenz (KI) ist der grösste Tech-Hype seit dem Internet. Die Giganten des Silicon Valley befinden sich in einem halsbrecherischen Rennen. OpenAI, Microsoft, Google und Meta versuchen sich gegenseitig mit Hochglanz-Chatbots zu übertreffen. Das Versprechen: KI soll unsere Produktivität ins Unermessliche steigern.
Vielleicht. Irgendwann. Doch die Hoffnungen rennen der Realität davon.
Die Gier nimmt überhand
Das zeigt sich an der Wall Street. Dort ist die Euphorie riesig. Investoren pumpen Unmengen an Kapital in alles, was mit KI zu tun hat – unter anderem in Alphabet, Amazon, Meta, Microsoft und Nvidia. Zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. März 2024 flossen rund sechs Billionen US-Dollar in die Aktien der fünf Firmen.
Diese astronomische Zahl entspricht fast dem siebenfachen Bruttoinlandprodukt der Schweiz (0,9 Billionen) – und 22 Prozent desjenigen der USA (27 Billionen). Die fünf Firmen steigerten damit ihre Marktkapitalisierung um 132 Prozent. Ein grosser Teil dieses Anstiegs geht vermutlich auf die hohen Erwartungen an KI zurück. Der Index des weltweiten Aktienmarkts MSCI World legte im gleichen Zeitraum nur um 31 Prozent zu.
Jensen Huang badet in Geld
Zwischen den grossen Unternehmen fliesst ebenfalls viel Geld – vor allem in Richtung Nvidia. Dort kaufen Alphabet, Amazon, Meta und Microsoft so viele KI-Prozessoren, wie sie kriegen können. Damit bauen sie riesige Server, die nötig sind, um KI-Modelle zu trainieren und Anfragen zu verarbeiten. Nvidias Tensor Core GPUs sind der Konkurrenz so weit voraus, dass der Chiphersteller quasi ein Monopol besitzt.
Die Konsequenz: CEO Jensen Huang kann Mondpreise verlangen und verdient sich eine goldene Nase. Nvidias Marge beträgt fast 80 Prozent, der Gewinn stieg im letzten Jahr um über 600 Prozent. Das Unternehmen ist heute so viel Wert wie alle Firmen Deutschlands zusammen. Ein kurzfristiges Ende ist nicht in Sicht. Die Cloud-Provider haben für den Rest des Jahres hunderte Milliarden an GPU-Investitionen angekündigt.
Eine Pyramide der Hoffnung
Bisher können Alphabet, Amazon, Meta und Microsoft sich das leisten. Auch sie haben ihre Gewinne in den letzten Jahren gesteigert. Bei Meta liegt das aber hauptsächlich an Sparmassnahmen und traditionellen Einnahmen aus Werbung. Bei Alphabet, Amazon und Microsoft sieht es ähnlich aus. Sie vermieten zudem Cloud-Rechenpower an kleinere Firmen, die keine eigenen Nvidia-GPUs auftreiben können.
Woher der Profit nicht stammt, ist Künstliche Intelligenz. So gut wie niemand zahlt bisher für Premium-Abos von Chatbots oder anderen KI-Features. Die prognostizierte Umsatzsteigerung von Alphabet, Microsoft und Amazon durch generative KI beträgt für 2024 gerade mal 20 Milliarden US-Dollar. Der Wert der drei Unternehmen wuchs seit Beginn des Hypes um rund 3 Billionen US-Dollar.
Das ist ein Multiplikator von 150. Vor dem KI-Boom lag er bei 5 bis 10 – was ebenfalls schon hoch war. Und während Microsoft und Co. die immensen Kosten quersubventionieren, verbrennen Start-ups das Risikokapital ihrer Geldgeber in den Hochöfen der Cloud-Provider.
Das Ganze ist eine Pyramide der Hoffnung. Hoffnung, dass KI-Features dereinst so viel Mehrwert bieten, dass Firmen und private User viel Geld dafür bezahlen. Erst dann würden sich die Investitionen in der Summe auszahlen. Bis dahin wird lediglich Geld die Pyramide hoch zu Nvidia geschaufelt und volkswirtschaftlich gesehen bleibt Künstliche Intelligenz ein schwarzes Loch. Sie verschlingt Unmengen an Energie, Arbeitskraft und Kapital.
KI bleibt unzuverlässig
Ob sich das am Ende lohnt, ist offen. Letztes Jahr versetzte ChatGPT die Welt in Aufruhr, weil das Sprachmodell Sci-Fi-Fantasien weckte. Doch der Bot war nicht nur beeindruckend, sondern auch unzuverlässig. Er erfand Dinge, reproduzierte Stereotypen und verbreitete Falschinformationen – genau wie die folgenden Chatbots von Google und Meta. Diese Unzuverlässigkeit wurde als Kinderkrankheit abgetan.
Doch sie ist bis heute geblieben. Googles Gemini und OpenAIs GPT-4o liegen immer noch häufig falsch. Jede Anfrage gleicht einem Münzwurf. Vielleicht ist die Antwort richtig, vielleicht aber auch nicht. Egal, ob es sich dabei um Software-Code, einen medizinischen Ratschlag oder Börsendaten handelt.
Das Netz ist voll von Beispielen. Googles neue AI-Overview-Suche schlägt vor, Pizza mit Klebstoff zu belegen. Für diesen Artikel wollte ich von Gemini die Marktkapitalisierung der Tech-Unternehmen am 31. Dezember 2022 wissen. Im Brustton der Überzeugung machte die KI zum Teil völlig falsche Angaben. Woher diese stammen, habe ich auch mit den angegebenen Quellen nicht herausgefunden.
Rauchgranaten
Fortschritt findet an anderen Orten statt. Einerseits verarbeiten die Modelle immer mehr Daten in immer kürzerer Zeit. Andererseits kommen sie mit verschiedenen Arten von Inputs gleichzeitig klar. Etwa Bilder und gesprochene Sprache. Zusätzlich polieren Alphabet und OpenAI die Sprachausgaben ihrer KI auf Hochglanz. «Sky», die KI-Stimme von GPT-4o, erinnerte bei der Präsentation an Scarlet Johansson im Film «Her» – so stark, dass die Schauspielerin ihre Anwälte einschaltete.
Solche Features sorgen für Schlagzeilen und suggerieren eine rasante Entwicklung. Doch es sind vor allem Rauchgranaten, um vom Grundproblem abzulenken: Die KI-Modelle sind nicht marktreif, weil sie zu viele Fehler machen. Sie gleichen einem schlechten Praktikanten, den man ständig kontrollieren muss.
Dieses Problem ist nicht so leicht zu lösen. Entgegen ihrem Namen generiert Künstliche Intelligenz lediglich Dinge aus bestehende Datengrundlagen. Sie kann seriöse Informationen nicht von einem Meme-Post auf Reddit unterscheiden. Und Berichten zufolge gehen den KI-Firmen bereits jetzt die Daten aus, mit denen sie ihre Modelle weiter verbessern könnten. OpenAI und Google haben das gesamte Internet durchkämmt. Weitgehend ohne die Urheber der Inhalte zu entschädigen, was zu Klagen führt.
Selbst wenn man rechtliche und ethische Bedenken ausser Acht lässt, ergibt sich irgendwann ein strukturelles Problem: Googles AI-Overview könnte dafür sorgen, dass der Traffic bei Google bleibt. Damit würde sich das Geschäftsmodell vieler Webseiten in Luft auflösen – und so auch der Anreiz, überhaupt neue Inhalte zu produzieren. Doch genau diese sind die nötige Nahrung für die Datenkraken der aktuellen Modelle. Die KI beisst die Hand, die sie füttert.
Das Vertrauen der Wall Street ist fragil
Vielleicht findet das Silicon Valley dafür eine Lösung. Ein Ansatz sind zum Beispiel spezialisierte Modelle, die mit weniger, aber dafür guten Daten trainiert werden. Künstliche Intelligenz ist zweifellos eine nützliche Technologie und umfasst mehr als die gehypten Chatbots. Es gibt sinnvolle Anwendungen und es werden noch viele dazukommen, an die bisher niemand denkt. Doch die Revolution kommt womöglich langsamer und weniger umfassend, als die Euphorie es suggeriert.
Im Moment haben die Investoren noch Geduld. Es reicht ihnen, wenn Google und Microsoft alle paar Monate neue KI-Produkte vorstellen – egal, ob diese was taugen. Wie lange das noch so geht, weiss niemand. Doch die Stunde der Wahrheit wird kommen und die Blase ist prall gefüllt.
Was, wenn die Chatbots dumm bleiben? Was, wenn niemand auf Copilot+ PCs gewartet hat? Was, wenn grosse Industrieunternehmen ihre KI-Investitionen reduzieren, weil die Zuverlässigkeit ausbleibt? Was, wenn viele KI-Start-ups deshalb doch nicht profitabel werden? Was, wenn mit ihrer Anzahl auch die Nachfrage nach Cloud-Rechenleistung sinkt? Was, wenn Microsoft, Meta, Amazon und Alphabet plötzlich nicht mehr so viele GPUs von Nvidia brauchen?
Plopp.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.